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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 89/07
  5. Verkündet am:
  6. 13. November 2007
  7. Holmes
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 249 Hb
  19. Der Geschädigte, der Ersatz des Reparaturaufwands über dem Wiederbeschaffungswert verlangt, bringt sein für den Zuschlag von bis zu 30% ausschlaggebendes Integritätsinteresse regelmäßig dadurch hinreichend zum Ausdruck,
  20. dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt.
  21. Im Regelfall wird hierfür ein Zeitraum von sechs Monaten anzunehmen sein,
  22. wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.
  23. BGH, Urteil vom 13. November 2007 - VI ZR 89/07 - LG Mainz
  24. AG Mainz
  25. -2-
  26. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 13. November 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
  28. Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
  29. für Recht erkannt:
  30. Die Revision gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 28. Februar 2007 wird auf Kosten des Klägers
  31. zurückgewiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. 1
  35. Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall
  36. vom 30. April 2005, bei dem sein PKW VW Golf I Cabriolet, Erstzulassung Juli
  37. 1991, im Heckbereich beschädigt wurde. Die volle Haftung der Erstbeklagten
  38. als Fahrerin und der Zweitbeklagten als Haftpflichtversicherer steht dem Grunde nach außer Streit. Der vom Kläger beauftragte Kfz-Sachverständige C.
  39. schätzte die Reparaturkosten auf 3.093,58 € zuzüglich Mehrwertsteuer, den
  40. Wiederbeschaffungswert auf 3.000,00 € einschließlich Mehrwertsteuer und den
  41. Restwert auf 500,00 €. Am 16. Juni 2005 veräußerte der Kläger das Fahrzeug
  42. an einen Kaufinteressenten in Hamburg.
  43. 2
  44. Der Kläger hat behauptet, er habe das Fahrzeug in der Zeit vom 17. bis
  45. 21. Mai 2005 durch den Zeugen D. auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens ordnungsgemäß und fachgerecht reparieren lassen. Vor der Repa-
  46. -3-
  47. ratur habe er nicht die Absicht gehabt, den PKW alsbald zu veräußern. Er sei
  48. jedoch am 16. Juni 2005 auf offener Straße von dem Kaufinteressenten angesprochen worden. Dieser habe ihm ein fantastisches Kaufangebot unterbreitet,
  49. das er als wirtschaftlich und verständig handelnder Mensch angenommen habe.
  50. 3
  51. Der Kläger verlangt Schadensersatz auf der Basis der von dem Sachverständigen ermittelten Netto-Reparaturkosten nebst einer Nutzungsausfallentschädigung von 215,00 €, Sachverständigenkosten von 443,12 €, einer Kostenpauschale von 25,00 € sowie den Kosten für eine Nachbegutachtung in Höhe von 76,56 € (insgesamt 3.853,26 €). Die Beklagte zu 2 hat auf der Basis eines wirtschaftlichen Totalschadens reguliert und den Wiederbeschaffungswert
  52. abzüglich des Restwertes (2.500,00 €), die Kosten der Erstbegutachtung sowie
  53. die Kostenpauschale ersetzt (insgesamt 2.968,12 €).
  54. 4
  55. Das Amtsgericht hat die auf Zahlung des Differenzbetrages von 885,14 €
  56. gerichtete Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers
  57. zurückgewiesen und die Revision zugelassen, mit der der Kläger sein Begehren
  58. weiterverfolgt.
  59. Entscheidungsgründe:
  60. I.
  61. 5
  62. Das Berufungsgericht billigt dem Kläger einen Ersatzanspruch nur in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands zu. Es führt aus, nach einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden könne der Geschädigte zwar grundsätzlich Ersatz des Reparaturaufwands bis zur Grenze von 130% des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs verlangen, wenn die Reparatur fachgerecht
  63. und vollständig durchgeführt werde. Der sogenannte Integritätszuschlag von
  64. -4-
  65. 30% sei jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der Geschädigte das Fahrzeug
  66. nach der Reparatur auch tatsächlich weiter benutzen wolle, nicht dagegen,
  67. wenn er von vornherein die Absicht habe, es danach alsbald zu veräußern. Die
  68. Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Wille zur Weiterbenutzung des
  69. Fahrzeugs bei Reparaturbeginn vorgelegen habe, trage der Geschädigte. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger seinen PKW schon etwa vier Wochen
  70. nach der Reparatur verkauft habe, hätte es im Streitfall näheren Vortrags dazu
  71. bedurft, wie es zu dem von ihm behaupteten "Sinneswandel" gekommen sei.
