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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ (B) 93/06
  4. vom
  5. 24. April 2007
  6. in dem Verfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 180
  14. Eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO kann auch erfolgen, wenn die Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO daran scheitert, dass das Geschäft nicht mehr geöffnet hat.
  15. BGH, Beschl. v. 24. April 2007 - AnwZ (B) 93/06 - AGH Stuttgart
  16. wegen Widerrufs der Zulassung
  17. -2-
  18. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
  19. des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Richterin Dr. Otten, die Richter
  20. Dr. Ernemann und Dr. Schmidt-Räntsch und die Rechtsanwälte Dr. Wosgien,
  21. Prof. Dr. Quaas und Dr. Martini ohne mündliche Verhandlung
  22. am 24. April 2007
  23. beschlossen:
  24. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung gegen die
  25. Versäumung der Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.
  26. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss
  27. des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
  28. 28. August 2006 wird verworfen.
  29. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu
  30. tragen und der Antragsgegnerin die dadurch entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
  31. Der
  32. Gegenstandswert
  33. 50.000 € festgesetzt.
  34. des
  35. Beschwerdeverfahrens
  36. wird
  37. auf
  38. -3-
  39. Gründe
  40. I.
  41. 1
  42. Der 1955 geborene Antragsteller wurde im August 1986 als Rechtsanwalt zugelassen und übt seither den Anwaltsberuf in S.
  43. aus. Im Jahre
  44. 2001 veruntreute er Mandantengelder und wurde deshalb zu einer Geldstrafe
  45. verurteilt. Seit 2003 geriet er verstärkt in finanzielle Bedrängnis, die zu anhaltend hohen Schulden und laufend zu Vollstreckungsaufträgen auch wegen geringfügiger Einzelforderungen führte.
  46. 2
  47. Mit Rücksicht hierauf hat die Antragsgegnerin am 20. Januar 2006 die
  48. Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft widerrufen. Seinen hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof mit Beschluss vom 28. August 2006 zurückgewiesen. Dieser ist dem
  49. Antragsteller am 7. September 2006 zugestellt worden. Mit am 22. September
  50. 2006 bei dem Anwaltsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt und mit einem am 14. Dezember
  51. 2006 eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
  52. die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt.
  53. II.
  54. 3
  55. Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, weil der Antragsteller die Beschwerdefrist versäumt hat und ihm Wiedereinsetzung nicht zu gewähren ist.
  56. 4
  57. 1. Die sofortige Beschwerde ist verspätet.
  58. -4-
  59. 5
  60. a) Sie war nach § 42 Abs. 4 Satz 1 BRAO innerhalb von zwei Wochen
  61. bei dem Anwaltsgerichtshof einzulegen. Diese Frist beginnt mit der Zustellung
  62. des Beschlusses (Senat, BGHZ 38, 6, 8 f.). Diese erfolgte hier am 7. September 2006 durch Einlegung in den Briefkasten des Antragstellers. Auf dem Umschlag der Sendung hat der Zusteller zwar als Datum vermerkt „09.07.06“. Er
  63. hat dabei aber lediglich zuerst den Monat und dann den Tag angegeben. Dies
  64. ergibt sich aus der Postzustellungsurkunde, in der die Reihenfolge der Datumsangaben mit Tag, Monat und Jahr vorgegeben und von dem Zusteller als
  65. „07.09.06“ angeben ist. Etwas anderes kann auch deshalb nicht sein, weil der
  66. Beschluss vom 28. August 2006 datiert und dies auch so auf dem Umschlag
  67. der Zustellung vermerkt ist.
  68. 6
  69. b) Unschädlich ist auch, dass die Zustellung um 19.35 Uhr und damit
  70. außerhalb der gewöhnlichen Geschäftszeiten erfolgt ist. Das steht einer Ersatzzustellung nach § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO, § 16 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGG,
  71. § 180 ZPO und dem Eintritt der Zustellungsfiktion nach § 180 Satz 2 ZPO nicht
  72. entgegen (MünchKomm-ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Erg. Bd., § 180 Rdn. 1). In den
  73. Gesetzesmaterialien zur Neufassung des Zustellungsrechts zum 1. Juli 2002
  74. wird zwar nur der Fall angesprochen, dass die Zustellung vor den üblichen Öffnungszeiten erfolgt (Begründung des Entwurfs eines Zustellreformgesetzes in
  75. BT-Drucks. 14/4554 S. 21; ähnlich Musielak/Wolst, ZPO, 5. Aufl., § 180 Rdn. 1).
  76. Für den hier vorliegenden Fall, dass die Zustellung nach Geschäftsschluss erfolgt, gilt nichts anderes. Ziel der Änderung war es, den hohen Anteil an Niederlegungen zu reduzieren und dazu den Zustelldiensten eine einfachere Möglichkeit der Ersatzzustellung für den Fall zu eröffnen, dass eine Zustellung in den
  77. Geschäftsräumen daran scheitert, dass sie nicht geöffnet haben (Entwurfsbegründung aaO). Dafür spielt es auch unter Berücksichtigung der liberalisierten
  78. -5-
  79. Öffnungs- und Arbeitszeiten sowohl der Zustelldienste als auch der Zustellungsempfänger keine Rolle, ob das Geschäft noch oder schon geschlossen ist.
  80. 7
  81. c) Die sofortige Beschwerde hätte deshalb nach § 42 Abs. 6 Satz 2
  82. BRAO, § 17 Abs. 1 FGG, §§ 187 Abs. 1, 188 BGB spätestens am 21. September 2006 bei dem Anwaltsgerichtshof eingehen müssen. Der Antragsteller hat
  83. sie aber erst am 22. September 2006 verfasst und eingereicht. Das war zu spät.
