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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 4 StR 364/17
  5. vom
  6. 26. April 2018
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Verdachts des Mordes
  10. ECLI:DE:BGH:2018:260418U4STR364.17.0
  11. -2-
  12. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. April
  13. 2018, an der teilgenommen haben:
  14. Richter am Bundesgerichtshof
  15. Dr. Franke
  16. als Vorsitzender,
  17. Richterin am Bundesgerichtshof
  18. Roggenbuck,
  19. Richter am Bundesgerichtshof
  20. Cierniak,
  21. Dr. Quentin,
  22. Dr. Feilcke
  23. als beisitzende Richter,
  24. Erster Staatsanwaltschaft
  25. als Vertreter des Generalbundesanwalts,
  26. Rechtsanwalt
  27. als Verteidiger,
  28. Rechtsanwältin
  29. als Vertreterin der Nebenklägerin,
  30. Justizangestellte
  31. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  32. für Recht erkannt:
  33. – in der Verhandlung –
  34. -3-
  35. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
  36. des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 9. Februar
  37. 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den
  38. Angeklagten S.
  39. betrifft.
  40. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
  41. auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
  42. Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  43. Von Rechts wegen
  44. Gründe:
  45. 1
  46. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes freigesprochen; den Mitangeklagten Se.
  47. hat es wegen Mor-
  48. des zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen den Freispruch des
  49. Angeklagten S.
  50. richtet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene
  51. Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass
  52. es einer Erörterung der erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
  53. I.
  54. 2
  55. Der Mitangeklagte Se.
  56. lockte seinen Freund
  57. zember 2014 zu einer abgelegenen Örtlichkeit bei Ne.
  58. N.
  59. am 29. De-
  60. , indem er ihm ein
  61. lukratives Betäubungsmittelgeschäft in Aussicht stellte. Dort tötete er ihn nach
  62. 1.07 Uhr – möglicherweise im Rahmen eines gemeinsamen Tatplans mit dem
  63. Angeklagten – heimtückisch und grausam, ohne dass die Strafkammer ein Mo-
  64. -4-
  65. tiv für die Tat feststellen konnte. Zunächst schoss er unvermittelt von hinten mit
  66. einer Pistole auf N.
  67. s Hinterkopf. Der Schuss hinterließ allenfalls eine
  68. Streifschussverletzung. Ein zweiter Schussversuch scheiterte, da die Tatwaffe
  69. eine Ladehemmung aufwies. Der Mitangeklagte Se.
  70. N.
  71. versetzte daraufhin
  72. mit dem Griff der Waffe mindestens zehn wuchtige Schläge gegen den
  73. Kopf. Auch schlug er ihm mindestens zehnmal mit Fäusten mit voller Wucht ins
  74. Gesicht.
  75. N.
  76. , der sich zeitweise gegen die Schläge gewehrt hatte, ging
  77. mehrfach zu Boden, konnte sich jedoch immer wieder aufrichten und versuchte,
  78. auf die angrenzenden Felder zu entkommen. Er rief dabei um Gnade und nach
  79. seiner Mutter. Etwa 50 Meter von der Straße entfernt brach er auf dem Feld
  80. zusammen, war aber noch bei Bewusstsein und stöhnte. Der Mitangeklagte
  81. Se.
  82. versuchte erneut erfolglos, auf ihn zu schießen. Er trat ihm nun mindes-
  83. tens 20-mal mit voller Wucht an den Kopf. Bei einem weiteren Schussversuch
  84. löste sich ein Schuss, das Projektil blieb, nachdem es an einem anderen Gegenstand abgeprallt war, in der Kapuze N.
  85. Se.
  86. s stecken. Der Mitangeklagte
  87. zog nun zwei etwa einen Meter lange Holzpfähle aus der Erde. Mit
  88. einem der Pfähle schlug er N.
  89. mehrfach mit voller Wucht auf den Kopf. Nicht
  90. ausschließbar wurde dieser beim ersten Schlag bewusstlos. Der Mitangeklagte
  91. Se.
  92. und der Angeklagte rauchten anschließend zusammen eine Zigarette.
  93. Als der Mitangeklagte feststellte, dass N.
  94. noch lebte, schlug er mit dem zwei-
  95. ten Holzpfahl und mindestens 20-mal mit dem Lauf seiner senkrecht nach unten
  96. gehaltenen Schusswaffe auf N.
