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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ (B) 100/09
  4. vom
  5. 3. August 2010
  6. in dem Verfahren
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR :
  11. ja
  12. BRAO § 16 Abs. 6 Satz 2 a.F.
  13. BRAO § 215 Abs. 2
  14. Ist gegen die Widerrufsverfügung der Rechtsanwaltskammer nach § 215
  15. Abs. 2 BRAO der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegeben, richtet
  16. sich die sofortige Vollziehung der Verfügung auch dann nach § 16 Abs. 6
  17. Satz 2 BRAO a.F., wenn diese erst nachträglich nach dem 31. August 2009
  18. angeordnet wird. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann
  19. in diesem Fall nach §§ 16 Abs. 6 Satz 4, 42 Abs. 5 Satz 2 BRAO a.F. beantragt werden.
  20. BGH, Beschl. vom 3. August 2010 - AnwZ (B) 100/09 - AGH Stuttgart -
  21. -2-
  22. wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
  23. hier: Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
  24. -3Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden
  25. Richter Dr. Ganter, den Richter Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Roggenbuck, die Rechtsanwältin Kappelhoff und den Rechtsanwalt Dr. Martini
  26. am 3. August 2010
  27. beschlossen:
  28. Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin vom 13. März
  29. 2009 und seiner sofortigen Beschwerde gegen dessen Zurückweisung wird zurückgewiesen.
  30. Der Gegenstandswert des Verfahrens über diesen Antrag wird auf
  31. 10.000 € festgesetzt.
  32. Gründe:
  33. I.
  34. 1
  35. Der Antragsteller ist seit dem 18. September 1992 im Bezirk der Antragsgegnerin zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 13. März
  36. 2009 widerrief die Antragsgegnerin seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
  37. wegen Vermögensverfalls. Der Anwaltsgerichtshof hat den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 21. Oktober
  38. 2009 erklärte die Antragsgegnerin den Widerruf für sofort vollziehbar. Dagegen
  39. -4wendet sich der Antragsteller mit dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
  40. II.
  41. 2
  42. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist nach
  43. § 215 Abs. 2 und 3 BRAO i. V. mit § 16 Abs. 6 und § 42 Abs. 4 Satz 2 BRAO
  44. a.F. zulässig. Nach § 215 Abs. 2 BRAO bestimmt sich die Zulässigkeit von
  45. Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen, die vor dem 1. September 2009 ergangen sind, und das weitere Verfahren nach dem bis zu diesem Tag geltenden
  46. Recht. In Fällen, in denen - wie hier - nach dieser Überleitungsvorschrift in der
  47. Hauptsache ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegeben ist, der nach
  48. § 16 Abs. 6 Satz 1 BRAO a.F. aufschiebende Wirkung entfaltet, richtet sich folglich das weitere Verfahren und damit auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Rechtsanwaltskammer nach bisherigem Recht. Ob die sofortige Vollziehung zugleich mit der Widerrufsverfügung oder erst nachträglich
  49. nach dem 31. August 2009 angeordnet wird, ist nicht maßgeblich. In beiden
  50. Fällen ergeht die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf der Grundlage des
  51. § 16 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F.; vorläufiger Rechtsschutz gegen eine solche
  52. Maßnahme der Rechtsanwaltskammer ist nach Maßgabe der §§ 16 Abs. 6 Satz
  53. 4, 42 Abs. 5 Satz 2 BRAO a.F. gegeben. Die Anwendung der §§ 14 Abs. 4 Satz
  54. 1, 112c Abs. 1 BRAO i. V. mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kommt hingegen
  55. nicht in Betracht, weil eine Anfechtungsklage, deren aufschiebende Wirkung
  56. durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigt werden könnte, nicht
  57. gegeben ist.