  84. 8
  85. 2. Dem Antragsteller ist Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der
  86. Beschwerdefrist nicht zu gewähren.
  87. 9
  88. a) Zweifelhaft ist schon, ob der Antrag auf Wiedereinsetzung rechtzeitig
  89. gestellt worden ist. Er ist zwar nach § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO i. V. m. § 22
  90. Abs. 2 Satz 1 FGG zulässig. Er hätte danach aber innerhalb von zwei Wochen
  91. nach der Beseitigung des Hindernisses gestellt werden müssen. Das Hindernis
  92. bestand hier darin, dass der Antragsteller nicht wusste, dass er die Beschwerdefrist versäumt hatte. Dieses Hindernis war mit dem Hinweis des Senats im
  93. Schreiben vom 10. Oktober 2006 beseitigt. Dazu kommt es auch nicht darauf
  94. an, ob der Antragsteller dies erkannt hat. Maßgeblich ist allein, ob er dies hätte
  95. erkennen können (BGH, Beschl. v. 13. Mai 1992, VIII ZB 3/92, NJW 1992,
  96. 2098, 2099; Beschl. v. 12. November 1997, XII ZB 66/97, NJW-RR 1998, 1218,
  97. 1219; Senat, Beschl. v. 15. August 2000, AnwZ (B) 40/00, BRAK-Mitt. 2000,
  98. 305, 306; Senat, Beschl. v. 25. September 2006, AnwZ (B) 73/05, unveröff.). Es
  99. spricht viel dafür, dass dies bei Zugang des Hinweises des Senats vom
  100. 10. Oktober 2006 auf die Verspätung der Fall war und der Antrag deshalb
  101. schon in dem Schreiben des Antragstellers vom 23. November 2006 hätte gestellt werden müssen. Dies kann aber offen bleiben.
  102. -6-
  103. 10
  104. b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedenfalls nicht begründet, weil die
  105. Versäumung der Beschwerdefrist nicht unverschuldet war.
  106. 11
  107. aa) Unverschuldet ist eine Fristversäumung nur, wenn der Beschwerdeführer sie bei Anwendung der Sorgfalt, die unter Berücksichtigung der konkreten Sachlage im Verkehr erforderlich war und ihm, hier als Rechtsanwalt (dazu:
  108. BGH, Urt. v. 10. Januar 2002, III ZR 62/01, NJW 2002, 1115, 1116), vernünftigerweise zugemutet werden konnte, nicht zu vermeiden war (BGH, Beschl. v. 7.
  109. Dezember 1954, V BLw 69/54, JR 1955, 101; Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler,
  110. FGG, 15. Aufl., § 22 Rdn. 54; Briesemeister in von Schuckmann/Sonnenfeld,
  111. FGG, 3. Aufl., § 22 Rdn. 32). An dieser Sorgfalt hat es der Antragsteller fehlen
  112. lassen. Um die Frist ordnungsgemäß im Fristenkalender einzutragen und zu
  113. überwachen, war zunächst festzustellen, wann sie zu laufen begonnen hatte.
  114. Wenn sich hierbei Unsicherheiten ergeben können, genügt die Eintragung einer
  115. vorläufigen Frist nicht. Vielmehr muss der genaue Fristbeginn, notfalls durch
  116. Rückfragen bei dem Gericht, sicher festgestellt werden (BGH, Beschl. v. 6. Oktober 1993, XII ZB 122/93, FamRZ 1994, 437; Beschl. v. 15. Oktober 1996, XII
  117. ZB 126/96, FamRZ 1997, 415).
  118. 12
  119. bb) Eine solche klärungsbedürftige Unsicherheit lag hier vor. Der Antragsteller will die Sendung erst am Montag, dem 11. September 2006, in seinem Briefkasten vorgefunden haben. Auf dem Umschlag der Sendung war indes ein anderes Datum eingetragen. In dieser Angabe will der Antragsteller
  120. zwar das Datum „9. September 2006“ erkannt haben. Das entlastet ihn aber
  121. nicht, weil sich Zweifel an der Richtigkeit einer Interpretation der Datumsangabe
  122. in diesem Sinne und die Notwendigkeit einer Nachfrage bei dem Anwaltsgerichtshof geradezu aufdrängten. Der Zusteller hätte dann bei einer kurzen Datumsangabe für die Zahl 9 zwei unterschiedliche Schreibweisen verwandt. Zu-
  123. -7-
  124. dem hätte er die Sendung an einem Samstagabend um 19.35 Uhr in den Briefkasten gelegt. Beides ist ungewöhnlich. Deshalb konnte sich der Antragsteller
  125. nicht darauf verlassen, dass er die Datumsangabe richtig gelesen hatte. Die
  126. Ungewöhnlichkeit der Zustellung ist ihm und seiner Mitarbeiterin nach eigenem
  127. Bekunden auch sofort aufgefallen. Sie gebot eine Nachfrage beim Anwaltsgerichtshof, die der Antragsteller schuldhaft unterlassen hat.
  128. 3. Hierüber kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden
  129. 13
  130. (BGHZ 44, 25).
  131. Hirsch
  132. Otten
  133. Wosgien
  134. Ernemann
  135. Quaas
  136. Schmidt-Räntsch
  137. Martini
  138. Vorinstanz:
  139. AGH Stuttgart, Entscheidung vom 28.08.2006 - AGH 6/06 (II) -