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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. X ZR 134/11
  5. Verkündet am:
  6. 12. Dezember 2012
  7. Wermes
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in der Patentnichtigkeitssache
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Polymerzusammensetzung
  19. ZPO § 308
  20. Greift der Kläger im Patentnichtigkeitsverfahren das Streitpatent nur im Umfang
  21. einer von mehreren nebengeordneten technischen Lehren an, die Gegenstand
  22. eines einzigen Patentanspruchs sind, geht das Gericht über den Klageantrag
  23. hinaus, wenn es das Streitpatent im Umfang des gesamten Patentanspruchs für
  24. nichtig erklärt. Dies ist im Berufungsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen.
  25. EPÜ Art. 56; PatG § 4
  26. Bei der Prüfung, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahegelegt hat, ist nicht
  27. nur zu berücksichtigen, was sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig
  28. aus dieser Entgegenhaltung ergibt, sondern gleichermaßen, was der Fachmann
  29. kraft seines Fachwissens aus ihr ableiten kann.
  30. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 - X ZR 134/11 - Bundespatentgericht
  31. -2-
  32. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens, den Richter
  33. Dr. Grabinski und die Richterin Schuster
  34. für Recht erkannt:
  35. Die Berufung gegen das am 24. Mai 2011 verkündete Urteil des
  36. 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf
  37. Kosten der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das
  38. Streitpatent nur insoweit für nichtig erklärt wird, als die in der Urteilsformel bezeichneten Patentansprüche Zusammensetzungen
  39. betreffen oder hierauf Bezug nehmen, in denen das mit Stärke inkompatible thermoplastische Polymer aus der Gruppe bestehend
  40. aus aliphatisch-aromatischen Copolyestern, die von 30 bis 70 Molprozent aliphatische Struktur enthalten und worin die aromatische
  41. Struktur von Terephthalsäure und/oder Isophthalsäure abgeleitet
  42. ist, ausgewählt ist.
  43. Von Rechts wegen
  44. Tatbestand:
  45. 1
  46. Die Beklagte ist Inhaberin des am 9. November 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität zweier italienischer Patentanmeldungen vom 5. November
  47. 1996 und 9. Dezember 1996 angemeldeten europäischen Patents 0 947 559
  48. (Streitpatents). Das Streitpatent umfasst 18 Patentansprüche, von denen die
  49. Ansprüche 1 und 12 bis 18 in der Verfahrenssprache lauten:
  50. -3-
  51. "1. Biodegradable heterophase polymeric compositions having good
  52. resistance to ageing and to low humidity conditions, comprising
  53. thermoplastic starch and a thermoplastic polymer incompatible
  54. with starch, in which starch constitutes the dispersed phase and
  55. the thermoplastic polymer constitutes the continuous phase,
  56. wherein the thermoplastic polymer incompatible with starch is selected from the group consisting of aliphatic-aromatic copolyesters containing from 30 to 70% by moles of aliphatic structure and
  57. wherein the aromatic structure derives from terephthalic acid
  58. and/or isophthalic acid, polyester-amides deriving for 30 to 70%
  59. by weight from an aliphatic amide, polyester-ethers, polyesteretheramides, polyester-urethanes and polyester-ureas wherein
  60. the content of units having aliphatic structure is from 30 to 70%
  61. by moles, said compositions being obtainable by extrusion under
  62. conditions wherein the content of water during the mixing of the
  63. components is maintained from 1 to 5% by weight (content
  64. measured at the exit of the extruder, prior to any conditioning).
  65. 12. Process for preparing a composition according to any of the preceding claims 1 to 11, comprising extruding the components of
  66. the composition under conditions wherein the content of water is
  67. maintained from 1 to 5% by weight during the mixing of the components.
  68. 13. A composition according to claim 1, wherein the starch is dispersed in the copolyester matrix in the form of particles having
  69. average numeral dimension less than 1 μm.
  70. 14. Compositions according to claim 13, wherein the starch particles
  71. have average numeral dimension less than 0.5 μm and more than
  72. 70% of the particles have dimension less than 0.5 μm.
  73. 15. A film obtained from the compositions according to any of
  74. claims 1 to 14.
  75. 16. Use of the films according to claim 15 in the manufacture of nappies, of sanitary towels, of bags and of laminated paper.
  76. 17. Use of the films according to claim 15 in the agricultural field for
  77. mulching application.
  78. 18. Use of the compositions according to any of claims 1 to 14 for the
  79. manufacture of expanded moulded articles usable in packaging,
  80. and of disposable articles."
