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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 122/04
  5. Verkündet am:
  6. 18. Januar 2007
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 675, 249 Bb
  19. Macht der Mandant die Entscheidung über einen Wertpapierverkauf erkennbar
  20. davon abhängig, dass entstandene Kursverluste mit Gewinnen verrechnet werden
  21. können und erteilt der Steuerberater daraufhin eine rechtlich fehlerhafte Auskunft,
  22. die den Mandanten veranlasst, von der Veräußerung abzusehen, so haftet der
  23. Berater dem Mandanten grundsätzlich für weitere Kursverluste.
  24. BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 - IX ZR 122/04 - OLG Karlsruhe
  25. LG Mannheim
  26. -2-
  27. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  28. vom 18. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die
  29. Richter Dr. Ganter, Raebel, Dr. Kayser und Dr. Detlev Fischer
  30. für Recht erkannt:
  31. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 17. Zivilsenats
  32. des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 25. Mai 2004 aufgehoben.
  33. Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des
  34. Rechtsmittels im Übrigen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 4. April 2002 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 121.045,98 € nebst Zinsen in Höhe von
  35. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
  36. 9. April 2001 zu zahlen.
  37. Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
  38. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
  39. Von Rechts wegen
  40. Tatbestand:
  41. 1
  42. Die Beklagte ist für den Kläger als Steuerberaterin tätig. Anfang des Jahres 2001 waren dem Kläger in seinem Wertpapierdepot Verluste in Höhe von
  43. etwa 370.000 DM entstanden. Nach Beratung seiner Bank erwog der Kläger,
  44. die Verluste durch Veräußerung der Wertpapiere noch innerhalb der Spekulati-
  45. -3-
  46. onsfrist zu begrenzen. Hierbei sollte der für 2001 anzusetzende Verlust mit dem
  47. Spekulationsgewinn von etwa 350.000 DM des Jahres 2000 sowie künftigen
  48. Spekulationsgewinnen verrechnet werden. Am 1. Februar 2001 rief der Kläger
  49. in Beisein des Wertpapierberaters die Beklagte an, um sich bei ihr zu vergewissern, ob eine solche Verrechnung möglich sei. Der Kläger machte hierbei der
  50. Beklagten deutlich, dass seine Entscheidung, die Wertpapiere zu veräußern,
  51. allein davon abhängig sei, ob der Vorjahresgewinn von 350.000 DM mit den
  52. Verlusten verrechnet werden könne. Die Beklagte teilte unter Verkennung von
  53. § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG mit, dass ein Verlustrücktrag auf das Jahr 2000 nicht
  54. möglich und deshalb die beabsichtigte Maßnahme wirtschaftlich nicht sinnvoll
  55. sei. Daraufhin sah der Kläger davon ab, seine Wertpapiere zu veräußern.
  56. Nachdem der Kläger am 14. März 2001 anderweitig über die tatsächliche
  57. Rechtslage unterrichtet worden war, informierte er unverzüglich die Beklagte.
  58. Diese räumte am 15. März 2001 ein, dass sie sich geirrt habe und tatsächlich
  59. bereits zum 1. Februar 2001 eine Veräußerung der Wertpapiere unter Verrechnung der entstandenen Spekulationsverluste mit den Gewinnen des Vorjahres
  60. möglich gewesen sei. Hierauf veräußerte der Kläger seine Wertpapiere noch
  61. am 15. März 2001. Durch den zwischenzeitlich eingetretenen weiteren Wertverfall ist ihm ein Verlust von 236.745,36 DM [= 121.045,98 €] entstanden, den er
  62. mit der vorliegenden Klage geltend macht.
  63. 2
  64. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers
  65. hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Schadensersatzbegehren weiter.
  66. -4-
  67. Entscheidungsgründe:
  68. Die Revision hat Erfolg und führt zur Abänderung der instanzgerichtli-
  69. 3
  70. chen Entscheidungen.
  71. I.
  72. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe zwar ihre aus
  73. 4
  74. dem Beratungsvertrag obliegenden Pflichten verletzt, indem sie unter Verkennung von § 23 Abs. 3 EStG mitgeteilt habe, ein Verlustrücktrag auf das Jahr
  75. 2000 sei nicht zulässig. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger bei zutreffender Auskunft seine Wertpapiere am 1. Februar 2001 veräußert hätte und der
  76. später entstandene Kursverlust vermieden worden wäre. Der Zweck der Vertragspflicht der Beklagten sei darauf gerichtet gewesen, den Kläger darüber zu
  77. unterrichten, ob die beabsichtigte Wertpapierveräußerung auch unter Einbeziehung steuerlicher Gesichtspunkte wirtschaftlich sinnvoll sei. Sinn und Zweck
  78. dieser Pflicht sei es jedoch nicht gewesen, den Kläger vor Vermögensschäden
  79. zu bewahren, die sich aus anderen als steuerlichen Gründen hätten einstellen
  80. können. Der geltend gemachte Vermögensschaden des Klägers in Form der
  81. Kursverluste sei nicht vom Schutzzweck der eingegangenen Verpflichtung umfasst.
  82. II.
  83. 5
  84. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  85. -5-
  86. 6
  87. 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte den ihr obliegenden Verpflichtungen aus dem mit dem Kläger bestehenden steuerlichen Beratungsvertragsverhältnis nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Die von ihr erteilte Auskunft, die beabsichtigte Verrechnung des
  88. Verlustes mit den im Vorjahr erzielten Gewinnen sei nicht möglich, stand in Widerspruch zur Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG.
