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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. X ZR 70/12
  5. Verkündet am:
  6. 19. Februar 2013
  7. Wermes
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Wundverband
  19. ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1, § 265 Abs. 2 Satz 1, § 325 Abs. 1
  20. Hat der Patentinhaber, nachdem er Ansprüche gegen einen Patentverletzer rechtshängig gemacht hat, einem Dritten eine ausschließliche Lizenz
  21. an dem Klagepatent eingeräumt, ist der Dritte als (Teil-)Rechtsnachfolger
  22. des Patentinhabers an der Erhebung einer eigenen Klage gegen den Patentverletzer gehindert, solange die Klage des Patentinhabers rechtshängig ist. Das rechtskräftige Urteil über die Klage des Patentinhabers wirkt
  23. unter den genannten Voraussetzungen auch für und gegen den Dritten.
  24. BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - X ZR 70/12 - OLG Düsseldorf
  25. LG Düsseldorf
  26. -2-
  27. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
  28. Verhandlung vom 19. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter
  29. Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens, den Richter Dr. Bacher, die
  30. Richterin Schuster und den Richter Dr. Deichfuß
  31. für Recht erkannt:
  32. Auf die Revision der Beklagten wird das am 26. April 2012
  33. verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
  34. Düsseldorf aufgehoben.
  35. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19. April 2011
  36. verkündete Urteil der 4a-Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
  37. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. Die Klägerin macht Ansprüche wegen Verletzung des mit Wirkung
  41. 1
  42. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten, einen Wundverband betreffenden europäischen Patents 855 921 (Klagepatents) geltend. Patentinhaberin ist die M.
  43. AB (im Folgenden: M.
  44. ); die
  45. Klägerin ist Inhaberin einer ausschließlichen Lizenz für Deutschland. Die
  46. Beklagten sind Geschäftsführer der B.
  47. GmbH (im Folgenden:
  48. -3-
  49. B. ), die in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene als patentverletzend angegriffene Wundverbände herstellt und vertreibt. Die gegen
  50. B. geltend gemachten Klageansprüche hat das Berufungsgericht abgetrennt; sie sind nicht mehr Gegenstand dieses Verfahrens.
  51. Vor Klageerhebung erhob B.
  52. 2
  53. Tingsrätt gegen M.
  54. ihrerseits vor dem Stockholms
  55. Klage mit dem Begehren festzustellen, dass
  56. das europäische Patent in den Mitgliedstaaten, für die es erteilt wurde,
  57. nicht verletzt wird; über den genauen Gegenstand der Feststellungsklage,
  58. über die noch nicht entschieden ist, streiten die Parteien.
  59. Nach Anhängigkeit des schwedischen Verfahrens, aber gleichfalls
  60. 3
  61. vor Erhebung der vorliegenden Klage nahm M.
  62. B. und die Be-
  63. klagten vor dem Landgericht Mannheim wegen Verletzung des Klagepatents durch Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen u.a. auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch. Mit Vertrag vom 14. Juli 2010 räumte
  64. M.
  65. der Klägerin ab dem 15. Juli 2010 eine unentgeltliche, zeitlich
  66. unbegrenzte ausschließliche Lizenz am Klagepatent ein und erklärte sodann den Rechtsstreit vor dem Landgericht Mannheim hinsichtlich der geltend gemachten Schadensersatz- und Rechnungslegungsansprüche für
  67. die Zeit ab dem 15. Juli 2010 einseitig für erledigt. Das Landgericht Mannheim wies die Klage gegen B. gemäß Art. 27 Abs. 2 der Verordnung
  68. (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche
  69. Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG L 12/1 vom 16. Januar 2001,