  81. 2
  82. Die Klägerin greift das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis
  83. 6, 8 bis 10 und 12 bis 18 an, soweit diese Ansprüche Zusammensetzungen betreffen oder Bezug nehmen auf Zusammensetzungen, in denen das mit Stärke
  84. inkompatible thermoplastische Polymer ausgewählt ist aus der Gruppe beste-
  85. -4-
  86. hend aus aliphatisch-aromatischen Copolyestern, die von 30 bis 70 Molprozent
  87. aliphatische Struktur enthalten und worin die aromatische Struktur von Terephthalsäure und/oder Isophthalsäure abgeleitet ist. Sie hat ihre Klage zunächst
  88. auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit gestützt, in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht auch darauf, dass der Gegenstand
  89. des Streitpatents nicht ausführbar sei. Die Beklagte hat das Streitpatent zuletzt
  90. in erster Linie beschränkt verteidigt. Danach soll Patentanspruch 1 folgende
  91. Fassung erhalten:
  92. "Biologisch abbaubare, heterophase, polymere Zusammensetzungen
  93. mit hohem Widerstand gegen das Altern und gegen Feuchtigkeitsarmut, umfassend thermoplastische Stärke und ein thermoplastisches,
  94. mit Stärke inkompatibles Polymer, wobei die Stärke die disperse
  95. Phase und das thermoplastische Polymer die kontinuierliche Phase
  96. konstituiert, wobei das mit Stärke inkompatible thermoplastische Polymer ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus aliphatischaromatischen Copolyestern, die von 30 bis 70 Molprozent aliphatische Struktur enthalten und worin die aromatische Struktur von
  97. Terephthalsäure und/oder Isophthalsäure abgeleitet ist, Polyesteramiden, die für 30 bis 70 Gewichtsprozent von einem aliphatischen
  98. Amid abgeleitet sind, Polyester-Ether, Polyester-Ether-Amide, Polyester-Urethane und Polyester-Harnstoffe, wobei der Gehalt der Einheiten mit aliphatischer Struktur von 30 bis 70 Molprozent reicht, wobei die Zusammensetzungen durch Extrusion unter Bedingungen gewonnen werden, bei denen der Wassergehalt während des Mischens
  99. der Komponenten von 1 bis 5 Gewichtsprozent gehalten wird (Messung des Gehalts beim Austritt aus dem Extruder vor jeglicher Konditionierung), und wobei die Stärke in der Copolyestermatrix in Form
  100. von Partikeln mit einer durchschnittlichen Dimension von weniger als
  101. 0,5 μm dispergiert ist, und mehr als 70% der Stärkepartikel Dimensionen von weniger als 0,5 μm aufweisen."
  102. 3
  103. Das Patentgericht hat wie folgt erkannt:
  104. "Das europäische Patent 0 947 559 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang seiner Patentansprüche 1 bis 6, 8 bis 10, soweit letztere nicht unmittelbar oder
  105. mittelbar auf Patentanspruch 7 rückbezogen sind, seines Patentanspruchs 12, soweit letzterer nicht unmittelbar oder mittelbar auf die
  106. Patentansprüche 7 oder 11 rückbezogen ist, im Umfang seiner Patentansprüche 13 und 14, im Umfang seiner Patentansprüche 15 bis
  107. -5-
  108. 18, soweit diese nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Patentansprüche 7 oder 11 rückbezogen sind, für nichtig erklärt."
  109. 4
  110. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Hauptantrag weiterverfolgt.
  111. 5
  112. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
  113. Entscheidungsgründe:
  114. 6
  115. A. Die Berufung ist zulässig.
  116. 7
  117. Allerdings orientiert sich die Berufungsbegründung nicht an den Anforderungen des neuen Berufungsrechts. Sie legt insbesondere nicht den Erfordernissen des § 112 Abs. 3 PatG entsprechend die Berufungsgründe dar, sondern
  118. stützt sich maßgeblich auf neuen Sachvortrag, ohne sich an den Voraussetzungen des § 117 PatG in Verbindung mit § 531 Abs. 2 ZPO zu äußern. Nach der
  119. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der § 112 Abs. 3 Nr. 2 PatG sachlich weitgehend entsprechenden Vorschrift des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4
  120. ist die Berufung jedoch schon dann zulässig, wenn wenigstens ein Berufungsangriff geführt wird, mit dem in zulässiger Form eine Rechtsverletzung geltend
  121. gemacht wird, die, läge sie vor, geeignet wäre, das angefochtene Urteil ganz
  122. oder teilweise zu Fall zu bringen (BGH, Urteil vom 8. April 1991 - II ZR 35/90,
  123. NJW-RR 1991, 1186, 1187; Urteil vom 13. November 2001 - VI ZR 414/00,
  124. NJW 2002, 682, 683; Urteil vom 28. Februar 2007 - V ZB 154/06, NJW 2007,
  125. 1534 Rn. 12). An diesen Anforderungen hat die Neugestaltung des Rechts der
  126. Berufung durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 nichts geändert
  127. (BGH, Beschluss vom 14. März 2005 - II ZB 31/03, NJW-RR 2005, 793; Beschluss vom 18. Oktober 2005 - VI ZB 81/04, NJW-RR 2006, 285). Damit genügt die von der Beklagten erhobenen Rüge, das Patentgericht habe rechtsfehlerhaft die Einstellung eines Wassergehalts von 1 bis 5 Gewichtsprozent beim
  128. -6-
  129. Mischen im Extruder für nahegelegt erachtet, weil die internationale Patentanmeldung 96/31561 (K5) nicht hierauf hinweise, sondern den Fachmann vielmehr von einer solchen Maßnahme abhalte. Griffe diese Rüge nämlich durch,
  130. brächte sie das angefochtene Urteil insgesamt zu Fall. Dass das Urteil, wie die
  131. Klägerin geltend macht, gleichwohl aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend sein könnte, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
  132. 8
  133. B. In der Sache bleibt die Berufung jedoch im Wesentlichen ohne Erfolg.
  134. 9
  135. I.
  136. Das Streitpatent betrifft biologisch abbaubare Polymerzusammenset-
  137. zungen, die Stärke und ein thermoplastisches Polymer enthalten.