  58. 3
  59. In der Sache hat der Antrag jedoch keinen Erfolg.
  60. -54
  61. 1. Die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids durfte nach § 16
  62. Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F. nur angeordnet werden, wenn zu erwarten war, dass
  63. der Widerruf bestandskräftig wird und sein sofortiger Vollzug im überwiegenden
  64. öffentlichen Interesse zur schon vor Bestandskraft des Widerrufsbescheids
  65. notwendigen Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten war (Senat, Beschl. v. 19. Juni 1998, AnwZ (B) 38/98, BRAK-Mitt. 1998,
  66. 235, 236; Beschl. v. 26. November 2009, AnwZ (B) 27/09). Diese Voraussetzungen lagen bei Anordnung der sofortigen Vollziehung vor. Daran hat sich
  67. auch im Beschwerdeverfahren nichts geändert. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und der Widerrufsbescheid Bestandskraft erlangen wird, weil die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 7
  68. BRAO wegen Vermögensverfalls zu widerrufen war und der Widerrufsgrund
  69. auch nicht im Laufe des Verfahrens entfallen ist. Der sofortige Vollzug ist auch
  70. weiterhin geboten.
  71. 5
  72. 2. Bei Erlass des angefochtenen Widerrufsbescheids lagen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vor.
  73. 6
  74. a) Vermögensverfall nach dieser Vorschrift ist gegeben, wenn der
  75. Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die
  76. er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (Senat,
  77. Beschl. v. 25. März 1991, AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschl. v.
  78. 21. November 1994, AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126).
  79. -6b) Danach befand sich der Antragsteller bei Erlass des Widerrufsbe-
  80. 7
  81. scheids in Vermögensverfall. Zu diesem Zeitpunkt war die Zwangsversteigerung
  82. einer Eigentumswohnung des Antragstellers wegen einer Hauptforderung der
  83. Deutschen Bank in Höhe von 178.952,16 € angeordnet worden. Der Verkehrswert der Wohnung war mit lediglich 123.000 € ermittelt worden. Außerdem hatte
  84. der Gläubiger A.
  85. W.
  86. gegen den Antragsteller ein Urteil des Amtsgerichts
  87. über eine Hauptforderung in Höhe von 162,40 € erwirkt. In seiner
  88. Stellungnahme zu dem Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 3. April
  89. 2008 hatte der Antragsteller zwar angegeben, dass seine Vermögensverhältnisse geordnet seien, erhebliche eigene offene Forderungen bestünden und
  90. Vermögenswerte vorhanden seien. Er hatte jedoch keinerlei Belege hierfür vorgelegt.
  91. 8
  92. c) Wie der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu entnehmen ist,
  93. geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet sind, wenn sich der Rechtsanwalt in Vermögensverfall befindet (Senat,
  94. Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 33/07, juris). Anhaltspunkte dafür, dass es
  95. bei dem Antragsteller ausnahmsweise anders war, bestanden nicht. Der Gläubiger A.
  96. machte vielmehr gegen den Antragsteller eine Forderung auf
  97. Rückerstattung überzahlter Gebühren geltend.
  98. 9
  99. 3. Der Antragsteller hat auch nicht nachgewiesen, dass der Widerrufsgrund im Verlaufe des Verfahrens entfallen ist.
  100. 10
  101. a) Zwar scheidet nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Widerruf der Zulassung aus, wenn der Widerrufsgrund im Verlauf des Verfahrens entfällt (BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150). Die Vermögensverhältnisse des Antragstellers haben sich jedoch nicht konsolidiert. Im Gegenteil sind erhebliche
  102. Steuerrückstände des Antragstellers bekannt geworden. Ein Insolvenzantrag
  103. -7des Finanzamts S.
  104. ist durch Beschluss vom 8. Juni 2009 mangels Masse
  105. abgewiesen worden. Nach Mitteilung der Oberfinanzdirektion K.
