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  1. 5 StR 246/10
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. BESCHLUSS
  4. vom 21. Juli 2010
  5. in der Strafsache
  6. gegen
  7. wegen Totschlags
  8. -2-
  9. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2010
  10. beschlossen:
  11. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 22. Januar 2010 nach § 349 Abs. 4
  12. StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
  13. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
  14. auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
  15. Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  16. G r ü n d e
  17. 1
  18. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Sein hiergegen gerichtetes Rechtsmittel dringt – entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – mit der
  19. Sachrüge durch.
  20. 2
  21. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte
  22. am 6. März 2009 das ihm seit wenigen Wochen bekannte Tatopfer durch
  23. Ersticken. Während eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs führte er
  24. einen Gegenstand in die Scheide seiner Bekannten ein. Hierdurch erlitt diese
  25. schmerzhafte Verletzungen im Genitalbereich, die zu einer erheblichen Blutung führten. Sie schrie auf und sprang nach vorne. Der Angeklagte wollte
  26. verhindern, dass aufgrund des Schreiens die Nachbarn aufmerksam werden,
  27. und drückte deshalb den Kopf seiner Bekannten mit der Hand in eine auf
  28. dem Boden liegende Decke. Dabei stützte er sich mit seinem Unterarm auf
  29. deren Rücken ab und legte sich mit seinem gesamten Gewicht von 90 kg auf
  30. sie. „In diesem Moment war dem Angeklagten gleichgültig,“ ob er hierdurch
  31. -3-
  32. den Tod des Opfers herbeiführen würde. „Dies nahm er billigend in Kauf“ (UA
  33. S. 6).
  34. 3
  35. 2. Der Generalbundesanwalt hat wie folgt Stellung genommen:
  36. 4
  37. „Es ist allgemein bekannt, dass ein als äußerst gefährliche Gewalthandlung anzusehendes Verschließen der Atemwege grundsätzlich zum Tode führen kann. Allerdings ist hierbei die Erheblichkeit des Zeitmoments
  38. ebenso im allgemeinen Bewusstsein verankert. Dauer und Intensität des Erstickungsvorgangs stellen vor diesem Hintergrund zur Beurteilung des individuellen Tötungsvorsatzes geeignete und in der Rechtsprechung anerkannte
  39. Anknüpfungstatsachen dar.
  40. 5
  41. Vorliegend lassen die Urteilsgründe befürchten, dass die gerichtliche
  42. Überzeugungsbildung auf einer unklaren Tatsachengrundlage beruht, da
  43. keine Mindestdauer des Erstickungsvorgangs dargelegt wird. Die Strafkammer verabsäumt es, möglichst genaue Feststellungen dahingehend zu treffen, wie lange und intensiv der Angeklagte auf die Geschädigte beim Verschließen der Atemwege eingewirkt hat. Damit fehlen wesentliche Anknüpfungspunkte für die Tätervorstellung von der Lebensgefährlichkeit seiner
  44. Handlungsweise.
  45. 6
  46. Insoweit kann in Ermangelung einer Darstellung des Zeitverständnisses des Gerichts auch nicht beurteilt werden, was das Schwurgericht unter
  47. einem ‚längeren Zeitraum‛ versteht. Mit einer derart allgemein gehaltenen
  48. Beschreibung des Erstickungsvorgangs durfte sich das Landgericht nicht
  49. begnügen (vgl. BGHR StGB § 212 Vorsatz bedingter 10), zumal diese ungenaue Darstellung sich nicht mit den Ausführungen im Sachverständigengutachten deckt, dem sich die Schwurgerichtskammer angeschlossen hat.
  50. 7
  51. Nach dem Sachverständigengutachten ist der Tod ‚in relativ kurzer
  52. Zeit, nach wenigen, vielleicht nur drei Minuten‛, eingetreten; aufgrund des
  53. -4-
  54. Blutverlustes sei die Kompensationsfähigkeit des Herzens schon sehr beansprucht gewesen, so dass anzunehmen sei, dass der Tod durch Ersticken
  55. auch ‚schnell‛ eingetreten sei (vgl. UA S. 29).