  138. 10
  139. 1. Die Streitpatentschrift bezeichnet es eingangs als bekannt, dass sich
  140. die mechanischen Eigenschaften, insbesondere die Reißfestigkeit, von Produkten aus thermoplastischer Stärke als disperser Phase und einem mit Stärke
  141. inkompatiblen thermoplastischen Polymer beträchtlich verschlechterten, weil die
  142. Stärke Wasser abgebe oder absorbiere, bis sie mit der Umgebungsfeuchtigkeit
  143. im Ausgleich sei. Unter Bedingungen relativ niedriger Feuchtigkeit, beispielsweise bei 20% Feuchtigkeit, zeige das Material die Tendenz, fragil zu werden.
  144. Wenn die die disperse Phase konstituierenden Stärkepartikel belastet seien,
  145. könnten sie sich nicht verformen und die Belastung aufnehmen, sondern blieben starr, was zum Zerreißen führe. Wasser sei zwar ein sehr wirksamer
  146. Weichmacher für die Stärkephase, habe aber den Nachteil, dass es volatil sei
  147. und zur Herstellung eines Gleichgewichts mit der Umgebungsfeuchtigkeit in
  148. seiner Konzentration schwanke. Die wirksamsten Weichmacher mit hohem Siedepunkt (insbesondere Glycerol) tendierten demgegenüber dazu, dem System
  149. verloren zu gehen, insbesondere wenn die Feuchtigkeit zyklischen Schwankungen unterliege oder es im Kontakt mit anderen hydrophilen Materialien wie Zellulose zur Migration komme.
  150. -7-
  151. 11
  152. Das Streitpatent will vor diesem Hintergrund eine biologisch abbaubare
  153. polymere Zusammensetzung angeben, die unter Bedingungen niedriger Feuchtigkeit gute mechanische Eigenschaften, insbesondere hohe Reißfestigkeit,
  154. aufweist.
  155. 12
  156. 2. Zur Erläuterung der erfindungsgemäßen Lösung nimmt die Streitpatentschrift Bezug auf die Stammanmeldung PCT-EP 97/06103. Diese beschreibe drei Typen von biologisch abbaubaren, heterophasen Zusammensetzungen,
  157. die thermoplastische Stärke und ein mit Stärke inkompatibles thermoplastisches
  158. Polymer aufwiesen, in denen die Stärke die disperse Phase und das Polymer
  159. die kontinuierliche Phase ausmachten, die geeignet seien, gute mechanische
  160. Eigenschaften auch bei geringer relativer Feuchtigkeit zu bewahren. Das Streitpatent betreffe die dort genannte Gruppe C, bei der das mit Stärke inkompatible
  161. thermoplastische Polymer ein Copolyester sei, das ausgewählt sei aus aliphatisch-aromatischen Copolyestern, Polyesteramiden, Polyesterethern, Polyesteretheramiden, Polyesterharnstoffen und Polyesterurethanen, wobei die Zusammensetzungen durch Extrusion der Komponenten unter Bedingungen gewonnen würden, bei denen der am Ausgang des Extruders vor der Konditionierung
  162. gemessene Wassergehalt während der Mischung bei 1 bis 5 Gewichtsprozent
  163. gehalten werde.
  164. 13
  165. Im Stand der Technik, u. a. in der internationalen Patentanmeldung
  166. 96/31561 (K5), seien Zusammensetzungen beschrieben, die Stärke und Copolyester enthielten wie aliphatisch-aromatische Copolyester, Polyesteramide und
  167. Polyesterurethane. Dabei werde die Copolyester-Stärke-Mischung im Extruder
  168. so gemischt, dass der Wassergehalt unter einem Gewichtsprozent gehalten
  169. werde, da bei einem höheren Wassergehalt eine Hydrolyse und Degradierung
  170. des Copolyesters mit entsprechender Beeinträchtigung der Eigenschaften des
  171. Endprodukts erwartet werde (Absatz 114).
  172. -8-
  173. 14
  174. Überraschenderweise habe sich herausgestellt, dass unter den erfindungsgemäß für die Herstellung der Zusammensetzungen der Gruppe C angewandten Bedingungen die Abnahme des Molekulargewichts des Polyesters
  175. vernachlässigbar sei (Absatz 115). Wenn die Kompatibilisierungsbedingungen
  176. während des Mischens mit dem Extruder ausreichend gut seien, um eine Stärke-Dispersion in Form von Partikeln mit einer durchschnittlichen Größe von weniger als 1 µm, vorzugsweise weniger als 0,5 μm, zu gewinnen, wiesen die resultierenden Zusammensetzungen zudem Eigenschaften auf, die denen des
  177. Polyethylens ähnlich seien und auch bei relativ niedriger Feuchtigkeit praktisch
  178. unverändert blieben (Absatz 116).
