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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VII ZR 213/08
  5. Verkündet am:
  6. 22. Juli 2010
  7. Boppel,
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. ja
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 133 B, 157 D
  19. Ein Zuschlag in einem durch ein Nachprüfungsverfahren verzögerten öffentlichen
  20. Vergabeverfahren über Bauleistungen erfolgt im Zweifel auch dann zu den ausgeschriebenen Fristen und Terminen, wenn diese nicht mehr eingehalten werden können und der Auftraggeber daher im Zuschlagsschreiben eine neue Bauzeit erwähnt.
  21. BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 - VII ZR 213/08 - OLG Oldenburg
  22. LG Aurich
  23. -2-
  24. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 22. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die
  26. Richter Bauner, Dr. Eick, Halfmeier und Leupertz
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats
  29. des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 14. Oktober 2008 aufgehoben.
  30. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  31. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. Die Klägerin fordert als Auftragnehmerin von der beklagten Bundesrepu-
  35. 1
  36. blik Deutschland eine Mehrvergütung auf Grund eines verzögerten Zuschlags
  37. im Vergabeverfahren und der sich daraus ergebenden Veränderung der Bauzeit.
  38. 2
  39. Die Beklagte schrieb im November 2003 im Offenen Verfahren nach
  40. § 3 a Nr. 1 VOB/A europaweit die Baumaßnahme "Tiefbauarbeiten am Küstenkanal im Bereich der Stadtstrecke O." aus, worauf die Klägerin ein Angebot ab-
  41. -3-
  42. gab. Als Zuschlagstermin war der 18. März 2004, als Baubeginn der 1. April
  43. 2004 und als Fertigstellungstermin der 12. Mai 2006 bestimmt.
  44. 3
  45. Durch ein Nachprüfungsverfahren eines Mitbieters verzögerte sich die
  46. Zuschlagserteilung. Die Beklagte bat die Klägerin wiederholt um Zustimmung
  47. zur Verlängerung der Bindefrist, letztmals am 2. Juni 2004. Diese stimmte der
  48. Bindefristverlängerung jeweils unter dem Hinweis auf eine Entscheidung des
  49. Bayerischen Obersten Landesgerichts zu, wonach im Fall der Zuschlagsverzögerung über die Neubestimmung der Leistungszeit und die etwaige Anpassung
  50. des Vertrages nach den Regeln der VOB/B auf der kalkulatorischen Grundlage
  51. des Ausgangsangebots eine Vereinbarung herbeigeführt werden könne. Die
  52. Beklagte erteilte der Klägerin im Schreiben vom 14. Juni 2004 den Zuschlag. In
  53. diesem Schreiben ist u.a. weiter ausgeführt: "Der Baubeginn ist der 15.6.2004.
  54. Der … Bauablaufplan ist bis zum 29.6.2004 zur Prüfung vorzulegen… . Ich bitte
  55. um schriftliche Auftragsbestätigung." Die Klägerin behielt sich in der Auftragsbestätigung vom 21. Juni 2004 den ihr wegen der Verzögerung "grundsätzlich
  56. zustehenden Anspruch auf Anpassung der Leistungszeit und der Vergütung
  57. ausdrücklich vor".
  58. 4
  59. Nach Einigung über den Bauablaufplan begann die Klägerin im September 2004 mit den Arbeiten. Mit Schreiben vom 25. Februar 2005 legte die Klägerin ein Nachtragsangebot 1 über 1.228.496,97 € vor, das sie mit in der Zeit
  60. zwischen dem Ende der ursprünglichen Angebotsfrist am 18. März 2004 und
  61. dem tatsächlichen Zuschlag vom 14. Juni 2004 gestiegenen Stahlpreisen begründete. Hierauf erteilte die Beklagte einen Auftrag in Höhe von 375.720 €, die
  62. sie auch an die Klägerin zahlte. Die Klägerin widersprach diesem Auftrag. Mit
  63. Schreiben vom 13. März 2006 legte sie das Nachtragsangebot 18 über
  64. 65.915,48 € vor, das sie mit gestiegenen Preisen für Spundwandverankerungen
  65. begründete. Hierauf erteilte die Beklagte keinen Auftrag.
  66. -4-
  67. 5
  68. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Zahlung der restlichen Mehrvergütung für die Nachträge 1 und 18 in Höhe von noch 723.358,35 €. Die Beklagte
  69. begehrt Klageabweisung und erhebt Widerklage auf Rückzahlung des auf den
  70. Nachtrag 1 bezahlten Betrages von 375.720 €, weil eine Einigung über das
  71. Nachtragsangebot 1 nicht zustande gekommen sei und der Klägerin keinerlei
  72. Ansprüche auf Mehrvergütung zuständen.
  73. 6
  74. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Widerklage
  75. abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung
  76. der Klägerin hat das Berufungsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten,
  77. mit der sie ihren Klageabweisungsantrag sowie ihre Widerklage weiterverfolgt.
  78. Entscheidungsgründe:
  79. 7
  80. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  81. I.
  82. 8
  83. Das Berufungsgericht hält den Anspruch der Klägerin auf Mehrvergütung
  84. infolge der Vergabeverzögerung im vollen Umfang für begründet.
  85. 9
  86. Der Klägerin stehe ein Mehrvergütungsanspruch wegen einer Veränderung der Kalkulationsgrundlagen dem Grunde nach zu. Das ursprüngliche Angebot der Klägerin sei nicht unverändert Gegenstand der vertraglichen Verhandlungen der Parteien geworden. Die Auslegung des Zuschlagsschreibens
  87. der Beklagten vom 14. Juni 2004 ergebe, dass die Beklagte hiermit noch nicht
  88. -5-
  89. die Annahme des klägerischen Angebots erklärt habe. Vielmehr habe die Beklagte ihrerseits ein neues Angebot im Sinne von § 150 Abs. 2 BGB mit geändertem Baubeginn zum 15. Juni 2004 unterbreitet. Dies folge auch aus der in
  90. diesem Schreiben geäußerten Bitte nach schriftlicher Auftragsbestätigung, womit der Klägerin die Möglichkeit einer rechtlichen Reaktion auf die veränderten
  91. Vertragsbedingungen eingeräumt werden sollte. Die Klägerin habe dieses neue
  92. Angebot der Beklagten ihrerseits nicht unverändert angenommen, weil sie in
  93. ihrer Auftragsbestätigung vom 21. Juni 2004 einen Preisvorbehalt wegen der
  94. Verzögerung erklärt habe. Dieses sei die Beklagte nach den Grundsätzen von
  95. Treu und Glauben verpflichtet gewesen anzunehmen, weshalb es dahinstehen
  96. bleiben könne, ob sie es tatsächlich - stillschweigend - akzeptiert habe.