  89. 7
  90. 2. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der geltend gemachte Schaden
  91. werde vom Schutzzweck der verletzten Beratungsverpflichtung nicht erfasst, ist
  92. rechtlich nicht zutreffend.
  93. 8
  94. a) Grundsätzlich haftet derjenige, der für ein schädigendes Ereignis verantwortlich ist, dem Geschädigten für alle dadurch ausgelösten rechtlichen und
  95. wirtschaftlichen Nachteile. Jedoch darf dem Anspruchsgegner nur der Schaden
  96. zugerechnet werden, der innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm
  97. eingetreten ist. Dieser auch im Vertragsrecht geltende Grundsatz bedeutet für
  98. den Bereich der Anwalts- und Steuerberaterhaftung, dass der Berater nur für
  99. solche Nachteile einzustehen hat, zu deren Abwendung er die aus dem Mandat
  100. folgenden Pflichten übernommen hat (BGHZ 116, 209, 213; BGH, Urt. v. 6. Februar 2002 - III ZR 206/01, NJW 2002, 2459, 2460; v. 13. Februar 2003 - IX ZR
  101. 62/02, WM 2003, 1621, 1622). Der Steuerberater, der dem Anlageinteressenten
  102. nur hinsichtlich eines bestimmten für das Vorhaben bedeutsamen Einzelpunktes Aufklärung schuldet, hat daher im Falle eines Fehlers lediglich für die Risiken einzustehen, für deren Einschätzung die geschuldete Aufklärung maßgeblich war (BGH, Urt. v. 13. Februar 2003, aaO).
  103. -6-
  104. b) Die Revision rügt jedoch zu Recht, dass die Beklagte trotz dieser die
  105. 9
  106. Schadenszurechnung begrenzenden Regeln für die finanziellen Nachteile einzustehen hat, die dem Kläger aus ihrer fehlerhaften Rechtsauskunft entstanden
  107. sind.
  108. 10
  109. Nach den von der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellten Feststellungen des Berufungsgerichts war der Beklagten bei Auskunftserteilung bekannt, dass die beabsichtigte Wertpapierveräußerung nur von der Frage abhing, ob der eingetretene Verlust mit den im Vorjahr erzielten Gewinnen verrechnet werden könne. Die von der Beklagten erbetene steuerliche Auskunft
  110. diente folglich für diese erkennbar allein dazu, dem Kläger die für das in Betracht kommende Wertpapiergeschäft gewünschte steuerrechtliche Information
  111. zu geben. Der Kläger hatte ihr gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er die
  112. Papiere verkaufen wolle, wenn er auf diesem Wege eine steuerliche Verrechnung bewirken könne. In diesem Falle war der Kläger willens, die Papiere nicht
  113. länger zu halten. Die Aufgabe der Steuerberaterin bestand demnach gerade
  114. darin, den Kläger darüber zu belehren, ob die steuerliche Voraussetzung gegeben war, unter welcher der Kläger die Papiere veräußern wollte mit der Folge,
  115. dass das Risiko weiterer Verluste entfiel. Der dem Kläger infolge des von der
  116. Beklagten zu verantwortenden Beratungsfehlers entstandene Kursverlust stellt
  117. damit den Nachteil dar, der nach dem Inhalt der von der Beklagten übernommenen Pflicht gerade vermieden werden sollte. Anders als in der vom Berufungsgericht herangezogenen Fallgestaltung im Urteil des Bundesgerichtshofs
  118. vom 30. Januar 1990 (XI ZR 63/89, NJW 1990, 2057, 2058) scheidet hier ein
  119. Ersatzanspruch des Mandanten nicht deshalb aus, weil ihm kein steuerlicher
  120. Schaden entstanden ist. Der geltend gemachte weitere Kursverlust fällt nach
  121. Art und Entstehungsweise unmittelbar unter den Schutzzweck der durch die
  122. -7-
  123. Falschauskunft verletzten Beratungspflicht der Beklagten. Daher hat die Beklagte für den eingetretenen Schaden aufzukommen.