  70. Brüssel-I-VO, im Folgenden: Verordnung) als unzulässig ab und setzte die
  71. Verhandlung gegen die Beklagten gemäß Art. 28 der Verordnung bis zur
  72. rechtskräftigen Entscheidung des schwedischen Verfahrens aus. Das
  73. Oberlandesgericht Karlsruhe wies mit Urteil vom 14. November 2012 die
  74. Berufung der Patentinhaberin gegen das B. betreffende klageabweisende Urteil zurück.
  75. -4-
  76. 4
  77. Das Landgericht hat im vorliegenden Verfahren die Klage hinsichtlich der Anträge auf Verurteilung zur Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz für
  78. seit dem 15. Juli 2010 begangene Handlungen für zulässig erklärt und sie
  79. im Übrigen als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung der Klägerin
  80. die Klage für insgesamt zulässig erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten den Klageabweisungsantrag
  81. weiter. Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
  82. Entscheidungsgründe:
  83. Die Revision hat Erfolg und führt zur Abweisung der unzulässigen
  84. 5
  85. Klage.
  86. I.
  87. 6
  88. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Zulässigkeit der
  89. Klage stehe weder das Verfahren vor dem Stockholms Tingsrätt noch der
  90. vor dem Landgericht Mannheim anhängige Rechtsstreit entgegen.
  91. Die Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 der Verordnung lägen
  92. 7
  93. nicht vor. Ob es in beiden Verfahren um denselben Anspruch gehe, bedürfe keiner vertiefenden Betrachtung. Es fehle jedenfalls in Bezug auf die
  94. Beklagten, die an dem schwedischen Verfahren nicht beteiligt seien, an
  95. der notwendigen Identität der Parteien.
  96. Die Klage sei auch nicht wegen anderweitiger Rechtshängigkeit der
  97. 8
  98. Streitsache vor dem Landgericht Mannheim unzulässig. Mit der Erteilung
  99. einer ausschließlichen Lizenz verliere der Patentinhaber nicht notwendigerweise seine materiellen Ansprüche aus dem lizenzierten Schutzrecht.
  100. Vielmehr behalte er, wenn er durch die Verletzung betroffen sei, seine
  101. Klagebefugnis. Da der ausschließliche Lizenznehmer daneben eine eige-
  102. -5-
  103. ne Klagebefugnis habe, stünden die Ansprüche wegen Patentverletzung
  104. zwei Rechtssubjekten zu. Patentinhaber und ausschließlicher Lizenznehmer könnten folglich unabhängig voneinander und an verschiedenen Gerichtsstandorten gegen einen Schutzrechtsverletzer vorgehen. Zwar sei
  105. ein ausschließlicher Lizenznehmer an die rechtskräftige Abweisung der
  106. Klage des Schutzrechtsinhabers gebunden, wenn dieser den Rechtsstreit
  107. vor Vergabe der ausschließlichen Lizenz geführt und mithin das "Vollrecht"
  108. geltend gemacht habe. Völlig anders lägen aber die Verhältnisse, wenn
  109. während des Verletzungsprozesses eine ausschließliche Lizenz vergeben
  110. werde und fortan beide Berechtigten ihre jeweiligen Ansprüche nebeneinander verfolgten. Indem sich - wie im vorliegenden Fall M.
  111. im
  112. Mannheimer Verfahren - der anfänglich aus dem Vollrecht klagende Patentinhaber auf diejenige reduzierte Rechtsposition zurückfallen lasse, die
  113. einem betroffenen Schutzrechtsinhaber nach Vergabe einer ausschließlichen Lizenz zukomme, sei eine Prozesssituation gegeben, wie sie auch
  114. vorläge, wenn die Lizenz bereits vor Beginn des Verletzungsprozesses
  115. vergeben worden wäre.
  116. II. Dies hält den Angriffen der Revision nicht stand.
  117. 9
  118. Der Inanspruchnahme der beklagten Geschäftsführer steht entge10
  119. gen, dass die geltend gemachten Ansprüche weiterhin vor dem Landgericht Mannheim rechtshängig sind (§ 261 Abs. 3 Nr. 1, § 265 Abs. 2 Satz 1
