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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 139/17
  5. Verkündet am:
  6. 5. Juli 2018
  7. Kluckow
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. InsO § 134 Abs. 1; HGB § 232
  19. Zahlungen des Inhabers eines Handelsgewerbes an einen stillen Gesellschafter, denen ein gewinnunabhängiges Zahlungsversprechen im Gesellschaftsvertrag zugrunde liegt, sind entgeltliche Leistungen, wenn sie die Gegenleistung für die erbrachte
  20. Einlage darstellen.
  21. BGH, Urteil vom 5. Juli 2018 - IX ZR 139/17 - OLG Oldenburg
  22. LG Osnabrück
  23. ECLI:DE:BGH:2018:050718UIXZR139.17.0
  24. -2-
  25. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 5. Juli 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
  27. Prof. Dr. Gehrlein, Grupp, Dr. Schoppmeyer und Meyberg
  28. für Recht erkannt:
  29. Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 24. Mai 2017 und
  30. das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom
  31. 29. Juli 2016 aufgehoben.
  32. Die Klage wird abgewiesen.
  33. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. 1
  37. Die E.
  38. Gesellschaft mbH (fortan: Schuldnerin) gab eine kos-
  39. tenlose Zeitung heraus. Zur Deckung ihres Kapitalbedarfs bot die Schuldnerin
  40. privaten Anlegern seit Ende der 90er Jahre die Möglichkeit, sich mit einer Einlage als stille Gesellschafter zu beteiligen. Die jeweiligen Vereinbarungen bezeichnete die Schuldnerin als "Gesellschaftsvertrag zum Medienbrief Nr. [...]"
  41. (fortan: Medienbrief). Sie versprach den Anlegern in den Medienbriefen, diesen
  42. einen als "Vorabvergütung" bezeichneten jährlichen Zins auf die Einlage zu be-
  43. -3-
  44. zahlen. Der in den jeweiligen Medienbriefen genannte Zinssatz schwankte zwischen 4,75 vom Hundert und 6,25 vom Hundert. Seit dem Jahr 2001 wiesen die
  45. Handelsbilanzen der Schuldnerin stets einen Jahresverlust aus. Die Einlagen
  46. neu beitretender Gesellschafter verwendete die Schuldnerin in der Art eines
  47. sogenannten Schneeballsystems für Auszahlungen an die stillen Gesellschafter
  48. sowie zur Finanzierung ihres Geschäftsbetriebs.
  49. 2
  50. Die Beklagte erwarb in der Zeit zwischen dem 8. August 2008 und dem
  51. 30. April 2013 insgesamt 28 Medienbriefe zu je 5.000 €. Die jeweiligen Medienbriefe enthielten stets gleichlautende Bestimmungen. Diese sahen unter anderem folgendes vor:
  52. "§ 3 Vergütung
  53. Als Vorabvergütung zahlt der Verlag an den stillen Gesellschafter
  54. […] % (in Worten: […] Prozent) pa. Die Zahlung erfolgt jeweils
  55. zum 30. Juni und 31. Dezember eines jeden Jahres.
  56. § 4 Gewinn- und Verlustverteilung
  57. Die Gewinn- und Verlustverteilung wird wie folgt vereinbart:
  58. a) Bemessungsgrundlage ist das handelsrechtliche Jahresergebnis vor Ertragsteuern nach Abzug der an die stillen Gesellschafter gezahlten Vorabvergütungen zum Bilanzstichtag.
  59. b) Von dem sich ergebenden Gewinn entfällt auf jeden einzelnen
  60. stillen Gesellschafter der Teil, der sich aus dem Verhältnis seines Anteils zu den gesamten stillen Gesellschaftern ergibt. Sollte sich das stille Gesellschaftsverhältnis nicht über das gesamte
  61. Jahr erstrecken, erhält er seinen Anteil für jeden vollen Zinstag
  62. anteilig."