  106. belaufen
  107. sich die vollstreckbaren Steuerrückstände per 2. Dezember 2009 auf 76.163,08
  108. €. Der Antragsteller hat darüber hinaus am 21. Juli 2009 vor dem Amtsgericht
  109. W.
  110. die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das Amtsgericht
  111. S.
  112. hat schließlich am 7. April 2010 das Insolvenzverfahren über das Ver-
  113. mögen des Antragstellers eröffnet. Vermögensverfall wird deshalb nach § 14
  114. Abs. 2 Nr. 7 BRAO jetzt auch aus diesem Grund bei dem Antragsteller vermutet. Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sind geordnete Vermögensverhältnisse erst wiederhergestellt, wenn das Insolvenzverfahren entweder mit einem bestätigten Schuldenbereinigungsplan oder mit der durch das Insolvenzgericht angekündigten Restschuldbefreiung abgeschlossen ist. Daran fehlt es.
  115. 11
  116. b) Auch eine Gefährdung der Rechtsuchenden besteht fort. Sie entfällt
  117. nach der Rechtsprechung des Senats nicht schon durch die Insolvenzeröffnung
  118. und die damit eintretende Verfügungsbeschränkung des Insolvenzschuldners
  119. (Senat, Beschl. v. 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925, Tz.
  120. 12; Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 33/07, juris). Vielmehr muss die begründete Aussicht bestehen, dass das Insolvenzverfahren in absehbarer Zeit
  121. beendet wird und die Wiederherstellung geordneter Vermögensverhältnisse
  122. erwarten lässt. Deshalb ändert auch der bloße Antrag auf Restschuldbefreiung
  123. im Insolvenzverfahren an dem Fortbestand einer Gefährdung der Rechtsuchenden nichts (Senat, Beschl. v. 13. März 2000, AnwZ (B) 28/99, NJW-RR
  124. 2000, 1228, 1229; Beschl. v. 7. März 2005, AnwZ (B) 7/04, NJW 2005, 1944;
  125. Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 33/07, juris).
  126. 12
  127. Für einen Ausnahmefall, in dem eine Gefährdung der Interessen der
  128. Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts verneint werden kann (dazu Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2004, aaO unter II 2 c; Beschl. v.
  129. -85. Dezember 2005, AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559 unter II 2; Beschl. v.
  130. 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 14/05, AnwBl. 2006, 281 f. unter II 3; Beschl. v.
  131. 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925), ist nichts ersichtlich.
  132. 13
  133. 4. Der sofortige Vollzug des Widerrufs ist auch weiterhin zur Abwehr konkreter Gefahren für die Rechtsuchenden, insbesondere die Mandanten des Antragstellers, zwingend geboten. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung des
  134. Sofortvollzugs auf mehrere Beschwerdeverfahren gestützt, in denen dem Antragsteller unsachgemäßer Umgang mit Fremdgeld bzw. dessen Einbehalt vorgeworfen wird. Der Antragsteller ist diesen Vorwürfen nur teilweise entgegengetreten; entsprechende Belege hat er in keinem Fall vorgelegt. Hinzu kommt folgendes: Der Antragsteller ist bereits durch Urteil des Anwaltsgerichts vom
  135. 21. September 2006 wegen Pflichtverletzungen beim Umgang mit Fremdgeldern in vier Fällen mit einem Verweis und einer Geldbuße belegt worden. Der
  136. Gläubiger A.
  137. hat am 24. Februar 2009 ein Urteil auf Rückerstattung über-
  138. zahlter Anwaltsgebühren erwirkt. Der Gläubiger T.
  139. hat am
  140. 17. März 2010 ein 2. Versäumnisurteil gegen den Antragsteller erwirkt. Seiner
  141. -9Forderung liegt zu Grunde, dass der Antragsteller Fremdgeld nicht weitergeleitet hat. Dies belegt, dass der Antragsteller die Interessen seiner Mandanten
  142. konkret gefährdet hat.
  143. Ganter
  144. Schmidt-Räntsch
  145. Kappelhoff
  146. Roggenbuck
  147. Martini
  148. Vorinstanz:
  149. AGH Stuttgart, Entscheidung vom 04.07.2009 - AGH 20/2009 (II) -