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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VIII ZR 180/09
  4. vom
  5. 13. April 2010
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. April 2010 durch den
  9. Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin Dr. Hessel sowie die Richter
  10. Dr. Achilles, Dr. Schneider und Dr. Bünger
  11. beschlossen:
  12. Der Senat beabsichtigt, die zugelassene Revision des Beklagten
  13. gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
  14. Gründe:
  15. 1
  16. 1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 552a
  17. Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Revision zur
  18. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO)
  19. zugelassen und dies mit der Frage der Absehbarkeit des Eigenbedarfs begründet. Diese Erwägung trägt indessen weder den vom Berufungsgericht genannten Zulassungsgrund noch liegt einer der weiteren im Gesetz genannten Zulassungsgründe vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch
  20. ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder
  21. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
  22. 2
  23. Die Maßstäbe für die Beantwortung der vom Berufungsgericht zum Anlass der Zulassung genommenen Frage sind durch die Rechtsprechung des
  24. Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 79, 292; BVerfG, NJW-RR 1993, 1357)
  25. und des Bundesgerichtshofs hinreichend geklärt. Wie der Senat im Anschluss
  26. an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden
  27. hat, setzt sich der Vermieter zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch,
  28. -3-
  29. wenn er eine Wohnung auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder
  30. entschlossen ist oder zumindest erwägt, sie alsbald selbst in Gebrauch zu
  31. nehmen. Er darf dem Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, die mit
  32. jedem Umzug verbundenen Belastungen dann nicht zumuten, wenn er ihn über
  33. die Absicht oder zumindest die Aussicht begrenzter Mietdauer nicht aufklärt.
  34. Für den Mieter ist ein sich abzeichnender Eigenbedarf des Vermieters vor allem
  35. für die Entscheidung von Bedeutung, ob er eine Wohnung überhaupt anmieten
  36. und damit das Risiko eines Umzugs nach verhältnismäßig kurzer Mietzeit eingehen will (Senatsurteil vom 21. Januar 2009 - VIII ZR 62/08, NJW 2009, 1139,
  37. Tz. 19). Dabei hat der Senat die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen
  38. Voraussetzungen der Vermieter den Mieter bei Abschluss des Mietvertrags
  39. auch auf einen nur möglichen Eigenbedarf hinweisen muss, offen gelassen. Sie
  40. bedarf auch hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn angesichts der
  41. Gesamtumstände des vorliegenden Falles, namentlich der kurzen Zeitspanne
  42. von nur knapp drei Monaten zwischen dem Abschluss des Mietvertrages und
  43. der Eigenbedarfskündigung sowie der Wohn- und Lebenssituation des Beklagten, ist bereits auf der Grundlage der vorhandenen Senatsrechtsprechung von
  44. dem Bestehen einer Hinweispflicht des Beklagten in Bezug auf den Eigenbedarf
  45. auszugehen.
  46. 3
  47. Im Übrigen hat der Senat auch bereits entschieden, dass bis zum Ablauf
  48. der Kündigungsfrist eine Pflicht des Vermieters zur Mitteilung eines etwaigen
  49. Wegfalls des Eigenbedarfsgrundes besteht (BGHZ 165, 75, 85).
  50. 4
  51. Ein Zulassungsgrund ist auch nicht hinsichtlich der vom Berufungsgericht
  52. behandelten Frage gegeben, ob der Beklagte möglicherweise aufgrund des in
  53. der Kündigungserklärung hilfsweise angeführten Sonderkündigungsrechts gemäß § 573a Abs. 2 BGB zur Kündigung berechtigt war. Der vorliegende Fall
  54. gibt keinen Anlass, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache über
  55. -4-
  56. das zu § 573a Abs. 2 BGB ergangene Senatsurteil vom 25. Juni 2008 (VIII ZR
  57. 307/07, NJW-RR 2008, 1329) hinausgehende Leitlinien zu entwickeln. Die Frage, unter welchen Umständen Räumlichkeiten als Wohnraum innerhalb der vom
  58. Vermieter selbst bewohnten Wohnung im Sinne des Sonderkündigungsrechts
  59. nach § 573a Abs. 2 BGB anzusehen sind, entzieht sich einer allgemeinen Betrachtung und kann nur vom Tatrichter unter Würdigung aller Umstände des
  60. Einzelfalls entschieden werden. Da weder ersichtlich noch dargetan ist, dass
  61. das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung zu § 573a Abs. 2 BGB von der
  62. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder der Rechtsprechung gleich- oder
  63. höherrangiger Instanzgerichte abgewichen ist, ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten.
