You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

231 lines
13 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 111/09
  5. Verkündet am:
  6. 13. Juli 2010
  7. Holmes,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. EGZPO § 15a; BadWürttSchlG § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
  19. Wird der im Mahnverfahren nur gegen den KFZ-Haftpflichtversicherer geltend
  20. gemachte Anspruch mit der Anspruchsbegründung im Klageverfahren auf den
  21. Versicherungsnehmer erweitert, ist die gegen diesen erhobene Klage als unzulässig abzuweisen, wenn vor der Parteierweiterung das grundsätzlich erforderliche Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden ist.
  22. BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 - VI ZR 111/09 - LG Karlsruhe
  23. AG Karlsruhe
  24. - 2 -
  25. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach
  26. Schriftsatzfrist bis zum 24. Juni 2010 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die
  27. Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr
  28. für Recht erkannt:
  29. Die Revision gegen das Urteil der IX. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 28. November 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
  30. Von Rechts wegen
  31. Tatbestand:
  32. 1
  33. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, weil
  34. die Beklagte zu 2 mit ihrem bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten PKW
  35. am 14. August 2007 beim Einparken den ordnungsgemäß geparkten PKW des
  36. Klägers beschädigt habe.
  37. 2
  38. Der Kläger hat am 15. Oktober 2007 gegen die Beklagte zu 1 den Erlass
  39. eines Mahnbescheids über 387,30 € nebst Zinsen beantragt, der antragsgemäß
  40. erlassen worden ist. In der Anspruchsbegründung vom 13. Dezember 2007 hat
  41. der Kläger die Klage gegen die Beklagte zu 2 erweitert, ohne vorher ein
  42. Schlichtungsverfahren durchzuführen.
  43. - 3 -
  44. Das Amtsgericht hat die Klage gegen die Beklagte zu 2 durch Teilurteil
  45. 3
  46. als unzulässig abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Berufungsgericht
  47. hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der
  48. vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt dieser die Zurückverweisung an das Amtsgericht.
  49. Entscheidungsgründe:
  50. I.
  51. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage gegen die Beklagte
  52. 4
  53. zu 2 unzulässig, weil vor Erhebung der Klage weder ein Streitschlichtungsverfahren zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2 stattgefunden habe noch
  54. ein Mahnverfahren vorausgegangen sei (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 5,
  55. Abs. 3
  56. des
  57. baden-württembergischen
  58. Gesetzes
  59. zur
  60. obligatorischen
  61. außergerichtlichen Streitschlichtung vom 28. Juni 2000 - SchlG BW, GBl. 2000,
  62. 470).
  63. 5
  64. Die Durchführung der Streitschlichtung sei nicht deshalb entbehrlich, weil
  65. der Kläger zunächst ein Mahnverfahren gegen die mit der Beklagten zu 2 gesamtschuldnerisch haftende Beklagte zu 1 durchgeführt und die Klage gegen
  66. die Beklagte zu 2 erst mit der Anspruchsbegründung im Wege der Klageerweiterung erhoben habe. Bei der vorliegenden einfachen Streitgenossenschaft
  67. müssten die Prozessvoraussetzungen jeweils gegenüber jedem Streitgenossen
  68. vorliegen. Dies sei bei der Beklagten zu 2 wegen der nicht durchgeführten obligatorischen Streitschlichtung nicht der Fall.
  69. 6
  70. Es bestehe keine Veranlassung, die im Rahmen eines Verkehrsunfalls
  71. haftenden Parteien prozessual abweichend von anderen gesamtschuldnerisch
  72. - 4 -
  73. haftenden Parteien zu behandeln. Weder der Gesichtspunkt der Regulierungsbefugnis der Beklagten zu 1 und deren Befugnis zur Prozessführung vor den
  74. Gerichten noch der Umstand, dass die Beklagte zu 2 nicht befugt sei, im Verhältnis gegenüber dem Haftpflichtversicherer eigene Regulierungstätigkeiten
  75. vorzunehmen oder für diesen rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben, rechtfertige eine abweichende Bewertung. Gerade bei kleineren Blechschäden sei
  76. eine Einigung allein mit dem in Anspruch genommenen Halter nicht von vornherein aussichtslos.
