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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 5 StR 465/15
  5. vom
  6. 16. Februar 2016
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. 1.
  10. 2.
  11. wegen versuchten Totschlags u.a.
  12. ECLI:DE:BGH:2016:160216U5STR465.15.0
  13. -2-
  14. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Februar 2016, an der teilgenommen haben:
  15. Richterin Dr. Schneider,
  16. als Vorsitzende,
  17. Richter Prof. Dr. König,
  18. Richter Dr. Berger,
  19. Richter Bellay,
  20. Richter Dr. Feilcke
  21. als beisitzende Richter,
  22. Bundesanwalt
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt K.
  25. als Verteidiger des Angeklagten I.
  26. G.
  27. ,
  28. Rechtsanwalt F.
  29. als Verteidiger des Angeklagten P.
  30. Rechtsanwalt B.
  31. als Nebenklägervertreter,
  32. Justizangestellte
  33. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  34. G.
  35. ,
  36. -3-
  37. für Recht erkannt:
  38. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  39. Landgerichts Dresden vom 19. Mai 2015 mit den Feststellungen
  40. aufgehoben.
  41. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  42. über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  43. – Von Rechts wegen –
  44. Gründe:
  45. Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
  46. 1
  47. Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Es hat den
  48. Angeklagten I.
  49. G.
  50. unter Strafaussetzung zur Bewährung zu einer
  51. Jugendstrafe von zwei Jahren und den Angeklagten P.
  52. G.
  53. zu einer
  54. Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wenden
  55. sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft. Sie beanstanden die Verletzung
  56. materiellen Rechts mit dem Ziel einer Verurteilung wegen versuchten Heimtückemordes. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
  57. 2
  58. 1. Nach den Feststellungen trafen sich die als Cousins miteinander verwandten Angeklagten mit dem Nebenkläger abends in dessen Wohnung. Sie
  59. kannten den Nebenkläger seit etwa einem halben Jahr und hatten sich bereits
  60. -4-
  61. wiederholt bei ihm aufgehalten. Aus Sicht des Nebenklägers bestand insbesondere zum Angeklagten I.
  62. 3
  63. G.
  64. ein freundschaftliches Verhältnis.
  65. Als nach bis dahin friedlich verlaufenem Zusammensein zu späterer
  66. Stunde der Nebenkläger bäuchlings mit entblößtem Oberkörper auf seinem Bett
  67. lag, legte sich unvermittelt der Angeklagte I.
  68. G.
  69. auf ihn. Er hielt dem
  70. völlig überraschten Nebenkläger eine Luftdruckpistole an den Kopf und gab eine Vielzahl von Schüssen ab. Insgesamt sieben Schüsse trafen den Kopf, drei
  71. Schüsse den Hals und vier Schüsse den Unterarm des Nebenklägers. Ein Motiv
  72. für den Angriff konnte das Landgericht nicht feststellen.
  73. 4
  74. Im weiteren Verlauf beteiligte sich der Angeklagte P.
  75. G.
  76. an den
  77. Gewalttätigkeiten. Er schlug dem sich wehrenden Nebenkläger ein in der Wohnung vorgefundenes zehn Zentimeter langes, über ein Kilogramm schweres
  78. scharfkantiges „Hammerwerk“ aus massivem Metall auf den Kopf. Da der Nebenkläger gleichwohl seine Gegenwehr fortsetzte, forderte der Angeklagte I.
  79. G.
  80. seinen Cousin auf, nochmals zuzuschlagen. Daraufhin versetzte
  81. dieser dem Nebenkläger einen weiteren Schlag mit dem „Hammerwerk“ auf den
  82. Kopf. Während der Nebenkläger sich trotzdem fortdauernd wehrte und er den
  83. Angeklagten I.
  84. Angeklagte P.
  85. G.
  86. G.
  87. würgte, um ihn von sich wegzudrücken, holte der
  88. zwei Messer aus der Küche. Als der Nebenkläger aus
  89. der Wohnung flüchten wollte, stach ihm der Angeklagte P.
