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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ZR 68/13
  4. vom
  5. 16. September 2014
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. September 2014
  9. durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski,
  10. Dr. Bacher, Hoffmann und die Richterin Schuster
  11. beschlossen:
  12. Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 25. Mai 2012 und aus dem Urteil des Oberlandesgerichts München vom 25. April 2013 wird gegen Sicherheitsleistung
  13. in Höhe von 4 Millionen Euro einstweilen eingestellt.
  14. Gründe:
  15. I.
  16. 1
  17. Das Landgericht hat die Beklagte wegen Verletzung des mit Wirkung
  18. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 304 891
  19. (Klagepatents) durch eine Kurznachrichtenfunktion von Mobiltelefonen zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Vernichtung und Rückruf verurteilt sowie die
  20. Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz festgestellt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
  21. Dagegen hat die Beklagte Beschwerde mit dem Ziel der Zulassung der Revision erhoben, über die der Senat noch nicht entschieden hat. Unterdessen hat
  22. das Bundespatentgericht auf die während des landgerichtlichen Verfahrens erhobene Nichtigkeitsklage der M.
  23. GmbH mit Urteil vom
  24. 7. Mai 2014 (6 Ni 12/14) das Klagepatent mit Wirkung für die Bundesrepublik
  25. Deutschland für nichtig erklärt. Vor Zustellung dieses Urteils hat die Beklagte
  26. beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Berufungsurteil
  27. -3-
  28. einstweilen gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Diesen Antrag hat der Senat
  29. mit Beschluss vom 8. Juli 2014 (X ZR 61/13, juris - nicht zu ersetzender Nachteil) zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Anhörungsrüge der Beklagten.
  30. II. Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Sie ist jedoch zugleich
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  32. als Gegenvorstellung anzusehen und führt im Hinblick auf die sich aus den
  33. nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründen des patentgerichtlichen Urteils
  34. ergebende veränderte Sachlage zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung.
  35. 1. Die Zwangsvollstreckung aus einem wegen Patentverletzung verur-
  36. 3
  37. teilenden Erkenntnis ist nach § 719 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 707 Abs. 1
  38. ZPO vom Landgericht oder vom Berufungsgericht grundsätzlich gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Klagepatent durch (nicht
  39. rechtskräftiges) Urteil des Patentgerichts für nichtig erklärt wird.
  40. Wenn das Klagepatent mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist,
  41. 4
  42. verurteilt das Verletzungsgericht auch dann, wenn es eine Verletzung des in
  43. Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (überwiegend) wahrscheinlich
  44. hält; andernfalls setzt es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO
  45. aus, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Klage auf Nichtigerklärung des Patents entschieden ist. Denn eine - vorläufig vollstreckbare - Verpflichtung des
  46. Verletzungsbeklagten zu Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung sowie Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen,
  47. wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen
  48. werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte
  49. -4-
  50. Justizgewährungsanspruch (s. nur BVerfGE 88, 118, 123) gebietet, dem Verletzungsbeklagten wirkungsvollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er
  51. sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff gegen den
  52. Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur
  53. eine effektive Möglichkeit, diesen Angriff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung führen zu können, sondern auch eine angemessene Berücksichtigung
  54. des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein - und gegebenenfalls das einzige - Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen
  55. kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff.
  56. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung
  57. dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das
  58. Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung
  59. geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede
  60. Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des
  61. Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn mit hinreichender
  62. Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird.
  63. Ist der Verletzungsbeklagte bereits durch ein vorläufig vollstreckbares Ur5
  64. teil wegen Patentverletzung verurteilt, reicht jedoch die Aussetzung allein nicht
  65. aus, um einer wahrscheinlichen Nichtigerklärung des Klagepatents Rechnung
  66. zu tragen. Vielmehr erschüttert die Erwartung des Verletzungsgerichts, das
  67. Klagepatent werde für nichtig erklärt werden, zugleich die Grundlage eines bereits ergangenen, auf Patentverletzung erkennenden Urteils oder Versäumnisurteils in einem solchen Maße, dass es grundsätzlich geboten ist, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil nach
  68. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustel-
  69. -5-
  70. len. Dies ist regelmäßig angezeigt, wenn das Klagepatent durch das erstinstanzlich zur Beurteilung seiner Rechtsbeständigkeit berufene Bundespatentgericht bereits für nichtig erklärt worden ist. Dem entspricht auch die obergerichtliche Einstellungspraxis (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juli 2008
  71. - 2 U 90/06, InstGE 9, 173 - Herzklappenringprothese).
  72. Eine andere Einschätzung kann im Einzelfall geboten sein, wenn sich
  73. 6
  74. aus den Gründen der patentgerichtlichen Entscheidung gewichtige Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese einer Überprüfung im Berufungsverfahren
  75. aller Voraussicht nach nicht standhalten wird. Dies kommt jedoch allenfalls in
  76. Ausnahmefällen in Betracht.
  77. 2. Hat das Patentgericht - wie im Streitfall - das Klagepatent für nichtig
  78. 7
  79. erklärt, ist die Zwangsvollstreckung auch dann in entsprechender Anwendung
  80. der §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Verletzungsverfahren vom Berufungsgericht bereits entschieden und aufgrund einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision oder einer zugelassenen Revision beim Bundesgerichtshof anhängig ist.