  179. 15
  180. 3. Die mit dem Hauptantrag der Berufung verteidigte Zusammensetzung lässt sich - unter Außerachtlassung der nicht angegriffenen Alternativen wie folgt gliedern [Nummerierung des Patentgerichts in eckigen Klammern]:
  181. 1. Die polymere Zusammensetzung umfasst
  182. 1.1 thermoplastische Stärke und
  183. 1.2 ein thermoplastisches, mit Stärke inkompatibles Polymer
  184. [1.1].
  185. 2. Das Polymer ist ein aliphatisch-aromatischer Copolyester, der 30
  186. bis 70 Molprozent einer aliphatischen Struktur enthält und bei
  187. dem die aromatische Struktur von Terephthalsäure oder Isophthalsäure abgeleitet ist [1.2].
  188. 3. Die Zusammensetzung ist durch eine Extrusion gewinnbar, bei
  189. welcher der beim Austritt aus dem Extruder vor einer Konditionierung gemessene Wassergehalt während des Mischens der Komponenten auf 1 bis 5 Gewichtsprozent eingestellt wird [2].
  190. 4. Die Zusammensetzung ist heterophas derart, dass
  191. 4.1 das Polymer die kontinuierliche Phase und
  192. 4.2 die Stärke die disperse Phase bildet [3].
  193. 5. Die Stärke ist in der Copolyestermatrix in Form von Partikeln mit
  194. einer durchschnittlichen Dimension von weniger als 0,5 µm dispergiert, wobei mehr als 70% der Stärkepartikel Dimensionen von
  195. weniger als 0,5 µm aufweisen [3.3].
  196. -9-
  197. 6. Die Zusammensetzung ist
  198. 6.1 biologisch abbaubar [3.1] und
  199. 6.2 weist hohe Beständigkeit gegen das Altern und gegen Bedingungen geringer Feuchtigkeit auf [3.2].
  200. 16
  201. II. Das Patentgericht hat diesen Gegenstand für nicht patentfähig erachtet und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
  202. 17
  203. Eine polymere Zusammensetzung mit den erfindungsgemäßen Merkmalen ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Entgegenhaltung K5 bzw. der Veröffentlichung von U. Seeliger "Biologisch abbaubar" in
  204. Plastverarbeiter 1996, 62 (K6) in Verbindung mit der internationalen Patentanmeldung 92/19680 (K10).
  205. 18
  206. Als Fachmann sei ein Diplomchemiker der Fachrichtung makromolekulare Chemie bzw. Polymerchemie anzunehmen, der mit der Entwicklung von umweltverträglichen polymeren Zusammensetzungen betraut sei und sich durch
  207. langjährige Praxis tiefgreifende Kenntnisse auf dem Gebiet der Herstellung solcher Materialien erworben habe. Stehe ein solcher Fachmann vor dem Problem, biologisch abbaubare polymere Zusammensetzungen zu schaffen, die
  208. auch bei niedriger Feuchtigkeit gute mechanische Eigenschaften, insbesondere
  209. eine hohe Reißfestigkeit, bewahren, werde er die Entgegenhaltungen K5, K6
  210. und K10 heranziehen. In der K6 werde ausgeführt, dass durch die gezielte
  211. Auswahl von Monomeren und einen maßgeschneiderten Aufbau der Polymerstruktur ein Kompromiss gefunden werden könne, der gleichzeitig ausreichende
  212. Gebrauchseigenschaften, niedrige Herstellkosten und biologische Abbaubarkeit
  213. ermögliche. Durch die Angaben in der K6 werde der Fachmann in die Lage versetzt, statistische Copolyester aus 60 Molprozent Adipinsäure, 40 Molprozent
  214. Terephthalsäure und 1,4-Butandiol in die Hand zu bekommen und in Mischungen mit thermoplastischer Stärke entsprechend den Merkmalen 1, 2, 4 und 6
  215. einzusetzen. Der Einwand der Beklagten, dass die in K6 beschriebenen Copolyester aus aliphatischen Diolen sowie aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren nur das Grundgerüst der - nach der K6 zu modifizierenden - Copoly-
  216. - 10 -
  217. ester bildeten, sei nicht gerechtfertigt, weil auch die polymere Zusammensetzung des Streitpatents durch Einbau zusätzlicher Komponenten variiert werden
  218. könne und die Ausführungen in der K6 zur Herstellung der Blends und deren
  219. Eigenschaften eindeutig zeigten, dass die so hergestellten Copolyester als kontinuierliche Phase vorlägen, während die thermoplastische Stärke feindispers
  220. (inkompatibel) eingelagert sei.
