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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 95/04
  5. Verkündet am:
  6. 1. Dezember 2005
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. InsO §§ 174, 178, 179
  18. Die Feststellung der titulierten Forderung zur Insolvenztabelle setzt die Vorlage des
  19. Originaltitels weder im Prüfungstermin noch im Feststellungsrechtsstreit voraus.
  20. BGH, Urt. v. 1. Dezember 2005 - IX ZR 95/04 - LG Berlin
  21. AG Charlottenburg
  22. -2-
  23. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 1. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter
  25. Raebel, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann
  26. für Recht erkannt:
  27. Die Revision gegen das Urteil der 52. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 1. April 2004 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  28. Von Rechts wegen
  29. Tatbestand:
  30. 1
  31. Die Parteien streiten über die Feststellung von Forderungen des Klägers
  32. zur Insolvenztabelle.
  33. 2
  34. Der Kläger ließ am 28. Februar 2000 seine Vergütung als Prozessbevollmächtigter des J.
  35. S.
  36. (i.F.: Schuldner) in Höhe von 197,74 DM
  37. (= 101,10 €) nebst Zinsen gerichtlich festsetzen und versuchte hieraus mehrfach vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners am 21. August 2002 zu vollstrecken. Er meldete die Forderung nebst Vollstreckungskosten von 197,10 € zur Tabelle an, wobei er - wie im folgenden
  38. Rechtsstreit - lediglich unbeglaubigte Fotokopien der vollstreckbaren Ausfertigung des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses und der Gebührenrechnungen
  39. beifügte. Die beklagte Insolvenzverwalterin bestritt im Prüfungsverfahren die
  40. -3-
  41. Forderungen, weil ihr der Vollstreckungstitel und die sonstigen Unterlagen nicht
  42. im Original vorlagen.
  43. 3
  44. Das Amtsgericht hat die angemeldeten Forderungen mit Ausnahme eines Teils der Zinsen zur Tabelle festgestellt. Die zugelassene Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte
  45. die vollständige Abweisung der Klage.
  46. Entscheidungsgründe:
  47. 4
  48. Die Revision ist unbegründet.
  49. I.
  50. 5
  51. Das Amtsgericht hat ausgeführt, die klägerischen Forderungen seien
  52. mangels substantiierten Bestreitens nicht beweisbedürftig gewesen. Aus den
  53. Vorschriften der Insolvenzordnung, insbesondere aus § 174 Abs. 1 Satz 2
  54. InsO, folge keine Verpflichtung zur Vorlage von Originalurkunden. Das Berufungsgericht hat sich auf diese Ausführungen berufen und ergänzt, ein Gläubiger solle zwar nach Beendigung des Insolvenzverfahrens keinen anderen Titel
  55. als die Tabelleneintragung in Händen haben. Deshalb sei nach § 178 Abs. 2
  56. Satz 3 InsO auf dem ursprünglichen Titel die Feststellung zur Tabelle zu vermerken. Wie das Insolvenzgericht dafür Sorge trage, dass der klägerische Titel
  57. diesen Vermerk erhalte, berühre jedoch den Feststellungsrechtsstreit nicht.
  58. -4-
  59. II.
  60. 6
  61. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
  62. 7
  63. 1. Der Inhalt des Berufungsurteils genügt entgegen der Auffassung der
  64. Revision noch den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Danach enthält
  65. das Urteil anstelle des Tatbestands die Bezugnahme auf die tatsächlichen
  66. Feststellungen des angefochtenen Urteils mit Darstellung etwaiger Änderungen
  67. oder Ergänzungen. Eine solche Verweisung erstreckt sich nicht auf den in zweiter Instanz gestellten Berufungsantrag. Wenn das Berufungsurteil auf die wörtliche Wiedergabe des Antrags verzichtet, muss es wenigstens erkennen lassen,
  68. was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (vgl. BGHZ 154,
  69. 99; 156, 216, 218; BGH, Urt. v. 11. März 2004 - IX ZR 178/03, WM 2004, 2216,
  70. 2217). Diesen Mindestanforderungen genügt das Berufungsurteil gerade noch.