  97. s Kopf ein. Das Geschehen dauerte bis zum
  98. Todeseintritt mindestens 15 Minuten, möglicherweise eine Stunde. Der mit dem
  99. Mitangeklagten Se.
  100. befreundete Angeklagte S.
  101. war die ganze Zeit
  102. zugegen, ohne in das Tötungsgeschehen einzugreifen. Nach der Tötung des
  103. N.
  104. setzte er einen Notruf ab, wobei er wie bei seinen ersten polizeilichen
  105. Vernehmungen angab, Täter sei ein Rumäne in einem französischen Polizei-
  106. -5-
  107. auto gewesen. In einer Nachvernehmung am 31. Dezember 2014 benannte er
  108. den Mitangeklagten als Täter.
  109. 3
  110. Das Landgericht hat den Angeklagten S.
  111. freigesprochen, weil
  112. ihm weder eine Planung, Unterstützung oder Billigung der Tat noch die zumutbare Möglichkeit, dem Opfer Hilfe zu leisten, nachzuweisen gewesen seien.
  113. II.
  114. 4
  115. Der Freispruch hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft.
  116. 5
  117. 1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das
  118. Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft
  119. nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters
  120. (§ 261 StPO), dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen
  121. und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein,
  122. es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Januar
  123. 2018 – 1 StR 331/17, Rn. 7 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt
  124. sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in
  125. sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017
  126. – 4 StR 162/17, Rn. 9 mwN). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu
  127. würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18,
  128. 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände,
  129. die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
  130. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweis-
  131. -6-
  132. ergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt worden sind. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung
  133. schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN).
  134. 6
  135. 2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts
  136. nicht in jeder Hinsicht gerecht. Zwar ist es aus revisionsrechtlicher Sicht nicht
  137. zu beanstanden, dass das Landgericht weder eigenhändige Tatbeiträge des
  138. Angeklagten S.
  139. noch eine Mitplanung der Tat feststellen und sich des-
  140. halb nicht von einer Mittäterschaft überzeugen konnte. Durchgreifende Rechtsfehler zeigt auch die Revisionsbegründung insoweit nicht auf. Das Landgericht
  141. hat sich aber angesichts der festgestellten Tatumstände unzureichend mit der
  142. Frage auseinandergesetzt, ob dem Angeklagten eine Beihilfe zur Tötung des
  143. N.
  144. zur Last liegt. Seiner Wertung, dem Angeklagten seien auch keine sonsti-
  145. gen Tatbeiträge bzw. Unterstützungshandlungen nachweisbar, fehlt eine ausreichende Begründung.
  146. 7
  147. a) Das Landgericht hat es – den Angaben des Angeklagten folgend – als
  148. möglich angesehen, dass dieser aus Angst am Tatort geblieben sei und nicht
  149. eingegriffen habe, weil er die Aufforderung des Mitangeklagten Se.
  150. , nicht
  151. wegzugehen, als bedrohlich empfunden habe. Da der Mitangeklagte Se.
  152. bewaffnet gewesen sei, aus der Waffe immerhin zwei Schüsse abgegeben und
  153. den Geschädigten N.
  154. durch zahlreiche heftige Schläge getötet habe, sei es
  155. angesichts der besonderen Lebensgeschichte des Angeklagten (Suizid des Vaters vor seinen Augen, Suizid zweier Freunde) nachvollziehbar, dass er aus
  156. Entsetzen und Angst sowie in einem gewissen Schockzustand nicht imstande
  157. -7-
  158. gewesen sei, rettend in das Geschehen einzugreifen oder den Tatort zu verlassen, um Hilfe zu holen.
  159. 8
  160. Entsetzen und Angst, insbesondere ein Schockzustand über den gesamten Tatzeitraum, den der Angeklagte selbst mit einer Stunde angegeben hat,
  161. werden in den Erwägungen des Landgerichts zur Beweiswürdigung indes nur
  162. unzureichend begründet. Ausführungen dazu, inwieweit die in diesem Zusammenhang angeführten Lebensumstände des Angeklagten (Suizid des Vaters