  64. 5
  65. 2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
  66. 6
  67. Das Berufungsgericht hat bei seiner Entscheidung die Maßstäbe der
  68. höchstrichterlichen Rechtsprechung berücksichtigt und auch im Ergebnis richtig
  69. entschieden. Sowohl die Ausführungen zur Treuwidrigkeit der Kündigung als
  70. auch die Beurteilung des Vorliegens eines Sonderkündigungsrechts gemäß
  71. § 573a Abs. 2 BGB und die in diesem Zusammenhang erfolgte Bewertung,
  72. dass es sich bei der von der Klägerin angemieteten Wohnung nicht um Wohnraum innerhalb der vom Vermieter selbst bewohnten Wohnung handelt, sind frei
  73. von Rechtsfehlern. Die vom Beklagten mit der Revision hiergegen vorgebrachten Angriffe verfangen nicht.
  74. 7
  75. a) Entgegen der Rüge der Revision hat das Berufungsgericht, wie sich
  76. aus dem tatbestandlichen Teil des Urteils ergibt, die vom Beklagten vorgetragene Kenntnis der Klägerin von der Beziehung des Beklagten berücksichtigt.
  77. Die Nichterwähnung in der Urteilsbegründung ist unschädlich. Nach Art. 103
  78. -5-
  79. Abs. 1 GG sind die Gerichte verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur
  80. Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte brauchen jedoch
  81. nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG, DVBl 2007, 253; BGHZ 154, 288, 300; BGH,
  82. Beschluss vom 28. März 2008 - VI ZR 57/07, GesR 2008, 361; jeweils m.w.N.).
  83. 8
  84. b) Ebenso greift die Rüge nicht durch, das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Beklagte zwar vor Ausspruch der Kündigung, aber erst nach
  85. Abschluss des Mietvertrages in Erwägung gezogen habe, eine andere Wohnung als Familienwohnung anzumieten. Hierbei übersieht die Revision, dass
  86. das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang keine genaue zeitliche Feststellung getroffen, sondern lediglich ausgeführt hat, der Beklagte habe vor dem
  87. 1. Mai 2007 in Erwägung gezogen, eine andere Wohnung als Familienwohnung
  88. anzumieten. Wenn das Berufungsgericht hieraus den Schluss zieht, es sei unglaubhaft, dass der Beklagte die Möglichkeit eines Zusammenziehens nicht
  89. schon bei Mietvertragsschluss erwogen habe, begegnet dies revisionsrechtlich
  90. keinen Bedenken.
  91. 9
  92. c) Gleichfalls ohne Erfolg beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung und
  93. fehlendes Interesse der Klägerin an einer Fortsetzung des Mietverhältnisses
  94. verneint. Die dahin gehende Auslegung der abgegebenen Erklärungen der Parteien durch das Berufungsgericht unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung darauf, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt wurde, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln,
  95. Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt wurden oder ob die Auslegung auf
  96. einem von der Revision gerügten Verfahrensfehler beruht (vgl. BGHZ 150, 32,
  97. 37; BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 68/08, WM 2009, 861, Tz. 12; BGH,
  98. Urteil vom 23. Januar 2009 - V ZR 197/07, NJW 2009, 1810, Tz. 8; BGH, Urteil
  99. -6-
  100. vom 8. Januar 2009 - IX ZR 229/07, NJW 2009, 840, Tz. 9). Solche revisionsrechtlich beachtlichen Auslegungsfehler weist das Berufungsurteil indessen
  101. nicht auf.
  102. 10
  103. d) Unbehelflich ist auch die Rüge, die Klägerin habe durch die Nichtzahlung der Miete ihrerseits Hauptpflichten aus dem Mietvertrag verletzt und könne
  104. vom Beklagten deshalb keinen Schadensersatz wegen Verletzung von dessen
  105. Vertragspflichten verlangen. Die Revision verkennt hierbei, dass die Ursache
  106. der beanstandeten Handlungsweise der Klägerin in der vom Berufungsgericht
  107. rechtsfehlerfrei festgestellten treuwidrigen Eigenbedarfskündigung des Beklagten zu sehen ist.