  56. 8
  57. Es kann vor dem Hintergrund dieser unpräzisen Ausführungen auch
  58. nicht aus dem Gesamtkontext nachvollzogen werden, ob das Landgericht
  59. dem Gutachten folgend von einem Verschließen der Atemwege über mindestens drei Minuten ausgeht und dies vom Landgericht – abweichend vom
  60. Sachverständigengutachten – als ‚längerer Zeitraum‛ gewertet worden ist.
  61. 9
  62. Das Vorstellungsbild des Angeklagten von der Lebensgefährlichkeit
  63. seiner Handlungsweise ist insbesondere auch angesichts des massiven
  64. Blutverlusts der Geschädigten möglichst genau festzustellen, um auf dieser
  65. Grundlage beurteilen zu können, ob dieser die hohe Gefährlichkeit seines
  66. Handelns in sein Bewusstsein aufgenommen hat und nicht mehr ernstlich auf
  67. einen glimpflichen Ausgang vertraute.
  68. 10
  69. Es ist auch zu besorgen, dass die Strafkammer dem festgestellten
  70. Tatmotiv bei der Vorsatzfrage eine überbordende Rolle beigemessen hat.
  71. Das vom Schwurgericht festgestellte Tatmotiv, ‚Ruhe zu haben und bei den
  72. Nachbarn keine Aufmerksamkeit zu erregen‛ (vgl. UA S. 6 f., 35), weist – anders als es die Urteilsgründe suggerieren – gerade nicht eindeutig auf einen
  73. Tötungsvorsatz.
  74. 11
  75. Die weitere Begründung des Tötungsvorsatzes, wonach sich dem Angeklagten der mögliche Eintritt der Todesfolge aufdrängen ‚musste‛, da bei
  76. Verschließen der Atemwege ‚über einen längeren Zeitraum‛ das Ausbleiben
  77. des Todes nur als glücklicher Zufall erscheinen kann (vgl. UA S. 35), lässt
  78. eine klare Abgrenzung zum lediglich bewusst fahrlässigen Handeln vermissen, ebenso wie die nachfolgende unscharfe Verneinung von Anhaltspunkten
  79. -5-
  80. ‚dafür, dass der Angeklagte die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder darauf
  81. vertraut haben könnte, dass der Tod nicht eintreten werde‛ (vgl. UA S. 35).
  82. 12
  83. Dieser Rechtsfehler wirkt sich auch auf die Beweiswürdigung des
  84. Landgerichts aus. Diese hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand,
  85. denn der Schluss des Schwurgerichts auf den Vorsatz des Angeklagten kann
  86. in vorliegendem Fall nicht nachvollzogen werden.“
  87. 13
  88. Dem tritt der Senat bei. Die Beweiswürdigung des Landgerichts beruht
  89. hinsichtlich der subjektiven Tatseite, insbesondere des Tötungsmotivs, auf
  90. einer nicht ausreichenden Tatsachengrundlage, vielmehr weitestgehend auf
  91. Vermutungen (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26). Im Hinblick
  92. auf den untrennbaren Zusammenhang der Vorsatzannahme mit der Frage
  93. der Todesursache hebt er – auch insoweit dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend – die Feststellungen insgesamt auf.
  94. 14
  95. 3. Auf die zulässig erhobenen Verfahrensrügen kommt es damit nicht
  96. mehr an. Angesichts der darin gegen das Urteil gerichteten Angriffe bemerkt
  97. der Senat für das weitere Verfahren:
  98. 15
  99. Das neue Tatgericht wird sich für die hier besonders schwierige Aufklärung der Todesursache umfassender sachverständiger Beratung, gegebenenfalls auch durch bislang nicht mit der Sache befasste Sachverständige,
  100. versichern müssen. Auch mit Blick darauf, dass das Opfer weder eindeutige
  101. Zeichen äußerer Gewalt noch Abwehrverletzungen aufwies und Faserspuren
  102. in dessen Atmungssystem nicht aufgefunden wurden, wird vor allem zu prüfen sein, ob die durch die Verteidigung unter Vorlage mehrerer gutachtlicher
  103. Äußerungen herausgestellte Möglichkeit in Betracht kommt, dass das Opfer
  104. nicht an einer Erstickung, sondern an einer durch die Verletzungen im Genitalbereich verursachten Luftembolie verstorben ist. In diesem Zusammenhang wird von besonderer Bedeutung sein, ob das nachträglich angefertigte
  105. -6-
  106. histologische Gutachten den zu stellenden Anforderungen entspricht und mit
  107. den Befunden des Sektionsgutachtens in Einklang steht.
  108. 16
  109. Mit Rücksicht auf die bereits lange Dauer der Untersuchungshaft wird
  110. dem Aspekt der Beschleunigung ungeachtet der relativen Komplexität des
  111. Verfahrens besonderer Stellenwert einzuräumen sein.
  112. Brause
  113. Raum
  114. König
  115. Schneider
  116. Bellay