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10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ZR 67/09
  4. vom
  5. 3. April 2012
  6. in der Patentnichtigkeitssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. Sachverständigenablehnung V
  14. ZPO § 406 Abs. 2
  15. Ist einer Partei im Patentnichtigkeitsverfahren vor der Bestellung des gerichtlichen Sachverständigen Gelegenheit gegeben worden, zur fachlichen und persönlichen Eignung einer von der Gegenpartei vorgeschlagenen Person Stellung
  16. zu nehmen, und verfügt sie über keinerlei Informationen zur Person des Sachverständigen, handelt sie schuldhaft, wenn sie, ohne zumindest einfache und
  17. ohne weiteres mögliche Erkundigungen eingeholt zu haben, die Erklärung abgibt, gegen die als Sachverständigen vorgeschlagene Person bestünden keine
  18. Einwände.
  19. BGH, Beschluss vom 3. April 2012 - X ZR 67/09 - Bundespatentgericht
  20. -2-
  21. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. April 2012 durch den
  22. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher,
  23. Hoffmann und die Richterin Schuster
  24. beschlossen:
  25. Das den gerichtlichen Sachverständigen Dr. G.
  26. betref-
  27. fende Ablehnungsgesuch wird zurückgewiesen.
  28. Gründe:
  29. 1
  30. I.
  31. Die Beklagte hat den gerichtlichen Sachverständigen wegen der Be-
  32. sorgnis der Befangenheit abgelehnt, nachdem er sein schriftliches Gutachten
  33. erstattet hat. Dessen Inhalt habe ihr Veranlassung gegeben, ihre Prozessbevollmächtigten mit einer Internetrecherche zum beruflichen Hintergrund des
  34. Sachverständigen zu beauftragen. Diese Recherche habe ergeben, dass der
  35. gerichtliche Sachverständige am 9. März 2009 auf dem von der Streithelferin
  36. ausgerichteten
  37. "Internationalen
  38. Wissenschaftlichen
  39. " einen Vortrag zum Thema "X.
  40. Forum
  41. zur
  42. X.
  43. im täglichen Einsatz"
  44. gehalten und am 17. Juni 2010 im Rahmen eines auf dem 13. Jahreskongress
  45. der
  46. Deutschen
  47. Gesellschaft
  48. für
  49. Y.
  50. der Streithelferin gesponserten Workshops zum Thema "X.
  51. e.V.
  52. von
  53. im ambulanten
  54. Einsatz" vorgetragen habe. Die hieraus und aus weiteren Umständen und Zusammenhängen (nachstehend II 2) ersichtlichen Beziehungen zur Streithelferin
  55. gingen deutlich über das hinaus, was als Austausch zwischen niedergelasse-
  56. -3-
  57. nen Ärzten und Unternehmen, deren Produkte sie verwendeten, üblich sei, und
  58. begründe die Besorgnis der Befangenheit.
  59. 2
  60. II. Das Gesuch war zurückzuweisen.
  61. 3
  62. 1. Es ist unzulässig, soweit die Beklagte sich dafür auf die vom Sachverständigen am 9. März 2009 und 17. Juni 2010 gehaltenen Vorträge stützt.
  63. 4
  64. a) Die Ablehnung eines Sachverständigen ist nach Verkündung oder
  65. Zustellung des Beschlusses über seine Bestellung (hier: im April 2011) nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden
  66. verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen (§ 406 Abs. 2
  67. ZPO). An dieser Glaubhaftmachung fehlt es.
  68. 5
  69. b) Entsprechend seiner neueren ständigen Praxis hat der Senat den
  70. Parteien und der Streithelferin vor Beauftragung des gerichtlichen Sachverständigen aufgegeben, fachlich qualifizierte und unabhängige Sachverständige vorzuschlagen und danach Gelegenheit gegeben, wechselseitig zu den jeweils
  71. unterbreiteten Vorschlägen Stellung zu beziehen. Zu den übereinstimmend von
  72. den Klägerinnen und der Streithelferin vorgeschlagenen Personen, Dr. G.
  73. als dann beauftragtem Sachverständigen und Prof. Dr. R., haben die seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten in deren Namen und Vollmacht erklärt, dass gegen sie keine Einwände bestünden.
