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12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZB 44/05
  4. vom
  5. 28. Juni 2006
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. _____________________
  13. ZPO §§ 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2
  14. Überlässt ein bundesweit tätiger Versicherer nach endgültiger Leistungsablehnung seine Akten einem Rechtsanwalt, der aufgrund ständiger Geschäftsbeziehungen derartige Verfahren weiter bearbeitet ("Hausanwalt"), hat der
  15. unterliegende Prozessgegner diese Betriebsorganisation hinzunehmen und
  16. etwaige fiktive Reisekosten des bevollmächtigten Hausanwalts als notwendige Kosten des Rechtsstreits zu tragen (Fortführung von Senatsbeschluss vom
  17. 21. Januar 2004 - IV ZB 32/03 - RuS 2005, 91).
  18. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2006 - IV ZB 44/05 - OLG Stuttgart
  19. LG Stuttgart
  20. -2-
  21. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
  22. Dr. Franke
  23. am 28. Juni 2006
  24. beschlossen:
  25. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 2005 aufgehoben.
  26. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Stuttgart vom
  27. 9. September 2005 wird zurückgewiesen.
  28. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerde- und des
  29. Rechtsbeschwerdeverfahrens.
  30. Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf
  31. 1.046,78 € festgesetzt.
  32. -3-
  33. Gründe:
  34. I. Der Rechtsbeschwerdeführer verlangt im Kostenfestsetzungsver-
  35. 1
  36. fahren Erstattung fiktiver Reisekosten seines Hauptprozessbevollmächtigten.
  37. Im Ausgangsrechtsstreit stritt der Kläger vor dem Landgericht
  38. 2
  39. Stuttgart mit seinem bundesweit tätigen Krankenversicherer um die Erstattungsfähigkeit entstandener Arztkosten. Der Beklagte, der seinen
  40. Sitz in L.
  41. hat, beauftragte mit der Prozessvertretung einen in B.
  42. ansässigen Rechtsanwalt, dem er alle seine Fälle, bei denen es nach
  43. endgültiger Leistungsablehnung zum Rechtsstreit kommt, zur weiteren
  44. weitgehend eigenständigen Bearbeitung überlässt. Die Parteien schlossen nach drei Verhandlungsterminen einen Vergleich, wonach der Kläger
  45. 4/5, der Beklagte 1/5 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Die
  46. Verhandlungstermine hatten für den Beklagten Unterbevollmächtigte aus
  47. T.
  48. 3
  49. wahrgenommen.
  50. Deren Kosten in Höhe von 1.996,36 € setzte der Prozessbevoll-
  51. mächtigte des Beklagten in seinem Kostenfestsetzungsantrag an, hilfsweise seine eigenen fiktiven Reisekosten von L.
  52. nach Stuttgart in
  53. Höhe von 1.308,48 €. Die Rechtspflegerin des Landgerichts erkannte nur
  54. letztere als erstattungsfähig an. Auf die hiergegen vom Kläger eingelegte
  55. sofortige Beschwerde hob das Beschwerdegericht den Kostenfestsetzungsbeschluss auf und setzte die zu erstattenden Kosten des Beklagten
  56. unter Abzug (auch) dieser fiktiven Reisekosten fest. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte
  57. die Kostenerstattung unter Berücksichtigung fiktiver Reisekosten weiter.
  58. -4-
  59. 4
  60. II. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO und auch im Übrigen
  61. zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
  62. 5
  63. 1. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hätte der Beklagte einen
  64. Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts bevollmächtigen müssen. Dieser hätte durch die qualifizierten Mitarbeiter des Beklagten schriftlich instruiert werden können, da der Ausgangsrechtsstreit - was unstreitig ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten geboten
  65. habe. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass sein Prozessbevollmächtigter besonders sachkundig gewesen sei, da es bei Wahrnehmung der rechtlichen Interessen weniger auf juristisches, als vielmehr auf medizinisches Wissen angekommen sei. Die Rechtsprechung
  66. des Bundesgerichtshofes zum so genannten "Outsourcing" (BGH, Beschlüsse vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - VersR 2004, 352; vom
  67. 2. Dezember 2004 - I ZB 4/04 - BB 2005, 294) sei nicht einschlägig, da
  68. es nicht um rechtliche Schwierigkeiten des Prozesses gehe, sondern um
  69. die Information und Instruktion eines Rechtsanwalts in einer Rechtsangelegenheit, die zum eigentlichen Unternehmensgegenstand des Beklagten
  70. gehöre. Der Beklagte verlagere mithin typische Sachbearbeiteraufgaben
  71. auf seinen Hausanwalt, um so Personal einzusparen. Allgemeiner Aufwand bei der Bearbeitung eines Prozesses begründe jedoch keinen Kostenerstattungsanspruch.
