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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. I ZR 133/07
  4. vom
  5. 17. Juli 2008
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. BGHZ
  9. :
  10. BGHR
  11. :
  12. ja
  13. nein
  14. ja
  15. In-vitro-Diagnostika
  16. UWG §§ 3, 4 Nr. 11; MPG §§ 6, 7
  17. Ein Importeur, der aus Frankreich importierte Medizinprodukte ohne deutschsprachige Umverpackung und Gebrauchsanweisung in Deutschland an einen
  18. Fach- und Zwischenhändler zum Zwecke des Weiterexports in französischsprachige Länder abgibt, handelt nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit §§ 6, 7 MPG
  19. wettbewerbswidrig, wenn er nicht durch geeignete Maßnahmen sicherstellt,
  20. dass sein Abnehmer die Waren tatsächlich weiterexportiert und nicht an Endverbraucher in Deutschland abgibt.
  21. BGH, Beschl. v. 17. Juli 2008 - I ZR 133/07 - OLG Dresden
  22. LG Dresden
  23. -2-
  24. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2008 durch den
  25. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof.
  26. Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff
  27. beschlossen:
  28. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
  29. Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom
  30. 24. Juli 2007 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  31. Wert des Beschwerdeverfahrens: 250.000 €
  32. Gründe:
  33. 1
  34. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2
  35. Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
  36. einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts
  37. (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
  38. 2
  39. Die Beschwerde hat folgende Rechtsfrage formuliert: Verstößt ein importierender Zwischenhändler, der Medizinprodukte, die er aus einem Mitgliedstaat
  40. der Europäischen Gemeinschaft bezogen hat, nach dessen Vorschriften die
  41. Produkte ordnungsgemäß etikettiert sind, an einen Zwischenhändler für den
  42. ausschließlichen Weiterexport abgibt, gegen §§ 6, 7 des Gesetzes über Medi-
  43. -3-
  44. zinprodukte (Medizinproduktegesetz - MPG; in der Fassung der Bekanntmachung v. 7.8.2002, BGBl. I S. 3146; zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes
  45. zur Änderung medizinproduktrechtlicher und anderer Vorschriften v. 14.6.2007,
  46. BGBl. I S. 1066) in Verbindung mit der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen
  47. Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika
  48. (ABl. EG Nr. L 331 v. 7.12.1998, S. 1), wenn diese Abgabe ohne deutschsprachige Etikettierung und Gebrauchsanweisung erfolgt? Liegt insbesondere in
  49. derartigen Fällen ein Inverkehrbringen in Deutschland vor? Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO, da ihre
  50. Beantwortung hinreichend klar ist.
  51. 3
  52. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG dürfen Medizinprodukte - abgesehen von
  53. im Einzelnen bestimmten, hier nicht einschlägigen Ausnahmen - in Deutschland
  54. nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung nach
  55. Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 und des Absatzes 3 Satz 1 versehen sind.
  56. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 MPG dürfen mit der CE-Kennzeichnung nur solche
  57. Produkte versehen werden, die den "Grundlegenden Anforderungen" nach § 7
  58. MPG entsprechen, die auf sie unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung
  59. anwendbar sind. Gelten für das Medizinprodukt zusätzlich andere Rechtsvorschriften als diejenigen des Medizinproduktegesetzes, deren Einhaltung durch
  60. die CE-Kennzeichnung bestätigt wird, so darf der Hersteller das Medizinprodukt
  61. nur dann mit der CE-Kennzeichnung versehen, wenn auch diese anderen
  62. Rechtsvorschriften erfüllt sind (§ 6 Abs. 3 Satz 1 MPG). Nach § 7 MPG ergeben
  63. sich die Grundlegenden Anforderungen für In-vitro-Diagnostika aus den Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 98/79/EG. Nach Nr. 8.1 Abs. 6 des Anhangs I der Richtlinie 98/79/EG müssen In-vitro-Diagnostika zur Eigenanwendung eine Gebrauchsanweisung und Etikettierung enthalten, die in die Amtssprache des jeweiligen Mitgliedstaates übersetzt ist, in dem der Endverbraucher
  64. das Produkt zur Eigenanwendung erhält.
  65. -4-
  66. 4
  67. Nach § 3 Nr. 11 Satz 1 MPG ist unter Inverkehrbringen jede entgeltliche
  68. oder unentgeltliche Abgabe von Medizinprodukten an andere zu verstehen. Es
  69. genügt die Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft an einen anderen
  70. (Schorn, Medizinprodukte-Recht, Stand: Oktober 2007, M 2-1.47; Hill/Schmitt/
  71. Meyer-Lüerßen, WiKo Medizinprodukterecht, § 3 MPG Rdn. 56; Rehmann in
  72. Rehmann/Wagner, Medizinproduktegesetz, § 3 Rdn. 14). Bei einem Verkauf an
  73. einen Zwischenhändler sind diese Voraussetzungen erfüllt.
  74. 5
  75. Aus dem europäischen Recht ergibt sich nichts anderes. Die Richtlinie
  76. 98/79/EG (In-vitro-Diagnostika-Richtline) sowie die Richtlinie 93/42/EWG des
  77. Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. EG Nr. L 169 v.
  78. 12.7.1993, S. 1) definieren Inverkehrbringen als die erste entgeltliche oder unentgeltliche Überlassung des Produkts im Hinblick auf seinen Vertrieb und/oder
  79. seine Verwendung auf dem gemeinschaftlichen Markt (Art. 1 Abs. 2 lit. i der
  80. Richtlinie 98/97/EG sowie Art. 1 Abs. 2 lit. h der Richtlinie 93/42/EWG). Sie regeln also nur das erstmalige Inverkehrbringen. Der Begriff des erstmaligen Inverkehrbringens wurde durch § 3 Nr. 11 Satz 2 MPG umgesetzt (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum 2. MPG-ÄndG, BT-Drucks. 14/6281, S. 28).