  72. Daran fehle es hier, da der Kläger den Inhalt des behaupteten Kaufangebots
  73. nicht mitgeteilt habe. Zudem sei der Vortrag dazu auch verspätet und deshalb
  74. nicht zuzulassen. Die beantragte Parteivernehmung des Klägers sei nicht zulässig, da die Beklagten ihr widersprochen hätten und es auch an dem erforderlichen Anfangsbeweis dafür fehle, dass der Kläger das Kaufangebot erst nach
  75. der Reparatur erhalten habe.
  76. II.
  77. 6
  78. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im
  79. Ergebnis stand.
  80. 7
  81. 1. Das Berufungsgericht unterstellt, dass die Reparatur des Fahrzeugs
  82. fachgerecht und in einem Umgang durchgeführt worden ist, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Von diesem
  83. Sachverhalt ist für das Revisionsverfahren auszugehen.
  84. 8
  85. 2. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der
  86. Geschädigte in einem solchen Fall unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz
  87. des Reparaturaufwandes bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des
  88. -5-
  89. Fahrzeugs verlangen (Senatsurteile BGHZ 115, 363, 371; 162, 161, 166; vom
  90. 8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - VersR 1999, 245, 246 und vom 17. März
  91. 1992 - VI ZR 226/91 - aaO; vgl. auch OLG Hamm, NZV 1991, 351, 352 = DAR
  92. 1991, 333, 334; Medicus, Jus 1973, 211, 212; Weber, DAR 1991, 11). Mit den
  93. schadensrechtlichen Grundsätzen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Verbots der Bereicherung (vgl. Senatsurteil BGHZ 154, 395, 397 f.) ist es grundsätzlich vereinbar, dass dem Geschädigten, der sich zu einer Reparatur entschließt und diese auch nachweislich durchführt, Kosten der Instandsetzung
  94. zuerkannt werden, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigen
  95. (Senatsurteil BGHZ 115, 364, 371). Denn der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs
  96. weiß, wie dieses ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden
  97. ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben
  98. worden sind. Demgegenüber sind dem Käufer eines Gebrauchtwagens diese
  99. Umstände, die dem Fahrzeug ein individuelles Gepräge geben (vgl. Jordan,
  100. VersR 1978, 688, 691), zumeist unbekannt. Dass ihnen ein wirtschaftlicher
  101. Wert zukommt, zeigt sich auch darin, dass bei dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs aus "erster Hand" regelmäßig ein höherer Preis gezahlt wird (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 1998 - VI ZR 66/98 - aaO).
  102. 9
  103. 3. Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den Wiederbeschaffungswert übersteigt, steht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsverbot aber nur im Einklang, wenn er den Zustand des ihm vertrauten
  104. Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der
  105. Reparatur weiter zu nutzen. Sein für den Zuschlag von bis zu 30% ausschlaggebendes Integritätsinteresse bringt der Geschädigte im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen
  106. längeren Zeitraum nutzt. Für die Fälle, in denen der Fahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt und der Geschädigte sein Fahrzeug zunächst weiter nutzt, später aber veräußert, hat der erkennende Senat entschie-
  107. -6-
  108. den, dass ein Anspruch auf Ersatz der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten ohne Abzug des Restwerts besteht, wenn der Geschädigte das
  109. Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt (BGHZ 168,
  110. 43, 47 f.). Die Frage, wie lange der Geschädigte sein Fahrzeug weiter nutzen
  111. muss, um sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck zu bringen, ist für
  112. Fälle der vorliegenden Art grundsätzlich nicht anders zu beurteilen. Im Regelfall
  113. wird hierfür ein Zeitraum von sechs Monaten anzunehmen sein, wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen.
  114. 10
  115. 4. Solche besonderen Umstände sind nach den vom Berufungsgericht
  116. getroffenen Feststellungen vorliegend nicht gegeben.