  124. 11
  125. 3. Entgegen der von der Revisionsbeklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht entfällt der Zurechnungszusammenhang zwischen
  126. Pflichtverletzung und Schadensereignis nicht deshalb, weil das Unterlassen der
  127. Wertpapierveräußerung auf einem Willensentschluss des Klägers beruhte.
  128. 12
  129. Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein
  130. eigener selbständiger Willensakt des Geschädigten es nicht ausschließt, demjenigen die Schadensfolge zuzurechnen, der die Kausalkette in Gang gesetzt
  131. hat. Wurde die Handlung des Mandanten durch das haftungsbegründende Ereignis geradezu herausgefordert, so bleibt der Zurechnungszusammenhang mit
  132. dem Verhalten des Beraters bestehen (BGH, Urt. v. 28. Juni 1990 - IX ZR
  133. 209/89, WM 1990, 1917, 1922; v. 17. Juni 1993 - IX ZR 206/92, WM 1993,
  134. 1798, 1800; v. 20. Oktober 1994 - IX ZR 116/93, WM 1995, 398, 402; v.
  135. 13. März 2003 - IX ZR 181/99, NJW-RR 2003, 850, 855; ferner Fischer in
  136. Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 1018;
  137. Zugehör WM Sonderbeilage Nr. 3/2006, S. 22). Der eingetretene weitere Kursverlust ist der Beklagten haftungsrechtlich zuzurechnen. Ihr war bekannt, dass
  138. der Kläger willens war, den Verkaufsauftrag zu erteilen, falls die Möglichkeit,
  139. Kursgewinne und -verluste zu verrechnen, bestand. Damit hat sie den Entschluss des Klägers, die Papiere nicht zu veräußern, herausgefordert, indem
  140. sie den bei Kenntnis der Rechtslage veräußerungsbereiten Kläger durch ihre
  141. Auskunft davon abhielt, seine Verkaufsabsichten zu verwirklichen.
  142. 13
  143. 4. Dem Kläger ist ein Schaden in Höhe des Klagebetrages entstanden.
  144. -8-
  145. 14
  146. a) Steuervorteile, die dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang
  147. mit der Pflichtverletzung des Steuerberaters zufließen, sind auf den Schadensersatzanspruch grundsätzlich anzurechnen (BGH, Urt. v. 11. Oktober 2001
  148. - III ZR 288/00, NJW 2002, 888, 890; Urt. v. 13. Januar 2004 - XI ZR 355/02,
  149. NJW 2004, 1868, 1870; ferner Fischer, aaO Rn. 1082; Zugehör WM aaO
  150. S. 26). Als Steuervorteil im vorgenannten Sinn kommt auch die Möglichkeit in
  151. Betracht, die dem Kläger nach dem 1. Februar 2001 entstandenen Kursverluste
  152. im Rahmen eines steuerlichen Verlustvortrages zur Minderung der künftigen
  153. Steuerschuld nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG einzusetzen.
  154. 15
  155. b) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass
  156. die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Vorteilsausgleiches der Schädiger trägt (BGHZ 94, 195, 217; BGH, Urt. v. 23. Juni 1992
  157. - XI ZR 247/91, NJW-RR 1992, 1397; Urt. v. 17. Oktober 2003 - V ZR 84/02,
  158. NJW-RR 2004, 79, 81). Dies gilt auch im Rahmen eines steuerlichen Beratungsvertrages (BGH, Urt. v. 31. Januar 1991 - IX ZR 124/90, WM 1991, 814;
  159. Urt. v. 23. Oktober 2003 - IX ZR 249/02, WM 2004, 475, 477). Danach hat der
  160. Steuerberater darzutun, dass und gegebenenfalls in welcher Höhe der Geschädigte einen auszugleichenden Vermögensvorteil erlangt hat. Das trifft auch
  161. dann zu, wenn dem Geschädigten, wie im Streitfall, kein entsprechend § 255
  162. BGB abtretbarer anderweitiger Anspruch erwachsen ist.
  163. 16
  164. c) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beklagten nicht. Sie hat
  165. lediglich allgemein auf die rechtliche Möglichkeit einer Anrechnung gemäß § 23
  166. Abs. 3 EStG hingewiesen, ohne dies für die vorliegende Fallgestaltung näher zu
  167. konkretisieren. Da sie weiterhin die steuerlichen Angelegenheiten des Klägers
  168. betreut, war sie jedenfalls in der Lage, die wirtschaftlichen Auswirkungen eines
  169. derartigen Vorteils nachvollziehbar darzustellen, insbesondere vorzutragen, ob
  170. -9-
  171. die in Rede stehenden Verluste angemeldet und eine konkrete Anrechnung bereits erfolgt oder in nächster Zeit zu erwarten ist. Hieran fehlt es.
  172. Dr. Gero Fischer
  173. Dr. Ganter
  174. Dr. Kayser
  175. Raebel
  176. Dr. Detlev Fischer
  177. Vorinstanzen:
  178. LG Mannheim, Entscheidung vom 04.04.2002 - 3 O 441/01 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 25.05.2004 - 17 U 73/02 -