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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 122/12
  4. vom
  5. 21. März 2013
  6. in der Abschiebungshaftsache
  7. -2-
  8. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. März 2013 durch die
  9. Richter Dr. Lemke, Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Czub, die Richterin
  10. Dr. Brückner und den Richter Dr. Kazele
  11. beschlossen:
  12. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass
  13. der Beschluss des Landgerichts Schweinfurt - 4. Zivilkammer vom 8. Juni 2012 und der Beschluss des Amtsgerichts Schweinfurt vom 29. März 2012 die Betroffene in ihren Rechten verletzt
  14. haben.
  15. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
  16. zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
  17. der Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Schweinfurt
  18. auferlegt.
  19. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  20. 3.000 €.
  21. Gründe:
  22. I.
  23. 1
  24. Die Betroffene, eine vietnamesische Staatsangehörige, reiste nach
  25. Deutschland ein. Sie besaß weder Ausweisdokumente noch einen Aufenthaltstitel.
  26. - 3 -
  27. 2
  28. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss
  29. vom 29. März 2012 gegen die Betroffene mit sofortiger Wirkung Sicherungshaft
  30. zum Zweck der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten angeordnet.
  31. 3
  32. Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat
  33. das Landgericht mit Beschluss vom 8. Juni 2012 zurückgewiesen. Nachdem die
  34. Betroffene am 10. Juli 2012 nach Vietnam abgeschoben worden ist, will sie mit
  35. der Rechtsbeschwerde die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des
  36. Amts- und des Landgerichts sie in ihren Rechten verletzt haben.
  37. II.
  38. 4
  39. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen
  40. für eine Sicherungshaft vor. Der ursprüngliche Mangel des Haftantrags sei im
  41. Laufe des Beschwerdeverfahrens behoben worden.
  42. III.
  43. 5
  44. Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG - ohne Zulassung und
  45. nach Erledigung - statthafte (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010
  46. - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726) und auch im Übrigen nach § 71 FamFG zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
  47. 6
  48. 1. Die Haftanordnung hat die Betroffene schon deshalb in ihren Rechten
  49. verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte. Das Vorliegen eines
  50. zulässigen Haftantrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage
  51. des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen; zulässig ist der Haftantrag der be-
  52. - 4 -
  53. teiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011
  54. - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 8).
  55. 7
  56. a) Der Haftantrag genügte den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung nicht, weil darin nicht alle in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genannten
  57. Punkte, wenn auch knapp, behandelt wurden (siehe eingehend Senat, Beschluss vom 15. September 2011 – V ZB 123/11, aaO Rn. 9).
  58. 8
  59. b) Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung sind auf das Land
  60. bezogene Ausführungen erforderlich, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in
  61. das betreffende Land üblicherweise möglich sind (Senat, Beschluss vom
  62. 27. Oktober 2011 – V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13). Notwendig sind
  63. konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen
  64. werden können (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 – V ZB 311/10, aaO
  65. Rn. 14). Soweit mit dem Zielstaat ein Rückübernahmeabkommen besteht (hier
  66. das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam vom 21. Juli 1995, BGBl. II 743), sind die danach
  67. durchzuführenden Maßnahmen in dem Haftantrag darzustellen (Senat, Beschluss vom 14. Februar 2012 – V ZB 4/12, juris Rn. 3). Derartige Angaben
  68. fehlten hier. Das Rückübernahmeabkommen erwähnte die beteiligte Behörde
  69. nicht. Der Haftantrag enthielt auch zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorbereitungsdauer für eine Abschiebung nach Vietnam keine konkreten Angaben.
  70. Die beteiligte Behörde hat die beantragte Haftdauer mit innerdienstlichen Vorbereitungen für die Abschiebung begründet und lediglich die voraussichtlichen
  71. - 5 -
  72. Verfahrensschritte - Identitätsprüfung und gegebenenfalls Vorführung bei der
  73. Botschaft zur Erlangung von Heimreisepapieren, Flugbuchung - aufgezählt.
  74. Diese Ausführungen sind als im Wesentlichen universell einsetzbare Leerformeln, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung und deren Dauer im konkreten Fall nichts aussagen, nicht ausreichend.
  75. 9
  76. 2. Zwar hat die beteiligte Behörde im Laufe des Beschwerdeverfahrens
  77. nähere Angaben zum genauen zeitlichen Ablauf nachgeholt. Ob dies die Zulässigkeitsmängel des Antrags geheilt hat (was mit Wirkung für die Zukunft möglich wäre: Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11,
  78. FGPrax 2011, 318 Rn. 8), kann jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls war der
  79. Antrag unbegründet, so dass auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts
  80. die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat. Aus den Nachträgen ergab sich
  81. nämlich, dass die Abschiebung erst für den 10. Juli 2012 vorgesehen war, also
  82. nicht innerhalb der beantragten dreimonatigen Haftdauer durchgeführt werden
  83. konnte, die am 28. Juni 2012 ablief. Dass die Haft später - zeitlich nach der Beschwerdeentscheidung - in einem gesonderten Verfahren verlängert wurde, ist
  84. für die hier zu beurteilende Haftanordnung ohne Belang. Denn die Bestätigung
  85. der dreimonatigen Haftanordnung konnte zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht - wie es § 62 Abs. 3 AufenthG verlangt - unmittelbar die Abschiebung sichern, sondern diente der Festhaltung der Betroffenen bis zu der
  86. Entscheidung über den Verlängerungsantrag. Eine solche nur mittelbare Sicherung der Abschiebung sieht das Gesetz jedoch nicht vor.
  87. 10
  88. 3. Soweit mit der Rechtsbeschwerde darüber hinaus gerügt wird, dass
  89. die Art und Weise der Unterbringung der Betroffenen gegen das Trennungsgebot (§ 62a Abs. 1 AufenthG) verstoßen habe, bedarf es keiner Entscheidung,
  90. weil die Rechtsbeschwerde bereits aus den vorgenannten Gründen Erfolg hat.
  91. - 6 -
  92. IV.
  93. 11
  94. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
  95. FamFG, Art. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, die Festsetzung des
  96. Beschwerdewerts aus § 128c Abs. 2 KostO, § 30 Abs. 2 KostO.
  97. Lemke
  98. Schmidt-Räntsch
  99. Brückner
  100. Czub
  101. Kazele
  102. Vorinstanzen:
  103. AG Schweinfurt, Entscheidung vom 29.03.2012 - XIV 79/12 (B) LG Schweinfurt, Entscheidung vom 08.06.2012 - 41 T 63/12 -