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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 264/99
  5. Verkündet am:
  6. 2. Juli 2001
  7. Vondrasek
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. GmbHG §§ 30, 31, 32 a und 32 b
  16. Der durch den in der Krise der Gesellschaft erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag entstandene Nutzungsentschädigungsanspruch des Gesellschafters teilt das Schicksal
  17. des bis dahin gestundeten Kaufpreisanspruchs und ist wie dieser als eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfe einzuordnen.
  18. BGH, Urt. v. 2. Juli 2001 - II ZR 264/99 - OLG Dresden
  19. LG Leipzig
  20. -2-
  21. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  22. vom 2. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die
  23. Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und Kraemer
  24. für Recht erkannt:
  25. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats
  26. des Oberlandesgerichts Dresden vom 29. Juli 1999 aufgehoben.
  27. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
  28. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  29. Von Rechts wegen
  30. Tatbestand:
  31. Der Kläger ist Verwalter in dem am 5. November 1996 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der L.
  32. B.
  33. GmbH (L.B. GmbH). Deren Alleingesellschafterin ist die Beklagte. Diese verkaufte am 7. September 1992 ihrer Tochtergesellschaft ein ihr bereits eine
  34. Woche zuvor zur Nutzung überlassenes Grundstück in L.
  35. ; der Kaufpreis
  36. wurde gestundet und sollte in zehn gleichen Jahresraten von 51.780,-- DM beglichen werden. Bezahlt hat die spätere Gesamtvollstreckungsschuldnerin allerdings nur die beiden ersten Raten.
  37. -3-
  38. Am 19. Juni 1996 beschloß die Gesellschafterversammlung der L.B.
  39. GmbH, Gesamtvollstreckungsantrag zu stellen. Mit an den Geschäftsführer
  40. M.
  41. der Beklagten gerichteten Schreiben vom folgenden Tage bestätigten die
  42. Geschäftsführer M.
  43. und S.
  44. der L.B. GmbH, mit dem Rücktritt der Beklag-
  45. ten vom Kaufvertrag einverstanden zu sein, da "aufgrund der gegenwärtigen
  46. Wirtschaftslage auch weiterhin keine Möglichkeit einer Tilgung der fälligen und
  47. rückständigen Raten sowie Zinsen" bestehe. Dementsprechend gehen die
  48. Parteien übereinstimmend davon aus, daß der Grundstückskaufvertrag rückabzuwickeln ist. Der Kläger hat deswegen Rückzahlung der beiden Kaufpreisraten von insgesamt 103.560,-- DM verlangt, wogegen sich die Beklagte mit der
  49. Hauptaufrechnung mit ihr nach ihrer Ansicht zustehenden Nutzungsentschädigungsansprüchen (monatlich 6.680,-- DM) verteidigt hat. Der Kläger hat diese
  50. Aufrechnung deswegen für unberechtigt gehalten, weil die Gesamtvollstrekkungsschuldnerin, wie er mit Rücksicht auf die vielfältigen Kredithilfen der Beklagten näher dargelegt hat, sich seit langem in der Krise befunden und der
  51. Nutzungsentschädigungsanspruch deswegen der Durchsetzungssperre nach
  52. den Eigenkapitalersatzregeln unterlegen habe.
  53. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat
  54. sie abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, der die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen will.
  55. Entscheidungsgründe:
  56. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
  57. Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dessen
  58. -4-
  59. Annahme, die Beklagte habe mit dem Nutzungsentschädigungsanspruch wirksam gegen die unstreitig bestehende Rückzahlungsforderung des Klägers aufgerechnet, weil die Eigenkapitalersatzregeln unanwendbar seien, ist von
  60. Rechtsirrtum beeinflußt.
  61. Zugunsten des Klägers ist, nachdem das Berufungsgericht - von seinem
  62. Standpunkt aus: folgerichtig - tatsächliche Feststellungen nicht getroffen, sondern lediglich unterstellt hat, daß die L.B. GmbH spätestens am 15. Mai 1996
  63. in die in § 32 a Abs. 1 GmbHG beschriebene Krise geraten ist, auch für das
  64. Revisionsverfahren vom Eingreifen der Eigenkapitalersatzregeln zumindest ab
  65. diesem Zeitpunkt auszugehen. Als richtig zu unterstellen ist ferner, daß die
  66. Beklagte, deren Geschäftsführer M.
  67. zugleich Geschäftsführer der späteren
  68. Gesamtvollstreckungsschuldnerin war, erst in dieser Situation den Rücktritt
  69. vom Kaufvertrag erklärt hat.