  81. Ein Inverkehrbringen im Sinne der Richtlinien endet somit bereits dann, wenn
  82. das Medizinprodukt vom Hersteller dem Händler überlassen worden ist. Es ist
  83. vor dem Hintergrund der maßgeblichen Richtlinien unschädlich, dass § 3 Nr. 11
  84. Satz 1 MPG auch das Inverkehrbringen auf weiteren Vertriebsstufen regelt (vgl.
  85. VG Stuttgart, Urt. v. 22.10.1999 - 4 K 286/99, PharmR 2000, 97, 101). Denn die
  86. genannten Richtlinien geben nur das Regelungsziel vor und überlassen es dem
  87. nationalen Gesetzgeber, auch Anforderungen für das weitere Inverkehrbringen
  88. zu normieren (vgl. Schorn, Medizinprodukte-Recht, B 11.1 Stand: Februar 2004
  89. sowie M 2-1/12, M 2-1/44 Stand: Oktober 2007).
  90. -5-
  91. 6
  92. Das Berufungsgericht hat die Vorschriften der §§ 6, 7 MPG dahin ausgelegt, dass ein Importeur, der das aus Frankreich importierte Produkt ohne
  93. deutschsprachige Umverpackung und Gebrauchsanweisung in Deutschland an
  94. einen Fach- und Zwischenhändler zum Zwecke des Weiterexports oder Reimports in französischsprachige Länder abgibt, nur dann einen Wettbewerbsverstoß nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit §§ 6, 7 MPG begeht, wenn er nicht durch
  95. geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass sein Abnehmer seinerseits diese Vorschriften einhält, dieser also die Ware tatsächlich exportiert oder reimportiert
  96. und nicht, wie im Streitfall der Abnehmer der Beklagten, an Endverbraucher in
  97. Deutschland abgibt. Diese Auslegung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass sich der
  98. Importeur wegen des mit den Vorschriften der §§ 6, 7 MPG bezweckten Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung nicht auf eine bloße Erklärung seines Abnehmers, die Ware (weiter-)exportieren zu wollen, verlassen darf.
  99. 7
  100. Da das Erfordernis, durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch
  101. vertragliche Absprachen bis hin zur Vereinbarung einer Vertragsstrafe, sicherzustellen, dass der angegebene Exportzweck auch eingehalten wird, zum
  102. Schutz der Gesundheit der Bevölkerung geboten ist, stehen auch die Bestimmungen der Art. 28 und 29 EG der Anwendung der §§ 6, 7 MPG in der Auslegung durch das Berufungsgericht nicht entgegen (Art. 30 Satz 1 EG). Jedenfalls
  103. in der vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten einschränkenden Auslegung stellt das aus den §§ 6, 7 MPG folgende Verbot, importierte Ware unverändert auch nicht an Zwischenhändler abgeben zu dürfen,
  104. weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten dar (Art. 30 Satz 2 EG).
  105. 8
  106. Die Feststellung, ob im Einzelfall geeignete Maßnahmen ergriffen worden sind, um zu verhindern, dass die (angeblich) für den Export bestimmte Wa-
  107. -6-
  108. re nicht bestimmungswidrig im Inland an Endverbraucher abgegeben wird, obliegt dem Tatrichter. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe
  109. im vorliegenden Fall keine hinreichenden Sicherungsmaßnahmen getroffen,
  110. begegnet aus Rechtsgründen keinen Bedenken. Das Berufungsgericht hat insoweit rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass nach dem Vortrag der Beklagten
  111. keine vertraglichen Absprachen bestanden, die sicherstellten, dass die Ware
  112. nicht abredewidrig in Deutschland angeboten wurde. Die Beklagte hat sich im
  113. Verhältnis zu ihrem Abnehmer vielmehr jeweils auf die bloße (konkludente) Erklärung ihres Vertragspartners bei der Bestellung bezogen, dass die Ware entweder für den Export oder für das Inland bestimmt sei. Weiter hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang rechtsfehlerfrei berücksichtigt, dass die
  114. Beklagte an denselben Besteller sowohl original verpackte als auch umetikettierte Ware geliefert hat und auch im Nachhinein keine Möglichkeiten zur Überprüfung bestanden, ob die Ware tatsächlich ins Ausland weiterexportiert worden
  115. ist. Die vertragliche Vereinbarung geeigneter Sicherungsmaßnahmen gegen
  116. eine abredewidrige Abgabe der Ware durch ihren Abnehmer im Inland war der
  117. Beklagten selbst dann zumutbar, wenn bislang keine konkreten Anhaltspunkte
  118. dafür bestanden, dass sich dieser abredewidrig verhalten werde. Entgegen der
  119. Auffassung des Landgerichts kommt einem etwaigen Interesse der Beklagten,
  120. durch derartige Vereinbarungen ihre Geschäftsbeziehungen zu ihren Abnehmern nicht zu belasten, kein Vorrang gegenüber dem durch die Vorschriften der
  121. §§ 6, 7 MPG bezweckten Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu.
  122. 9
  123. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 Abs. 3 EG ist nicht geboten, weil bei der Auslegung der im Streitfall in Rede stehenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts keine vernünftigen Zweifel bestehen.
  124. -7-
  125. 10
  126. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2
  127. Halbs. 2 ZPO abgesehen.
  128. Bornkamm
  129. Pokrant
  130. Bergmann
  131. Büscher
  132. Kirchhoff
  133. Vorinstanzen:
  134. LG Dresden, Entscheidung vom 31.01.2007 - 6 O 2400/06 OLG Dresden, Entscheidung vom 24.07.2007 - 14 U 245/07 -