  120. ZPO).
  121. 1. Nach § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO hat die Veräußerung der streit-
  122. 11
  123. befangenen Sache oder die Abtretung des geltend gemachten Anspruchs
  124. nach Eintritt der Rechtshängigkeit auf den Prozess keinen Einfluss. Zweck
  125. der Vorschrift ist es, zu verhindern, dass eine Partei sich der Rechtskraftwirkung entzieht, indem sie den Streitgegenstand nach Rechtshängigkeit
  126. veräußert. Gleichzeitig soll der Prozessgegner des Veräußerers vor der
  127. Gefahr eines neuen Prozesses geschützt werden. Eine Veräußerung in
  128. -6-
  129. diesem Sinne ist insbesondere dann gegeben, wenn ein Rechtsübergang
  130. stattfindet, der einen Wechsel in der Sachlegitimation begründet
  131. (Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl., § 265 ZPO Rn. 14; Saenger, ZPO, 5. Aufl.,
  132. § 265 Rn. 6). § 325 Abs. 1 ZPO, der mit dem Rechtsgedanken des § 265
  133. in engem Zusammenhang steht, erstreckt die subjektiven Wirkungen der
  134. Rechtskraft auf den Rechtsnachfolger, sofern die Rechtsnachfolge nach
  135. dem Eintritt der Rechtshängigkeit stattgefunden hat.
  136. 12
  137. 2. Die Rechtspositionen des Schutzrechtsinhabers und des ausschließlichen Lizenznehmers sind voneinander insoweit unabhängig, als
  138. ein Urteil gegen den einen nicht ohne weiteres Rechtskraftwirkung gegenüber dem anderen entfaltet. Anders als bei der Veräußerung des Patents
  139. verliert der Patentinhaber nicht seine Sachlegitimation, wenn er einem Lizenznehmer am Patent eine ausschließliche Lizenz einräumt, sondern
  140. bleibt neben diesem zur Geltendmachung der in §§ 139 ff. des Patentgesetzes vorgesehenen Ansprüche befugt (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012
  141. - X ZR 94/10, BGHZ 192, 245 Rn. 15 f. - Tintenpatrone II; Urteil vom
  142. 5. April 2011 - X ZR 86/10, BGHZ 189, 112 Rn. 13 - Cinch-Stecker; Urteil
  143. vom 20. Mai 2008 - X ZR 180/05, BGHZ 176, 311 Rn. 25 ff. - Tintenpatrone). Mit der Einräumung einer ausschließlichen Lizenz können Patentinhaber und Inhaber der ausschließlichen Lizenz an dem Patent unabhängig voneinander gegen Verletzungen des Schutzrechts vorgehen. Der
  144. ausschließliche Lizenznehmer hat dabei zwar oft das überwiegende oder
  145. gar alleinige Interesse an der Abwehr von Rechtsverletzungen und am
  146. Ausgleich durch Schadensersatz; dem Schutzrechtsinhaber können aber
  147. eigene Ansprüche insbesondere dann zustehen, wenn ihm aus der Lizenzvergabe fortdauernd materielle Vorteile erwachsen, etwa wenn er an
  148. der Ausübung der Lizenz durch den Lizenznehmer partizipiert (BGH, aaO
  149. - Tintenpatrone II; Cinch-Stecker).
  150. -7-
  151. 13
  152. Auch wenn die Rechtspositionen von Patentinhaber und ausschließlichem Lizenznehmer voneinander unabhängig sind, leitet der Lizenznehmer dennoch seine Rechtsstellung von dem Schutzrechtsinhaber
  153. und aus dessen Schutzrecht ab. Der Patentinhaber kann dem Lizenznehmer, soweit es um das gegenüber Dritten wirksame Ausschließlichkeitsrecht geht, keine Rechtsposition verschaffen, die ihm nicht zuvor als Bestandteil seines (noch nicht um eine solche abgeleitete Berechtigung geschmälerten) Patentrechts zusteht. Dies zeigt sich daran, dass - wie auch
  154. das Berufungsgericht ausführt - der Lizenznehmer nicht anders als der
  155. Erwerber des Patents oder einer Mitberechtigung an dem Patent an ein
  156. Urteil gegen den Schutzrechtsinhaber gebunden ist, wenn die Lizenz nach
  157. Eintritt der Rechtskraft eingeräumt wird. Aber auch wenn die Einräumung
  158. einer ausschließlichen Lizenz vor Eintritt der Rechtskraft, jedoch nach Eintritt der Rechtshängigkeit erfolgt, ist der ausschließliche Lizenznehmer
  159. (Teil-)Rechtsnachfolger des Patentinhabers. Denn in beiden Fällen
  160. - Lizenzerteilung nach Rechtskraft und Lizenzerteilung vor Rechtskraft,
  161. aber nach Rechtshängigkeit - kann die Rechtskrafterstreckung nur auf
  162. § 325 Abs. 1 ZPO gestützt werden. Diese Vorschrift stellt gerade nicht auf
  163. den Zeitpunkt der Rechtskraft ab, sondern aus den genannten Gründen
  164. auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit.