  70. Der durch den in der Krise erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag entstandene Nutzungsentschädigungsanspruch (§ 346 Satz 2 BGB) der Beklagten teilt
  71. das Schicksal des bis dahin gestundeten Kaufpreisanspruchs und ist wie dieser als eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfe zu qualifizieren. Der Kaufpreisanspruch ist, soweit die weiteren Jahresraten fällig geworden waren,
  72. durch Stehenlassen in der jedenfalls spätestens ab 15. Mai 1996 bestehenden
  73. Krise in funktionales Eigenkapital mit der Folge umqualifiziert worden, daß die
  74. Beklagte gehindert war, während der Dauer dieser Situation diese Raten selbst
  75. und darauf entfallende Verzugszinsen einzufordern. Das Festhalten an dem
  76. 1992 geschlossenen Kaufvertrag führte außerdem zur Erstreckung der Wirkung der Eigenkapitalersatzregeln auch auf die weiteren Kaufpreisraten. Hätte
  77. die Beklagte den Rücktritt vom Kaufvertrag nicht kurz vor dem Antrag auf Einleitung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gestellt, hätte sie ihren Kaufpreis-
  78. -5-
  79. anspruch in dem Insolvenzverfahren nur als nachrangige Gläubigerin verfolgen
  80. können, ohne für die unentgeltliche Überlassung des Grundstücks Ersatz fordern zu können. Könnte sie - wie das Berufungsgericht angenommen hat - diesen Konsequenzen ihres den "Todeskampf" (vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG
  81. 15. Aufl. §§ 32 a, 32 b Rdn. 36) der L.B. GmbH verlängernden Verhaltens dadurch ausweichen, daß sie nach Eintritt der Krise, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und dadurch einen
  82. nicht den Eigenkapitalersatzregeln unterstehenden Nutzungsentschädigungsanspruch erwirbt, würde der Zweck der von der Rechtsprechung entwickelten
  83. und der sog. Novellenregeln des Eigenkapitalersatzrechts verfehlt (arg. § 32 a
  84. Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Vielmehr muß sich die Beklagte an ihrem Verhalten
  85. festhalten lassen, der L.B. GmbH unentgeltlich und nach Eintritt der Krise das
  86. Grundstück auch ohne Bezahlung der fälligen Kaufpreisraten belassen zu haben.
  87. Damit das Berufungsgericht die danach gebotenen tatsächlichen Feststellungen zu dem streitigen Vortrag der Parteien treffen kann, ob und wann
  88. die L.B. GmbH in die Krise geraten und ob der Rücktritt vom Kaufvertrag vor
  89. oder nach diesem Zeitpunkt erklärt worden ist, ist die Sache an die Vorinstanz
  90. zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß nach dem Vorbringen des Klägers einiges dafür spricht, daß diese
  91. Krise nicht erst überraschend am 15. Mai 1996 eingetreten ist, sondern daß sie
  92. mit Rücksicht auf die verschiedenen Hilfeleistungen der Beklagten an die L.B.
  93. -6-
  94. GmbH - neben der Stundung des Kaufpreises geht es um die Nichteinforderung des Mietzinses für ein zweites Grundstück und um die Gewährung von
  95. Darlehen - bereits viel länger bestanden hat; bei der Überschuldungsprüfung
  96. sind diese ggfs. als funktionales Eigenkapital einzustufenden Gesellschafterhilfen mangels qualifizierten Rangrücktritts zu passivieren (Sen.Urt. v.
  97. 8. Januar 2001 - II ZR 88/99, ZIP 2001, 235).
  98. Röhricht
  99. Hesselberger
  100. Kurzwelly
  101. Goette
  102. Kraemer