  221. 19
  222. Aus der K6 gehe allerdings nicht hervor, dass der Wassergehalt entsprechend Merkmal 3 während des Mischens der Komponenten im Bereich von 1
  223. bis 5 Gewichtsprozent gehalten werde. Hinweise auf einen erstrebenswerten
  224. Wassergehalt von unter 5 Gewichtsprozent in der Gesamtmischung habe der
  225. Fachmann indessen der K10, die ebenfalls biologisch abbaubare polymere Zusammensetzungen basierend auf Stärke und thermoplastischen Polymeren betreffe, entnehmen können. Die Herstellung gemäß K10 erfolge durch Mischen
  226. der Komponenten in einem Extruder bei Temperaturen zwischen 100 und
  227. 220° C, wobei der Wassergehalt durch Entgasen während der Extrudierung auf
  228. 1,5 bis 5 Gewichtsprozent (vor der Konditionierung) eingestellt werde. Die
  229. Extrusionsbedingungen wie Temperatur und Scherkräfte seien gemäß K10 so
  230. auszuwählen, dass eine Kompatibilisierung zwischen Polymer und Stärke gewährleistet sei. Dies entspreche dem Vorgehen nach dem Streitpatent. Auch
  231. aus der K5 habe der Fachmann den Hinweis entnehmen können, dass ein Gesamtwassergehalt in der fertigen Mischung bis zu 5 Gewichtsprozent erstrebenswert sei.
  232. 20
  233. Die anspruchsgemäße Dispersion der Stärke in der Copolyestermatrix
  234. (Merkmal 5) ergebe sich zwangsläufig aufgrund der im Stand der Technik entweder unmittelbar angewandten oder daraus sich in naheliegender Weise dem
  235. Fachmann erschließenden Verfahrensführung. Eine Teilchengröße von weniger
  236. als 0,5 μm habe auch im Hinblick auf die Veröffentlichungen von Tomka, Thermoplastic starch compounds: Physico-chemical backgrounds, processing conditions and properties, 1993 (K7), von Simmons/Thomas, Structural Characteristics of Biodegradable Thermoplastic Starch/Poly(ethylene-vinyl alcohol) Blends,
  237. - 11 -
  238. Journal of Applied Polymer Science 1995, 2259 (K8) und von Tomka et al.,
  239. Thermoplastic Starch/Polymer Blends: Structure, Properties, Application, 1991
  240. (K9) im Blickfeld des Fachmanns gelegen. Der Einwand der Beklagten, die
  241. Schriften K7 bis K9 beträfen andere Polymermatrizes, überzeuge nicht, weil die
  242. Größenverteilung der dispergierten Phase nicht durch die Art der verwendeten
  243. Polymermatrix beschränkt sei.
  244. 21
  245. III. Dies hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Wesentlichen
  246. stand.
  247. 22
  248. 1. Das angefochtene Urteil berücksichtigt allerdings nicht die - im Tatbestand wiedergegebene - Beschränkung des Klageangriffs auf Zusammensetzungen, in denen das mit Stärke inkompatible thermoplastische Polymer ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus aliphatisch-aromatischen Copolyestern, die von 30 bis 70 Molprozent aliphatische Struktur enthalten und bei denen
  249. die aromatische Struktur von Terephthalsäure und/oder Isophthalsäure abgeleitet ist. Wie sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt, hat das Patentgericht dazu
  250. die Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass auch ein
  251. beschränkter Angriff auf das Patent zu dessen vollständiger Nichtigerklärung
  252. führen könne, wenn die Patentinhaberin keine von ihr formulierte eingeschränkte Fassung der Patentansprüche vorgelegt habe.
  253. 23
  254. Dies trifft nicht zu. Patentanspruch 1 sieht außer den aliphatisch-aromatischen Copolyestern nach Merkmal 2 weitere Möglichkeiten für die Auswahl
  255. des thermoplastischen Polymers vor und vereinigt damit nebengeordnete technische Lösungen in einem Anspruch. Greift in einem solchen Fall der Nichtigkeitskläger nur eine der mit dem Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehren an und hat er mit diesem Angriff Erfolg, so geht das Gericht über
  256. den Klageantrag hinaus, wenn es das Streitpatent insgesamt für nichtig erklärt
  257. (§ 308 ZPO). Ein Verstoß gegen § 308 ZPO ist von Amts wegen zu beachten
  258. (BGH, Urteil vom 7. März 1989 - VI ZR 183/88, NJW-RR 1989, 1087; Urteil vom
  259. 21. Juni 2001 - I ZR 245/98, NJW-RR 2002, 257 Rn. 25 - Kinderhörspiele). Dies
  260. führt hier dazu, dass die Nichtigerklärung entsprechend zu beschränken ist.
  261. - 12 -
  262. 24
  263. 2. Die Annahme des Patentgerichts, für den Fachmann, der sich bei der
  264. Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden Problems an der K6 orientierent habe, habe es nahe gelegen, ein mit Stärke inkompatibles Polymer zu verwenden, hält den Angriffen der Berufung stand.