  77. II.
  78. 7
  79. Die dagegen gerichtete Revision ist unbegründet. Die Klage ist zu Recht
  80. als unzulässig abgewiesen worden, weil vor der Parteierweiterung auf die Beklagte zu 2 nicht das nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW erforderliche
  81. Schlichtungsverfahren durchgeführt worden ist. Der Senat kann die Anwendung
  82. dieser Vorschrift durch die Vorinstanzen gemäß § 545 Abs. 1 ZPO überprüfen.
  83. 8
  84. 1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW ist die Erhebung der Klage vor
  85. den Amtsgerichten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten in vermögensrechtlichen
  86. Streitigkeiten über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert bei
  87. Einreichung der Klage 750 € nicht übersteigt, grundsätzlich erst zulässig, nachdem versucht worden ist, die Streitigkeit in einem Schlichtungsverfahren einvernehmlich beizulegen. Ein solcher Versuch ist nicht erfolgt. Die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 Nr. 5 SchlG BW liegt im Verhältnis zur Beklagten zu 2
  88. nicht vor, weil ihr gegenüber der Anspruch im Mahnverfahren nicht geltend gemacht worden ist. Auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 SchlG BW sind
  89. erfüllt, weil alle Parteien im Zeitpunkt des Eingangs der Klagebegründung ihren
  90. - 5 -
  91. Wohnsitz, ihren Sitz oder ihre Niederlassung in demselben Landgerichtsbezirk
  92. hatten.
  93. 9
  94. 2. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats muss, wenn
  95. durch Landesrecht ein obligatorisches Güteverfahren vorgeschrieben ist, der
  96. Einigungsversuch der Klageerhebung vorausgehen, so dass eine ohne den Einigungsversuch erhobene Klage als unzulässig abzuweisen ist (Senatsurteile
  97. BGHZ 161, 145, 148 f.; vom 7. Juli 2009 - VI ZR 278/08 - VersR 2009, 1383
  98. Rn. 7). Die Zielsetzung der Öffnungsklausel des § 15a EGZPO, angesichts des
  99. ständig steigenden Geschäftsanfalls bei den Gerichten Institutionen zu fördern,
  100. die im Vorfeld der Gerichte Konflikte beilegen, und neben der Entlastung der
  101. Justiz durch eine Inanspruchnahme von Schlichtungsstellen Konflikte rascher
  102. und kostengünstiger zu bereinigen, kann nur erreicht werden, wenn die Verfahrensvorschrift des § 15a EGZPO konsequent derart ausgelegt wird, dass die
  103. Rechtsuchenden und die Anwaltschaft in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssen (Senatsurteile BGHZ 161, 145, 149 f.; vom
  104. 7. Juli 2009 - VI ZR 278/08 - aaO). Im Hinblick darauf hat der Senat entschieden, dass die Schlichtungsbedürftigkeit eines Klageantrags nicht deshalb entfällt, weil er im Wege der objektiven Klagehäufung mit einem nicht schlichtungsbedürftigen Antrag verbunden wird. Ansonsten bestünde eine Möglichkeit
  105. zur einfachen Umgehung des Einigungsversuchs, die der Zielsetzung des Gesetzgebers widerspräche, durch die Inanspruchnahme von Schlichtungsstellen
  106. die Gerichte zu entlasten und Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen (vgl. Senatsurteil vom 7. Juli 2009 - VI ZR 278/08 - aaO, Rn. 10 ff.).
  107. 10
  108. 3. Diese Überlegungen sind auch bei der Frage maßgebend, ob das
  109. Schlichtungserfordernis entfällt, wenn der im Mahnverfahren im Wege des Direktanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer geltend gemachte Anspruch mit
  110. - 6 -
  111. der Anspruchsbegründung im Klageverfahren auf den Versicherungsnehmer
  112. erweitert wird. Eine solche subjektive Klagehäufung ist nicht anders zu behandeln als der bereits entschiedene Fall der objektiven Klagehäufung.