  97. 10
  98. Der Klägerin stehe der Mehrvergütungsanspruch in der geltend gemachten Höhe zu. Die hinsichtlich der Vergütung bestehende Lücke in den vertraglichen Vereinbarungen sei durch eine Anpassung des nach den Grundsätzen
  99. des § 2 Nr. 5 VOB/B ermittelten Preises zu schließen. Danach sei eine Vergleichsrechnung auf der Grundlage der für den Hauptauftrag maßgebenden,
  100. allgemein anerkannten Kalkulationsgrundlagen anzustellen. Der kalkulatorische
  101. Ansatz sei für alle Mehrkosten fortzuschreiben. Danach stehe der Klägerin sowohl der Mehrvergütungsanspruch aus Nachtrag 1 für Stahlspundbohlen als
  102. auch aus Nachtrag 18 für Spundverankerungen in voller Höhe zu.
  103. II.
  104. 11
  105. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem
  106. Umfang stand.
  107. -6-
  108. 12
  109. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Mehrvergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B zu, soweit es infolge der verzögerten Vergabe zu einer Verschiebung der Ausführungsfristen gekommen ist.
  110. Die Auslegung der vertraglichen Erklärungen der Parteien durch das Berufungsgericht und seine Ausführungen zur Berechnung und zur Höhe der Mehrvergütung begegnen allerdings durchgreifenden Bedenken.
  111. 13
  112. 1. Die Auslegung individueller privatrechtlicher Willenserklärungen unterliegt allerdings der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur insoweit, als es
  113. sich darum handelt, ob sie gesetzlichen Auslegungsregeln, anerkannten Auslegungsgrundsätzen, Erfahrungssätzen oder den Denkgesetzen widerspricht und
  114. ob sie nach dem Wortlaut der Erklärung möglich ist oder ob die Auslegung auf
  115. Verfahrensfehlern beruht, etwa weil wesentliches Auslegungsmaterial unter
  116. Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden ist (BGH,
  117. Urteile vom 6. November 2009 - V ZR 63/09, MDR 2010, 228; vom 10. September 2009 - VII ZR 255/08, BauR 2009, 1908 = NZBau 2009, 781 = ZfBR
  118. 2010, 94 jeweils m.w.N.). So liegt der Fall hier: Die vom Berufungsgericht gewählte Auslegung des Zuschlagsschreibens der Beklagten vom 14. Juni 2004
  119. erweist sich als rechtsfehlerhaft, denn sie lässt anerkannte Auslegungsgrundsätze außer Acht. Zu den allgemein anerkannten Auslegungsregeln gehört der
  120. Grundsatz einer nach beiden Seiten interessengerechten und im Zweifel vergaberechtskonformen Auslegung. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht
  121. nicht hinreichend beachtet. Insoweit unterliegt das Urteil der revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 546 Rdn. 5 m.w.N.). Da weitere Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen.
  122. 14
  123. 2. a) Noch zu Recht ist das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit
  124. den vom Senat im Urteil vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47 ent-
  125. -7-
  126. wickelten Grundsätzen davon ausgegangen, dass die einfache Bindefristverlängerung durch einen Bieter nur die Bedeutung hat, dass das ursprüngliche
  127. Vertragsangebot inhaltlich konserviert und die rechtsgeschäftliche Bindungsfrist
  128. an das Angebot gemäß § 148 BGB, zugleich Bindefrist nach § 19 Nr. 3 VOB/A
  129. a.F., verlängert werden soll. Aussagen dazu, was vertraglich zu gelten hat,
  130. wenn die in der Ausschreibung und in dem Angebot enthaltenen Ausführungsfristen nicht mehr eingehalten werden können, sind damit nicht verbunden. Insbesondere ändert der Bieter hiermit nicht sein Angebot hinsichtlich der Ausführungstermine ab (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 26. November 2009 - VII ZR
  131. 131/08, BauR 2010, 455 = NZBau 2010, 102 = ZfBR 2010, 245).
  132. 15
  133. b) Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht jedoch an, die Beklagte
  134. habe das hiernach unveränderte Angebot der Klägerin mit ihrem Zuschlagsschreiben vom 14. Juni 2004 nicht unverändert angenommen. Zwar ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts zutreffend, dass die als bindend verstandene Festlegung einer vom Angebot abweichenden Bauzeit in der Annahmeerklärung nach § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung des Antrags verbunden mit einem
  135. neuen Angebot gilt (BGH, Urteil vom 24. Februar 2005 - VII ZR 141/03, BGHZ
  136. 162, 259, 268 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, aaO
  137. Tz. 33 m.w.N.). Jedoch leidet die Auslegung des Zuschlagsschreibens dahin,
  138. dass dieses eine neue Bauzeit verbindlich festlegen wolle, mithin nur mit dieser
  139. Änderung das Angebot der Klägerin annehme, an Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat wesentlichen Auslegungsstoff unberücksichtigt gelassen, die
  140. Interessen der Parteien in seine Erwägungen zur Auslegung nicht genügend
  141. einbezogen und den Grundsatz einer im Zweifel vergaberechtskonformen Auslegung nicht hinreichend berücksichtigt.