  63. -4-
  64. 3
  65. Die Schuldnerin zahlte an die Beklagte zwischen dem 1. Juli 2010 und
  66. dem 27. Dezember 2012 als Vorabvergütungen insgesamt 20.265,10 €. Hiervon führte die Schuldnerin für die Beklagte als Abgeltungssteuer einen Betrag
  67. von 4.878,91 € an das Finanzamt ab.
  68. 4
  69. Auf einen Eigenantrag der Schuldnerin vom 23. Januar 2014 eröffnete
  70. das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 18. März 2014 das Insolvenzverfahren
  71. über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 5. September
  72. 2014 auf, die Vorabvergütungen einschließlich der abgeführten Abgeltungssteuer in Höhe von 20.265,10 € zu erstatten.
  73. 5
  74. Da die Beklagte der Zahlungsaufforderung nicht nachkam, erhob der
  75. Kläger Klage auf Zahlung von 20.265,10 € nebst Zinsen. Das Landgericht hat
  76. die Beklagte antragsgemäß verurteilt; die Berufung der Beklagten hat keinen
  77. Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
  78. die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
  79. Entscheidungsgründe:
  80. 6
  81. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Klageabweisung.
  82. I.
  83. 7
  84. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anfechtungsanspruch gemäß § 143 Abs. 1, § 134 Abs. 1 InsO zu. Bei den Zahlungen
  85. -5-
  86. der Schuldnerin habe es sich um unentgeltliche Leistungen gehandelt. Dies sei
  87. der Fall, wenn der Empfänger keinen Anspruch auf die Leistung gehabt habe.
  88. Diese Voraussetzung sei erfüllt, weil der Beklagten nach den Gesellschaftsverträgen keine feste, von den Geschäftsergebnissen unabhängige Vergütung zugestanden habe.
  89. 8
  90. Die Regelung in § 3 der jeweiligen Gesellschaftsverträge enthalte nur
  91. eine Regelung über eine im Voraus geleistete Zahlung auf zukünftige Gewinne.
  92. Aus § 4 des Gesellschaftsvertrags ergebe sich, dass eine Gewinn- und Verlustbeteiligung auf der Grundlage der jeweiligen handelsrechtlichen Jahresergebnisse erfolge. Die Beklagte habe nicht bewiesen, dass es neben den schriftlichen Gesellschaftsverträgen eine mündliche Abrede gegeben habe, dass ihr
  93. die in § 3 des Gesellschaftsvertrags genannte Verzinsung als feste Rendite unabhängig von einem Gewinn oder Verlust der Gesellschaft zustehen sollte.
  94. 9
  95. Da die Beklagte nur Vorauszahlungen auf mögliche Gewinne erhalten
  96. habe, die Schuldnerin aber seit 2001 keine Gewinne mehr erwirtschaftet habe,
  97. sei die Beklagte jedenfalls verpflichtet, die erhaltenen Vorabvergütungen wieder
  98. zurückzuzahlen. Aus der Vereinbarung von Vorabvergütungen folge ein stillschweigend vereinbarter Rückzahlungsanspruch; der Kläger habe ihn auch geltend gemacht. Die Zahlungen könnten angesichts der bindenden Tilgungsbestimmung der Schuldnerin nicht als Zahlung auf etwaige Schadensersatzansprüche der Beklagten behandelt werden. Eine Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen scheide aus, weil dem Kläger ein insolvenzrechtlicher Rückgewähranspruch zustehe. Im Übrigen sei die Beklagte auch gemäß § 812 Abs. 1
  99. Satz 2 BGB zur Rückzahlung der erhaltenen Zahlungen verpflichtet.
  100. -6-
  101. II.
  102. 10
  103. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dem Kläger steht kein
  104. Rückgewähranspruch gemäß § 143 Abs. 1 InsO zu, weil die Voraussetzungen
  105. des § 134 Abs. 1 InsO nicht erfüllt sind.
  106. 11
  107. 1. Eine unentgeltliche Leistung liegt im - hier bestehenden - Zwei-Personen-Verhältnis vor, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer
  108. anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll (BGH, Urteil vom
  109. 20. April 2017 - IX ZR 252/16, WM 2017, 1215 Rn. 10 mwN, zVb in BGHZ).