  265. 25
  266. a) Ohne Erfolg rügt die Berufung, angesichts der in der K6 vorgesehenen Modifizierung des Copolyesters, zum Beispiel durch Einbau hydrophiler
  267. Komponenten, verzweigend wirkender Monomere oder Verbindungen, die zu
  268. einer Kettenverlängerung und damit Erhöhung des Molekulargewichts führten,
  269. sei der Copolyester nicht zwingend im Sinne des Merkmals 1.2 mit Stärke inkompatibel.
  270. 26
  271. Dies ist schon deshalb unerheblich, weil das Patentgericht, anders als in
  272. seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG, die Entgegenhaltung K6 nicht unter
  273. dem Gesichtspunkt möglicher Neuheitsschädlichkeit erörtert hat, sondern unter
  274. dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit. Dafür ist es aber unerheblich,
  275. ob der K6 "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen ist, dass der eingesetzte
  276. Copolyester mit Stärke inkompatibel ist, oder ob die Schrift dem Fachmann lediglich die Möglichkeit eröffnet hat, einen mit Stärke inkompatiblen Copolyester
  277. zu verwenden. Letzteres bezweifelt aber auch die Berufung nicht.
  278. 27
  279. Für die Frage, ob erfinderische Tätigkeit zu verneinen ist, kommt es anders als bei der Neuheitsprüfung nicht darauf an, ob eine Entgegenhaltung ein
  280. Merkmal "unmittelbar und eindeutig" offenbart. Vielmehr ist maßgeblich, ob der
  281. Stand der Technik am Prioritätstag dem Fachmann den Gegenstand der Erfindung nahegelegt hat. Dies erfordert zum einen, dass der Fachmann mit seinen
  282. durch seine Ausbildung und berufliche Erfahrung erworbenen Kenntnissen und
  283. Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln. Hinzukommen muss
  284. zum anderen, dass der Fachmann Grund hatte, den Weg der Erfindung zu beschreiten. Dazu bedarf es in der Regel über die Erkennbarkeit des technischen
  285. Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger
  286. Anlässe (BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 - Betrieb
  287. - 13 -
  288. einer Sicherheitseinrichtung; Urteil vom 8. Dezember 2009 - X ZR 65/05, GRUR
  289. 2010, 407 - einteilige Öse; Beschluss vom 20. Dezember 2011 - X ZB 6/10,
  290. GRUR 2012, 378 Rn. 16 - Installiereinrichtung). Bei der Prüfung, ob der Stand
  291. der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahe gelegt hat, ist nicht nur zu berücksichtigen, was
  292. sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus dieser Entgegenhaltung
  293. ergibt, sondern gleichermaßen, was der Fachmann kraft seines Fachwissens
  294. aus ihr ableiten kann.
  295. b) Schon deshalb kann die Berufung auch nicht mit dem Einwand
  296. 28
  297. durchdringen, aus der Tatsache, dass nach der K6 die Stärke die disperse
  298. Phase bilde, die in die Copolyestermatrix eingebettet sei, könne nicht abgeleitet
  299. werden, dass Stärke und Copolyester miteinander inkompatibel seien, da, wie
  300. sich aus der - mit der Berufungsbegründung vorgelegten - Veröffentlichung von
  301. Koning u.a., Strategies for Compatibilization of Polymer Blends, 1998 (NB10)
  302. ergebe, auch kompatible (teilweise mischbare) Blends aus verschiedenen Polymeren disperse Systeme bildeten.
  303. 29
  304. Im Übrigen setzt sich die Berufung damit in Widerspruch zu der nach
  305. § 117 Satz 1 PatG, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Berufungsentscheidung zugrunde zu legenden Feststellung des Patentgerichts, dass nach der K6 eine mit
  306. dem Polyester inkompatible Stärke fein dispers in die kontinuierliche Copolyesterphase eingelagert ist. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit
  307. dieser Feststellung begründen könnten, werden von der Berufung nicht dargetan.
  308. 30
  309. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der Anlage NB10. Dabei kann
  310. dahinstehen, ob dies schon deswegen gilt, weil das auf den Inhalt der - im Übrigen nachveröffentlichten - Schrift von Koning gestützte Berufungsvorbringen
  311. seinerseits nach § 117 Satz 1 PatG, § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zuzulassen
  312. ist, weil es nicht bereits im ersten Rechtszug geltend gemacht und nicht dargetan ist, dass dies nicht auf Nachlässigkeit beruht (s. dazu BGH, Urteil vom
  313. 28. August 2012 - X ZR 99/11, GRUR 2012, 1236 Rn. 35 ff. - Fahrzeugwech-
  314. - 14 -
  315. selstromgenerator). Denn wie die von der Klägerin vorgelegten Auszüge aus
  316. dem Lehrbuch Polymer Chemistry von Seymour/Carraher (K31) und dem Werk
  317. Polymer Rheology and Processing von Collyer/Utracki (K32) belegen, werden
  318. im Allgemeinen kompatible und mischbare/einphasige Polymerblends gleichgesetzt. Der unter Hinweis auf die NB10 angeführte Umstand, dass auch teilweise
  319. mischbare Blends, bei denen ein kleiner Teil einer Blendkomponente in der anderen gelöst ist, als kompatibel zu bezeichnen sein mögen, rechtfertigt nicht die
  320. Annahme, die K6, die keinerlei Hinweise auf eine solche teilweise Lösung enthält, lege eine mit der Polymerkomponente kompatible Stärke zugrunde. Erst
  321. recht rechtfertigt er nicht die Annahme, die K6 schließe die Verwendung inkompatibler Komponenten aus.