  165. Dass der Patentinhaber eine eigene Berechtigung behält, ist uner-
  166. 14
  167. heblich. Insofern ist die Situation nicht anders, als wenn der Patentinhaber
  168. nach Klageerhebung einem Dritten die Mitinhaberschaft am Klagepatent
  169. einräumen würde; auch auf diesen Fall wäre § 265 ZPO anzuwenden.
  170. 3. Nach alledem ist die Klägerin, soweit das Klagebegehren in
  171. 15
  172. beiden Verfahren objektiv übereinstimmt, an die Rechtskraft einer in dem
  173. Mannheimer Rechtsstreit ergehenden Entscheidung gebunden und nach
  174. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO an einer eigenen Klage gehindert, solange jene
  175. Klage anhängig ist.
  176. -8-
  177. 16
  178. a) Dieselbe Streitsache im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann
  179. vor, wenn derselbe objektive Streitgegenstand von einer oder gegen eine
  180. Partei geltend gemacht wird, die an die Rechtskraft einer Entscheidung im
  181. bereits rechtshängigen Rechtsstreit gebunden ist (BGH, Urteil vom 5. Januar 1960 - I ZR 100/58, GRUR 1960, 379, 380 - Zentrale).
  182. b) In objektiver Hinsicht ist der Streitgegenstand der Verfahren in
  183. 17
  184. Mannheim und Düsseldorf identisch. M.
  185. hat in dem vor dem Land-
  186. gericht Mannheim anhängigen Rechtsstreit die Beklagten (neben B. )
  187. auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der
  188. Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Die letzteren Ansprüche
  189. sind mangels einer in den Klageantrag aufgenommenen zeitlichen Beschränkung auch für die Zukunft geltend gemacht worden (BGH, Urteil
  190. vom 4. Mai 2004 - X ZR 234/02, BGHZ 159, 66, 70 f. - Taxameter). Sie
  191. betreffen damit alle Verletzungshandlungen bis zum Ende der höchstmöglichen Schutzdauer. Die den Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bildenden Ansprüche sind daher, wie von der Revision zutreffend
  192. dargelegt, in vollem Umfang beim Landgericht Mannheim rechtshängig
  193. gemacht worden. Diese Rechtshängigkeit dauert unbeschadet des Umstands, dass die Klageansprüche infolge der Lizenzerteilung nunmehr
  194. teilweise der Klägerin zustehen, fort, da die Beklagten insoweit weder einer Klagerücknahme zugestimmt noch sich der von M.
  195. abgegebe-
  196. nen Erledigungserklärung angeschlossen haben.
  197. III. Das Berufungsurteil ist hiernach aufzuheben. Da die Sache zur
  198. 18
  199. Endentscheidung reift ist, ist die Klage gegen die Beklagten insgesamt als
  200. unzulässig abzuweisen.
  201. -9-
  202. 19
  203. IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
  204. Meier-Beck
  205. Mühlens
  206. Schuster
  207. Bacher
  208. Deichfuß
  209. Vorinstanzen:
  210. LG Düsseldorf, Entscheidung vom 19.04.2011 - 4a O 153/10 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.04.2012 - I-2 U 18/12 -