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6.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZR 184/08
  4. vom
  5. 29. September 2011
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter am Bundesgerichtshof Vill als Vorsitzenden, die Richter Raebel, Dr. Pape, Grupp und die
  9. Richterin Möhring
  10. am 29. September 2011
  11. beschlossen:
  12. Auf die Beschwerde der Kläger wird die Revision gegen das Urteil
  13. des
  14. 6. Zivilsenats
  15. des
  16. Oberlandesgerichts
  17. Oldenburg
  18. vom
  19. 29. August 2008 zugelassen.
  20. Auf die Revision der Kläger wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
  21. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  22. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 800.000 € festgesetzt.
  23. Den Klägern wird für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
  24. und das Revisionsverfahren Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung gewährt und Rechtsanwältin S.
  25. beigeordnet.
  26. - 3 -
  27. I.
  28. 1
  29. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage auf Zahlung von
  30. Schadensersatz dem Grunde nach für gerechtfertigt gehalten. Es hat angenommen, der Beklagte zu 1 als Verkehrsanwalt und die Beklagten zu 2 bis 4 als
  31. Prozessanwälte hätten pflichtwidrig Schadensersatzansprüche gegen Rechtsanwalt W.
  32. (künftig: Erstanwalt) verjähren lassen. Dieser sei von den Klä-
  33. gern umfassend mit der Förderung der Abwicklung des notariellen Kaufvertrags
  34. vom 22. Mai 1995 beauftragt gewesen. Deswegen hätte ihn die Pflicht getroffen, die Zahlung des die Umsatzsteuer umfassenden Teils des Kaufpreises an
  35. die Kläger sicherzustellen. Dies hätten die Beklagten erkennen und den Klägern
  36. anraten müssen, vorerst von der Klage gegen den - den Kaufvertrag beurkundenden - Notar abzusehen und den Erstanwalt zu verklagen.
  37. 2
  38. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat die Frage, ob die
  39. Kläger den Erstanwalt umfassend mit der Abwicklung des Grundstückskaufvertrags beauftragt haben, anders gesehen als das Landgericht. Den Klägern sei
  40. es entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht gelungen, ihre von den Beklagten bestrittene Behauptung zu beweisen, sie hätten den Erstanwalt umfassend
  41. mit der Prüfung des notariellen Grundstückskaufvertrages in seiner Gesamtheit
  42. und damit auch hinsichtlich des hier entscheidenden Vertragsbestandteils (Abtretung des Vorsteuererstattungsanspruchs) beauftragt. Damit komme eine Anwaltspflichtverletzung des Erstanwalts nicht in Betracht.
  43. 3
  44. Hiergegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger, mit
  45. der sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen wol-
  46. - 4 -
  47. len. Sie rügen insbesondere die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht.
  48. II.
  49. 4
  50. Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil
  51. den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Beschwerde führt gemäß § 544
  52. Abs. 7 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung
  53. der Sache an das Berufungsgericht.
  54. 5
  55. Das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen der Kläger übergangen. Diese haben im ersten Rechtszug ausdrücklich darauf verwiesen, dass eine Haftung des Erstanwalts auch bei Annahme eines beschränkten
  56. Mandats bestehe. Diesen habe dann die Nebenpflicht getroffen, die Kläger
  57. auch außerhalb des Mandatsgegenstandes über die für ihn offenkundige Gefahr ihrer ungesicherten Vorleistungspflicht im Hinblick auf den sich auf die Umsatzsteuer beziehenden Kaufpreisteil hinzuweisen. Allerdings haben die Kläger
  58. diese Ausführungen in der Berufungserwiderung nicht ausdrücklich wiederholt.
  59. Sie mussten dies aber auch nicht, weil sie im ersten Rechtszug mit ihrer Hauptbegründung Erfolg hatten und das Landgericht eine Haftung aus umfassendem
  60. Mandat angenommen hat. Jedenfalls durfte das Berufungsgericht nicht davon
  61. ausgehen, die Kläger hätten ihr Vorbringen fallen gelassen. Da diese in der Berufungserwiderung auf ihr Vorbringen aus erster Instanz Bezug genommen haben, ist die Nichtberücksichtigung ihres Vorbringens aus dem ersten Rechtszug
  62. als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu qualifizieren (BGH, Urteil vom 18. Juli
  63. 2003 - V ZR 187/02, NJW 2003, 3205).
  64. - 5 -
  65. 6
  66. Das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs.
  67. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei
  68. Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte
  69. (BGH, aaO, NJW 2003, 3205 f). Auch wenn der Erstanwalt nur das vom Berufungsgericht angenommene beschränkte Mandat hatte, hätte geprüft werden
  70. müssen, ob dieser nach Treu und Glauben die Kläger vor den Gefahren der
  71. - außerhalb des beschränkten Mandats liegenden - Klausel über die Abtretung
  72. der Vorsteueransprüche der Käuferin an die Kläger als Verkäufer im Grundstückskaufvertrag hätte warnen müssen. Eine solche Nebenpflicht aus dem beschränkten Mandat ist anzunehmen, wenn die Gefahren dem Anwalt bekannt
  73. oder offenkundig sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gefahren Interessen des Auftraggebers betreffen, die mit dem beschränkten Auftragsgegenstand
  74. im
  75. engen
  76. Zusammenhang
  77. stehen
  78. (Vill
  79. in
  80. Zugehör/Fischer/Vill/
  81. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 553 mwN).
  82. Offenkundig bedeutet "für einen durchschnittlichen Berater auf den ersten Blick
  83. ersichtlich" (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 12/05, NJW 2009,
  84. 1141 Rn. 14), die Gefahren müssen sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung
  85. aufdrängen (BGH, Urteil vom 29. November 2001 - IX ZR 278/00, NJW 2002,
  86. 1117, 1118).
  87. 7
  88. Die steuerliche Problematik des § 46 AO (vgl. hierzu BGH, Urteil vom
  89. 23. Oktober 2003 - IX ZR 324/01, WM 2004, 1290, 1294 f; BFH, Urteil vom
  90. 24. März 1983 - V R 8/81, BFHE 138, 498 f; Eder, ZIP 1994, 1669; Krauß,
  91. BB 2003, 1701) dürfte für einen durchschnittlichen Berater auf den ersten Blick
  92. möglicherweise nicht ersichtlich sein. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass
  93. das Berufungsgericht - wie naheliegend - es als offenkundig angesehen hätte,
  94. dass die Kläger bezüglich der gestundeten Kaufpreisrate in Höhe der Umsatz-
  95. - 6 -
  96. steuer gänzlich ungesichert waren, solange die Abtretung dem Finanzamt gegenüber nicht offengelegt war und im Übrigen dann, wenn das Finanzamt mit
  97. Gegenansprüchen gegen die Käuferin aufrechnen konnte. Denn nach dem
  98. Grundstückskaufvertrag sollte die Eigentumsübertragung unabhängig davon
  99. erfolgen, ob die Käuferin den die Umsatzsteuer betreffenden Kaufpreisteil gezahlt hatte. Hierauf aufbauend erscheint es möglich, dass das Berufungsgericht
  100. eine Haftung des Erstanwalts und der Beklagten ohne die Gehörsverletzung
  101. dem Grunde nach bejaht hätte.
  102. Vill
  103. Raebel
  104. Grupp
  105. Pape
  106. Möhring
  107. Vorinstanzen:
  108. LG
  109. Osnabrück, Entscheidung vom 28.11.2006 - 4 O 1328/03 (176) -
  110. OLG Oldenburg, Entscheidung vom 29.08.2008 - 6 U 242/06 -