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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. VERSÄUMNISURTEIL
  4. VI ZR 161/05
  5. Verkündet am:
  6. 13. Juni 2006
  7. Holmes,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 249 Hb
  19. Dass ein Mietwagenunternehmen dem Geschädigten nur einen Tarif angeboten hat,
  20. reicht grundsätzlich nicht für die Annahme aus, dem Geschädigten sei kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen.
  21. BGH, Versäumnisurteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 161/05 - LG Nürnberg-Fürth
  22. AG Nürnberg
  23. -2-
  24. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 13. Juni 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
  26. Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer
  29. des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20. Juli 2005 aufgehoben.
  30. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  31. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. 1
  35. Der Kläger macht restliche Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall
  36. vom 5. Juni 2004 geltend. Die volle Haftung des Beklagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit.
  37. 2
  38. Der Kläger mietete im Zeitraum vom 21. Juni bis 25. Juni 2004 ein Ersatzfahrzeug an, für welches ihm 1.595 € in Rechnung gestellt wurden. Er verlangte vom Beklagten die Erstattung von Mietwagenkosten in Höhe von brutto
  39. 1.465,37 € (Pauschalmiete 1.225 € abzüglich 36,75 € = 3% Eigenersparnis zuzüglich 75 € = 50% Haftungsbefreiung zuzüglich 16% Mehrwertsteuer). Hierauf
  40. -3-
  41. zahlte der Haftpflichtversicherer des Beklagten 743,50 €. Den Differenzbetrag
  42. von 721,87 € macht der Kläger nunmehr geltend.
  43. 3
  44. Das Amtsgericht hat den Kläger antragsgemäß verurteilt. Die Berufung
  45. des Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt jener seinen Klageabweisungsantrag weiter.
  46. Entscheidungsgründe:
  47. 4
  48. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen
  49. Revisionsverhandlung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil
  50. indessen nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (vgl.
  51. BGHZ 37, 79, 81 f.).
  52. I.
  53. 5
  54. Nach Auffassung des Berufungsgerichts findet zwar die neuere Rechtsprechung des erkennenden Senats zum "Unfallersatztarif" auch auf das Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger Anwendung. Auf die Erforderlichkeit
  55. des Tarifes komme es jedoch nicht an, weil der Geschädigte zur Überzeugung
  56. des Gerichts dargelegt und unter Beweis gestellt habe, dass ihm ein wesentlich
  57. günstigerer "Normaltarif" nicht ohne weiteres zugänglich gewesen sei.
  58. 6
  59. Die Vermieterfirma habe nur über einen einzigen Tarif verfügt. Zumindest
  60. wäre dem Kläger kein anderer Tarif genannt worden, so dass sich die klägerseits unterlassene Nachfrage nach weiteren Tarifen im Ergebnis nicht ausge-
  61. -4-
  62. wirkt habe. Zudem sei dem Kläger unstreitig eine Preisliste mit dem in Anspruch
  63. genommenen Tarif vorgelegt worden. Auch dies spreche dafür, dass dem Kläger ein anderer Tarif nicht zugänglich gewesen sei. Genauso wie bei Preisschildern auf Waren im Supermarkt oder der Treibstoffpreisanzeige bei Tankstellen gehe der Durchschnittsbürger nicht davon aus, an diesen extra ausgezeichneten Preisen noch etwas "drücken" zu können.
  64. II.
  65. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
  66. 7
  67. stand.
  68. 8
  69. 1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl.
  70. Senatsurteile BGHZ 160, 377, 383 f.; 163, 19, 22 f.; vom 26. Oktober 2004
  71. - VI ZR 300/03 - VersR 2005, 241, 242; vom 15. Februar 2005 - VI ZR 160/04 VersR 2005, 569 und - VI ZR 74/04 - VersR 2005, 568; vom 5. Juli 2005
  72. - VI ZR 173/04 - VersR 2005, 1256, 1257; vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 VersR 2006, 133; vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 - VersR 2006, 669, 670
  73. und - VI ZR 32/05 - VersR 2006, 564, 565; vom 4. April 2006 - VI ZR 338/04 und vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 -, jeweils z.V.b.) kann der Geschädigte
  74. vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten
  75. verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in
  76. der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der
  77. Geschädigte ist dabei ebenso wie bei anderen Kosten der Wiederherstellung
  78. und ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeseitigung selbst
  79. in die Hand nimmt, nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen
  80. des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der
  81. -5-
  82. Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für
  83. Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren
  84. Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den
  85. günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung,
  86. weil er ein Kraftfahrzeug zum Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem
  87. "Normaltarif" teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht
  88. auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit
  89. der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen
  90. durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen und ähnliches) einen gegenüber dem "Normaltarif" höheren Preis bei Unternehmen dieser Art aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters
  91. beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolge dessen
  92. zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind.
  93. 9
  94. Inwieweit dies der Fall ist, hat grundsätzlich der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Tatrichter - gegebenenfalls
  95. nach Beratung durch einen Sachverständigen - zu schätzen (vgl. Senatsurteile
  96. BGHZ 163, 19, 23; vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 - und - VI ZR 32/05 -,
  97. jeweils aaO; vom 4. April 2006 - VI ZR 338/04 - z.V.b.). Dabei kommt - worauf
  98. der Senat bereits mehrmals hingewiesen hat - unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den Normaltarif in Betracht. Auch ist es nicht erforderlich,
  99. die Kalkulation des konkreten Unternehmens nachzuvollziehen. Vielmehr hat
  100. sich die Prüfung darauf zu beschränken, ob spezifische Leistungen bei der
  101. Vermietung an Unfallgeschädigte bei Unternehmen dieser Art den Mehrpreis
  102. rechtfertigen (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - VersR
  103. 2006, 133; vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 - aaO und vom 4. April 2006
  104. - VI ZR 338/04 -).
