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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 46/12
  4. vom
  5. 21. Juni 2012
  6. in der Abschiebungshaftsache
  7. - 2 -
  8. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und
  9. Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
  10. beschlossen:
  11. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass
  12. der Beschluss des Amtsgerichts Pirmasens vom 13. Februar 2012
  13. und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 17. Februar 2012 ihn in seinen Rechten verletzt haben.
  14. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen
  15. werden dem Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge auferlegt.
  16. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  17. 3.000 €.
  18. Gründe:
  19. I.
  20. 1
  21. Der Betroffene, ein chinesischer Staatsangehöriger, reiste 2001 ohne
  22. Pass und Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde
  23. bestandskräftig abgelehnt. Am 7. Oktober 2010 stellte die Volksrepublik China
  24. ihm ein für die Dauer von zwei Jahren gültiges Reisedokument aus. Eine für
  25. den 1. November 2010 geplante Abschiebung scheiterte, da der Betroffene un-
  26. - 3 -
  27. tergetaucht war. Im Januar 2012 wurde er von der Polizei aufgegriffen und aufgrund gesundheitlicher Beschwerden ins Krankenhaus verbracht; dort hielt er
  28. sich bis zum 10. Februar 2012 auf. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das
  29. Amtsgericht mit Beschluss vom 13. Februar 2012 Abschiebungshaft bis zum
  30. 10. April 2012 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Am 21. März 2012 ist der Betroffene in die Volksrepublik China abgeschoben worden. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er die
  31. Feststellung, dass er durch die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung in
  32. seinen Rechten verletzt worden ist.
  33. II.
  34. 2
  35. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts liegen die Haftgründe nach
  36. § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 5 AufenthG vor. Die Dauer der angeordneten Haft
  37. berücksichtige, dass die Abschiebung des Betroffenen aufgrund von medizinischen Gründen möglicherweise nicht sofort möglich sei. Es handle sich aber
  38. um einen minimal-invasiven Eingriff mit geringer Belastung und geringer Behandlungsdauer, so dass eine Abschiebung innerhalb der vorgesehenen Frist
  39. erfolgen könne.
  40. III.
  41. 3
  42. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
  43. 4
  44. Sowohl die Entscheidung des Amtsgerichts als auch die des Beschwerdegerichts haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Die Anordnung
  45. der Sicherungshaft und die Beschwerdeentscheidung waren rechtswidrig, weil
  46. es an einem zulässigen Haftantrag und damit an der nach § 417 Abs. 1 FamFG
  47. unverzichtbaren Grundlage für die Freiheitsentziehung fehlt.
  48. - 4 -
  49. 5
  50. 1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des
  51. Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist
  52. der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der
  53. zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der
  54. Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der
  55. notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, Rn. 12 mwN, juris; Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 mwN).
  56. 6
  57. 2. Diesen gesetzlichen Anforderungen an die Begründung genügt der
  58. Haftantrag nicht. Entgegen § 417 Abs. 2 Nr. 4 und 5 FamFG fehlen jegliche
  59. Ausführungen zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und der Erforderlichkeit
  60. der beantragten Haftdauer von zwei Monaten. Anzugeben ist, ob und innerhalb
  61. welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und
  62. eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen
  63. Bedingungen durchlaufen werden können (Senat, Beschluss vom 27. Oktober
  64. 2011 - V ZB 311/10, Rn. 13 f., juris).
  65. 7
  66. 3. Den Mangel des Haftantrages hat die beteiligte Behörde, was für die
  67. Zukunft möglich gewesen wäre (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317), nicht nachträglich behoben. Zwar
  68. hat sie anlässlich der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren vorgetragen, dass zur tatsächlichen Durchführung der Abschiebung
  69. lediglich ein Flugticket erforderlich sei. Warum die Beschaffung eines Flugtickets für den Betroffenen, der über ein gültiges Reisedokument verfügte, einen
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  71. Zeitraum von zwei Monaten in Anspruch nehmen soll, hat sie aber nicht erläutert.
  72. 8
  73. Soweit die Vertreterin der Behörde auf eine in vier Wochen anstehende
  74. Operation des Betroffenen hingewiesen hat, die ihrer Auskunft zufolge auch in
  75. jedem kleineren Krankenhaus in China durchgeführt werden könne, ist nicht
  76. nachvollziehbar, ob und inwieweit dies mit der Durchführbarkeit der Abschiebung im Zusammenhang steht.
  77. IV.
  78. 9
  79. Die
  80. Kostenentscheidung
  81. beruht
  82. auf
  83. § 83
  84. Abs. 2,
  85. § 81
  86. Abs. 1,
  87. § 430 FamFG. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK
  88. entspricht es billigem Ermessen, den Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge zur
  89. Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010
  90. - 6 -
  91. - V ZB 28/10 Rn. 18, juris). Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus
  92. § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
  93. Krüger
  94. Schmidt-Räntsch
  95. Brückner
  96. Roth
  97. Weinland
  98. Vorinstanzen:
  99. AG Pirmasens, Entscheidung vom 13.02.2012 - 1 XIV 11/12 B LG Zweibrücken, Entscheidung vom 17.02.2012 - 4 T 18/12 -