  142. 16
  143. aa) Das Berufungsgericht hat ausschließlich auf den Wortlaut des
  144. Schreibens der Beklagten vom 14. Juni 2004 abgestellt und die naheliegende
  145. -8-
  146. Möglichkeit vernachlässigt, dass die Erklärungen in diesem Schreiben auch die
  147. vorbehaltlose und unveränderte Annahme des Angebots der Klägerin durch die
  148. Beklagte darstellen können, verbunden mit dem Vorschlag einer Einigung über
  149. eine neue Bauzeit. Der Wortlaut des Schreibens vom 14. Juni 2004 steht der
  150. Auslegung einer unveränderten Annahme des klägerischen Angebots durch die
  151. Beklagte nicht entgegen. Die Formulierung "Der Baubeginn ist der 15.6.2004.
  152. Der … Bauablaufplan ist bis zum 29.6.2004 zur Prüfung vorzulegen." stellt nicht
  153. notwendig eine zwingende Anordnung eines neuen Baubeginns durch die Beklagte dar, was - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat - nicht als Annahme des Angebots der Klägerin, sondern als Annahme unter Abänderungen
  154. und damit als neues Angebot der Beklagten gewertet werden müsste, § 150
  155. Abs. 2 BGB. Die Formulierung im Zuschlagsschreiben erlaubt vielmehr auch die
  156. Auslegung, es handele sich um einen Vorschlag über den neuen Baubeginn,
  157. der noch der Zustimmung der Klägerin bedürfe. Dafür spricht, dass die Beklagte
  158. ganz offensichtlich davon ausgeht, dass mit dem Zugang des Zuschlagsschreibens bei der Klägerin der Vertrag verbindlich geschlossen ist, was bei der
  159. Anwendung
  160. des
  161. § 150
  162. Abs. 2
  163. BGB
  164. nicht
  165. der
  166. Fall
  167. wäre
  168. (vgl.
  169. MünchKommBGB/Kramer, 5. Aufl., § 150 Rdn. 5 m.w.N.). Zudem spricht die
  170. zeitliche Abfolge gegen eine verbindliche Anordnung einer neuen Bauzeit im
  171. Zuschlagsschreiben und damit gegen ein neues Vertragsangebot. Denn die
  172. Beklagte konnte nicht damit rechnen, dass eine Anordnung des Baubeginns
  173. auf den 15. Juni 2004, die am 14. Juni 2004 abgesendet und der Beklagte erst
  174. noch zugehen musste, tatsächlich zum 15. Juni 2004 Wirkung entfalten könnte.
  175. Deshalb musste die Klägerin die Passage auch nicht so verstehen.
  176. 17
  177. Auch die Bitte um schriftliche Auftragsbestätigung legt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts das Vorliegen eines neuen Angebots durch die Beklagte nicht zwingend nahe. Vielmehr kann es sich dabei, wie es nahe liegt,
  178. auch um eine bloße Empfangsbestätigung für das Zuschlagsschreiben zum
  179. -9-
  180. Nachweis des damit zustande gekommenen Vertrages handeln. Es entspräche
  181. damit
  182. dem
  183. Einheitlichen
  184. Verdingungsmuster
  185. Auftragsschreiben
  186. - EVM
  187. (B/L) Atr - 201 nach VHB 2002 (2006) zu § 28 VOB/A Nr. 2 bzw. der Richtlinien
  188. zu 331-338 der VHB 2008, auch wenn dort ausdrücklich von "Empfangsbestätigung" die Rede ist. Dafür spricht, dass ansonsten der Vertrag noch nicht mit
  189. dem Zugang des Zuschlagsschreibens zustande gekommen wäre, wovon die
  190. Beklagte aber angesichts der weiteren Formulierungen im Schreiben vom
  191. 14. Juni 2004 ersichtlich ausgeht. Auch die Aufforderung, bis zum 29. Juni 2004
  192. einen neuen Bauablaufplan vorzulegen, spricht nicht für eine zwingende Baubeginnanordnung zum 15. Juni 2004.
  193. 18
  194. bb) Das Berufungsgericht hat die Interessen der im öffentlichen Vergabeverfahren nach VOB/A ausschreibenden beklagten Auftraggeberin nicht berücksichtigt. Ein Zuschlag in einem solchen Verfahren ist regelmäßig so auszulegen, dass er sich auch auf wegen Zeitablaufs obsolet gewordene Fristen und
  195. Termine bezieht (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47,
  196. 57 zu Fällen, in denen im Zuschlagsschreiben keine Äußerungen zur Bauzeit
  197. enthalten sind). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - zwar eine neue Bauzeit
  198. angesprochen wird, das Zuschlagsschreiben insgesamt aber nicht eindeutig
  199. ergibt, dass der Vertrag nur zu bestimmten veränderten zeitlichen Bedingungen
  200. geschlossen werden soll.
  201. 19
  202. Im Rahmen des auch für den modifizierten Zuschlag geltenden § 150
  203. Abs. 2 BGB sind die Grundsätze von Treu und Glauben anzuwenden. Sie erfordern, dass der Empfänger eines Vertragsangebots, wenn er von dem Vertragswillen des Anbietenden abweichen will, dies in der Annahmeerklärung klar
  204. und unzweideutig zum Ausdruck bringt. Erklärt der Vertragspartner seinen vom
  205. Angebot abweichenden Vertragswillen nicht hinreichend deutlich, so kommt der
  206. Vertrag zu den Bedingungen des Angebots zustande (BGH, Urteil vom
  207. - 10 -
  208. 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, aaO, Tz. 35; Urteil vom 18. November 1982
  209. - VII ZR 223/80, BauR 1983, 252, 253).
  210. 20
  211. (1) Der Zuschlag auf das unveränderte Angebot mit den wegen Zeitablaufs bereits obsolet gewordenen Fristen und Terminen ist die einzige Möglichkeit, das wesentliche Ziel des Vergabeverfahrens, es mit einem Vertragsschluss
  212. zu beenden, mit Sicherheit zu erreichen. Ginge man von einer Annahme unter
  213. Abänderungen aus, hätte es der Bieter in der Hand zu entscheiden, ob das bis
  214. dahin ordnungsgemäß durchgeführte Vergabeverfahren letztlich vergeblich war;
  215. er wäre an sein Angebot gerade im Widerspruch zu den erklärten Bindefristverlängerungen faktisch nicht mehr gebunden. Außerdem bestünde die Gefahr,
  216. dass es möglicherweise nie zu einem Vertragsschluss kommt. Denn bei jedem
  217. mangels Vertragsschluss neu durchgeführten Vergabeverfahren könnten erneut
  218. Verzögerungen durch Nachprüfungsverfahren eintreten, die wieder dieselben
  219. Folgen hätten. An einem solchen Ergebnis kann niemand interessiert sein; es
  220. muss tunlichst vermieden werden (vgl. Gröning, BauR 2004, 199, 201). Deshalb
  221. entspricht es im Zweifel dem Interesse beider Parteien, dass mit dem Zuschlag
  222. der Vertrag zwischen ihnen bindend zustande kommt. Dieses Interesse des
  223. Auftraggebers zeigt sich auch in der wiederholten Aufforderung an die Bieter,
  224. Zustimmungserklärungen zur Bindefristverlängerung, auch noch nach Beginn
  225. der ursprünglich ins Auge gefassten Ausführungsfrist, abzugeben. Dies belegt,
  226. dass der Auftraggeber in einem solchen Verfahren ein gewichtiges Interesse an
  227. einem sicheren, von ihm durch den Zuschlag bestimmten Vertragsschluss mit
  228. dem Bieter hat, dessen Angebot sich im Vergabeverfahren als das wirtschaftlichste erwiesen hat. Würde der Auftraggeber am Ende eines solchen Vergabeverfahrens lediglich eine abändernde Annahme aussprechen, mit der er die
  229. wunschgemäß aufrecht erhaltene Bindung des Bieters gerade lösen würde,
  230. handelte er im Widerspruch zu den zuvor geäußerten Wünschen auf Verlängerung der Bindefrist. Damit muss und kann ein Bieter im Zweifel nicht rechnen.