  74. 6
  75. c) Vor diesem Hintergrund kann es nicht als unverschuldet angesehen
  76. werden, dass die Beklagte ihr Ablehnungsgesuch nicht früher angebracht hat.
  77. 7
  78. Für die Parteien besteht im Allgemeinen keine Verpflichtung, Erkundigungen darüber anzustellen, ob ein Ablehnungsgrund in Betracht kommt. Jedoch kann im Einzelfall Abweichendes gelten, denn konkreten Anhaltspunkten
  79. -4-
  80. für das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes muss die Partei aufgrund ihrer Prozessförderungspflicht nachgehen. Zumutbare Nachforschungen muss die Partei
  81. auch dann anstellen, wenn ihr bekannt ist, dass die Gewinnung des Sachverständigen wegen der Besonderheiten des Falls außergewöhnliche Schwierigkeiten bereitet (BGH, Beschluss vom 23. September 2008 - X ZR 135/04,
  82. GRUR 2009, 92 = NJW 2009, 84 - Sachverständigenablehnung III). Entsprechendes gilt, wenn die Partei im Patentnichtigkeitsverfahren die ihr vom Gericht
  83. eingeräumte Gelegenheit wahrnimmt, zu Sachverständigenvorschlägen der
  84. Gegenseite Stellung zu nehmen.
  85. 8
  86. Die Findung eines geeigneten Sachverständigen ist in Patentnichtigkeitsverfahren nicht nur deswegen regelmäßig schwierig, weil die wünschenswerte Qualifikation des Sachverständigen eng mit der gegebenenfalls nicht einfach zu beantwortenden und zwischen den Parteien streitigen Frage zusammenhängt, über welche Ausbildung und Erfahrung der Fachmann verfügt, der
  87. im Prioritätszeitpunkt mit der Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden
  88. technischen Problems beauftragt worden wäre. Es kommt vielmehr hinzu, dass
  89. in vielen Fällen notwendigerweise mehr oder weniger enge fachliche und berufliche Beziehungen zwischen den als Sachverständige in Betracht kommenden
  90. Wissenschaftlern, die auf dem betreffenden Gebiet forschen und lehren, und
  91. denjenigen am Patentnichtigkeitsverfahren beteiligten Unternehmen bestehen,
  92. die auf diesem Gebiet tätig sind und sich ihrerseits mit Forschung und Entwicklung befassen. Für die Parteien erkennbares Ziel ihrer Einbindung in die Sachverständigensuche ist es daher, ihre Fach- und Sachkunde nicht nur hinsichtlich
  93. der Qualifikationsanforderungen, sondern auch hinsichtlich etwaiger Bedenken
  94. zu nutzen, die gegen die Bestellung eines Sachverständigen wegen eines zu
  95. starken Näheverhältnisses des Vorgeschlagenen zu einer Prozesspartei oder
  96. einem am Verfahrensausgang interessierten Wettbewerber bestehen könnten.
  97. Dies ermöglicht es dem Gericht, Bedenken schon im Vorfeld der Beauftragung
  98. -5-
  99. Rechnung zu tragen und nicht erst - wie hier - nach der Erstellung des schriftlichen Gutachtens mit der Folge eines beträchtlichen Zeitverlusts bei einer erfolgreichen Ablehnung.
  100. 9
  101. Im Streitfall kann dahinstehen, ob sich hieraus eine Obliegenheit der Parteien ergibt, zur Qualifikation und Unabhängigkeit der von den jeweiligen Prozessgegnern vorgeschlagenen Sachverständigen Nachforschungen anzustellen, um diesbezüglich gegebenenfalls Einwendungen erheben zu können. Denn
  102. jedenfalls handelt eine Partei, die über keinerlei Informationen zur Person des
