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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 42/06
  4. vom
  5. 22. Januar 2009
  6. in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. Lugano-Übk Art. 31 Abs. 1
  14. Ein vollstreckbares gerichtliches Urteil eines schweizerischen Gerichts oder ein gesetzliches Surrogat eines solchen Urteils stellt eine vollstreckbare Entscheidung im
  15. Sinne des Art. 31 Abs. 1 Luganer Übereinkommen dar, ohne dass in der Schweiz der
  16. Betreibungsweg beschritten und das Verfahren der definitiven Rechtsöffnung durchgeführt werden muss.
  17. BGH, Beschl. vom 22. Januar 2009 - IX ZB 42/06 - OLG Schleswig Holstein
  18. LG Lübeck
  19. -2-
  20. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  21. Dr. Ganter und die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
  22. am 22. Januar 2009
  23. beschlossen:
  24. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom
  25. 11. April 2005 und der Beschluss des 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen
  26. Oberlandesgerichts
  27. in
  28. Schleswig
  29. vom
  30. 9. Februar 2006 aufgehoben.
  31. Die
  32. Verfügung
  33. des
  34. Bezirksgerichts
  35. Zürich,
  36. Schweiz,
  37. vom
  38. 19. November 2003, Prozess-Nr. FO 030456/U1 wird mit folgendem Inhalt für vollstreckbar erklärt:
  39. Der Antragsgegner ist verpflichtet, an den Antragsteller CHF
  40. 2330,-- zuzüglich Verzugszinsen von 5 % seit 27. Januar 2003 zu
  41. bezahlen sowie Kosten von CHF 285,-- und eine Umtriebsentschädigung von CHF 227,--.
  42. Die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich ist mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
  43. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
  44. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
  45. 1.480 € festgesetzt.
  46. - 3 -
  47. Gründe:
  48. I.
  49. 1
  50. Der Antragsteller begehrt die Vollstreckbarerklärung einer Verfügung des
  51. Bezirksgerichts Zürich, die ergangen ist, nachdem der Antragsgegner mitgeteilt
  52. hatte, dass er die Klage des Antragstellers auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von CHF 2330,-- zuzüglich Verzugszinsen von 5 % seit
  53. 27. Januar 2003 anerkenne. In der Verfügung wurde der Prozess als durch Anerkennung der Klage erledigt abgeschrieben und der Antragsgegner verurteilt,
  54. die Kosten von CHF 285,-- und eine Umtriebsentschädigung von CHF 227,-- zu
  55. bezahlen.
  56. 2
  57. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde
  58. verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Vollstreckbarerklärung weiter.
  59. II.
  60. 3
  61. Das gemäß § 15 Abs. 1 AVG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte
  62. Rechtsmittel ist zulässig, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574
  63. Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ob ein rechtskräftiges vollstreckbares gerichtliches Urteil
  64. oder ein diesem gleichstehendes Surrogat nach schweizerischem Recht als
  65. vollstreckbare Entscheidung im Sinne des Art. 31 des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
  66. Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (BGBl.
  67. 1994 II S. 2660; im Folgenden auch: LugÜ) anzusehen ist. Die Rechtsbe-
  68. - 4 -
  69. schwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
  70. eingelegt und begründet worden, § 15 Abs. 2 und 3, § 16 AVAG.
  71. III.
  72. 4
  73. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verfügung des Bezirksgerichts
  74. Zürich ist gemäß § 8 AVAG für vollstreckbar zu erklären (§ 17 Abs. 3 AVAG).
  75. 5
  76. 1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die Voraussetzungen des Art. 31
  77. Abs. 1 LugÜ lägen nicht vor, weil es an der Vollstreckbarkeit der vorgelegten
  78. Entscheidung in der Schweiz fehle. Zwar stelle die hier streitgegenständliche
  79. Verfügung nach Schuldanerkennung ein gesetzliches Surrogat eines vollstreckbaren gerichtlichen Urteils dar. Der Gläubiger müsse aber zunächst den Betreibungsweg beschreiten und dem Schuldner einen Zahlungsbefehl zustellen lassen. Auf einen - einem Widerspruch gegen einen Mahnbescheid vergleichbaren - Rechtsvorschlag des Schuldners müsse er das sogenannte definitive
  80. Rechtsöffnungsverfahren betreiben. Der Gläubiger könne beim Richter die definitive Aufhebung der Einstellungswirkung des Rechtsvorschlags verlangen, wobei der Schuldner - anders als beim provisorischen Rechtsöffnungsverfahren nur mit Einwendungen gehört werde, welche die Tilgung, Stundung oder Verjährung der Schuld seit Erlass des Urteils beträfen. Bringe der Schuldner keine
