You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

287 lines
12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 12/14
  5. Verkündet am:
  6. 25. Februar 2016
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. InsO § 129 Abs. 1, § 134 Abs. 1
  19. Erbringt eine von mehreren verbundenen Gesellschaften, denen die Bank eine gemeinschaftliche Kreditlinie eingeräumt hatte, eine Zahlung durch eine geduldete
  20. Überziehung ihres Kontos, benachteiligt dies ihre Gläubiger, auch wenn mit der Zahlung die Verbindlichkeit einer verbundenen Gesellschaft getilgt wird.
  21. BGH, Urteil vom 25. Februar 2016 - IX ZR 12/14 - OLG Frankfurt am Main
  22. LG Frankfurt am Main
  23. ECLI:DE:BGH:2016:250216UIXZR12.14.0
  24. -2-
  25. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 25. Februar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
  27. Richter Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, die Richterin Möhring und den Richter
  28. Dr. Schoppmeyer
  29. für Recht erkannt:
  30. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des
  31. Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Dezember 2013
  32. aufgehoben.
  33. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  34. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  35. Von Rechts wegen
  36. Tatbestand:
  37. 1
  38. Der Kläger ist Verwalter in dem auf einen Antrag vom 17. September
  39. 2010 am 27. Oktober 2010 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen
  40. der D.
  41. A.
  42. GmbH (fortan: Schuldnerin), einer Tochtergesellschaft der
  43. AG, über deren Vermögen am 29. November 2010 ebenfalls das Insol-
  44. venzverfahren eröffnet wurde. Die A.
  45. AG schuldete der Beklagten nach ei-
  46. nem am 25. November 2009 geschlossenen Vergleich 27.608 €. Am 23. Dezember 2009 überwies die Schuldnerin diesen Betrag von ihrem Konto bei der
  47. D.
  48. Bank, die den verbundenen Gesellschaften eine gemeinsame Kre-
  49. -3-
  50. ditlinie von 5 Mio. € eingeräumt hatte, an die Beklagte. Die A.
  51. AG verfügte
  52. zu diesem Zeitpunkt noch über liquide Mittel in Höhe von 28.197,88 €.
  53. 2
  54. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der von der Schuldnerin geleisteten Zahlung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Schenkungsanfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
  55. Entscheidungsgründe:
  56. 3
  57. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  58. 4
  59. 1. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Überweisung der Schuldnerin
  60. sei nicht nach § 134 InsO anfechtbar, weil bereits nicht feststehe, dass die Mittel der Zahlung aus dem Vermögen der Schuldnerin stammten. Wenn, wie der
  61. Kläger vortrage, am Zahlungstag sowohl die Schuldnerin als auch die A.
  62. AG zahlungsunfähig gewesen seien und die ihnen eingeräumte Kreditlinie nicht
  63. mehr zur Verfügung gestanden habe, könne die Überweisung nur durch eine
  64. geduldete Überziehung dieser gemeinsamen Kreditlinie bestritten worden sein.
  65. Wegen des bei der Überweisung angegebenen Verwendungszwecks "Vereinbarung/Vergleich vom November 2009 mit der A.
  66. hung der Kreditlinie durch die A.
  67. 5
  68. " sei von einer Überzie-
  69. AG auszugehen.
  70. 2. Diese Ausführungen sind rechtlich nicht haltbar.
  71. -4-
  72. 6
  73. a) Der Insolvenzanfechtung unterliegen gemäß § 129 Abs. 1 InsO nur
  74. Rechtshandlungen, welche die Insolvenzgläubiger objektiv benachteiligen. Eine
  75. Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn die Rechtshandlung entweder die
  76. Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff
  77. auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert hat, mithin wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die
  78. Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten.
  79. Demnach scheidet eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger aus, wenn die
  80. angefochtene Rechtshandlung nicht das haftende Vermögen des Insolvenzschuldners, sondern dasjenige eines Dritten betroffen hat (BGH, Urteil vom
  81. 17. Dezember 2015 - IX ZR 287/14, WM 2016, 282 Rn. 13 mwN).
  82. 7
  83. Schöpft der Schuldner neue Gelder aus einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung und fließen diese aufgrund einer vom Schuldner veranlassten
  84. Überweisung von der Bank direkt dem Empfänger zu, benachteiligt dies die
  85. Gläubiger des Schuldners, weil die Zuwendung an den Empfänger nur infolge
  86. und nach Einräumung des vom Schuldner beantragten Überziehungskredits
  87. bewirkt werden kann. Eine solche Direktzahlung kann anfechtungsrechtlich
  88. nicht anders behandelt werden, als wenn Geldmittel, auf die der Schuldner keinen Anspruch hatte, ihm durch ein neu gewährtes Darlehen zunächst überlassen und sodann zur Deckung von Verbindlichkeiten verwendet werden (BGH,
  89. Urteil vom 6. Oktober 2009 - IX ZR 191/05, BGHZ 182, 317 Rn. 14 f; vom 1. Juli
  90. 2010 - IX ZR 70/08, WM 2010, 1756 Rn. 12).