  110. 12
  111. a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt bei einer Leistung ohne Rechtsgrund eine die Zuwendung ausgleichende Verpflichtung des
  112. Empfängers im Allgemeinen vor, wenn dem Schuldner ein (bereicherungsrechtlicher) Rückforderungsanspruch hinsichtlich seiner Leistung zusteht (BGH, aaO
  113. Rn. 14). Ebenso ist eine Leistung entgeltlich, wenn hinsichtlich der auf vertraglicher Grundlage erfolgenden Vermögensverlagerung auf Dritte ein Rückforderungsanspruch des Schuldners besteht (BGH, aaO Rn. 19 mwN; Urteil vom
  114. 7. September 2017 - IX ZR 224/16, ZIP 2017, 1863 Rn. 15).
  115. 13
  116. b) Auszahlungen an einen stillen Gesellschafter, mit denen nach einer
  117. Kündigung der Gesellschaftsbeteiligung die Einlage des stillen Gesellschafters
  118. zurückgewährt wird, sind entgeltlich, soweit ein Auseinandersetzungsguthaben
  119. des stillen Gesellschafters besteht (§ 235 HGB; vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli
  120. 2013 - IX ZR 198/10, WM 2013, 1504 Rn. 9, 16 ff). Zahlungen an einen stillen
  121. Gesellschafter, die auf die Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters gemäß
  122. §§ 231, 232 HGB erfolgen, sind entgeltlich, soweit ein auf den stillen Gesellschafter entfallender Gewinnanteil tatsächlich erzielt worden ist oder der Gesellschaft für überzahlte Gewinne bereicherungsrechtliche oder vertragliche
  123. -7-
  124. Rückzahlungsansprüche gegen den stillen Gesellschafter zustehen. Hingegen
  125. sind Zahlungen auf Scheingewinne unentgeltlich, wenn der Schuldner wusste,
  126. dass kein Anspruch auf Auszahlung eines Gewinns bestand (BGH, Urteil vom
  127. 11. Dezember 2008 - IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 Rn. 6; vom 2. April 2009
  128. - IX ZR 197/07, ZInsO 2009, 1202 Rn. 6; vom 22. April 2010 - IX ZR 163/09,
  129. ZIP 2010, 1253 Rn. 6; vom 10. Februar 2011 - IX ZR 18/10, ZIP 2011, 674
  130. Rn. 8).
  131. 14
  132. Auch wenn die Gesellschaft keine Gewinne erzielte, sind über die Regelung der §§ 231, 232 HGB hinaus Zahlungen an die stillen Gesellschafter zulässig, wenn der Gesellschaftsvertrag dies vorsieht. Solche Ausschüttungen
  133. können - abweichend von der gesetzlichen Regel - in der Weise vereinbart
  134. werden, dass dem stillen Gesellschafter eine feste Verzinsung seiner Einlage
  135. versprochen wird, die unabhängig davon ist, ob der jährliche Gewinn zur Deckung des garantierten Betrages ausreicht oder ob überhaupt Gewinn erzielt
  136. wird (vgl. RGZ 122, 387, 390; BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 - II ZR 32/94,
  137. BGHZ 127, 176, 181; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB,
  138. 4. Aufl., § 231 Rn. 6; Gehrlein in Ebenroth/Boujoung/Joost/Strohn, HGB,
  139. 3. Aufl., § 231 Rn. 4; ebenso zur Kommanditbeteiligung BGH, Urteil vom
  140. 27. Januar 1975 - II ZR 130/73, WM 1975, 662 unter I.; vom 5. April 1979
  141. - II ZR 98/76, WM 1979, 803 f unter II.). Sie gehen damit letztlich zu Lasten des
  142. Kapitals. Sie sind entgeltlich, wenn sie die Gegenleistung für die erbrachte Einlage darstellen (BGH, Urteil vom 20. April 2017 - IX ZR 189/16, WM 2017, 1312
  143. Rn. 9; vgl. auch BGH, Urteil vom 18. September 2012 - II ZR 50/11, ZIP 2013,
  144. 19 Rn. 19 f).