  231. - 11 -
  232. 21
  233. (2) Auch der Bieter hat ein Interesse am Zustandekommen des Vertrages bereits mit Zuschlag, weil er ansonsten das im Hinblick auf die Ausführungsfristen neue Angebot des Auftraggebers (ohne Preisänderungen) nicht
  234. vorbehaltlos annehmen, sondern nur abgeändert, also als erneutes Angebot im
  235. Sinne von § 150 Abs. 2 BGB akzeptieren dürfte, wollte er sich die Möglichkeit
  236. erhalten, Preisänderungen geltend zu machen. Er könnte dann nicht sicher
  237. sein, dass der Auftraggeber sich mit einem solchen Ansinnen auf Preisanpassung einverstanden erklären wird. Damit bliebe letztlich - zumindest vorübergehend - der Abschluss eines wirksamen Bauvertrages offen.
  238. 22
  239. (3) Dem öffentlichen Auftraggeber ist es grundsätzlich nicht gestattet,
  240. während des Vergabeverfahrens mit den Bietern über Änderungen der Angebote und Preise zu verhandeln, § 24 Nr. 3 VOB/A a.F. Jedenfalls im Zeitpunkt der
  241. Erklärung des Zuschlags gegenüber dem Bieter ist der Auftraggeber hieran
  242. noch gebunden, weil anderenfalls der hiermit verbundene Schutz des Wettbewerbs und der Bieter im Vergabeverfahren unvollkommen wäre (BGH, Urteil
  243. vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47, 57-58). Etwas anderes ergibt
  244. sich nicht aus § 28 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A a.F. Denn diese Regelung erlaubt einen
  245. veränderten Zuschlag nur dann, wenn nicht gegen das Nachverhandlungsverbot verstoßen wird (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, aaO).
  246. 23
  247. Da dem Auftraggeber nicht unterstellt werden kann, gegen das Nachverhandlungsverbot verstoßen zu wollen, kann in einem Zuschlag, der das ursprüngliche Angebot akzeptiert, auch wenn er eine neue Bauzeit erwähnt,
  248. grundsätzlich keine Anfrage nach Veränderung der angebotenen Ausführungsfrist, weder mit gleich bleibender noch veränderter Vergütungsvereinbarung,
  249. gesehen werden.
  250. - 12 -
  251. 24
  252. c) Die interessengerechte Auslegung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts des Zuschlagsschreibens vom 14. Juni 2004 ergibt, dass die Beklagte das Angebot der Klägerin unverändert auch hinsichtlich der Bauzeiten angenommen hat. Die Angaben zur neuen Bauzeit, die wegen der inzwischen abgelaufenen alten Bauzeit gefunden werden musste, stellen bei interessengerechter Auslegung keine vergaberechtlich unzulässige Neuverhandlung anderer
  253. Vertragsbedingungen dar, sondern einen Hinweis der Beklagten darauf, dass
  254. sie eine neue Bauzeit aufgrund der veränderten Umstände für notwendig erachtet. Denn der Abschluss eines Vertrages zu Bedingungen, die eine Bauzeit vorsehen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses bereits verstrichen ist, enthält
  255. zugleich die Einigung darüber, dass die Parteien den Vertrag zwar bereits bindend schließen, über neue, dem eingetretenen Zeitablauf Rechnung tragende
  256. Fristen jedoch noch eine Einigung herbeiführen wollen (BGH, Urteil vom
  257. 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, aaO, Tz. 44). Vorschläge des Auftraggebers, die
  258. eine solche nachträgliche Einigung herbeiführen sollen, müssen nicht in einer
  259. getrennten Erklärung erfolgen. Vielmehr können sie bereits zusammen mit dem
  260. Vertragsschluss abgegeben werden, weil zum Zeitpunkt des Zugangs dieses
  261. Vorschlags die durch den Vertragsschluss entstandene Notwendigkeit einer
  262. Neuverhandlung und Bestimmung der Ausführungsfristen bereits besteht. Diese
  263. sind noch verhandelbar. Die Parteien sind nach dem Vertrag verpflichtet, sich
  264. über eine neue Bauzeit zu einigen.
  265. 25
  266. d) Zugleich mit der Bauzeit ist jedoch auch der vertragliche Vergütungsanspruch anzupassen. Die Vermutung der Ausgewogenheit von Leistung und
  267. Gegenleistung gilt bei einem Bauvertrag nicht unabhängig von der vereinbarten
  268. Leistungszeit, weil diese regelmäßig Einfluss auf die Vereinbarung der Höhe
  269. der Vergütung des Auftragnehmers hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2008
  270. - X ZR 129/06, NZBau 2008, 505 = ZfBR 2008, 614). Deshalb hat die durch ein
  271. verzögertes Vergabeverfahren bedingte Änderung der Leistungszeit auch zur
  272. - 13 -
  273. Folge, dass die Parteien sich über eine Anpassung der Vergütung verständigen
  274. müssen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, aaO, Tz. 49). Zu
  275. einer solchen Einigung ist es hier nicht gekommen. Damit existiert eine zu füllende Regelungslücke. Diese ist dahin zu schließen, dass der vertragliche Vergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B anzupassen ist. Diese Vorschrift haben die Parteien mit der Einbeziehung der
  276. VOB/B als angemessene Regel bei einer durch den Auftraggeber veranlassten
  277. Änderung der Grundlagen des Preises vereinbart. Ihre Grundsätze führen auch
  278. im Falle der Verschiebung der Bauzeit aufgrund eines verzögerten Vergabeverfahrens im Rahmen der berechtigten Interessen der Parteien zu angemessenen