  91. 8
  92. b) Nach diesen Maßstäben kann im Streitfall eine Benachteiligung der
  93. Insolvenzgläubiger der Schuldnerin nicht verneint werden. Der Überweisungsauftrag erfolgte zu Lasten eines Kontos der Schuldnerin. Die Gläubigerbenach-
  94. -5-
  95. teiligung liegt in einem solchen Fall darin, dass die Mittel des Überziehungskredits nicht zunächst in das Vermögen der Schuldnerin gelangt und dort für den
  96. Zugriff der Gesamtheit ihrer Gläubiger verblieben sind. Der Umstand, dass die
  97. ausführende Bank der Schuldnerin und ihrer Muttergesellschaft eine gemeinsame Kreditlinie eingeräumt hatte, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Er besagt nur, dass sowohl die Schuldnerin als auch die Muttergesellschaft im Rahmen der gemeinsamen offenen Kreditlinie Darlehensmittel abrufen konnten.
  98. Nahm eine der verbundenen Gesellschaften Kreditmittel in Anspruch, gleichviel
  99. ob diesseits oder jenseits der eingeräumten Kreditlinie, war insoweit nur diese
  100. Gesellschaft Darlehensnehmerin. Nur ihre Gläubiger wurden benachteiligt,
  101. wenn die Bank das Darlehen nicht an die anweisende Gesellschaft, sondern zu
  102. Lasten ihres Kontos direkt an einen Dritten auszahlte. Dabei ist entgegen der
  103. Ansicht des Berufungsgerichts unerheblich, ob die Überweisung der Tilgung
  104. einer eigenen Verbindlichkeit der Insolvenzschuldnerin, einer Schuld der verbundenen Gesellschaft oder derjenigen eines Dritten diente. Entscheidend für
  105. die Frage der Gläubigerbenachteiligung ist allein, dass die Zahlung auf der
  106. Grundlage einer zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Bank bestehenden
  107. Darlehensbeziehung erfolgte.
  108. 9
  109. 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus anderen
  110. Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
  111. a) Die von § 134 Abs. 1 InsO vorausgesetzte Unentgeltlichkeit der Leistung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die A.
  112. AG zum Zeitpunkt der
  113. Zahlung der Schuldnerin noch über liquide Mittel verfügte, die den Zahlungsbetrag geringfügig überstiegen.
  114. -6-
  115. 10
  116. aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Tilgung einer fremden Schuld als unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO
  117. anfechtbar, wenn die gegen den Dritten gerichtete Forderung des Zuwendungsempfängers wertlos war; dann hat der Zuwendungsempfänger wirtschaftlich nichts verloren, was als Gegenleistung für die Zuwendung angesehen werden kann (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2013 - IX ZR 10/13, WM 2013, 2182
  118. Rn. 6 mwN; vom 29. Oktober 2015 - IX ZR 123/13, WM 2016, 44 Rn. 6). Von
  119. der Wertlosigkeit der Forderung des Zuwendungsempfängers ist regelmäßig
  120. nicht erst dann auszugehen, wenn über das Vermögen des Forderungsschuldners wegen Zahlungsunfähigkeit bereits das Insolvenzverfahren eröffnet war,
  121. sondern schon dann, wenn er materiell zahlungsunfähig, mithin insolvenzreif
  122. war (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 - IX ZR 182/08, WM 2009, 2283 Rn. 8;
  123. vom 17. Juni 2010 - IX ZR 186/08, WM 2010, 1421 Rn. 7; vom 18. April 2013
  124. - IX ZR 90/10, WM 2013, 1079 Rn. 6; vom 17. Oktober 2013 - IX ZR 10/13, WM
  125. 2013, 2182 Rn. 7). Ist der Schuldner zahlungsunfähig, dürfen Forderungen
  126. nicht mehr im Wege der Einzelzwangsvollstreckung verwertet werden. Dies widerspräche dem Grundsatz, dass bei Insolvenzreife des Schuldners eine gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger in dem dafür vorgesehenen Verfahren stattzufinden hat. Der Leistungsempfänger kann sich in einem solchen Fall
  127. nur dann darauf berufen, noch Vollstreckungsmöglichkeiten gegen seinen
  128. Schuldner gehabt zu haben, wenn er trotz dessen Zahlungsunfähigkeit insolvenzbeständig auf noch vorhandene Vermögensgegenstände hätte zugreifen
  129. können. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt der Anfechtungsgegner
  130. (BGH, Urteil vom 17. Juni 2010, aaO Rn. 8 f).