  322. 31
  323. 3. Ebenso wenig dringt die Berufung mit der Rüge durch, das Patentgericht habe zu Unrecht eine Einstellung des Wassergehalts während des Mischens in einem 1 bis 5 Gewichtsprozent entsprechenden Bereich für aus
  324. fachmännischer Sicht wünschenswert erachtet.
  325. 32
  326. a) Die Berufung stützt diesen Angriff zum einen darauf, dass das thermoplastische Polymer nach der Entgegenhaltung K10, auf die sich das Patentgericht insoweit bezogen hat, zwar neben aliphatischen Hydroxysäuren auch
  327. Monomere aus Terephthalsäure umfasse, jedoch keine aliphatisch-aromatischen Copolyester gemäß Merkmal 2. Sie meint, erfindungsgemäße Extrusionsbedingungen führten bei den Polymerblends nach K10 nicht notwendigerweise zu einer feinen Teilchenstruktur, wie sie Merkmal 5 definiere. Dies verkennt jedoch die Begründung des Patentgerichts, das der K10 lediglich entnommen hat, dass der von der K6 ausgehende Fachmann einen in dem erfindungsgemäßen Bereich liegenden Wassergehalt als erstrebenswert erkennen
  328. konnte.
  329. 33
  330. b) Der Berufung kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie die Annahme des Patentgerichts beanstandet, der Fachmann erhalte nicht nur in der K10,
  331. sondern auch in der K5 den Hinweis, dass ein Gesamtwassergehalt in der fertigen Mischung von bis zu 5 Gewichtsprozent sinnvoll sei, und werde hierdurch
  332. - 15 -
  333. auf eine Einstellung des Wassergehalts nach Merkmal 3 hingelenkt. Die Berufung führt dazu aus, der Fachmann sei durch die K5 von der Einstellung eines
  334. solchen Wassergehalts während des Mischens abgehalten worden, da die K5
  335. lehre, den Wassergehalt auf weniger als ein Gewichtsprozent zu drücken, um
  336. unerwünschte Hydrolysereaktionen zu vermeiden und eine molekulare Kopplung zwischen Stärke und Copolyester zu ermöglichen.
  337. 34
  338. (1) Allerdings vermag der Senat nicht der Annahme des Patentgerichts
  339. beizutreten, die Bemerkung in der K5, die extrudierte trockene Schmelze werde
  340. in einem Wasserbad gekühlt, damit sie 2 bis 6 Gewichtsprozent Wasser aufnehme, gebe den Hinweis auf einen erstrebenswerten Gesamtwassergehalt in
  341. der fertigen Mischung und es liege "davon ausgehend" die Herstellung einer
  342. solchen Zusammensetzung unter Merkmal 3 entsprechenden Extrusionsbedingungen "auf der Hand". Denn dass die fertige Mischung nach der K5 einen gewissen Wasseranteil aufnehmen soll, ändert nichts daran, dass die Schrift, wie
  343. das Patentgericht an anderer Stelle zutreffend ausführt, darauf Wert legt, dass
  344. der Wassergehalt vor oder beim Mischen auf weniger als ein Gewichtsprozent
  345. reduziert wird (K5, S. 9, Abs. 2; S. 11, Abs. 2: "geforderte Wasserfreiheit"; "…
  346. weist die Schmelze einen äußerst geringen Wassergehalt auf, vorzugsweise <
  347. 0,5 bzw. < 0,1 Gewichtsprozent").
  348. 35
  349. (2) Dies rechtfertigt jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass es aus
  350. fachmännischer Sicht angezeigt erschien, nicht mit dem in der K10 angegebenen Wassergehalt während des Mischens zu arbeiten, sondern Maßnahmen zu
  351. ergreifen, um im Einklang mit der K5 eine nahezu wasserfreie Schmelze erzeugen zu können. Dazu müsste dem Fachmann die K5 als die "höhere Autorität"
  352. erschienen sein. Dafür wird von der Berufung jedoch nichts dargetan. Dagegen
  353. spricht, dass die K5 ausdrücklich nur die "Vermutung" äußert, dass beim Mischen der beiden Polymere unter Ausschluss von Wasser die in den Molekülketten des (Co-)Polyesters eingebauten Estergruppen Veresterungsreaktionen
  354. mit der thermoplastischen Stärke eingingen, womit die so reagierenden Molekülketten mit der Stärke einen Phasenvermittler bildeten, der eine molekulare
  355. - 16 -
  356. Kopplung der beiden Phasen ermögliche, und es werde im Fall von Feuchtigkeit
  357. diese Reaktion konkurrenziert, indem die Säureestergruppen bei Anwesenheit
  358. von Wasser nicht mit der Stärke zu Bildung des Phasenvermittlers reagierten,
  359. sondern hydrolisierten (K5, S. 10 Abs. 2). Abgesehen davon, dass nicht dargetan und nicht erkennbar ist, was dafür hätte sprechen sollen, dass etwa bei einem geringfügig über einem Gewichtsprozent liegenden Wasseranteil eine etwaige Konkurrenzreaktion die Bildung eines Phasenvermittlers vollständig oder
  360. weitgehend verhindern würde, hatte der Fachmann, wenn es die in der K5 geäußerte Vermutung fraglich erscheinen ließ, ob der in der K10 zugrunde gelegte
  361. Wassergehalt hinnehmbar war, zumindest Anlass zu erproben, ob diese Bedenken gerechtfertigt waren. Hätte der Fachmann dies getan, wäre er zu der in
  362. der Beschreibung des Streitpatents (Absatz 115) wiedergegebenen Erkenntnis
  363. gelangt, dass die befürchtete Abnahme des Molekulargewichts des Polyesters
  364. vernachlässigbar ist.