  279. Lösungen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, aaO, Tz. 49-58).
  280. 26
  281. e) Entgegen der Ansicht der Revision stehen europarechtliche Vorgaben
  282. dieser Lösung nicht entgegen. Auch der von der Beklagten angeregten Vorlage
  283. an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b,
  284. Abs. 3 AEUV zur Klärung der Frage, ob es sich mit den europäischen Vergaberegelungen (insbesondere dem Gebot der Gleichbehandlung der Bieter, dem
  285. Transparenzgebot und dem Nachverhandlungsverbot) vereinbaren lässt, dass
  286. der Bieter, dem in einem Vergabeverfahren aufgrund öffentlicher Ausschreibung nach VOB/A der Zuschlag nach Verlängerung der Bindefrist später als in
  287. der Ausschreibung vorgesehen erteilt worden ist, einen Mehrvergütungsanspruch erhält, wenn sich die Bauzeit aufgrund eines durch ein Nachprüfungsverfahren verzögerten Zuschlags verschoben hat, bedarf es nicht.
  288. 27
  289. aa) Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen
  290. die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauverträge
  291. nicht vorliegt (BGH, Urteil vom 10. September 2009 - VII ZR 152/08, BauR
  292. - 14 -
  293. 2009, 1901). Aus Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie ergibt sich, dass sich die Wirkungen der Ausübung der in Art. 2 Abs. 1 für das Nachprüfungsverfahren festgelegten Befugnisse auf den nach Zuschlagserteilung geschlossenen Vertrag
  294. nach dem einzelstaatlichen Recht richten. Einen Verstoß gegen diese Richtlinie
  295. macht die Revision der Beklagten auch nicht geltend.
  296. 28
  297. bb) Sie rügt die Verletzung zwingender europäischer Vorgaben des Vergaberechts, wie sie auch in der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 des Rates vom
  298. 21. Juni 1999 mit Bestimmungen über den Strukturfonds zum Ausdruck gekommen seien. Diese Rüge greift nicht durch.
  299. (1) Ob eine Vorlage unter dem von der Revision angeführten Gesichts-
  300. 29
  301. punkt in Betracht kommt, dass die Einheit der Rechtsordnung zu wahren ist,
  302. kann dahinstehen. Denn nach Auffassung des Senats steht seine Beurteilung
  303. ohne jeden vernünftigen Zweifel im Einklang mit den durch europäisches Recht
  304. abgesicherten Grundsätzen des Vergaberechts. Die Revision vermag außer
  305. ihrer abweichenden Meinung auch keine anderen ernst zu nehmenden Meinungen oder sie stützende Rechtsprechung anzuführen. Sie legt auch nicht dar,
  306. dass das Problem der verzögerten Vergabe, das in anderen nationalen Rechtsordnungen gleichermaßen vorhanden ist, unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben in anderer Weise gelöst wird und die europarechtlichen,
  307. hauptsächlich in Richtlinien verankerten Vorgaben eine andere Lösung ermöglichten.
  308. 30
  309. (aa) Richtig ist, dass die Erklärungen des Auftraggebers in einer europaweiten Ausschreibung so ausgelegt werden müssen, wie sie von dem gesamten Adressatenkreis objektiv verstanden werden müssen, denn maßgeblich
  310. für die Auslegung ist die Sicht des mit ihr angesprochenen Empfängerkreises
  311. (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1993 - VII ZR 118/92, BauR 1993, 595; OLG
  312. - 15 -
  313. Köln, BauR 1998, 1096). Bei der Beurteilung dieses Verständnisses müssen
  314. auch die das Vergaberecht beherrschenden Grundsätze, wie sie durch die
  315. Richtlinien zum Vergaberecht manifestiert sind, berücksichtigt werden. Denn es
  316. kann im Zweifel nicht angenommen werden, dass der öffentliche Auftraggeber
  317. gegen diese Grundsätze verstoßen will (BGH, Urteil vom 9. Januar 1997
  318. - VII ZR 259/95, BGHZ 134, 245, 248). Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften
  319. über das öffentliche Auftragswesen ist die Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs und die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen
  320. Mitgliedstaaten. Dieses doppelte Ziel verfolgt das Gemeinschaftsrecht unter
  321. anderem durch die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der
  322. Bieter und der sich daraus ergebenden Verpflichtung zur Transparenz (vgl.
  323. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06, "pressetext", NZBau 2008, 518 =
  324. VergabeR 2008, 758 = ZfBR 2008, 607; vgl. auch Richtlinie 2004/18/EG des
  325. Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und
  326. Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 vom 30. April 2004, S. 114 ff. - Erwägungsgründe 2 und 46). Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der
  327. die Entwicklung eines gesunden und effektiven Wettbewerbs zwischen den Unternehmern, die sich um einen öffentlichen Auftrag bewerben, fördern soll,
  328. müssen die Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben, was voraussetzt, dass die Angebote aller Wettbewerber den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen. Der damit einhergehende Grundsatz der
  329. Transparenz soll im Wesentlichen die Gefahr einer Günstlingswirtschaft oder
  330. willkürlichen Entscheidung des Auftraggebers ausschließen. Er verlangt, dass
  331. alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Bekanntmachung oder im Lastenheft klar, genau und eindeutig formuliert sind, damit alle
  332. durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt deren genaue Bedeutung verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können
  333. - 16 -
  334. und der Auftraggeber im Stande ist, tatsächlich zu überprüfen, ob die Angebote
  335. der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllten (EuGH,
  336. Urteil vom 29. April 2004, C-496/99 P, Abl. EU 2004, Nr. C 118, 2, Rdn. 110111, "CAS Succhi di Frutta").
  337. 31
  338. (bb) Die Revision meint, die Rechtsprechung des Senats führe zu einer
  339. Umgehung des Nachverhandlungsverbots und verstoße deshalb gegen diese
  340. Grundsätze. Sie verweist insoweit auf die Entscheidungen des Gerichtshofs der
  341. Europäischen Union vom 19. Juni 2008, C-454/06 (aaO) und vom 29. April
  342. 2004, C-496/99 P (aaO) und sieht die Einheit der Rechtsordnung gefährdet.
