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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. II ZR 288/99
  4. URTEIL
  5. in dem Rechtsstreit
  6. Verkündet am:
  7. 17. Dezember 2001
  8. Boppel
  9. Justizamtsinspektor
  10. als Urkundsbeamter
  11. der Geschäftsstelle
  12. -2-
  13. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom
  15. 12. November
  16. 2001
  17. durch
  18. den
  19. Vorsitzenden
  20. Richter
  21. Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette,
  22. Dr. Kurzwelly und die Richterin Münke
  23. für Recht erkannt:
  24. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats
  25. des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. August 1999 aufgehoben.
  26. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
  27. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  28. Von Rechts wegen
  29. -3-
  30. Tatbestand:
  31. Die Kläger wenden sich mit ihrer Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 1 (Beschluß über den Jahresabschluß 1997)
  32. und 7 (Bestätigung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 10. Oktober
  33. 1994 über die Herabsetzung des Grundkapitals), die in der Hauptversammlung
  34. der Beklagten vom 14. Juli 1998 gefaßt worden sind. In der Revisionsinstanz
  35. streiten die Parteien darüber, ob die Hauptversammlung ordnungsgemäß i.S.
  36. des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG einberufen worden ist. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
  37. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der bis zum 6. Juni 1997 gültigen Satzung mußte
  38. der Vorstand der Beklagten, die im Zeitpunkt der Beschlußfassung über ein
  39. Grundkapital von 75 Mio. DM verfügte, aus mindestens zwei Mitgliedern bestehen. Für die Folgezeit ist die Vorschrift dahingehend geändert worden, daß der
  40. Aufsichtsrat die Zahl der Vorstandsmitglieder bestimmt. Nachdem das Vorstandsmitglied H.
  41. sein Vorstandsamt zum 28. Februar 1998 niedergelegt
  42. hatte, faßte der Aufsichtsrat am 25. Mai 1998 den Beschluß, Herrn H.
  43. Vorstandsmitglied abzuberufen. Zugleich beschloß er, Herrn S.
  44. als
  45. mit Wirkung
  46. ab 1. Juni 1998 zum Mitglied des Vorstandes der Beklagten zu bestellen. In der
  47. Zeit vom 28. Februar bis zum 31. Mai 1998 war somit alleiniges Mitglied des
  48. Vorstandes Herr Dr. B.
  49. . Die auf den 26. Mai 1998 datierte Einladung zur
  50. Hauptversammlung vom 14. Juli 1998 ist am 29. Mai 1998 im Bundesanzeiger
  51. veröffentlicht worden. Die Parteien streiten u.a. darüber, ob der Aufsichtsrat mit
  52. seinem in der Sitzung vom 25. Mai 1998 gefaßten Beschluß für die Zeit bis
  53. zum 1. Juni 1998 die Zahl der Vorstandsmitglieder auf ein Mitglied beschränkt
  54. hat.
  55. -4-
  56. Die Anfechtungsklage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
  57. Entscheidungsgründe:
  58. Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung. Der Vorstand
  59. der Beklagten war bei Abschluß der vorbereitenden Maßnahmen für die Haup tversammlung am 26. Mai 1998 sowie bei der Einladung zur Hauptversammlung
  60. durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 29. Mai 1998 entsprechend den
  61. Anforderungen des Gesetzes und der Satzung der Beklagten (vgl. §§ 23 Abs. 3
  62. Nr. 6, 76 Abs. 2 Satz 2 AktG) ordnungsgemäß besetzt. Der Beklagten kann
  63. somit ein Formfehler bei der Erarbeitung und Bekanntgabe der Vorschläge zur
  64. Beschlußfassung in der Hauptversammlung vom 14. Juli 1998, der zur Anfechtung der Beschlüsse berechtigen würde, nicht vorgeworfen werden.