  90. G.
  91. mit einem
  92. der Küchenmesser (Klingenlänge 12 cm) in den Rücken. Gleichwohl konnte
  93. sich der Nebenkläger bei einem Nachbarn in Sicherheit bringen.
  94. 5
  95. Die Angeklagten handelten aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses und nahmen zumindest billigend in Kauf, den Geschädigten zu töten. Das
  96. -5-
  97. Landgericht geht dabei davon aus, dass bereits die – überwiegend auf Kopf und
  98. Hals des Nebenklägers gerichteten – Schüsse des Angeklagten I.
  99. G.
  100. mit Tötungsvorsatz erfolgten (UA S. 19) und von dem Willen des Angeklagten
  101. P.
  102. G.
  103. mitgetragen waren (UA S. 20). Als wesentliches Indiz für den Tö-
  104. tungsvorsatz der Angeklagten sieht es die Verwendung von drei verschiedenen
  105. Waffen oder gefährlichen Werkzeugen an. Zumindest in der Gesamtschau der
  106. Handlungen der beiden Angeklagten sei eine objektive Lebensgefährlichkeit der
  107. Tathandlungen gegeben gewesen, deren Umstände den Angeklagten auch bekannt gewesen seien (UA S. 18 f.). Tatsächlich bestand bei dem Geschädigten
  108. keine akute Lebensgefahr.
  109. Die Jugendkammer hat das Mordmerkmal der Heimtücke verneint. Zwar
  110. 6
  111. habe der Geschädigte zu Beginn der Tatausführungshandlungen nicht mit Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet. Es habe aber nicht festgestellt werden können, dass er infolge seiner Arglosigkeit wehrlos gewesen
  112. sei. Der Nebenkläger habe sich befreien und aus seiner Wohnung fliehen können und sich damit nicht in einer Situation befunden, in der ihm eine Gegenwehr nicht möglich gewesen wäre.
  113. 2. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Verurteilung wegen
  114. 7
  115. versuchten Heimtückemordes abgelehnt hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht
  116. stand.
  117. 8
  118. a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und
  119. Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass
  120. der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Le-
  121. -6-
  122. ben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das Opfer muss gerade
  123. auf Grund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Maßgebend für die Beurteilung ist
  124. die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (vgl.
  125. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.; vom
  126. 9. Januar 1991 – 3 StR 205/90, NJW 1991, 1963; vom 29. April 2009
  127. – 2 StR 470/08, NStZ 2009, 569). Kann das Opfer in diesem Moment dem Täter
  128. nichts Wirkungsvolles entgegensetzen, ist von dessen Wehrlosigkeit selbst
  129. dann auszugehen, wenn es im weiteren Verlauf des Kampfgeschehens Abwehrmaßnahmen zu entfalten vermag (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005
  130. – 1 StR 250/05, NStZ 2006, 96; MüKo-StGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 174
  131. mwN). Beim versuchten Delikt ist zu prüfen, ob der Täter die genannten Kriterien des Heimtückemerkmals in seinen Vorsatz aufgenommen hat.
  132. 9
  133. b) Diesen rechtlich relevanten Anknüpfungspunkt hat die Jugendkammer
  134. verkannt, indem sie allein die objektive Lage des Tatopfers bei der Tatausführung betrachtet hat. Da ein versuchtes Tötungsdelikt nach §§ 211, 22, 23 StGB
  135. zu prüfen ist, hätte es bezüglich des Tatentschlusses der Angeklagten darauf
  136. abstellen müssen, ob die Angeklagten bei Eintritt des Tötungsdelikts in das
  137. Versuchsstadium davon ausgingen, gegen ein arglosigkeitsbedingt wehrloses
  138. Opfer vorzugehen. Zu diesem Aspekt des ohnehin nur sehr knapp erörterten
  139. gemeinsamen Tatentschlusses ist dem angefochtenen Urteil jedoch nichts zu
  140. entnehmen.
