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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. II ZB 24/05
  4. vom
  5. 3. Juli 2006
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. ZPO § 233 D
  13. Dem Berufungskläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
  14. wenn während eines Zeitraums von fünf Arbeitstagen versäumt wird, den versehentlich bei dem Landgericht eingereichten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das zuständige Oberlandesgericht weiterzuleiten.
  15. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2006 - II ZB 24/05 - OLG Frankfurt am Main
  16. LG Wiesbaden
  17. -2-
  18. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 3. Juli 2007 durch den
  19. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer,
  20. Prof. Dr. Gehrlein und Caliebe
  21. beschlossen:
  22. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des
  23. 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
  24. 13. September 2005 aufgehoben und dem Beklagten gegen die
  25. Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
  26. Beschwerdewert: 56.475,13 €
  27. Gründe:
  28. 1
  29. I. Der Beklagte hat gegen das ihm am 17. Mai 2005 zugestellte Urteil des
  30. Landgerichts Wiesbaden durch am 15. Juni 2005 beim Oberlandesgericht
  31. Frankfurt am Main eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem an
  32. das Landgericht Wiesbaden adressierten, dort am 12. Juli 2005 eingegangenen
  33. Schriftsatz hat der Beklagte gebeten, die Berufungsbegründungsfrist wegen
  34. Arbeitsüberlastung um einen Monat zu verlängern. Aufgrund einer Verfügung
  35. der Kammervorsitzenden vom 25. Juli 2005 ist dieser Schriftsatz am 27. Juli
  36. 2005 bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangen.
  37. 2
  38. Der von dem Senatsvorsitzenden am 22. Juli 2005 über den Ablauf der
  39. Berufungsbegründungsfrist unterrichtete Beklagte hat mit am 1. August 2005
  40. -3-
  41. bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Antrag auf
  42. Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei versehentlich an das Landgericht Wiesbaden gerichtet worden, weil seine Kanzleiangestellte offenbar im
  43. Zuge eines in gleicher Sache gefertigten, ein Tatbestandsberichtigungsverfahren betreffenden Schriftsatzes auch das Verlängerungsgesuch an das Landgericht Wiesbaden adressiert habe. Da der Schriftsatz eine Woche vor Ablauf der
  44. Berufungsbegründungsfrist beim Landgericht Wiesbaden eingegangen sei, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, den Schriftsatz im normalen Geschäftsgang an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main weiterzuleiten.
  45. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten
  46. 3
  47. zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet
  48. sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
  49. 4
  50. II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet, weil eine Weiterleitung des Schriftsatzes vom 12. Juli 2005 bis zum Fristablauf am 18. Juli 2005
  51. im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres möglich war.
  52. 5
  53. 1. Ein Gericht, das im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache befasst war, ist regelmäßig verpflichtet, fristgebundene Schriftsätze für das
  54. Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht der
  55. Schriftsatz so rechtzeitig ein, dass eine fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, wirkt sich ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus, wenn
  56. -4-
  57. der Schriftsatz nicht rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht weitergeleitet wird
  58. (Sen.Beschl. v. 6. Juni 2005 - II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373 f. m.w.Nachw.;
  59. Sen.Urt. v. 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97, NJW 1998, 908).
  60. 6
  61. 2. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass eine fristgemäße Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zu erwarten
  62. war, ist rechtsfehlerhaft.
  63. 7
  64. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, das Landgericht habe die zu beobachtende Fürsorgepflicht nicht verletzt. Es kann - auch bei der bekanntermaßen stark belasteten und personell nicht immer hinreichend ausgestatteten Justiz - nicht hingenommen werden, daß eine auch binnen fünf Arbeitstagen nicht
  65. bewirkte Weiterleitung eines Schriftsatzes von einem Landgericht zu einem
  66. Oberlandesgericht als eine Verfahrensweise qualifiziert wird, die "einem ordentlichen Geschäftsgang" entspricht. Dass das Landgericht Wiesbaden den ihm
  67. von dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zugebilligten langen Zeitraum
  68. für eine solche Maßnahme nicht benötigt, wird aus dem späteren Ablauf deutlich. Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Kammer auf seinen Fehler aufmerksam gemacht und die Vorsitzende die Weiterleitung am
  69. 25. Juli 2005 verfügt hatte, hat der Schriftsatz bereits am übernächsten Tag
  70. (27. Juli 2005) dem Berufungsgericht vorgelegen.
  71. 8
  72. Rechtsfehlerhaft glaubt das Berufungsgericht obendrein, deswegen geringere Anforderungen an die Erfüllung der Fürsorgepflicht des Landgerichts
  73. stellen zu können, weil für eine erstinstanzliche Zivilkammer Anträge auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht zum "alltäglichen Geschäftsanfall" gehören; gerade dieser Umstand musste die Kammer, die von der Anhängigkeit der Berufung Kenntnis hatte, zu besonderer Sorgfalt veranlassen. Da
  74. -5-
  75. danach der Fehler des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht ursächlich
  76. geworden ist, ist das Wiedereinsetzungsgesuch begründet.
  77. Goette
  78. Kurzwelly
  79. Gehrlein
  80. Kraemer
  81. Caliebe
  82. Vorinstanzen:
  83. LG Wiesbaden, Entscheidung vom 15.04.2005 - 5 O 222/03 OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 13.09.2005 - 10 U 100/05 -