  145. 15
  146. 2. Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den angefochtenen Zahlungen um eine entgeltliche Leistung der Schuldnerin. Die Schuldnerin hat mit
  147. den Zahlungen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts weder eine Ein-
  148. -8-
  149. lage zurückgewährt noch Scheingewinne gezahlt, sondern ihre Verpflichtung
  150. aus § 3 des Gesellschaftsvertrags erfüllt.
  151. 16
  152. a) Die an die Beklagte gemäß § 3 des Gesellschaftsvertrags gezahlten
  153. Vorabvergütungen stellen eine Gegenleistung für die Einlage der stillen Gesellschafter dar, die in Form einer festen Kapitalverzinsung oder garantierten Mindesttantieme zu Lasten des Kapitals geht (ebenso OLG Hamm, NZI 2017, 306,
  154. 308). Dies folgt aus einer Auslegung des Gesellschaftsvertrags.
  155. 17
  156. aa) Der Senat kann den Formularvertrag über die stille Beteiligung der
  157. Beklagten selbst frei auslegen, weil die Schuldnerin für die stillen Beteiligungen
  158. von ihr erstellte Formularverträge eingesetzt und diese über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus verwandt hat (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2000
  159. - II ZR 218/00, ZIP 2001, 243, 244; Beschluss vom 22. September 2015 - II ZR
  160. 310/14, ZIP 2016, 266 Rn. 8). Dabei unterliegen die von einem Unternehmen
  161. für eine Vielzahl von Gesellschaftsverträgen mit stillen Gesellschaftern vorformulierten Vertragsbedingungen einer ähnlichen objektiven Auslegung und Inhaltskontrolle wie allgemeine Geschäftsbedingungen (BGH, Urteil vom 27. November 2000, aaO; vom 13. September 2004 - II ZR 276/02, ZIP 2004, 2095,
  162. 2097 f; Beschluss vom 22. September 2015, aaO).
  163. 18
  164. bb) Nach diesen Maßstäben enthält § 3 des Gesellschaftsvertrags einen
  165. Anspruch auf eine garantierte, gewinn- und verlustunabhängige jährliche Mindestverzinsung der Einlage des stillen Gesellschafters. Dies ergibt sich aus den
  166. gewählten Formulierungen und dem Gesamtzusammenhang der Bestimmungen. Auch wenn § 3 des Gesellschaftsvertrags die Verzinsung nicht ausdrücklich als "garantiert" bezeichnet, gleicht der Fall den vom Senat mit Urteilen vom
  167. 20. April 2017 (IX ZR 189/16, WM 2017, 1312 Rn. 10 f) und vom 20. Juli 2017
  168. (IX ZR 7/17, ZInsO 2017, 1843 Rn. 11 f) entschiedenen Sachen.
  169. -9-
  170. 19
  171. (1) Ein erstes Indiz enthält die Überschrift, wonach es sich um eine "Vergütung" handelt. Zudem vereinbarte die Schuldnerin mit den einzelnen stillen
  172. Gesellschaftern für die Vorabvergütung stets feste Zinssätze. Feste Beträge,
  173. die sich auch aus festen Zinssätzen ergeben können, sprechen für eine gewinnunabhängige Vergütung (vgl. MünchKomm-HGB/Priester, 4. Aufl., § 121
  174. Rn. 40; Ehricke in Ebenroth/Boujong/Joos/Strohn, HGB, 3. Aufl., § 121 Rn. 17).
  175. Für eine gewinnunabhängige Verzinsung spricht weiter, dass die Zinssätze je
  176. nach dem Zeitpunkt der getätigten stillen Einlage unterschiedlich hoch ausfielen. Hierfür bestünde bei einem bloßen Vorschussanspruch kein Grund.