  113. 11
  114. a) Werden der Direktanspruch gegen den Versicherer und der Haftpflichtanspruch gegen den Versicherungsnehmer nicht in getrennten, nacheinander geführten Prozessen geltend gemacht, sondern - wie im Streitfall - Versicherer und Schädiger gemeinsam im selben Rechtsstreit in Anspruch genommen, liegt zwischen ihnen gemäß §§ 59, 60 ZPO eine einfache Streitgenossenschaft vor (vgl. BGHZ 63, 51, 53 ff.; Senatsurteil vom 15. Januar 2008 - VI ZR
  115. 131/07 - VersR 2008, 485 Rn. 6; MünchKommZPO/Schultes, 3. Aufl., § 59
  116. Rn. 9; PG/Gehrlein, ZPO, 2. Aufl., §§ 59, 60 Rn. 6; Zöller/Vollkommer, ZPO,
  117. 28. Aufl., § 60 Rn. 5, § 62 Rn. 8a). In diesen Fällen der subjektiven Klagehäufung werden die mehreren Verfahren nur äußerlich verbunden und es besteht
  118. zu jedem Streitgenossen ein gesondertes Prozessrechtsverhältnis. Es gilt der
  119. Grundsatz, dass die Prozessvoraussetzungen für jeden einzelnen Antrag gesondert zu prüfen sind. Liegen diese bezüglich eines der Streitgenossen nicht
  120. vor, so ist die Klage insoweit - ggf. wie hier durch Teilurteil - grundsätzlich als
  121. unzulässig abzuweisen (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 221/07 VersR 2009, 1288 Rn. 15; BGH, Urteil vom 26. Mai 1994 - IX ZR 39/93 - NJW
  122. 1994, 3102, 3103; MünchKommZPO/Schultes, aaO, Rn. 11, 22; PG/Gehrlein,
  123. aaO, Rn. 13; Zöller/Vollkommer, aaO, § 60 Rn. 9). Demgemäß muss die besondere Prozessvoraussetzung eines obligatorischen Streitschlichtungsverfahrens, das vor Erhebung der Klage gegen den Streitgenossen - hier gegen die
  124. Beklagte zu 2 mit Zustellung der Anspruchsbegründung - durchgeführt werden
  125. muss, hinsichtlich des einzelnen Streitgenossen vorliegen. Soweit der Bundesgerichtshof in Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO die Durchführung eines weiteren Einigungsversuchs für den nachträglich erweiterten oder beschränkten Anspruch
  126. als grundsätzlich entbehrlich angesehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober
  127. - 7 -
  128. 2004 - V ZR 47/04 - NJW-RR 2005, 501, 503), ist schon deswegen keine vergleichbare Situation gegeben, weil im damaligen Fall vor Klageerhebung ein