  108. 11
  109. e) Dem Anspruch auf Ersatz des Kündigungsfolgeschadens kann, anders als die Revision meint, auch nicht mit Erfolg der Einwand des Mitverschuldens der Klägerin oder des Verstoßes gegen Schadensminderungspflichten
  110. wegen Nichterhebung eines Widerspruchs gegen die Kündigung entgegengehalten werden. Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Ersatzpflicht
  111. des Vermieters für Kündigungsfolgeschäden aus dem Gesichtspunkt mitwirkenden Verschuldens des Mieters nur dann ganz oder teilweise entfallen (§ 254
  112. BGB), wenn das Fehlen eines Kündigungsgrundes auf der Hand liegt oder
  113. wenn dem Mieter aus anderen Umständen des konkreten Einzelfalles zumutbar
  114. ist, sich gegen die Kündigung zu wehren (BGHZ 89, 296, 307 f.). Diese Voraussetzungen liegen, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, hier
  115. nicht vor.
  116. 12
  117. f) Vergeblich macht die Revision schließlich geltend, das Berufungsgericht habe die vom Beklagten vorgelegte Planzeichnung der Räume des Dachgeschosses nicht zur Kenntnis genommen, aus der hervorgehe, dass sich vor
  118. der Wohnung der Klägerin ein Hausflur befunden habe, der die vom Beklagten
  119. -7-
  120. genutzten Räume miteinander verbunden habe und den die Klägerin habe
  121. durchqueren müssen, um zu ihrer Wohnung zu gelangen. Die Revision übersieht hierbei, dass das Berufungsgericht entgegen ihrer Annahme die genannte
  122. Planzeichnung des Dachgeschosses der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat. Die im Berufungsurteil erwähnte Skizze über die
  123. Raumaufteilung im Dachgeschoss ist identisch mit der vom Beklagten angeführten Planzeichnung. Hinzu kommt, dass ausweislich des Protokolls der
  124. mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 17. Juni 2009 die vom
  125. Beklagten vorgelegten inhaltsgleichen Planzeichnungen erörtert und ebenso
  126. wie die Planzeichnungen der Klägerin unstreitig gestellt worden sind. Das Berufungsgericht hat in seine sorgfältig begründete und insgesamt rechtsfehlerfreie
  127. Würdigung der räumlichen Verhältnisse auch den in der Revisionsbegründung
  128. als Hausflur bezeichneten Bereich des Dachgeschosses ausdrücklich einbezogen, ihn aber nicht der Wohnung des Beklagten zugeordnet, sondern als Teil
  129. des von den Parteien gemeinsam genutzten Treppenhauses angesehen. Dies
  130. begegnet rechtlich keinen Bedenken. Im Übrigen kommt es für die Frage, ob es
  131. sich bei der von der Klägerin gemieteten Wohnung um Wohnraum innerhalb der
  132. vom Vermieter selbst bewohnten Wohnung handelt, auf die Würdigung der Umstände des Einzelfalls an. Dabei handelt es sich um eine tatrichterliche Beurteilung, die vom Revisionsgericht nur eingeschränkt dahin überprüft werden kann,
  133. ob das Berufungsgericht die tatsächliche Wertungsgrundlage ausgeschöpft und
  134. die Denk- und Erfahrungsgesetze beachtet hat (vgl. Senatsurteil vom 13. Februar 2008 - VIII ZR 105/07, NJW 2008, 1218, Tz. 23; BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - III ZR 139/09, juris, Tz. 12). Einen solchen Fehler zeigt weder
  135. die Revision auf noch ist er sonst ersichtlich. Die Revision will vielmehr ihre tatsächliche Würdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts setzen.
  136. Hiermit kann sie nicht durchdringen.
  137. -8-
  138. 3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach
  139. 13
  140. Zustellung dieses Beschlusses.
  141. Ball
  142. Dr. Hessel
  143. Dr. Schneider
  144. Dr. Achilles
  145. Dr. Bünger
  146. Hinweis:
  147. Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss vom 6. Juli 2010
  148. erledigt worden.
  149. Vorinstanzen:
  150. AG Göttingen, Entscheidung vom 18.06.2008 - 25 C 354/07 LG Göttingen, Entscheidung vom 08.07.2009 - 5 S 54/08 -