  177. Schließlich weist auch die Bezeichnung "Vorabvergütung" statt des Begriffs
  178. "Vorabgewinn" - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auf Ansprüche eines Gesellschafters, die unabhängig von einem etwaigen Gewinn bestehen (vgl. etwa Staub/Harbarth, HGB, 5. Aufl., § 231 Rn. 7; Finckh in Henssler/
  179. Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., § 121 HGB Rn. 29). Eine klare Bestimmung, dass es sich lediglich um einen Gewinnvorschuss handelt, fehlt.
  180. 20
  181. Soweit die Revision geltend macht, dass die Schuldnerin gegenüber den
  182. jeweiligen stillen Gesellschaftern eine Berechnung von Gewinn und Verlust entsprechend den Vereinbarungen in § 4 des Gesellschaftsvertrags unterlassen
  183. hat, hat dieses Indiz im Streitfall keine erhebliche Bedeutung. Die tatsächliche
  184. Handhabung durch die Schuldnerin erlaubt keine tragfähigen Rückschlüsse auf
  185. die vertraglichen Vereinbarungen, weil sie im Streitfall entscheidend darauf beruhte, dass die Schuldnerin die Einlagen neu beitretender Gesellschafter unstreitig spätestens seit 2001 in der Art eines sogenannten "Schneeballsystems"
  186. für Auszahlungen an Altgesellschafter und zur Finanzierung ihres Geschäftsbetriebs verwendete. Wollte die Schuldnerin dieses "Schneeballsystem" aufrechterhalten, musste sie - unabhängig von den bestehenden rechtlichen Verpflichtungen - jeden Hinweis auf ihre tatsächliche Lage vermeiden.
  187. - 10 -
  188. 21
  189. (2) Jedoch bestätigen die übrigen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags, dass § 3 des Gesellschaftsvertrags eine eigenständige Regelung eines
  190. gewinnunabhängigen Zinsanspruchs enthält. Aus § 2 des Gesellschaftsvertrags
  191. ergibt sich die Art der Beteiligung; dort ist bestimmt, dass die Gesellschafter
  192. ihre Einlage bei Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses gegebenenfalls nur
  193. abzüglich eines Verlustanteils zurückerhalten. Die Gewinn- und Verlustverteilung regelt § 4 des Gesellschaftsvertrags gesondert. Soweit nach § 4 lit. a des
  194. Gesellschaftsvertrags bei der Bemessungsgrundlage für die Gewinn- und Verlustverteilung die bezahlten Vorabvergütungen abzuziehen sind, ist dies eine für
  195. eine gewinnunabhängige Vergütung folgerichtige Bestimmung. Zwar hätte es
  196. dieser Bestimmung für die Berücksichtigung gewinnunabhängiger Zahlungen
  197. nicht bedurft, weil solche Zahlungen auch im Rahmen der Berechnung des Gewinnes und Verlustes gemäß § 232 HGB als Aufwand der Gesellschaft zu buchen sind, mithin bereits das handelsrechtliche Jahresergebnis beeinflussen.
  198. Die Abzugsregelung in § 4 lit. a des Gesellschaftsvertrags bewirkt jedoch, dass
  199. die Vorabvergütungen in ihrer unterschiedlichen Höhe den einzelnen stillen Gesellschaftern verbleiben.
  200. 22
  201. In diesem Sinn deutet die Gewinnverteilungsregel nach § 4 lit. b des Gesellschaftsvertrags ebenfalls auf eine gewinnunabhängige Verzinsung hin. Danach ist der Gewinn auf die einzelnen Gesellschafter nach dem Verhältnis ihrer
  202. Anteile zu verteilen. Da die Schuldnerin für die nach § 3 des Gesellschaftsvertrags gezahlte "Vorabvergütung" den einzelnen stillen Gesellschaftern unterschiedlich hohe Zinssätze versprochen hatte, führen diese Vorabvergütungen
  203. auch unter Berücksichtigung der Abzugsregelung nach § 4 lit. a des Gesellschaftsvertrags zu einer unterschiedlichen Behandlung der stillen Gesellschafter, weil sie die ihnen gezahlten unterschiedlich hohen Vorabvergütungen nicht
  204. auszugleichen haben. Sofern es sich bei den gezahlten Vorabvergütungen nur
  205. um einen Vorschuss auf den jeweiligen Jahresgewinn hätte handeln sollen, hät-
  206. - 11 -
  207. te richtigerweise die Abzugsregelung in § 4 lit. a des Gesellschaftsvertrags gestrichen und stattdessen in § 4 lit. b des Gesellschaftsvertrags bestimmt werden
  208. müssen, dass es sich bei den an den einzelnen stillen Gesellschafter gezahlten