  343. Dieser Auffassung kann der Senat nicht folgen.
  344. 32
  345. Der Senat hat entwickelt, dass zur Wahrung der Transparenz im Wettbewerb und des Gleichheitsgebots der Zuschlag nur auf das unveränderte Angebot des Bieters erfolgen kann. Dem tritt die Revision im Grundsatz bei. Aus
  346. der Notwendigkeit, den unverändert geschlossenen Vertrag an die neuen Bauzeitumstände anzupassen, folgt die bereits im geschlossenen Vertrag angelegte Verpflichtung, über die neuen Umstände zu verhandeln, eine Einigung herbeizuführen und gegebenenfalls auch den Preis anzupassen. Der Senat hat
  347. auch darauf hingewiesen, dass nur so das Ziel des öffentlichen Vergabeverfahrens erreicht werden kann, unter Wahrung der vergaberechtlichen Grundsätze
  348. einen Zuschlag herbeizuführen. Die Eröffnung des Wettbewerbs mit allen Bietern im Hinblick auf die neuen Bauzeitumstände wäre nur möglich, wenn das
  349. Verfahren aufgehoben wird. Dass ein Zwang zur Aufhebung des Verfahrens im
  350. Regelfall jedenfalls dann nicht angenommen werden kann, wenn ein Nachprüfungsverfahren zu einer Bauzeitverschiebung führt, hat der Senat bereits dargelegt und insbesondere darauf verwiesen, dass ansonsten die Vergabeverfahren
  351. auf Dauer blockiert und das von allen Beteiligten erstrebte Ziel, den ausgeschriebenen Vertrag durchzuführen, verhindert werden könnten (Senat, Urteil
  352. - 17 -
  353. vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, aaO). Gegen diese Entscheidung des Senats
  354. hat sich, soweit ersichtlich, in der Literatur niemand gewandt und auch nicht
  355. einen Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben in Erwägung gezogen (vgl.
  356. etwa Summa in jurisPK-VergR 2. Aufl. § 17 VOB/A Rdn. 79 Fn. 23; Portz in:
  357. Ingenstau/Korbion, 17. Aufl., § 17 VOB/A Rdn. 26, 33; Bitterich, JZ 2009, 1014).
  358. 33
  359. Diese Lösung steht auch in Übereinstimmung zur Rechtsprechung des
  360. Gerichtshofs der Europäischen Union zu den Fällen, in denen die Parteien den
  361. Vertrag nachträglich ändern (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06, aaO;
  362. vgl. auch EuGH, Urteil vom 29. April 2004, C-496/99 P, aaO). Nach dieser
  363. Rechtsprechung sind Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrags während der Geltungsdauer als Neuvergabe des Auftrags im Sinne der
  364. Richtlinie 92/50 anzusehen, wenn sie wesentlich andere Merkmale aufweisen
  365. als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrages erkennen lassen. Die
  366. Änderung eines öffentlichen Auftrags während seiner Laufzeit kann danach als
  367. wesentlich angesehen werden, wenn sie Bedingungen einführt, die die Zulassung anderer als ursprünglich zugelassener Bieter oder die Annahme eines
  368. anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots erlaubt hätten, wenn
  369. sie Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wären. Desgleichen kann eine Änderung des ursprünglichen Auftrags als wesentlich angesehen werden, wenn sie den Auftrag in großem Umfang auf ursprünglich nicht
  370. vorgesehene Dienstleistungen erweitert, und auch dann, wenn sie das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages in einer im ursprünglichen Auftrag nicht
  371. vorgesehenen Weise zugunsten des Auftragnehmers ändert (EuGH, Urteil vom
  372. 19. Juni 2008, C-454/06, aaO Rdn. 34-37; vgl. auch EuGH, Urteil vom 29. April
  373. 2004, C-496/99 P, aaO Rdn. 117 und 118).
  374. - 18 -
  375. 34
  376. Die Revision legt nicht dar, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Sie
  377. meint, eine wesentliche Änderung folge allein daraus, dass die Bauzeit und gegebenenfalls deswegen der Preis angepasst werden müssten.
  378. 35
  379. Das ist jedoch nicht so. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat vielmehr die oben genannten Voraussetzungen aufgestellt, die insbesondere nicht
  380. allein auf den Preis abstellen, wenn es auch auf der Hand liegt, dass der Preis
  381. eine wesentliche Bedingung eines öffentlichen Auftrags ist. Er hat auch entschieden, dass nicht jede Preisveränderung eine wesentliche Änderung im Sinne der dargestellten Rechtsprechung ist. Vielmehr müssen jedenfalls geringfügige Preisanpassungen aufgrund veränderter Umstände keine wesentlichen
  382. Änderungen sein (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, C-454/06, aaO Rdn. 59 ff.).
  383. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfolgt eine im Einzelfall - von den
  384. nationalen Gerichten - vorzunehmende Gesamtschau, die sich an den von ihm
  385. entwickelten Kriterien und vor allem daran orientieren muss, ob die vergaberechtlichen Grundsätze gewahrt sind. Es kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass nach diesen Grundsätzen eine Anpassung des Vertrages, die
  386. infolge veränderter Bauzeitumstände erfolgen muss, um die Durchführung des
  387. Bauvorhabens zu gewährleisten und die sich an den neuen zeitlichen Umständen und am Wettbewerbspreis des wirtschaftlichsten Bieters orientiert und diesen fortschreibt, im Regelfall nicht wesentlich im Sinne der Kriterien des Gerichtshofs der Europäischen Union ist. Denn durch diese Anpassung wird weder
  388. der Auftrag erweitert, noch das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrags in
  389. einer im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehenen Weise zugunsten des Auftragnehmers geändert. Die Anpassung betrifft nicht den eigentlichen Leistungsaustausch, sondern lediglich baubegleitende Umstände, auch wenn sich diese
  390. auf die Preisbildung auswirken können. Die etwaige Preisanpassung erfolgt nur
  391. auf der Grundlage von Mehr- oder Minderkosten, die dem Auftragnehmer durch
  392. die veränderte Bauzeit entstanden sind. Sie ermöglicht ihm also keinen unge-
  393. - 19 -
  394. rechtfertigten zusätzlichen Gewinn, so dass das wirtschaftliche Gleichgewicht
  395. von Leistung und Gegenleistung auch nicht verschoben wird. Ob ausnahmsweise eine wesentliche Änderung des Vertrages vorliegt, wenn die Preisanpassung dazu führt, dass sich die Vergütung für den gesamten Auftrag ganz erheblich ändert, kann dahinstehen, weil dafür keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
  396. Die von der Klägerin geltend gemachten Mehrkosten führen, gemessen am Gesamtvolumen des Auftrags, zu einer Mehrbelastung von rund 7 %.