  71. Aus den Ausführungen unter Ziffer II des Urteils wird hinreichend deutlich, dass
  72. die Beklagte die Aufhebung des Ersturteils und insgesamt die Abweisung der
  73. beantragten Feststellung zur Tabelle mangels Vorlage von Originalurkunden
  74. begehrt hat. Eine Unklarheit, ob die Beklagte das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang oder nur beschränkt angegriffen hat, besteht hier nicht. Auch neuer
  75. Sachvortrag ist von den Parteien in der Berufung nicht eingeführt worden, so
  76. dass insoweit die Bezugnahme auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils
  77. ausreichte.
  78. 8
  79. 2. Die Auffassung der Revision, die Feststellung der titulierten Forderung
  80. zur Insolvenztabelle setze notwendig die Vorlage des Originaltitels im Prüfungsverfahren oder im Feststellungsrechtsstreit voraus, findet weder in der Insolvenzordnung noch in der Zivilprozessordnung eine Stütze.
  81. -5-
  82. 9
  83. a) Nach § 174 Abs. 1 Satz 2 InsO sollen bei der schriftlichen Anmeldung
  84. die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, "in Abdruck" beigefügt werden. Dies soll dem Insolvenzverwalter und den übrigen Insolvenzgläubigern, die
  85. nach § 178 Abs. 1 InsO der Feststellung der Forderung zur Tabelle widersprechen können, eine Prüfung ermöglichen. Die Vorlage von Originalen verlangt
  86. das Gesetz in diesem Verfahrensstadium nicht. Selbst wenn der Anmeldung
  87. gar keine Belege beigefügt werden, berührt dies ihre Wirksamkeit nicht. Der
  88. Gläubiger muss bei einem solchen Vorgehen nur damit rechnen, dass der Insolvenzverwalter oder andere Insolvenzgläubiger die Forderung bestreiten (vgl.
  89. MünchKomm-InsO/Nowak, § 174 Rn. 23; Braun/Kießner, InsO 2. Aufl. § 174
  90. Rn. 21 f; Smid, InsO 2. Aufl. § 174 Rn. 8 f; Kübler/Prütting/Pape, InsO § 174
  91. Rn. 28; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 174 Rn. 20, Nerlich/Römermann/Becker,
  92. InsO § 174 Rn. 16 f).
  93. 10
  94. b) Nach § 178 Abs. 2 Satz 3 InsO ist auf Wechseln und sonstigen
  95. Schuldurkunden vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts die Feststellung der zugrunde liegenden Forderung zur Insolvenztabelle
  96. zu vermerken. Ein Teil der Literatur meint deshalb, dass der Gläubiger einer
  97. Forderung, für die ein Vollstreckungstitel existiert oder für die ein Wechsel oder
  98. eine sonstige Schuldurkunde ausgestellt ist, spätestens im Prüfungstermin die
  99. Originalurkunde einreichen muss (vgl. HK-InsO/Irschlinger § 178 Rn. 4a; FKInsO/Kießner § 174 Rn. 20; Merkle Rpfleger 2001, 157, 165). Diese Auffassung
  100. ist unrichtig. Legt ein Gläubiger keine Originalurkunden vor, muss die angemeldete Forderung dennoch vom Insolvenzgericht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 InsO
  101. zur Tabelle festgestellt werden, sofern kein anderer Insolvenzgläubiger oder der