  209. Vorabvergütungen nur um einen Vorschuss handele, der auf seinen Gewinnanspruch anzurechnen wäre.
  210. 23
  211. cc) Soweit bei einem zweigliedrigen stillen Gesellschaftsverhältnis sich
  212. die Auslegung des Vertrags gemäß §§ 133, 157 BGB iVm § 242 BGB nach
  213. dem Empfängerhorizont des beitretenden Anlegers richtet (vgl. BGH, Beschluss
  214. vom 22. September 2015 - II ZR 310/14, ZIP 2016, 266 Rn. 12), hat das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung festgestellt, dass keine individuellen
  215. Umstände bestanden, die im Rahmen der hier vorliegenden zweigliedrigen stillen Gesellschaft eine abweichende Auslegung rechtfertigen. Die Revisionserwiderung zeigt solche Umstände auch nicht auf.
  216. 24
  217. b) Der Anspruch auf Zahlung einer Vorabvergütung war auch wirksam
  218. und durchsetzbar.
  219. 25
  220. aa) Der in Form einer stillen Gesellschaft erfolgte Beitritt der Beklagten
  221. zur Schuldnerin ist wirksam. Dem steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin
  222. nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein sogenanntes Schneeballsystem betrieb.
  223. 26
  224. (1) Nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft wird eine
  225. Gesellschaft, deren Gründungsakt an einem Fehler leidet, die aber in Vollzug
  226. gesetzt worden ist, als wirksam behandelt. Ebenso wenig führt ein fehlerhafter,
  227. aber vollzogener Gesellschaftsbeitritt zur Unwirksamkeit des Beitritts nach allgemeinen Grundsätzen. Der Gesellschafter, der sich auf den Mangel berufen
  228. will, hat lediglich das Recht, sich jederzeit auf dem Wege der außerordentlichen
  229. Kündigung von seiner Beteiligung für die Zukunft zu lösen. An die Stelle des
  230. - 12 -
  231. ihm nach allgemeinen Grundsätzen zustehenden Anspruchs auf Rückzahlung
  232. der geleisteten Einlage tritt - auch bei einem durch arglistige Täuschung verursachten Beitritt - ein Anspruch auf das ihm nach den Grundsätzen gesellschaftsrechtlicher Abwicklung zustehende Abfindungsguthaben (BGH, Urteil
  233. vom 21. Juli 2003 - II ZR 387/02, BGHZ 156, 46, 52 f; vgl. BGH, Beschluss vom
  234. 12. Juli 2010 - II ZR 160/09, ZIP 2010, 2497 Rn. 6). Dies gilt auch für die stille
  235. Gesellschaft, unabhängig von der Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses als
  236. typische oder atypische stille Gesellschaft (BGH, Urteil vom 29. November 2004
  237. - II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 255 mwN; vom 18. Juli 2013 - IX ZR 198/10, WM
  238. 2013, 1504 Rn. 13).
  239. 27
  240. (2) Die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft kommen nur dann nicht
  241. zur Anwendung, wenn ausnahmsweise die rechtliche Anerkennung des von
  242. den Parteien gewollten und tatsächlich vorhandenen Zustands aus gewichtigen
  243. Belangen der Allgemeinheit oder bestimmter besonders schutzwürdiger Personen unvertretbar ist. So hat der Bundesgerichtshof Ausnahmen unter anderem
  244. dann anerkannt, wenn der Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, der
  245. Zweck der Gesellschaft mit den guten Sitten unvereinbar ist oder eine besonders grobe Sittenwidrigkeit vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2004,
  246. aaO; vom 21. März 2005 - II ZR 140/03, ZIP 2005, 753, 755).