  397. 36
  398. Wegen der Besonderheit der Beurteilung von Bauzeitverschiebungen,
  399. die auf durch Nachprüfungsverfahren verzögerte Vergabeverfahren zurückzuführen sind, kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass Bedingungen eingeführt werden, die anderen Bietern die Teilnahme am Wettbewerb ermöglicht
  400. hätten oder die einen Zuschlag an einen anderen Bieter erlaubt hätten. Diese
  401. Voraussetzung des Gerichtshofs der Europäischen Union soll erkennbar den
  402. Wettbewerb in den Fällen absichern, in denen die Ausschreibung hätte aufgehoben und der Wettbewerb neu eröffnet werden müssen. Diese Voraussetzungen liegen im Regelfall und auch hier nicht vor. Auch die Revision der Beklagten geht hiervon ersichtlich aus. Der Gleichheitsgrundsatz ist schon deshalb
  403. nicht verletzt, weil nach dem durch den Senat entwickelten Verständnis des
  404. Vertrages alle Bieter den Anspruch hätten, in Anlehnung an die Grundsätze des
  405. § 2 Nr. 5 VOB/B eine Preisanpassung zu verlangen. Wie dargelegt ist auch der
  406. Grundsatz der Transparenz nicht verletzt. Insbesondere ist es ausgeschlossen
  407. und wird auch von keiner Seite geltend gemacht, dass durch das dargelegte
  408. Verständnis des Vertragsschlusses die Gefahr einer Günstlingswirtschaft oder
  409. willkürlicher Entscheidungen des Auftraggebers entsteht. Vielmehr wird in
  410. bestmöglicher Weise eine Sicherung der vergaberechtlichen Grundsätze gewährleistet (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 - VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47 ff.
  411. Rz. 60). Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, Änderungen der
  412. Bauzeit seien als wesentlich anzusehen und verstießen gegen das Nachver-
  413. - 20 -
  414. handlungsverbot (Egger, Europäisches Vergaberecht, Rdn. 1270 f.; Knauff, Dispositionsfreiheiten öffentlicher Auftraggeber nach der Ausschreibung öffentlicher Aufträge, S. 40; Prieß, Handbuch des öffentlichen Vergaberechts, 3. Aufl.,
  415. S. 231 f.), bezieht sich das ersichtlich auf entsprechende Anordnungen des Auftraggebers oder Vereinbarungen zwischen den Parteien, die nicht zwingend
  416. dadurch bedingt sind, dass Nachprüfungsverfahren zu einer Verzögerung der
  417. Vergabe geführt haben und dadurch zwangsläufig die Bauzeit anzupassen ist.
  418. 37
  419. Die Auffassung des Senats steht im Übrigen im Einklang mit dem
  420. Rechtsgedanken aus Art. 7 Abs. 3 d) der Richtlinie 93/37 EWG des Rates vom
  421. 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (Abl. L 199 vom 9. August 1993, S. 54). Danach kann der Zuschlag bei
  422. zusätzlichen Bauarbeiten, die weder in dem der Vergabe zugrunde liegenden
  423. Entwurf noch im zuerst geschlossenen Vertrag vorgesehen sind, die aber wegen eines unvorhergesehenen Ereignisses zur Ausführung der darin beschriebenen Bauleistung erforderlich sind, im Verhandlungsverfahren erteilt werden,
  424. sofern der Auftrag an den Unternehmer vergeben wird, der diese Bauleistung
  425. ausführt:
  426. - wenn sich diese Arbeiten in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht
  427. nicht ohne wesentlichen Nachteil für den öffentlichen Auftraggeber
  428. vom Hauptauftrag trennen lassen
  429. oder
  430. - wenn diese Arbeiten zwar von der Ausführung des ersten Vorhabens
  431. getrennt werden können, aber für dessen Verbesserung unbedingt erforderlich sind.
  432. - 21 -
  433. 38
  434. Der Gesamtbetrag der Aufträge für die zusätzlichen Bauarbeiten darf jedoch 50 v.H. des Wertes des Hauptauftrages nicht überschreiten.
  435. 39
  436. Diese Bestimmung in der Richtlinie belegt, dass eine unter Berücksichtigung des Gleichheits- und Transparenzgebotes angemessene Lösung für die
  437. Fälle unvorhergesehener Änderungen auch in der Weise möglich ist, dass nur
  438. noch mit dem Bieter verhandelt wird, dem der Zuschlag erteilt worden ist. Die
  439. durch Nachverhandlungsverfahren verzögerte Vergabe und die daraus folgende
  440. Bauzeitveränderung sind ein derartiges unvorhergesehenes Ereignis.
  441. 40
  442. (2) Der Senat verkennt nicht, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs
  443. der Europäischen Union zur Möglichkeit, bereits abgeschlossene Verträge
  444. nachträglich zu ändern, diejenigen Fälle betrifft, in denen eine solche Änderung
  445. im Vertrag nicht vorgesehen ist. Er hat jedoch keinen Zweifel, dass die vom Gerichtshof entwickelten Anforderungen an die Zulässigkeit einer solchen Änderung nicht höher sind, wenn diese Änderung bereits in dem Vertrag ausreichend
  446. transparent vorgesehen ist.