  117. 11
  118. a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, den Kläger treffe die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er
  119. den Willen zur Weiterbenutzung seines Fahrzeugs gehabt habe. Nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts ist es Sache des Anspruchstellers, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar
  120. 2006 - VI ZR 126/05 - VersR 2006, 669, 670; Baumgärtel/Strieder, Handbuch
  121. der Beweislast im Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., § 249 Rn. 1). Die Darlegungs- und
  122. Beweislast dafür, dass der als Ersatz verlangte Geldbetrag objektiv zur Wiederherstellung im Sinne des § 249 BGB erforderlich ist, trägt mithin der Geschädigte (vgl. Senatsurteile BGHZ 54, 45, 47; vom 10. Februar 1987 - VI ZR 17/86 VersR 1987, 668; vom 21. Januar 1992 - VI ZR 142/91 - VersR 1992, 457 und
  123. vom 4. April 2006 - VI ZR 338/04 - VersR 2006, 852, 854; BGH, Urteile vom
  124. 22. Oktober 1987 - III ZR 197/86 - NJW-RR 1988, 410 und vom 23. Oktober
  125. 1991 - XII ZR 144/90 - NJW-RR 1992, 202). Verlangt er nach einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden Ersatz des den Wiederbeschaffungswert seines Fahrzeugs übersteigenden Reparaturaufwands, muss er im
  126. -7-
  127. Rechtsstreit gegebenenfalls den Nachweis erbringen, dass die Voraussetzungen für eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis vorliegen. Da ihm diese
  128. Möglichkeit bei einem wirtschaftlichen Totalschaden nur dann offen steht, wenn
  129. er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall deshalb wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen, ist er
  130. dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass dieser Nutzungswille vorgelegen
  131. hat (OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1620, 1622).
  132. 12
  133. b) Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kläger habe angesichts
  134. der Tatsache, dass er seinen PKW schon knapp vier Wochen nach Abschluss
  135. der Reparatur veräußert habe, nicht hinreichend dargetan, dass er die Absicht
  136. gehabt habe, das Fahrzeug weiter zu benutzen. Diese tatrichterliche Beurteilung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Allerdings sind an den
  137. Nachweis des Weiterbenutzungswillens, für den das Beweismaß von § 287
  138. ZPO gilt, nur maßvolle Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Düsseldorf, VersR
  139. 2004, 1620, 1622; OLG Karlsruhe, aaO; OLG Hamm, ZfSch 1995, 415, 416).
  140. Dass das Berufungsgericht dies verkannt habe, ist nicht ersichtlich und wird von
  141. der Revision auch nicht geltend gemacht. Soweit sie meint, der Kläger habe
  142. substanziiert dargelegt, dass er entgegen seiner ursprünglichen Absicht der
  143. Weiterbenutzung des Fahrzeugs dieses aufgrund eines nicht vorhersehbaren
  144. Kaufangebots veräußert habe, verkennt sie, dass der Kläger, worauf das Berufungsgericht mit Recht hinweist, keine näheren Angaben zum Inhalt des von
  145. ihm behaupteten Kaufangebots vorgetragen hat. Bei dieser Sachlage brauchte
  146. das Berufungsgericht seinem Vortrag zu dem von ihm in Anspruch genommenen Integritätsinteresse nicht nachzugehen, zumal es dafür auch an einem zulässigen Beweisantrag fehlte. Die Voraussetzungen für die vom Kläger beantragte eigene Parteivernehmung lagen, wie das Berufungsgericht zutreffend
  147. ausführt, nicht vor (§§ 447, 448 ZPO). Dem Antrag auf Zeugenvernehmung des
  148. Kaufinteressenten konnte schon deshalb nicht entsprochen werden, weil der
  149. -8-
  150. Kläger dessen Anschrift nicht rechtzeitig, sondern erst - durch Vorlage einer
  151. Kopie des Kaufvertrages - mit dem am 16. Februar 2007 nach Ablauf der ihm
  152. gewährten Schriftsatzfrist (13. Februar 2007) eingegangenen Schriftsatz mitgeteilt hat.
  153. III.
  154. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
  155. 13
  156. Müller
  157. Greiner
  158. Pauge
  159. Wellner
  160. Stöhr
  161. Vorinstanzen:
  162. AG Mainz, Entscheidung vom 10.01.2006 - 72 C 379/05 LG Mainz, Entscheidung vom 28.02.2007 - 3 S 11/06 -