  247. 28
  248. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Gesellschaftsvertrag und Gesellschafterbeitritt waren nicht wegen des von der Schuldnerin betriebenen
  249. Schneeballsystems gemäß § 138 BGB sittenwidrig; sittenwidrig war die von ihr
  250. tatsächlich betriebene Art der Finanzierung, nicht aber die mit der gutgläubigen
  251. Beklagten und den anderen stillen Gesellschaftern vereinbarte stille Beteiligung
  252. an der Schuldnerin (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2005, aaO S. 756; vom
  253. 9. Dezember 2010 - IX ZR 60/10, NJW 2011, 1732 Rn. 11; vom 18. Juli 2013
  254. - IX ZR 198/10, WM 2013, 1504 Rn. 15). Gleiches gilt für die den stillen Gesell-
  255. - 13 -
  256. schaftern von der Schuldnerin versprochene gewinnunabhängige Verzinsung
  257. der Einlage. Soweit der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit einem
  258. Schneeballsystem abgeschlossene Verträge ihres Inhalts wegen als sittenwidrig und nichtig beurteilt hat, lag den Entscheidungen ein Schneeballsystem
  259. nach Art einer Pyramide zugrunde, bei dem den Geschädigten erkennbar war,
  260. dass sie einen Gewinn nur durch die Beteiligung weiterer Anleger erzielen
  261. konnten (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 1978 - III ZR 153/76, WM 1978, 875,
  262. 877; vom 22. April 1997 - XI ZR 191/96, NJW 1997, 2314, 2315; vom 21. Juni
  263. 2012 - III ZR 291/11, NJW 2012, 3366 Rn. 19 mwN).
  264. 29
  265. bb) Die Beklagte war nicht im Hinblick auf eine Treuepflicht gehindert, die
  266. ihr zustehenden Ansprüche auf Vorabvergütung geltend zu machen. Zwar hat
  267. auch der stille Gesellschafter Treuepflichten, weil sich die Vertragspartner durch
  268. die stille Gesellschaft zu einem gemeinsamen, von den Grundsätzen von Treu
  269. und Glauben in einem besonderen Maße beherrschten Rechtsverhältnis zusammengeschlossen haben (BGH, Urteil vom 25. September 1963 - V ZR
  270. 133/61, WM 1963, 1209 f; Staub/Harbarth, HGB, 5. Aufl., § 230 Rn. 189; Gehrlein in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl., § 230 Rn. 42). Diese treffen ihn jedoch in einer zweigliedrigen stillen Gesellschaft gegenüber dem Inhaber des Handelsgeschäfts, nicht gegenüber Dritten, mit denen der Unternehmer
  271. des Handelsgeschäfts weitere zweigliedrige stille Gesellschaften eingegangen
  272. ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199,
  273. 104 Rn. 13 ff). Nachdem die Schuldnerin ihren Finanzbedarf im Rahmen eines
  274. auch gegenüber der Beklagten ausgeübten betrügerischen Schneeballsystems
  275. sicherte, ist die Beklagte ihr gegenüber nicht aufgrund einer Treuepflicht als
  276. stille Gesellschafterin gehalten, auf die garantierten gewinnunabhängigen Zinsansprüche zu verzichten.
  277. - 14 -
  278. III.
  279. 30
  280. Die Sache ist zur Endentscheidung reif; die Klage ist abzuweisen. Es
  281. bestehen weder Anfechtungs- noch Rückzahlungsansprüche.
  282. Kayser
  283. Gehrlein
  284. Schoppmeyer
  285. Grupp
  286. Meyberg
  287. Vorinstanzen:
  288. LG Osnabrück, Entscheidung vom 29.07.2016 - 7 O 2417/15 OLG Oldenburg, Entscheidung vom 24.05.2017 - 1 U 31/16 -