  129. Streitschlichtungsversuch erfolgte.
  130. 12
  131. b) Das vor Klageerhebung durchzuführende Schlichtungsverfahren war
  132. entgegen der Auffassung der Revision nicht deshalb entbehrlich, weil der Versicherungsnehmer nach § 7 Abs. 2 Nr. 5 AKB im Falle eines Rechtsstreits dessen Führung dem Versicherer zu überlassen und dem Rechtsanwalt, den der
  133. Versicherer bestellt, Vollmacht zu erteilen hat. Diese Vorschrift regelt mit der
  134. Übertragung der Prozessführungsmacht lediglich das Innenverhältnis zwischen
  135. Versicherungsnehmer und Versicherer (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Januar
  136. 2004 - VI ZB 76/03 - VersR 2004, 622, 623; vom 19. Januar 2010 - VI ZB
  137. 36/08 - VersR 2010 Rn. 5; Feyock/Jacobsen/Lemor-Jacobsen, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl., § 7 AKB Rn. 118; Stiefel/Hoffmann, Kraftfahrtversicherung,
  138. 17. Aufl., § 7 AKB Rn. 193 m.w.N.). Zudem ist der maßgebliche Zeitpunkt für
  139. die Erfüllung der Obliegenheit, dem Versicherer die Prozessführung zu überlassen, regelmäßig die Zustellung der entsprechenden gerichtlichen Schriftstücke
  140. an den Versicherungsnehmer seitens des Gerichts, mit der erst im Sinne der
  141. Zivilprozessordnung die Rechtshängigkeit eintritt und somit von einem Rechtsstreit gesprochen werden kann (vgl. Feyock/Jacobsen/Lemor-Jacobsen, Kraftfahrtversicherung, aaO Rn. 120; Stiefel/Hoffmann, aaO). Im Streitfall ist eine
  142. solche Zustellung an die Beklagte zu 2 und Begründung des Prozessrechtsverhältnisses ihr gegenüber erst mit der Zustellung der Anspruchsbegründung
  143. nach dem vorher nur gegen die Beklagte zu 2 erlassenen Mahnbescheid erfolgt. Aus diesen Gründen steht § 7 Abs. 2 Nr. 5 AKB der Durchführung eines
  144. Streitschlichtungsverfahrens vor Erhebung der Klage gegen den Versicherungsnehmer nicht entgegen. Insoweit weist das Berufungsgericht auch zu
  145. Recht darauf hin, dass gerade bei dem hier vorliegenden niedrigen Streitwert
  146. eine Einigung allein mit dem in Anspruch genommenen Halter nicht von vorn-
  147. - 8 -
  148. herein aussichtslos ist, weil dieser im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens
  149. durchaus auch ohne Zustimmung des Versicherers zu einer gütlichen Einigung
  150. bereit sein kann, um durch eigene Regulierung das Risiko einer Prämienrückstufung zu vermeiden (vgl. auch LG Bielefeld, Urteil vom 17. April 2007 - 20 S
  151. 7/07 -, juris Rn. 15, 44). Im Schlichtungsverfahren können Tatsachen berücksichtigt werden, die für eine einverständliche Lösung des Konflikts der Parteien
  152. von wesentlicher oder ausschlaggebender Bedeutung sein können, im nachfolgenden Prozess jedoch rechtlich irrelevant sind. In dem Verfahren tritt den Parteien der Schlichter als neutrale Person gegenüber, der sich um eine Einigung
  153. bemüht und - insbesondere, wenn auch der Geschädigte etwas nachgibt - eine
  154. Einigung erreichen kann. Ob von Seiten der Beklagten das Schlichtungsverfahren als aussichtslos erscheint, ist insoweit ohne Bedeutung (vgl. BVerfG
  155. NJW-RR 2007, 1073, 1074 f.).
  156. 13
  157. 4. Nach den vorstehenden Ausführungen wurde die Klage zu Recht als
  158. unzulässig abgewiesen, weil der mit der Anspruchsbegründung erfolgten Klageerhebung gegenüber der Beklagten zu 2 nicht das nach § 1 Abs. 1 Satz 1
  159. Nr. 1, Abs. 3 SchlG BW erforderliche Schlichtungsverfahren vorausgegangen
  160. ist. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens weist der Senat den Kläger vorsorglich
  161. auf die nach § 3 Nr. 8 PflVersG a.F., § 124 Abs. 1 VVG eintretende Rechtskrafterstreckung eines möglicherweise zwischenzeitlich im Prozess gegen die
  162. - 9 -
  163. Beklagte zu 1 ergangenen klageabweisenden Urteils hin (vgl. Senatsurteil vom
  164. 15. Januar 2008 - VI ZR 131/07 - VersR 2008, 485 Rn. 6 f. m.w.N.).
  165. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
  166. 14
  167. Galke
  168. Zoll
  169. Diederichsen
  170. Wellner
  171. Stöhr
  172. Vorinstanzen:
  173. AG Karlsruhe, Entscheidung vom 29.05.2008 - 7 C 486/07 LG Karlsruhe, Entscheidung vom 28.11.2008 - 9 S 267/08 -