  105. -6-
  106. 10
  107. Da das Berufungsgericht im Streitfall die Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs offen gelassen hat, ist zu Gunsten des Beklagten revisionsrechtlich zu
  108. unterstellen, dass der "Unfallersatztarif" auch mit Rücksicht auf die Unfallsituation nicht im geltend gemachten Umfang im Sinne des § 249 BGB zur Herstellung "erforderlich" war.
  109. 11
  110. 2. Über das objektiv erforderliche Maß hinaus kann der Geschädigte im
  111. Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung den übersteigenden Betrag nur ersetzt verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls
  112. beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und
  113. Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten
  114. unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich
  115. relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage - kein wesentlich günstigerer
  116. "(Normal-)Tarif" zugänglich war (vgl. Senatsurteile BGHZ 160, 377, 384; BGHZ
  117. 163, 19, 24 f.; vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 - aaO, 671; vom 4. April
  118. 2006 - VI ZR 338/04 - und vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 -, jeweils z.V.b.).
  119. Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der Schadensminderungspflicht im
  120. Sinne des § 254 BGB, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung, für die der
  121. Kläger die Beweislast trägt.
  122. 12
  123. a) Für die Frage der Zugänglichkeit ist auf die konkreten Umstände des
  124. Einzelfalles abzustellen. Nach den vom erkennenden Senat entwickelten
  125. Grundsätzen (vgl. Urteile BGHZ 163, 19, 24 f.; vom 14. Februar 2006
  126. - VI ZR 126/05 - aaO; vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - aaO; vom 9. Mai
  127. 2006 - VI ZR 117/05 - z.V.b.) kommt es insbesondere auf die Frage der Erkennbarkeit der Tarifunterschiede für den Geschädigten darauf an, ob ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter unter dem Aspekt des
  128. Wirtschaftlichkeitsgebots zu einer Nachfrage nach einem günstigeren Tarif
  129. gehalten gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn er Bedenken gegen die Ange-
  130. -7-
  131. messenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben muss, die sich insbesondere aus dessen Höhe ergeben können. Dabei kann es je nach Lage des
  132. Einzelfalls auch erforderlich sein, sich nach anderen Tarifen zu erkundigen und
  133. gegebenenfalls ein oder zwei Konkurrenzangebote einzuholen. In diesem Zusammenhang kann es auch eine Rolle spielen, wie schnell der Geschädigte ein
  134. Ersatzfahrzeug benötigt. Allein das allgemeine Vertrauen darauf, der ihm vom
  135. Autovermieter angebotene Tarif sei "auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnitten", rechtfertigt es dagegen nicht, zu Lasten des Schädigers und seines
  136. Haftpflichtversicherers ungerechtfertigt überhöhte und nicht durch unfallbedingte Mehrleistungen des Vermieters gedeckte Unfallersatztarife zu akzeptieren.
  137. 13
  138. b) Hier sind keine Umstände aufgezeigt, aus denen hervorgeht, dass
  139. dem Kläger kein günstigerer Tarif zugänglich war. Entgegen der Auffassung
  140. des Berufungsgerichts reicht dafür nicht aus, dass die Vermieterfirma nur über
  141. einen einzigen Tarif verfügte und dem Kläger eine Preisliste vorlegte, aus der
  142. sich der in Anspruch genommene Tarif ergab. In Anbetracht des Umstandes,
  143. dass der angebotene Tarif erheblich über den in der sogenannten "SchwackeListe" aufgezeigten Tarifen lag und auffällig hoch war, hätte es für den Kläger
  144. unter den Umständen des Streitfalls nahe gelegen, sich nach anderen Tarifen
  145. zu erkundigen. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - zwischen dem Unfall
  146. und der Anmietung des Ersatzfahrzeugs ein Zeitraum von ca. zwei Wochen
  147. liegt und auch keine Anhaltspunkte für eine besondere Eilbedürftigkeit der Anmietung vorliegen, die gegen eine Erkundigungspflicht bezüglich günstigerer
  148. Tarife bzw. Anbieter sprechen könnten (vgl. hierzu Senatsurteile BGHZ 163, 19,
  149. 26; vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - VersR 2006, 133, 134; vom 4. April
  150. 2006 - VI ZR 338/04 - und vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 -, jeweils z.V.b.).
  151. Unter diesen Umständen reicht allein der Hinweis darauf, dass der konkrete
  152. Vermieter keinen anderen Tarif angeboten hat, nicht aus, um anzunehmen,
  153. -8-
  154. dass dem Kläger ein wesentlich günstigerer "Normaltarif" nicht ohne weiteres
  155. zugänglich war.
  156. III.
  157. 14
  158. Deshalb wird das Berufungsgericht unter Beachtung der vom Senat entwickelten Grundsätze zu prüfen haben, ob der geltend gemachte "Unfallersatztarif" nach seiner Struktur als "erforderlicher" Aufwand zur Schadensbeseitigung
  159. angesehen werden kann. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die
  160. Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  161. Müller
  162. Greiner
  163. Pauge
  164. Wellner
  165. Stöhr
  166. Vorinstanzen:
  167. AG Nürnberg, Entscheidung vom 24.03.2005 - 34 C 9948/04 LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 20.07.2005 - 8 S 3757/05 -