  72. 6
  73. 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  74. -5-
  75. 7
  76. a) Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten richtet sich nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO (BGH, Beschlüsse vom
  77. 9. September 2004 - I ZB 5/04 - VersR 2005, 1454 unter 2; vom 11. November 2003 aaO unter 2 a; vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW
  78. 2003, 898 unter B II 1). Um dem Bedarf an persönlichem Kontakt und
  79. dem Vertrauensverhältnis zwischen Partei und Anwalt Rechnung zu tragen, kann eine Partei grundsätzlich die Kosten ihres Prozessbevollmächtigten auch dann erstattet verlangen, wenn dieser bei dem Prozessgericht nicht zugelassen und am Gerichtsort nicht ansässig ist (vgl. BGH,
  80. Beschlüsse vom 6. Mai 2004 - I ZB 27/03 - NJW-RR 2004, 1500 unter II;
  81. vom 18. Dezember 2003 - I ZB 18/03 - NJW-RR 2004, 856 unter II 1).
  82. Die - dann ggf. zusätzlich entstehenden - Kosten eines Unterbevollmächtigten sind zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aber nur notwendig - also erstattungsfähig -, soweit sie die
  83. durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten ersparten, erstattungsfähigen Reisekosten des Hauptbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen (Senatsbeschluss vom 21. September 2005 - IV ZB 11/04 - VersR
  84. 2006, 136 unter 2 a aa; BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2004 aaO
  85. unter II 2; vom 14. September 2004 - VI ZB 37/04 - NJW-RR 2005, 707
  86. unter II 1; vom 16. Oktober 2002 aaO unter B II 2 a).
  87. 8
  88. Maßstab für die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten des Hauptbevollmächtigten wiederum ist § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2004 - IV ZB 32/03 - RuS 2005, 91 unter 1;
  89. BGH, Beschluss vom 11. November 2003 aaO unter 2 b bb). Danach ist
  90. die Beauftragung des Hauptbevollmächtigten nicht erforderlich, wenn ein
  91. am Ort des Prozessgerichts ansässiger Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter hätte beauftragt werden müssen (BGH, Beschlüsse vom
  92. -6-
  93. 2. Dezember 2004 aaO unter II 2; vom 9. September 2004 aaO unter 2 a;
  94. vom 13. Mai 2004 - I ZB 3/04 - NJW-RR 2004, 1212 unter 1). Dies ist
  95. (u.a.) dann der Fall, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des
  96. Hauptbevollmächtigten feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch nicht erforderlich sein wird (BGH, Beschlüsse vom 3. März 2005
  97. - I ZB 24/04 - NJW-RR 2005, 922 unter II 2 c; vom 2. Dezember 2004
  98. aaO unter II 3 b; vom 9. September 2004 aaO unter 3 b; vom 23. März
  99. 2004 - VIII ZB 145/03 - FamRZ 2004, 866 unter 2; vom 11. November
  100. 2003 aaO unter 2 b bb (b)), wie beispielsweise bei einem Unternehmen,
  101. das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt
  102. (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2004 aaO unter 2 a; BGH, Beschlüsse
  103. vom 13. Mai 2004 aaO unter 1; vom 6. Mai 2004 aaO unter II; vom
  104. 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898 unter B II 2 b bb (2)).
  105. 9
  106. b) Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte nicht gehalten, einen Bevollmächtigten am Gerichtsort zu beauftragen.
  107. 10
  108. aa) Unstreitig verfügt er zwar über qualifiziertes Personal, das
  109. auch zur schriftlichen Instruktion auswärtiger Rechtsanwälte in der Lage
  110. ist. Allerdings erforderte eine solche Bearbeitung der jährlich anfallenden
  111. 120-150 Gerichtsverfahren seinen Angaben zufolge die Einstellung weiterer Mitarbeiter. Aus diesem - vom Kläger bestrittenen - Grunde beauftragt der Beklagte in allen Fällen streitig werdender Leistungsablehnungen den auch hier mandatierten Hauptprozessbevollmächtigten, indem er
  112. ihm regelmäßig ohne weitere Instruktionen lediglich die Mitgliedsakten
  113. zur selbstständigen Bearbeitung nach den ihm bekannten Geschäftsgrundsätzen seines Auftragsgebers überlässt. Diese interne betriebliche
  114. Organisation der Abwicklung derartiger Prozessfälle hat der Kläger hin-
  115. -7-
  116. zunehmen, ohne dass es auf die vorgenannte Frage vorhandener Personalkapazität für schriftliche Instruktionen anstelle nicht erforderlicher
