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163 lines
8.0 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XI ZB 12/13
  4. vom
  5. 18. Februar 2014
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 233 Fc
  14. Ein Rechtsanwalt wird von der Verpflichtung, die Berufungsbegründungsfrist bei
  15. Vorlage der Akten zwecks Erstellung der Berufungsbegründungsschrift zu prüfen, nicht dadurch befreit, dass er zuvor die von seiner Büroangestellten (falsch)
  16. berechnete Frist ungeprüft in die Handakte übertragen hat.
  17. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 - XI ZB 12/13 - OLG Stuttgart
  18. LG Stuttgart
  19. -2-
  20. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 18. Februar 2014 durch den
  21. Vorsitzenden Richter Wiechers, die Richter Dr. Joeres, Dr. Ellenberger und
  22. Dr. Matthias sowie die Richterin Dr. Menges
  23. beschlossen:
  24. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
  25. 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. August
  26. 2013 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
  27. Der Gegenstandswert beträgt 34.342,19 €.
  28. Gründe:
  29. I.
  30. 1
  31. Der Kläger nimmt die beklagte Sparkasse wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch. Das die Klage abweisende Urteil des
  32. Landgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25. April 2013
  33. zugestellt worden. Dieser hat am 21. Mai 2013 Berufung eingelegt und sie am
  34. 27. Juni 2013 begründet. Nach einem gerichtlichen Hinweis auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 9. Juli 2013 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei von einer seit
  35. September 2009 in seiner Kanzlei tätigen, stets zuverlässigen und vielfach
  36. überprüften Rechtsanwaltsfachangestellten fehlerhaft berechnet und in den
  37. Fristenkalender eingetragen worden. Der sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte habe die Frist in eine Fristenliste in der Handakte eingetragen. Dieser
  38. habe die Akte dann im Rahmen der Vorfristnotierung zwei Wochen vor dem
  39. -3-
  40. fehlerhaft errechneten Fristablauf, also 12 Tage vor dem tatsächlichen Fristablauf, zur Bearbeitung wieder vorliegen gehabt. Er habe die Berufungsbegründungsschrift am 21. Juni 2013 diktiert und am 25. Juni 2013 korrigiert. Am
  41. 27. Juni 2013 sei die Berufungsbegründungsschrift wegen Abwesenheit des
  42. sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten von einer anderen Rechtsanwältin
  43. der Kanzlei unterzeichnet und abgesandt worden.
  44. 2
  45. Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten
  46. des Klägers zurückzuführen, das gemäß § 85 Abs. 2 ZPO einem Verschulden
  47. des Klägers gleichstehe. Es liege ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten vor, weil bei sachgerechter Organisation der Fristenkontrolle
  48. die fehlerhafte Berechnung der Berufungsbegründungsfrist in dem Fristenkalender aus der Handakte ersichtlich gewesen und bei der im Zusammenhang
  49. mit der Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung offenbar geworden
  50. wäre. Auch obliege einem Rechtsanwalt die Pflicht zur eigenverantwortlichen
  51. Prüfung, ob das von seiner Kanzleikraft notierte Fristende richtig ermittelt und
  52. eingetragen worden sei, wenn ihm die Akten, wie hier auf Vorfrist, zur Bearbeitung vorgelegt würden. Hierauf könne auch dann nicht verzichtet werden, wenn
  53. der Prozessbevollmächtigte die von der Bürokraft errechneten Fristen ungeprüft
  54. in die Handakte übernehme.
  55. 3
  56. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
  57. -4-
  58. II.
  59. 4
  60. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO
  61. i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die
  62. Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde
  63. gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein
  64. müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161,
  65. 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts weder zur Sicherung
  66. einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts (§ 574
  67. Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht
  68. vielmehr im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletzt
  69. nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip;
  70. vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG, NJW 2003, 281). Da die durch den Fall
  71. aufgeworfenen Rechtsfragen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
  72. bereits geklärt sind, bedarf es, anders als die Rechtsbeschwerde meint, auch
  73. keiner richtungsweisenden Orientierungshilfe.