  81. begründeten Einwendungen vor, werde der Rechtsvorschlag beseitigt und dem
  82. Gläubiger die definitive Rechtsöffnung erteilt; erst damit könne er in der
  83. Schweiz zur Vollstreckung im eigentlichen Sinne schreiten.
  84. - 5 -
  85. 6
  86. 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung teilweise nicht stand.
  87. Das Beschwerdegericht hat den Begriff der vollstreckbaren Entscheidung in
  88. Art. 31 Abs. 1 LugÜ verkannt.
  89. 7
  90. a) Auf das vorliegende Verfahren findet das Übereinkommen von Lugano
  91. Anwendung, da die Schweiz nicht Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ist, Art. 54b Abs. 2 Buchst. c LugÜ.
  92. 8
  93. b) Die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich stellt nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ein gesetzliches Surrogat eines vollstreckbaren
  94. gerichtlichen Urteils eines schweizerischen Gerichts dar. Dies wurde von der
  95. Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen (vgl. auch § 80 Abs. 2 des Schweizerischen Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, im Folgenden:
  96. SchKG). Gemäß Art. 25 LugÜ ist unter einer Entscheidung im Sinne dieses Übereinkommens jede von einem Gericht eines Vertragsstaates erlassene Entscheidung zu verstehen ohne Rücksicht auf die Bezeichnung.
  97. 9
  98. c) Ein vollstreckbares schweizerisches Urteil oder ein ihm gleichgestelltes Surrogat stellt eine vollstreckbare Entscheidung im Sinne des Art. 31 LugÜ
  99. dar, die auf Antrag eines Berechtigten in Deutschland für vollstreckbar erklärt
  100. werden kann, ohne dass in der Schweiz der Betreibungsweg beschritten und
  101. die definitive Rechtsöffnung erwirkt worden sein muss.
  102. 10
  103. (1) Wie sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entnehmen lässt, betrifft der Begriff der Vollstreckbarkeit im Urteilsstaat lediglich
  104. die Vollstreckbarkeit in formeller Hinsicht, nicht aber die Voraussetzungen, unter denen die Entscheidung im Urteilsstaat tatsächlich vollstreckt werden kann
  105. (vgl. EuGH, Urt. v. 29. April 1999 Rs C-267/97 Eric Coursier/Fortis Bank SA,
  106. - 6 -
  107. Sammlung 1999 S. 2543, 2571 Rn. 29). Diese Rechtsprechung ist zwar zu der
  108. mit Art. 31 LugÜ übereinstimmenden Bestimmung des Art. 31 EuGVÜ ergangen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Brüsseler EWGÜbereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelsachen ist jedoch nach den Erklärungen der Vertreter der Regierungen der Unterzeichnerstaaten des Luganer
  109. Übereinkommens (BGBl. 1999 II S. 2700 ff) auch bei dessen Auslegung zu berücksichtigen (vgl. z.B. MünchKomm-ZPO/Gottwald, 2. Aufl. LugÜ Protokoll
  110. Nr. 2 Rn. 4, 5).
  111. 11
  112. (2) Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des schweizerischen Betreibungsrechts steht der Vollstreckbarkeit im Sinne des Art. 31 LugÜ nicht entgegen. Die definitive Rechtsöffnung in diesem Sinne ist keine Voraussetzung der