  447. 41
  448. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot kann hier nicht deshalb angenommen werden, weil das Verhandlungsgebot für den Fall geänderter Bauzeiten nicht ausdrücklich in der Ausschreibung erwähnt ist. Denn ein Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt nicht vor, wenn die Erforderlichkeit solcher Verhandlungen und ihre Rechtsgrundlagen von vornherein auf der Hand liegen, so
  449. dass sie jedem Bieter offenbar sind. Diese Voraussetzungen liegen vor. Dass
  450. sich die Notwendigkeit von solchen Verhandlungen aus der Anwendung des
  451. Vergaberechts ohne weiteres ergibt, hat der Senat in seinem Urteil vom 11. Mai
  452. 2009 (VII ZR 11/08, aaO) entwickelt. Darauf wird Bezug genommen. Dass diese Verhandlungen auf der Grundlage des § 2 Nr. 5 VOB/B zu führen sind, entspricht der ganz herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung
  453. - 22 -
  454. (Behrendt, BauR 2007, 784, 797; Bitterich, NZBau 2007, 354, 357f; Bornheim/
  455. Badelt, ZfBR 2008, 249, 256; Gröning, BauR 2004, 199, 207; Kapellmann,
  456. NZBau 2007, 401, 6f; Würfele, BauR 2005, 1253, 1256f; Franke/Grünhagen in:
  457. Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, 3. Aufl., § 19 VOB/A
  458. Rdn. 26d; Keldungs in: Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Aufl., § 2 VOB/B Rdn. 58;
  459. Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 4. Aufl. Rdn. 594; Planker in:
  460. Kapellmann/Messerschmidt, VOB; 2. Aufl., § 19 VOB/A Rdn. 23; Portz in: Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Aufl., § 28 VOB/A Rdn. 17; BayObLG, NZBau 2002,
  461. 689, 691; OLG Hamm, BauR 2007, 878 = NZBau 2007, 312 = ZfBR 2007, 375;
  462. OLG Hamm, BauR 2008, 1622 = NZBau 2008, 508; Thüringer OLG, BauR
  463. 2005, 1161 = NZBau 2005, 341 = ZfBR 2005, 725; OLG Celle, BauR 2009,
  464. 252).
  465. 42
  466. (3) Die Revision zeigt keine vertretbaren anderen Wege auf, wie das
  467. Problem veränderter Bauzeiten und deren Folgen aufgrund von Vergabeverzögerung in europarechtskonformer Weise anders gelöst werden könnte. Ihre Auffassung, der Vertrag sei mit dem Zuschlag ohne weiteres mit einer anderen
  468. Bauzeit zu den angebotenen Preisen zustande gekommen, verletzt eindeutig
  469. diese Grundsätze, weil sie eine einseitige Änderung des Vertrages zulässt, ohne dass dies in den Ausschreibungsbedingungen angegeben wäre.
  470. 43
  471. (4) Kann danach kein vernünftiger Zweifel bestehen, dass die Rechtsprechung des Senats nicht gegen anerkannte und durch Europarecht abgesicherte Vergaberechtsgrundsätze verstößt, besteht kein Anlass, die Sache dem
  472. Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen. Der Senat stellt die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze zur Behandlung von Änderungen des Vertrages nach Vergabe nicht in Frage, sondern sieht in seiner Rechtsprechung lediglich eine Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall, die durch die nationalen
  473. Gerichte erfolgt (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Dezember 2003, C-448/01, VergabeR
  474. - 23 -
  475. 2004, 36; EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2003, C-42/01, VergabeR 2004, 50
  476. Rdn. 21).
  477. 44
  478. 3. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Berechnung und zur Höhe des Anspruchs auf Mehrvergütung beanstandet die Revision zu Recht. Sie
  479. entsprechen nicht den Grundsätzen des Senats, die er in den Entscheidungen
  480. vom
  481. 11. Mai 2009
  482. (VII ZR 11/08, aaO)
  483. und
  484. vom
  485. 10. September 2009
  486. (VII ZR 152/08, aaO) aufgestellt hat.
  487. 45
  488. a) Die Klägerin hat sich zur Begründung des mit der Klage geltend gemachten Mehrvergütungsanspruchs darauf berufen, dass es im Zeitraum zwischen dem Ablauf der ausgeschriebenen Bindefrist und der verzögerten Zuschlagserteilung zu einer Erhöhung der Preise einzelner für die Bauausführung
  489. benötigter Materialien und Subunternehmerleistungen gekommen sei. Sie berechnet diese Mehrkosten durch einen Vergleich der kalkulierten mit den tatsächlich gezahlten Preisen. Dem ist das Berufungsgericht gefolgt.
  490. 46
  491. b) Die Klägerin macht nicht ausreichend deutlich, ob sie eine auf Preissteigerungen beruhende Mehrvergütung allein deshalb beansprucht, weil es
  492. infolge der verzögerten Vergabe zu einer Verschiebung der ausgeschriebenen
  493. Bauzeit gekommen ist, da diese ursprünglich am 1. April 2004 beginnen sollte,
  494. oder ob sie die Mehrvergütung - auch - wegen des verzögerten Zuschlags begehrt. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände, über die
  495. gesondert zu entscheiden wäre (BGH, Urteil vom 10. September 2009
  496. - VII ZR 152/08, aaO).
  497. 47
  498. Auch das Berufungsgericht nimmt diese Unterscheidung nach Streitgegenständen nicht vor. Es ist nicht auszuschließen, dass es in der Sache die
  499. geltend gemachten Ansprüche für beide Sachverhalte dem Grunde nach als
  500. gegeben ansieht. Mit der Aufhebung und Zurückverweisung wird dem Beru-
  501. - 24 -
  502. fungsgericht die Gelegenheit gegeben, diese Differenzierung für die Nachträge 1 und 18 nachzuholen und auf die Neuberechnung die Grundsätze der
  503. Rechtsprechung des Senats anzuwenden.
  504. 48
  505. Gleichzeitig bietet die Zurückverweisung dem Berufungsgericht die Möglichkeit, zu der von der Revision aufgegriffenen Behauptung der Beklagten, der
  506. Zulässigkeit der Klage bezüglich des Nachtrages 18 stehe ein zwischen den
  507. Parteien geschlossenes Stillhalteabkommen entgegen, einzugehen.
  508. Kniffka
  509. Bauner
  510. Halfmeier
  511. Eick
  512. Leupertz
  513. Vorinstanzen:
  514. LG Aurich, Entscheidung vom 08.01.2008 - 3 O 1271/06 (317) OLG Oldenburg, Entscheidung vom 14.10.2008 - 12 U 76/08 -