  103. vorgeschlagenen Sachverständigen verfügt, schuldhaft im Sinne von § 406
  104. Abs. 2 ZPO, wenn sie, ohne zumindest einfache und ohne weiteres mögliche
  105. Erkundigungen wie etwa durch eine Internetrecherche eingeholt zu haben, die
  106. Erklärung abgibt, gegen die als Sachverständigen vorgeschlagene Person bestünden keine Einwände.
  107. 10
  108. Die Beklagte macht diesbezüglich lediglich geltend, ihr als einem in den
  109. Vereinigten Staaten von Amerika ansässigen Unternehmen sei der Sachverständige nicht bekannt gewesen, so dass sie keine Veranlassung gehabt habe,
  110. an seiner Unbefangenheit zu zweifeln. Damit ist nach Sinn und Zweck der Gewährung rechtlichen Gehörs zu den wechselseitig vorgeschlagenen Sachverständigen fehlendes Verschulden an der verspäteten Geltendmachung des Ablehnungsgrundes schon nicht dargelegt. Auch wenn die Beklagte erwarten durfte, dass die Klägerinnen und ihre Streithelferin Verbindungen zu den vorgeschlagenen Personen offenlegen würden, hatte sie angesichts der ihr vom Senat eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme dennoch Veranlassung, über
  111. Personen, die ihr nicht bekannt waren, Informationen einzuholen, die ihr ohne
  112. weiteres zugänglich waren. Um solche Informationen handelt es sich nach ihrem eigenen Vorbringen bei den hier in Rede stehenden Umständen.
  113. -6-
  114. 11
  115. 2. Dass der Sachverständige auch nach der Bekanntgabe seiner Bestellung auf von der Streithelferin gesponserten Veranstaltungen Vorträge gehalten hat und dass die Streithelferin den Aufbau der Akademie H.
  116. und
  117. der
  118. Arbeitsgemeinschaft
  119. für
  120. Z.
  121. ,
  122. deren
  123. Ge-
  124. schäftsführer und Gesellschafter bzw. Gründungsmitglied der Sachverständige
  125. ist, unterstützt hat, begründet die Besorgnis der Befangenheit nach den gesamten Umständen nicht. Unstreitig hat auch die alleinige (seinerzeitige) Lizenznehmerin der Beklagten
  126. den Aufbau dieser beiden Einrichtungen unter-
  127. stützt, und sie hat, wie die Beklagte selbst vorträgt, auch Veranstaltungen, auf
  128. denen der Sachverständige Vorträge gehalten hat, als Hauptsponsor im Ganzen unterstützt. Sie hat außerdem auch selbst einen entsprechenden Workshop
  129. gesponsert. Dass der gerichtliche Sachverständige dort nicht vorgetragen hat,
  130. ist zumindest ohne zusätzliche Umstände unerheblich.
  131. 12
  132. Nach allem stellen weder die Beteiligung des Sachverständigen an den
  133. beiden Einrichtungen noch seine Vortragstätigkeit Umstände dar, die durchgreifende Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen wecken.
  134. Dass bestimmte Einrichtungen und Veranstaltungen von Konkurrenten durch
  135. Sponsoring und ähnliche Maßnahmen unterstützt werden, deutet auf ein allseitiges und beständiges Interesse aller Marktbeteiligten hin, bei den Disponenten
  136. ihrer Erzeugnisse präsent zu sein. Personen, die als Geschäftsführer einer Einrichtung oder als Referent auf einem Kongress mittelbar von der Förderung profitieren, sind deshalb aus der Sicht einer besonnenen Partei nicht dem Lager
  137. eines einzelnen unterstützenden Unternehmens zuzurechnen, sofern nicht im
  138. Einzelfall zusätzliche Umstände hinzutreten, die eine solche Schlussfolgerung
  139. nahelegen. Solche Umstände sind im Streitfall weder vorgetragen noch sonst
  140. ersichtlich.
  141. -7-
  142. 13
  143. 3. Soweit der Sachverständige im Vorfeld seiner Bestellung die Frage
  144. des Senats, ob er zu einer der Parteien oder deren Vertreter in irgendeiner Beziehung stehe, verneint hat, beruht dies, wie aus seiner Stellungnahme zum
  145. Ablehnungsgesuch zu schließen ist, auf der Einschätzung, dass erst Beraterverträge oder ähnlich enge Beziehungen bedenklich sein könnten. Dieser Bewertung kann zwar nicht beigetreten werden, vielmehr wäre es angebracht gewesen, die Aktivitäten und Zusammenhänge, die Gegenstand des Ablehnungsgesuchs sind, offenzulegen. Dass der Sachverständige dies anders bewertet
  146. hat, begründet die Besorgnis der Befangenheit nach den gesamten Umständen
  147. aber ebenfalls nicht.
  148. Meier-Beck
  149. Gröning
  150. Hoffmann
  151. Bacher
  152. Schuster
  153. Vorinstanz:
  154. Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.03.2009 - 4 Ni 39/07 (EU) -