  141. 10
  142. Darüber hinaus hat das Landgericht für die Frage einer objektiv bestehenden arglosigkeitsbedingten Wehrlosigkeit einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt, indem es darauf abgestellt hat, dass der Nebenkläger im weiteren Verlauf der Tat noch zu Gegenwehr imstande war. Denn nach den Feststel-
  143. -7-
  144. lungen (UA S. 19) handelten die Angeklagten bereits bei Abgabe der Schüsse
  145. auf den zu diesem Zeitpunkt im Rechtssinn arg- und wehrlosen Nebenkläger
  146. mit bedingtem Tötungsvorsatz.
  147. 11
  148. 3. Rechtsfehler, die sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben, enthält das angefochtene Urteil nicht (§ 301 StPO).
  149. 12
  150. Zwar begegnen die Feststellungen Bedenken, dass die Schüsse des Angeklagten I.
  151. ten P.
  152. G.
  153. G.
  154. auf den Nebenkläger von dem Willen des Angeklag-
  155. mitgetragen waren (UA S. 20) und in diesem Zeitpunkt bei
  156. beiden bereits Tötungsvorsatz bestand. Insoweit leidet das Urteil nämlich unter
  157. einem Erörterungsmangel. Denn das Landgericht hat sich nicht mit der naheliegenden Möglichkeit auseinandergesetzt, dass ein zunächst von I.
  158. G.
  159. allein – aus nicht feststellbaren Gründen – begonnenes Verletzungsgeschehen
  160. aufgrund spontanen Eingreifens von P.
  161. gelaufen“ sein könnte. P.
  162. G.
  163. G.
  164. gleichsam „aus dem Ruder
  165. hat in seiner polizeilichen Vernehmung
  166. eine „Hilfeleistung“ für seinen durch die Gegenwehr des Geschädigten in Bedrängnis geratenen Cousin geschildert. Mit dieser Darstellung hat sich das
  167. Landgericht nicht beweiswürdigend auseinandergesetzt. Zur Kampfsituation im
  168. Zeitpunkt des Eingreifens von P.
  169. G.
  170. verhält sich das Urteil nicht. Gegen
  171. einen bereits im Zeitpunkt der Schüsse – zumindest bei P.
  172. G.
  173. – beste-
  174. henden Tötungsvorsatz kann auch sprechen, dass er das eingesetzte Werkzeug und das Messer am Tatort vorgefunden und spontan ergriffen hat. Dieser
  175. Umstand hätte darüber hinaus auch im Hinblick darauf erörtert werden müssen,
  176. inwieweit ein solches Verhalten seines Cousins im Zeitpunkt der Abgabe der
  177. Schüsse für I.
  178. G.
  179. vorhersehbar war und vorhergesehen wurde.
  180. -8-
  181. 13
  182. Diese Erörterungsmängel haben sich in dem angefochtenen Urteil indes
  183. nicht zu Lasten der Angeklagten ausgewirkt. Denn die von der Kammer angestellten Hilfserwägungen zum Tötungsvorsatz, dass nämlich „zumindest in der
  184. Gesamtschau der Handlungen der beiden Angeklagten eine objektive Lebensgefährlichkeit der Tathandlungen gegeben“ sei (UA S. 18) und dass ein gemeinsamer Tatentschluss spätestens ab dem Zeitpunkt bestanden habe, in
  185. dem sich P.
  186. G.
  187. aktiv den Gewalthandlungen seines Cousins anschloss
  188. (UA S. 20), tragen den – bisherigen – Schuldspruch wegen versuchten Totschlags.
  189. 14
  190. Sollte das neue Tatgericht ebenfalls zur Annahme von Tötungsvorsatz
  191. bei beiden Angeklagten gelangen, so wird es allerdings den Zeitpunkt seines
  192. Entstehens unter Erörterung der oben genannten Umstände klar festzulegen
  193. haben, um darauf aufbauend die Frage eines heimtückischen Handelns in dem
  194. festgestellten Zeitpunkt zu beantworten.
  195. Schneider
  196. König
  197. Bellay
  198. Berger
  199. Feilcke