  74. 5
  75. 2. Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Der Kläger hat die Begründungsfrist
  76. nicht unverschuldet versäumt (§ 233 ZPO). Seinen Prozessbevollmächtigten
  77. trifft an der Fristversäumnis ein Verschulden, das der Kläger sich nach § 85
  78. Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
  79. 6
  80. a) Zunächst hat zwar eine Büroangestellte des Prozessbevollmächtigten
  81. des Klägers die Berufungsbegründungsfrist fehlerhaft berechnet und im Fristenkalender eingetragen. Ob der Prozessbevollmächtigte bereits in diesem Zu-
  82. -5-
  83. sammenhang oder bei der Übertragung der Frist in die Handakte eine Sorgfaltspflicht verletzt hat, bedarf keiner Entscheidung.
  84. 7
  85. b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Beschlüsse vom 2. November 2011 - XII ZB 317/11, NJW-RR 2012, 293 Rn. 11,
  86. vom 31. Mai 2012 - V ZB 27/12, NJW-RR 2012, 1204 Rn. 7 und vom 23. Januar
  87. 2013 - XII ZB 167/11, NJW-RR 2013, 1010 Rn. 11, jeweils mwN) hat ein
  88. Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen jedenfalls immer
  89. dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akte im Zusammenhang mit
  90. einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung,
  91. vorgelegt wird. In diesem Fall obliegt es dem Prozessbevollmächtigten, sich
  92. dieser Akte mit besonderer Sorgfalt anzunehmen und sich erforderlichenfalls
  93. durch Einsicht in die Akte selbst Gewissheit über den Ablauf der Frist zu verschaffen (BVerfG, NJW 2002, 3014, 3015).
  94. 8
  95. Diese Pflicht hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers verletzt. Nach
  96. seinen Ausführungen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages ist ihm
  97. die Akte 12 Tage vor Fristablauf zur Bearbeitung vorgelegt und von ihm als
  98. Fristsache wahrgenommen worden. Hätte er die Berufungsbegründungsfrist
  99. jetzt pflichtgemäß geprüft und den Fehler seiner Büroangestellten bemerkt, hätte die Berufungsbegründungsfrist ohne weiteres gewahrt werden können.
  100. 9
  101. c) Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht deshalb gerechtfertigt, weil nicht die Büroangestellte, sondern
  102. der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst die Frist ungeprüft in die Handakte übertragen hat. Die Pflicht eines Prozessbevollmächtigten, den Fristablauf
  103. bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung selbständig zu
  104. prüfen, beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung
  105. stets auch die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit
  106. -6-
  107. einschließt. Selbst wenn ein Prozessbevollmächtigter die von seiner Büroangestellten in den Fristenkalender eingetragene Frist überprüft, obwohl dies von der
  108. Aufgabenstellung her nicht erforderlich wäre, befreit ihn dies nicht davon, im
  109. Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozesshandlung die Einhaltung der für diese vorgeschriebenen Frist nochmals zu überprüfen (BGH, Beschluss vom
  110. 17. März 2004 - IV ZB 41/03, NJW-RR 2004, 1150). Die Pflicht des Prozessbevollmächtigten zur eigenverantwortlichen Überprüfung der Frist besteht erst
  111. recht, wenn der Prozessbevollmächtigte, wie hier, die Frist nicht überprüft, sondern ungeprüft in die Handakte übertragen hat.
  112. -7-
  113. III.
  114. 10
  115. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
  116. Wiechers
  117. Joeres
  118. Matthias
  119. Ellenberger
  120. Menges
  121. Vorinstanzen:
  122. LG Stuttgart, Entscheidung vom 23.04.2013 - 8 O 567/12 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 12.08.2013 - 9 U 103/13 -