  131. 11
  132. bb) Die im Streitfall getroffenen Feststellungen rechtfertigen danach nicht
  133. die Beurteilung, bei der Zahlung der Insolvenzschuldnerin an die Beklagte habe
  134. es sich um eine entgeltliche Leistung gehandelt. Der Kläger hat vorgetragen,
  135. -7-
  136. die A.
  137. AG sei im Zeitpunkt der angefochtenen Überweisung zahlungsunfä-
  138. hig gewesen. Hiervon ist für das Revisionsverfahren auszugehen, weil die Vorinstanzen keine gegenteiligen Feststellungen getroffen haben. War die A.
  139. AG zahlungsunfähig, war die gegen sie gerichtete Forderung der Beklagten
  140. ohne Wert. Allein der Umstand, dass die A.
  141. AG noch über liquide Mittel ver-
  142. fügte, die knapp über der Höhe ihrer Verbindlichkeit gegenüber der Beklagten
  143. lagen, ändert daran nichts. Die in den Vorinstanzen getroffene Feststellung zu
  144. den noch vorhandenen liquiden Mitteln beruht auf dem Vortrag des Klägers, der
  145. hierzu auf die Auswertung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Bezug genommen hat. Um welche Art von liquidem Vermögen es sich handelte, ist nicht
  146. festgestellt. Schon deshalb kann nicht beurteilt werden, ob die Beklagte die
  147. Möglichkeit gehabt hätte, sich aus diesem Vermögen im Wege der Einzelzwangsvollstreckung anfechtungsfest Befriedigung zu verschaffen. Die Beklagte hat zu dieser Voraussetzung keinerlei Vortrag gehalten.
  148. 12
  149. b) Die Leistung der Schuldnerin ist auch nicht bereits deshalb entgeltlich,
  150. weil die mit der Leistung getilgte Forderung der Beklagten auf einem Vergleich
  151. beruhte, nach dem restliche Werklohnansprüche der Beklagten gegen die
  152. A.
  153. AG und von dieser erhobene Gegenansprüche durch eine Zahlung der
  154. A.
  155. AG in Höhe von 27.608 € abgegolten werden sollten. Die von der Be-
  156. klagten angeführte Rechtsprechung des Senats, wonach das gegenseitige
  157. Nachgeben im Rahmen eines Vergleichs regelmäßig nicht unentgeltlich erfolgt
  158. (BGH, Urteil vom 9. November 2006 - IX ZR 285/03, NZI 2007, 101 Rn. 15 ff),
  159. ist hier nicht einschlägig, weil der Kläger nicht die im Vergleich getroffene Vereinbarung angefochten hat, sondern die von der Schuldnerin auf die Verpflichtung der A.
  160. AG aus dem Vergleich erbrachte Leistung. Der Umstand, dass
  161. mit dieser Leistung der im Vergleich vereinbarte Verzicht der Beklagten auf weitergehende Forderungen wirksam wurde, begründet im Verhältnis zur Schuld-
  162. -8-
  163. nerin ebenfalls nicht die Entgeltlichkeit der Leistung; insoweit kommt es, wie bei
  164. der durch die Zahlung erfüllten Forderung, auf die Werthaltigkeit der Forderungen an.
  165. 13
  166. c) Der vom Kläger erklärten Schenkungsanfechtung steht auch nicht der
  167. Vorrang einer konkurrierenden Deckungsanfechtung des Verwalters im Insolvenzverfahren über das Vermögen der A.
  168. AG entgegen (vgl. dazu BGH,
  169. Urteil vom 16. November 2007 - IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228 Rn. 23 ff; vom
  170. 22. Oktober 2009 - IX ZR 182/08, WM 2009, 2283 Rn. 12). Die Beklagte hat
  171. weder dargelegt, dass eine Deckungsanfechtung erklärt worden wäre, noch
  172. dass die Voraussetzungen einer solchen erfüllt wären. Eine Deckungsanfechtung durch den Insolvenzverwalter der A.
  173. AG käme nur in Betracht, wenn
  174. diese der Schuldnerin den Gegenwert der Mittel, mit denen die Beklagte befriedigt wurde, aus ihrem Vermögen zur Verfügung gestellt hätte, die Befriedigung
  175. der Beklagten sich somit als mittelbare Zuwendung der A.
  176. AG darstellen
  177. würde. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich.
  178. 14
  179. 4. Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist
  180. aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif
  181. ist, wird sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
  182. zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dieses wird die erforderlichen Feststellungen zu der von der Beklagten bestrittenen Behauptung des Klägers treffen
  183. -9-
  184. müssen, die A.
  185. AG sei zum Zeitpunkt der angefochtenen Überweisung zah-
  186. lungsunfähig gewesen.
  187. Kayser
  188. Gehrlein
  189. Möhring
  190. Grupp
  191. Schoppmeyer
  192. Vorinstanzen:
  193. LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 09.05.2012 - 2-18 O 408/11 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 19.12.2013 - 3 U 157/12 -