  65. 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die vorbereitenden Maßnahmen i.S. des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG von dem Gesamtvorstand zu treffen und zu verantworten sind. Nach § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG
  66. sowie § 8 Abs. 1 der vor dem 6. Juni 1997 gültigen Satzung der Beklagten
  67. mußte der Gesamtvorstand aus zwei Mitgliedern bestehen. Der Umstand, daß
  68. ein Vorstandsmitglied durch Niederlegung seines Amtes aus dem Vorstand
  69. ausschied, führte unter Zugrundelegung dieser Regelung nicht dazu, daß diese
  70. Maßnahmen nur durch das verbliebene Vorstandsmitglied vorzubereiten und
  71. zu verantworten waren. Das hat der Senat in dem Verfahren II ZR 225/99 mit
  72. -5-
  73. Urteil vom 12. November 2001 entschieden. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
  74. 2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war der Vorstand am 26.
  75. bzw. 29. Mai 1998 unter der Geltung der neugefaßten Satzung der Beklagten
  76. mit einem Mitglied ordnungsgemäß besetzt.
  77. a) Entgegen der Ansicht der Kläger stimmt die neue Satzungsregelung,
  78. nach der die Zahl der Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat der Beklagten bestimmt wird, mit der gesetzlichen Vorschrift des § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG überein. Diese Bestimmung schreibt für Gesellschaften mit einem Grundkapital von
  79. mehr als 3 Mio. € mindestens zwei Vorstandsmitglieder vor. Nach ihrem Wor
  80. tlaut gilt jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz, wenn die Satzung bestimmt, daß der Vorstand nur aus einer Person besteht. Dem entspricht die in
  81. § 8 der Satzung der Beklagten getroffene Regelung nicht. Die mit der Neufassung des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 in das Gesetz eingefügte
  82. Vorschrift des § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG ist jedoch unter Berücksichtigung von
  83. § 23 Abs. 2 Nr. 6 AktG auszulegen, wonach in der Satzung die Zahl der Mitglieder des Vorstandes oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt
  84. wird, anzugeben sind. Eine Satzungsvorschrift, nach der die Zahl der Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat bestimmt wird, gibt eine Regel an, nach der
  85. die Zahl der Vorstandsmitglieder festgelegt wird (Reg.Begr. BT-Drucks. 8/1678
  86. S. 12; Hüffer, AktG 4. Aufl. § 76 Rdn. 22; ders. NJW 1979, 1065, 1066; Pentz
  87. in MünchKomm. z. AktG § 23 Rdn. 136; Krafft in KK z. AktG, 2. Aufl. § 23
  88. Rdn. 76; Ganske, DB 1978, 2461, 2462).
  89. Die Vorschrift des § 23 Abs. 2 Nr. 6 AktG, deren gegenwärtige Fassung
  90. auf dem Gesetz zur Durchführung der zweiten Richtlinie vom 13. Dezember
  91. -6-
  92. 1976 (BGBl. 1978, S. 1959) beruht, steht mit Art. 2 lit. d dieser Richtlinie (77/91
  93. EWG, ABl.EG Nr. L 26 vom 31. Januar 1977, S. 1) in Übereinstimmung. Zwar
  94. hat die Satzung nach dem Wortlaut der deutschen Fassung der Richtlinie "die
  95. Bestimmungen, welche die Zahl ... der Mitglieder ..." festlegt, zu enthalten. Diese Fassung entspricht jedoch nicht der Entstehungsgeschichte der Richtlinienvorschrift (Ganske, DB 1978, 1461, 1462 Fn. 11). Diese spiegelt sich vielmehr
  96. zutreffend u.a. in der englischen und französischen Fassung wider, die von
  97. "rules, governing the number of ... members" bzw. von "règles, qui déterminent
  98. le nombre ..." sprechen (zu diesen Fassungen vgl. EUR-Lex, Community legislation in force bzw. Législation communitaire en vigueur, Document 377
  99. L 001 S. 1). Die Richtigkeit dieser Anwendung des Gemeinschaftsrechtes, die
  100. auch der Ansicht des deutschen historischen Gesetzgebers entspricht (vgl.