  365. 36
  366. 4. Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, wenn das Patentgericht
  367. auf der Grundlage seiner bisher erörterten Annahmen auch eine erfindungsgemäße Zusammensetzung für nahegelegt erachtet hat, bei der die in der Copolyestermatrix dispergierten Stärketeilchen eine durchschnittliche Größe von weniger als 0,5 μm aufweisen und zu mehr als 70% aus Teilchen solcher Größe
  368. bestehen.
  369. 37
  370. a) Das Streitpatent gibt außer den vorstehend erörterten keine weiteren
  371. Maßnahmen an, mit denen sich eine solche feine Dispersion erreichen lässt. Es
  372. ist daher berufungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Patentgericht angenommen hat, dass sie auch mit dem durch die K6 in Verbindung mit der K10
  373. nahegelegten Verfahren erreichbar war. Auf die Ergebnisse von Nacharbeitungsversuchen zu den Entgegenhaltungen K5 und K10, bei denen sich eine
  374. dementsprechende feine Dispersion nicht ergeben haben soll, kommt es danach nicht an.
  375. 38
  376. b) Ergänzend hat das Patentgericht darauf hingewiesen, dass etwa die
  377. Entgegenhaltung K7 für eine Zusammensetzung aus thermoplastischer Stärke
  378. - 17 -
  379. und hydrophoben Polymerkomponenten eine Teilchengröße der dispersen
  380. Phase von weniger als 0,2 μm angibt. Der Angriff der Berufung, die in der K7
  381. offenbarte Lehre sei für den Fachmann nicht ausführbar, ist unerheblich. Das
  382. Patentgericht hat die K7 lediglich herangezogen, um zu belegen, dass es für
  383. den Fachmann, gerade auch dann, wenn er gute mechanische Eigenschaften
  384. und insbesondere eine gute Wasserbeständigkeit anstrebte, wünschenswert
  385. sein musste, das Verfahren so zu führen, dass er eine feine Dispersion erhielt.
  386. 39
  387. c)
  388. Soweit schließlich die Berufung rügt, aus den in Tabelle 1 der K6
  389. dargestellten Reißfestigkeitswerten könne nicht gefolgert werden, dass diese
  390. Reißfestigkeiten bei niedriger Umgebungsfeuchte weitgehend erhalten blieben,
  391. da die Schrift nicht offenbare, bei welchem Wassergehalt die Stärke-PolyesterMischung erhalten werde, und deshalb nicht gefolgert werden könne, dass die
  392. in K6 offenbarten Verfahrensbedingungen unmittelbar und zwangsläufig zu den
  393. Merkmalen 5 und 6.2 entsprechenden Eigenschaften des Endprodukts führten,
  394. geht dies hiernach aus den vorstehend zu 2 a erörterten Gründen ebenfalls
  395. fehl.
  396. 40
  397. 5. Auf die Angriffe der Berufung gegen die weitere Annahme des Patentgerichts, dem Fachmann sei der Gegenstand des Streitpatents auch durch
  398. die K5 in Verbindung mit der K10 nahegelegt worden, kommt es nach alledem
  399. nicht mehr an.
  400. 41
  401. 6. Soweit schließlich die Beklagte im Schriftsatz vom 8. Oktober 2012
  402. verschiedene Verfahrensrügen erhebt, sind diese schon deshalb unbeachtlich,
  403. weil sie nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erhoben worden sind
  404. (§ 117 PatG, § 529 Abs. 2 ZPO, § 112 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b PatG).
  405. - 18 -
  406. 42
  407. IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung
  408. mit § 92 Abs. 2 ZPO.
  409. Meier-Beck
  410. Richter am Bundesgerichtshof
  411. Keukenschrijver ist in den Ruhestand getreten und kann
  412. deshalb nicht unterschreiben.
  413. Mühlens
  414. Meier-Beck
  415. Grabinski
  416. Schuster
  417. Vorinstanz:
  418. Bundespatentgericht, Entscheidung vom 24.05.2011 - 3 Ni 3/10 (EU) -