  102. Insolvenzverwalter Widerspruch erhebt. § 178 Abs. 2 Satz 3 InsO ändert daran
  103. nichts. Die Vorschrift dient in erster Linie den Interessen des anmeldenden
  104. Gläubigers. Ebenso wie der vom Wortlaut identische frühere § 145 Abs. 1
  105. -6-
  106. Satz 2 KO soll sie ihm die Übertragung verbriefter Forderungen erleichtern (vgl.
  107. Motive zur Konkursordnung, S. 363; Jaeger/Weber, KO 8. Aufl. § 145 Rn. 2;
  108. Nerlich/Römermann/Becker, aaO § 178 Rn. 22). Der Zessionar hat aufgrund
  109. des Vermerks die Gewissheit, dass die Forderung nicht bestritten ist und an der
  110. Verteilung teilnimmt. Außerdem kann er unmittelbar aus der Urkunde ersehen,
  111. dass auf die Forderung nur die Quote bezahlt wird. Darüber hinaus soll § 178
  112. Abs. 2 Satz 3 InsO zwar auch vermeiden, dass ein Gläubiger, dem nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf seinen Antrag hin eine vollstreckbare Ausfertigung
  113. aus
  114. der
  115. Insolvenztabelle
  116. erteilt
  117. wird
  118. (§ 201
  119. Abs. 2
  120. Satz 3
  121. InsO), zugleich über weitere Urkunden verfügt, aus denen er wegen seiner im
  122. Verteilungsverfahren nicht befriedigten Forderung wieder die Einzelzwangsvollstreckung betreiben könnte (vgl. FK-InsO/Kießner, § 178 Rn. 15). Auch dieser
  123. Gesetzeszweck
  124. rechtfertigt
  125. es
  126. aber
  127. nicht,
  128. die
  129. Feststellung
  130. einer
  131. - unbestrittenen - Forderung von der Vorlage des Originaltitels abhängig zu machen. Eine Doppeltitulierung kann dadurch vermieden werden, dass das Insolvenzgericht, soweit der Feststellungsvermerk nicht bereits im Anschluss an den
  132. Prüfungstermin angebracht werden kann, die spätere Erteilung des vollstreckbaren Tabellenauszugs von der Vorlage der Originalurkunde zur Entwertung
  133. abhängig macht. Dies entspricht auch der Praxis eines Teils der Insolvenzgerichte (vgl. Kaiser/Crämer InVo 2001, 153, 154). Selbst wenn dies unterbleibt
  134. und der Gläubiger aus dem früheren Titel die Vollstreckung betreibt, obwohl
  135. über den deckungsgleichen Anspruch ein vollstreckbarer Tabellenauszug vorliegt, kann sich der Schuldner hiergegen noch mit dem jeweils statthaften
  136. Rechtsbehelf wehren (vgl. etwa MünchKomm-InsO/Hintzen, § 201 Rn. 38). Insolvenzrechtlich ist die Vorlage von Originalurkunden mithin keine zwingende
  137. Voraussetzung für die Feststellung zur Tabelle. Verweigert der Gläubiger die
  138. Vorlage des Originals, kann dies zwar einen Widerspruch des Insolvenzverwalters
  139. oder
  140. eines
  141. anderen
  142. Gläubigers
  143. provozieren
  144. (zutreffend
  145. Ner-
  146. -7-
  147. lich/Römermann/
  148. Becker, aaO § 174 Rn. 17). Allein unter Berufung auf § 178 Abs. 2 Satz 3 InsO
  149. kann der Widerspruch im nachfolgenden Feststellungsprozess nach § 180 InsO
  150. aus den genannten Gründen allerdings keinen Erfolg haben.
  151. 11
  152. c) Auch zivilprozessual ist die Feststellung einer titulierten Forderung zur
  153. Insolvenztabelle im Klageverfahren nach § 180 InsO nicht notwendig von der
  154. Vorlage des Originaltitels abhängig. Der Forderungsnachweis kann im Feststellungsrechtsstreit nicht nur im Wege des Urkundsbeweises, sondern mit sämtlichen nach der Zivilprozessordnung zulässigen Beweismitteln geführt werden.