  101. BT-Drucks. 8/1678 S. 12), ist offenkundig im Sinne der Rechtsprechung des
  102. Europäischen Gerichtshofes (vgl. EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982 - RS 283/81,
  103. Slg. 1982, 3415, 3430 f.). Es bedarf daher keiner Vorlage an den Europäischen
  104. Gerichtshof.
  105. b) Mit seinen Beschlüssen zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 der
  106. Sitzung vom 25. Mai 1998 hat der Aufsichtsrat zum Ausdruck gebracht, daß er
  107. die Zahl der Vorstandsmitglieder nach § 8 Abs. 1 der ab 6. Juni 1997 gültigen
  108. Satzung auf ein Mitglied reduziert. In dem Beschluß zu Tagesordnungspunkt 2
  109. hat der Aufsichtsrat der Niederlegung des Vorstandsmandates durch das frühere Vorstandsmitglied H.
  110. zugestimmt und dessen Abberufung beschlossen.
  111. Zu Tagesordnungspunkt 3 hat der Aufsichtsrat den Beschluß gefaßt, Herrn
  112. S.
  113. mit Wirkung ab 1. Juni 1998 zum Mitglied des Vorstandes der Beklagten
  114. zu bestellen. Zwar wird in diesen Beschlüssen nicht ausgesprochen, daß für
  115. die Zeit bis zum Antritt des Amtes durch Herrn S.
  116. die Zahl der Vorstandsmit-
  117. glieder auf eine Person beschränkt wird. Ein solcher Beschlußinhalt kann je-
  118. -7-
  119. doch durch Auslegung beider Beschlüsse festgestellt werden. Einmal ist sich
  120. der Aufsichtsrat des Umstandes, daß bis zum Antritt des Amtes durch Herrn
  121. S.
  122. der Vorstand nur mit einem Mitglied besetzt war, bewußt gewesen. Zum
  123. anderen hat er trotz Kenntnis dieses Umstandes, Herrn S.
  124. nicht mit soforti-
  125. ger Wirkung, sondern erst ab 1. Juni 1998 in den Vorstand berufen. Damit hat
  126. er hinreichend zum Ausdruck gebracht, daß für die Zwischenzeit von der Berufung eines weiteren Vorstandsmitgliedes abgesehen und damit die Zahl der
  127. Vorstandsmitglieder auf eine Person beschränkt wird.
  128. Das Berufungsgericht hat zwar im Ausgangspunkt seiner gegenteiligen
  129. Überlegungen insoweit Recht, als Aufsichtsratsbeschlüsse nach der Rechtsprechung des Senates nicht stillschweigend gefaßt werden können, sondern
  130. daß es eines ausdrücklichen Beschlusses bedarf (BGHZ 10, 187, 194; BGHZ
  131. 41, 282, 286). Liegt jedoch ein ausdrücklich gefaßter Beschluß vor, so kann
  132. seine Auslegung dazu führen, daß ein über den ausdrücklichen Beschlußwor tlaut hinausgehender Erklärungsgehalt zu berücksichtigen ist (BGHZ 12, 337,
  133. 340; BGH, Urt. v. 19. Dezember 1988 - II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295). Diese
  134. Voraussetzungen sind, wie vorstehend ausgeführt, im vorliegenden Falle gegeben. Das hat das Berufungsgericht verkannt.
  135. -8-
  136. Da die Kläger ihre Anfechtungsklage auf verschiedene weitere Gründe
  137. gestützt haben, zu denen bislang keine Feststellungen getroffen worden sind,
  138. war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  139. Röhricht
  140. Henze
  141. Goette
  142. Frau RinBGH Münke
  143. ist wegen Erkrankung
  144. an der Leistung der
  145. Unterschrift gehindert
  146. Kurzwelly
  147. Röhricht