  81. Die Einstellungsmöglichkeit nach den §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO tritt insoweit neben die von der Beklagten in erster Linie erstrebte und im Senatsbeschluss vom 8. Juli 2014 erörterte Einstellung nach § 719 Abs. 2 ZPO, deren
  82. Voraussetzungen, wie in diesem Beschluss näher ausgeführt wurde, nicht erfüllt sind.
  83. Zwar ist die Möglichkeit, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstre-
  84. 8
  85. ckung auch dann anzuordnen, wenn der Schuldner nicht glaubhaft machen
  86. kann, dass ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen
  87. würde, nach dem Wortlaut des § 719 Abs. 1 ZPO an sich nur dann eröffnet,
  88. wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder
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  90. die Berufung eingelegt wird. Die Vorschrift ist im Revisionsverfahren und im
  91. Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aber entsprechend anzuwenden,
  92. wenn das Klagepatent erstinstanzlich für nichtig erklärt worden ist.
  93. Sinn und Zweck der Differenzierung zwischen den Voraussetzungen des
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  95. § 719 Abs. 1 und des § 719 Abs. 2 ZPO ist es, der erhöhten Richtigkeitsgewähr
  96. Rechnung zu tragen, die der Gesetzgeber, ähnlich wie in § 708 Nr. 10 und
  97. § 717 Abs. 3 ZPO einerseits und in §§ 709, 717 Abs. 2 ZPO andererseits mit
  98. Berufungsurteilen verbindet. Sie trägt den Besonderheiten der Verschränkung
  99. von Patentverletzungsprozess und Patentnichtigkeitsverfahren, die sich aus
  100. dem "Trennungsprinzip" ergibt, nicht hinreichend Rechnung. Die sich daraus
  101. ergebende planwidrige Regelungslücke ist durch entsprechende Anwendung
  102. von § 719 Abs. 1 ZPO auszufüllen.
  103. Im Verletzungsrechtsstreit muss die Frage der Aussetzung nach § 148
  104. 10
  105. ZPO und damit die Frage, ob eine erhobene Nichtigkeitsklage hinreichende
  106. Aussicht auf Erfolg hat, in jeder Instanz erneut geprüft werden, und zwar unter
  107. Berücksichtigung des jeweiligen Standes des Patentnichtigkeitsverfahrens. Die
  108. Beurteilung dieser Frage bietet aber keine vergleichbare Richtigkeitsgewähr wie
  109. die Beurteilung der Rechtslage im Übrigen, weil die Entscheidung über die
  110. Nichtigkeitsklage nicht dem Verletzungsrichter, sondern in erster Instanz dem
  111. Patentgericht obliegt. Gibt das Patentgericht der Nichtigkeitsklage statt, so wird
  112. die Richtigkeitsgewähr eines Berufungsurteils aus gleichsam außerhalb dieses
  113. Urteils liegenden Gründen erschüttert, und zwar in gleichem Maße wie die Richtigkeitsgewähr eines entsprechenden erstinstanzlichen Urteils. Für die der Regelung in § 719 Abs. 1 und 2 ZPO zugrunde liegende Differenzierung ist angesichts dessen insoweit kein Raum. Vielmehr muss die Regelung des § 719
  114. Abs. 1 ZPO entsprechend herangezogen werden, wenn gegen ein Berufungsurteil Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist.
  115. -7-
  116. 11
  117. 3. Nach diesen Grundsätzen ist auch im Streitfall die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Berufungsurteil und dem Urteil des
  118. Landgerichts München I anzuordnen.
  119. Der dem angefochtenen Berufungsurteil zugrunde liegenden Einschät-
  120. 12
  121. zung, die Nichtigkeitsklage werde voraussichtlich erfolglos bleiben, ist mit dem
  122. Urteil des Patentgerichts die Grundlage entzogen. Die nunmehr vorliegenden
  123. Entscheidungsgründe dieses Urteils enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass
  124. dieses offensichtlich unrichtig ist. Vor diesem Hintergrund ist die Vollstreckung
  125. aus dem angefochtenen Urteil in entsprechender Anwendung von § 719 Abs. 1
  126. ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Besondere Umstände,
  127. die ausnahmsweise eine andere Beurteilung nahelegen könnten, sind weder
  128. dargetan noch sonst ersichtlich. Auch die Erklärung der Klägerin, bis zum
  129. rechtskräftigen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen aus den Verletzungsurteilen vorzunehmen, verschafft der
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  131. Beklagten schon deshalb keine Rechtsposition, die vergleichbar der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung wäre, weil sie unter dem unbestimmten Vorbehalt einer "unveränderten Sachlage" abgegeben wurde.
  132. Meier-Beck
  133. Grabinski
  134. Hoffmann
  135. Bacher
  136. Schuster
  137. Vorinstanzen:
  138. LG München I, Entscheidung vom 24.05.2012 - 7 O 19335/11 OLG München, Entscheidung vom 25.04.2013 - 6 U 2421/12 -