  155. Nach den §§ 420, 435 ZPO genügt im Übrigen bei öffentlichen Urkunden, wozu
  156. Vollstreckungstitel gehören, die Vorlage einer öffentlich beglaubigten Abschrift,
  157. wenn nicht das Gericht aus besonderem Anlass die Vorlage der Urschrift anordnet.
  158. 12
  159. 3. Die Angriffe der Revision gegen die Annahme des Amtsgerichts, die
  160. streitgegenständlichen Forderungen seien mangels substantiierten Bestreitens
  161. zugestanden und deshalb nicht beweisbedürftig, bleiben ohne Erfolg.
  162. 13
  163. a) Die Vorinstanzen haben angenommen, dass der Kläger nach § 179
  164. Abs. 1 InsO die Betreibungslast zu tragen und dementsprechend im Feststellungsprozess auch den Bestand der bestrittenen Forderung zu beweisen hatte.
  165. Das entspricht der überwiegend vertretenen Rechtsauffassung, nach der die
  166. Betreibungslast gemäß § 179 Abs. 1 InsO stets bei dem Gläubiger liegt, wenn
  167. der Insolvenzverwalter einer vollstreckbaren Forderung mangels Vorlage des
  168. Originaltitels im Prüfungsverfahren widerspricht (vgl. MünchKomm-InsO/Schumacher § 179 Rn. 26; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht 6. Aufl. Rn. 1563;
  169. ebenso zur Konkursordnung RGZ 85, 64, 68; Kuhn/Uhlenbruck aaO § 146
  170. -8-
  171. Rn. 32; a.A. FK-InsO/Kießner aaO § 178 Rn. 16). Der Kläger ist dieser Last gerecht geworden.
  172. b) Die Vorinstanzen haben die Behauptung des Klägers, die streitgegen-
  173. 14
  174. ständlichen Forderungen stünden ihm zu, mit Recht nach § 138 Abs. 3 ZPO als
  175. zugestanden angesehen. Der Erhebung der angebotenen Beweise bedurfte es
  176. deshalb nicht.
  177. Macht der Insolvenzverwalter wegen der Nichtvorlage von Originalurkun-
  178. 15
  179. den im Prüfungsverfahren von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch, muss er
  180. sich im nachfolgenden Feststellungsrechtsstreit mit den geltend gemachten
  181. Forderungen des Klägers in der Sache auseinandersetzen. Für seine Einlassungsobliegenheit gelten die allgemeinen Grundsätze. Der über die Vorgänge
  182. nicht unterrichtete Insolvenzverwalter muss die Geschäftsunterlagen des
  183. Schuldners sichten und diesen notfalls befragen. Erst wenn seine Erkundigungen keinen Aufschluss erbracht haben, darf sich der Insolvenzverwalter unter
  184. Darlegung dieses Umstandes zu der Forderung gemäß § 138 Abs. 4 ZPO pauschal mit Nichtwissen erklären. Ansonsten muss er den Bestand der zur Tabelle
  185. eingeklagten Forderung konkret anhand der gewonnenen Erkenntnisse bestreiten.
  186. 16
  187. Die Beklagte ist den unter Vorlage von Fotokopien konkret bezeichneten
  188. Forderungen lediglich mit Hinweis auf das Fehlen der Originale von Titel und
  189. Belegen über die Vollstreckungskosten entgegengetreten. Damit hat sie den
  190. -9-
  191. Bestand der angemeldeten Forderungen nicht in rechtserheblicher Weise
  192. bestritten (§ 138 Abs. 2 ZPO).
  193. Dr. Fischer
  194. Raebel
  195. Cierniak
  196. Vill
  197. Lohmann
  198. Vorinstanzen:
  199. AG Charlottenburg, Entscheidung vom 01.10.2003 - 209 C 191/03 LG Berlin, Entscheidung vom 01.04.2004 - 52 S 308/03 -