  117. Mandantengespräche ankommt.
  118. 11
  119. bb) Der Beklagte muss sich nicht so behandeln lassen, als sei seine Betriebsorganisation auf nicht-mündliche Unterrichtungen wechselnder Rechtsanwälte am jeweiligen Gerichtssitz eingerichtet. Im Rahmen
  120. der Kostenerstattung kommt es auf die tatsächliche Organisation des Unternehmens der Partei an und nicht darauf, welche Organisation als
  121. zweckmäßiger anzusehen sein könnte (st. Rspr. Senatsbeschlüsse vom
  122. 21. September 2005 - IV ZB 11/04 - VersR 2006, 136 unter 2 b aa; vom
  123. 21. Januar 2004 aaO unter 2 a mit zahlreichen w.N.). Der Prozessgegner
  124. hat es hinzunehmen, dass er die erforderlichen Kosten eines als Hauptbevollmächtigten eingeschalteten Rechtsanwalts regelmäßig zu tragen
  125. hat, während etwa die Kosten einer Rechtsabteilung bzw. besonders
  126. qualifizierter Fachabteilungen nicht auf ihn abgewälzt werden könnten
  127. (BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2004 aaO unter II 3 b bb m.w.N.;
  128. vom 9. September 2004 aaO unter 3 a bb; vom 13. Mai 2004 aaO unter
  129. 2). Es besteht keine Obliegenheit oder gar Verpflichtung, durch eine unternehmerische Entscheidung, deren Kosten nicht absehbar sind und
  130. hier zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen müsste, eine entsprechende interne Organisation vorzusehen bzw. vorzuhalten.
  131. 12
  132. cc) Die vom Beklagten gewählte Organisationsform wird von seinem berechtigten Interesse getragen, sich durch den Rechtsanwalt seines Vertrauens auch vor auswärtigen Gerichten vertreten zu lassen; ein
  133. solcher Bedarf ist ebenso gewichtig wie ein etwaiger Bedarf an persönlichem Kontakt zwischen Partei und Anwalt (vgl. BGH, Beschlüsse vom
  134. -8-
  135. 2. Dezember 2004 aaO unter II 3 a; vgl. auch Beschlüsse vom
  136. 14. September 2004 - VI ZB 37/04 - NJW-RR 2005, 707 unter II 2; vom
  137. 9. September 2004 aaO unter 3 a; vom 11. März 2004 - VII ZB 27/03 NJW-RR 2004, 858 unter II 2 a). Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant dient der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege (BGH,
  138. Urteil vom 4. April 2005 - AnwZ (B) 19/04 - NJW 2005, 1711 unter II zu
  139. Fachanwaltsbezeichnungen) und war ein entscheidender Grund für die
  140. Änderung des Lokalisationsprinzips und der Singularzulassung (vgl. BTDrucks. 12/4993, S. 43 und 53; BVerfGE 103, 1, 16; BGH, Beschlüsse
  141. vom 11. März 2004 aaO; vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW
  142. 2003, 898 unter B II 2 b bb (1)). Dem muss auch im Rahmen der Kostenerstattung Rechnung getragen werden (BGH, Beschluss vom 11. März
  143. 2004 aaO).
  144. 13
  145. dd) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts lässt sich der
  146. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum so genannten "Outsourcing" (Beschluss vom 11. November 2003 aaO) nichts anderes entnehmen. Zu Recht weist die Beschwerde daraufhin, dass die vom Beschwerdegericht daraus abgeleitete Sonderbehandlung rechtlich minder
  147. schwerer Fälle erhebliche Abgrenzungsprobleme mit sich brächte. Dies
  148. wäre bereits mit der im Kostenrecht gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht zu vereinbaren (BGH, Beschlüsse vom 12. Dezember
  149. 2002 - I ZB 29/02 - VersR 2004, 666 unter 2 b aa; vom 2. Dezember
  150. 2004 aaO unter II 2; vom 9. September 2004 aaO unter 2 b; vgl. auch
  151. Wolst in Musielak, ZPO 4. Aufl. § 91 Rdn. 27).
  152. 14
  153. c) Ob gegebenenfalls auch höhere Kosten infolge der Beauftragung eines - wie hier - an einem dritten Ort ansässigen Prozessbevoll-
  154. -9-
  155. mächtigten erstattungsfähig sein können, bedarf keiner Entscheidung
  156. (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. September 2004 aaO unter II 2 c; vom
  157. 11. März 2004 aaO unter II 2 b (2)). Der Beklagte begehrt lediglich die
  158. Festsetzung der fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten vom
  159. Unternehmenssitz zum Gerichtsort.
  160. Terno
  161. Dr. Schlichting
  162. Felsch
  163. Wendt
  164. Dr. Franke
  165. Vorinstanzen:
  166. LG Stuttgart, Entscheidung vom 09.09.2005 - 22 O 340/03 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 28.10.2005 - 8 W 479/05 -