  113. Vollstreckbarerklärung schweizerischer Titel in Deutschland.
  114. 12
  115. aa) Nach schweizerischem Betreibungsrecht kann, wie das Beschwerdegericht festgestellt hat, der Schuldner nur mit Einwendungen gehört werden,
  116. welche die Tilgung, Stundung oder Verjährung der Schuld seit Erlass des Urteils betreffen. Bringt der Schuldner keine begründeten Einwendungen in diesem Sinne vor, wird sein Rechtsvorschlag beseitigt und dem Gläubiger die definitive Rechtsöffnung erteilt, womit dieser zur Vollstreckung im eigentlichen Sinne in der Schweiz schreiten kann. Damit entspricht dieses Verfahren funktional
  117. der deutschen Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO (Walter, ZZP 107
  118. (1994), 301, 313; Keßler, Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gemäß Art. 31
  119. und 47 Nr. 1 EuGVÜ, S. 142). Das schweizerische Verfahren der definitiven
  120. Rechtsöffnung ist in derartigen Fällen deshalb ebenso wie die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO ein Verfahren, das das Vollstreckungsverfahren im
  121. Sinne des Art. 16 Nr. 5 LugÜ zum Gegenstand hat (vgl. EuGH, Urt. v. 4. Juli
  122. - 7 -
  123. 1985, Rechtssache 220/84, AS-Autoteile Service/Malhé, Sammlung 1985,
  124. 2267, 2277 f Rn. 12, 19).
  125. bb) Da die definitive Rechtsöffnung nach schweizerischem Recht dem
  126. 13
  127. Zwangsvollstreckungsverfahren im Sinne des Art. 16 Nr. 5 LugÜ zuzurechnen
  128. ist, fehlt es bereits an der internationalen Zuständigkeit schweizerischer Gerichte, wenn die Vollstreckung im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates
  129. durchgeführt werden soll (vgl. Keßler aaO S. 141/142 und die dort zitierte herrschende schweizer Rechtslehre; Walter, aaO S. 313). International zuständig
  130. sind ausschließlich die Gerichte im Vollstreckungsstaat. Dies schließt es aus,
  131. als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit im Sinne des Art. 31 LugÜ die Durchführung des Verfahrens der definitiven Rechtsöffnung in der Schweiz zu verlangen. Denn ein solches Verfahren könnte dort mangels internationaler Zuständigkeit gar nicht durchgeführt werden. Eine Auslegung, die dies trotzdem fordert, wäre mit einer völkerrechtsfreundlichen Handhabung des Luganer
  132. Übereinkommens nicht vereinbar, weil sie die Vollstreckbarerklärung in anderen
  133. Vertragsstaaten ausschlösse.
  134. cc) Der Schuldner kann die Einwendungen, die er im definitiven Rechts-
  135. 14
  136. öffnungsverfahren nach schweizerischem Recht erheben könnte, auch im deutschen Verfahren auf Vollstreckbarerklärung vorbringen. Er kann sie gemäß § 12
  137. Abs. 1
  138. AVAG
  139. im
  140. Verfahren
  141. der
  142. sofortigen
  143. Beschwerde
  144. vor
  145. dem
  146. Oberlandesgericht oder in einem späteren Verfahren nach Maßgabe des § 14
  147. AVAG geltend machen.
  148. 15
  149. 3. Die Beschwerdeentscheidung ist auch nicht aus anderen Gründen
  150. richtig, § 17 Abs. 2 Satz 2 AVAG, § 577 Abs. 3 ZPO.
  151. - 8 -
  152. 16
  153. Die Auffassung des Landgerichts, es liege schon kein vollstreckbarer
  154. Titel vor, hat das Beschwerdegericht nach Prüfung des schweizerischen Rechts
  155. im Hinblick auf § 80 Abs. 2 SchKG für unzutreffend erachtet. Dies ist der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht gemäß § 17 Abs. 1 AVAG entzogen.
  156. 17
  157. 4. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen
  158. Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 17 Abs. 2
  159. AVAG, § 577 Abs. 5 ZPO.
  160. 18
  161. Anerkennungshindernisse gemäß Art. 34 Abs. 2 LugÜ aus den in Art. 27
  162. und 28 LugÜ angeführten Gründen sind nicht gegeben. Die erforderlichen Unterlagen nach Art. 46 ff LugÜ sind vorgelegt. Einwendungen nach § 12 Abs. 1
  163. AVAG hat der Antragsgegner nicht geltend gemacht.
  164. - 9 -
  165. 19
  166. 5. Die Festlegung des Streitwertes richtet sich nach dem Wechselkurs
  167. bei Eingang der Rechtsbeschwerde am 21. März 2006. Er betrug an diesem
  168. Tag nach Auskunft der Deutschen Bundesbank 1,5738.
  169. Ganter
  170. Gehrlein
  171. Fischer
  172. Vill
  173. Grupp
  174. Vorinstanzen:
  175. LG Lübeck, Entscheidung vom 11.04.2005 - 10 O 56/05 OLG Schleswig, Entscheidung vom 09.02.2006 - 16 W 59/05 -