  163. und von zwei Freunden) seine Psyche nachhaltig beeinflussten, enthalten die
  164. Urteilsgründe nicht. Bei seiner Bewertung hat das Landgericht auch nicht in den
  165. Blick genommen, dass die Tatwaffe nach dem ersten Schuss des Mitangeklagten Se.
  166. zunächst eine Ladehemmung aufwies und der zweite Schuss erst
  167. deutlich später abgegeben wurde. Schließlich hat das Landgericht auch nicht
  168. erwogen, inwieweit es mit Angst, Entsetzen und einem Schockzustand zu vereinbaren ist, dass der Angeklagte unmittelbar nach der Tat bei Absetzen des
  169. Notrufs und der anschließenden polizeilichen Vernehmung hinsichtlich des Täters eine umfangreiche Lügengeschichte erzählte. Dies erweist sich hier als
  170. Lücke in der Beweiswürdigung. Denn der Tatrichter ist aus Rechtsgründen nicht
  171. gehalten, Sachverhaltskonstellationen zu Gunsten des Angeklagten als unwiderlegt oder möglich zugrunde zu legen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur
  172. BGH, Urteile vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, aaO; vom 17. Juli 2014
  173. – 4 StR 129/14, Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010,
  174. 85, 86; Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325, jeweils mwN).
  175. 9
  176. b) Die Beweiserwägungen des Landgerichts zu einer Tatbeteiligung des
  177. Angeklagten sind auch im Weiteren lückenhaft. Das Landgericht hat nicht in
  178. den Blick genommen, dass schon die ständige Anwesenheit des Angeklagten
  179. -8-
  180. über den gesamten Zeitraum den Mitangeklagten Se.
  181. bei seiner Tatausfüh-
  182. rung bestärkt haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 1995 – 2 StR
  183. 84/95, NStZ 1995, 490, 491; Urteil vom 29. November 2011 – 1 StR 287/11,
  184. NStZ 2012, 347, 348 mwN). Eine solche Erörterung drängte sich hier auf: Die
  185. Tathandlung erstreckte sich über einen Zeitraum von mindestens 15 Minuten,
  186. nach Angaben des Angeklagten bis zu einer Stunde, und verlagerte sich von
  187. der Straße auf ein Feld. Der Angeklagte hat hierzu angegeben, er habe „wie ein
  188. Hund hinterherdackeln müssen“. Nach der Abgabe des ersten Schusses hatte
  189. die Tatwaffe eine Ladehemmung; der Mitangeklagte begann deshalb, auf das
  190. Tatopfer einzuschlagen, um es zu töten. Es erschließt sich nicht ohne Weiteres,
  191. wieso sich der Angeklagte gezwungen sah, jeweils mitzugehen, ohne einen
  192. Versuch zu unternehmen, wegzurennen oder den Mitangeklagten, „einen seiner
  193. besten Freunde“, wenigstens verbal von der weiteren Tatausführung abzuhalten. Während der Tatausführung rauchte der Angeklagte zudem eine Zigarette
  194. mit dem Mitangeklagten. Auch war er auf dessen Aufforderung sofort bereit, bei
  195. einer polizeilichen Vernehmung zu lügen. Diese Bereitschaft hatte der Angeklagte dem Mitangeklagten nicht etwa aus einer Zwangslage heraus vorgespiegelt. Vielmehr setzte er zwar unmittelbar nach der Tat, als N.
  196. mit Sicherheit
  197. tot war, von sich aus einen Notruf ab, machte aber zugleich umfangreiche
  198. Falschangaben zur Verschleierung der Täterschaft des Mitangeklagten. Dies
  199. lässt sich mit Angst und Entsetzen nicht mehr erklären und mit einem Schockzustand während der Tat kaum vereinbaren. Diese Tatumstände, die für eine
  200. aktive Unterstützung durch psychische Bestärkung des Mitangeklagten sprechen könnten, hat das Landgericht nicht in die Beweiswürdigung eingestellt.
  201. 10
  202. 3. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, dass auch die
  203. Würdigung der Aussage des Zeugen H.
  204. widersprüchlich ist: Das Land-
  205. gericht hat einerseits nachvollziehbar ausgeführt und begründet, dass der Zeuge wahrheitsgemäße Angaben mit originellen Details zu der Schilderung des
  206. -9-
  207. Mitangeklagten gegenüber dem Zeugen während der gemeinsamen Untersuchungshaft gemacht habe (UA 66). Dazu gehört, dass die Tat mit einem
  208. Freund geplant worden sei, der den Auftrag dazu gegeben habe. Einen sonstigen Tatbeitrag des anderen, der ihn „verpfiffen“ habe, habe Se.
  209. nicht be-
  210. nannt. Andererseits hat das Landgericht es abgelehnt, die Angaben des Mitangeklagten zu einer Tatbeteiligung des Angeklagten festzustellen, weil der Zeuge
  211. H.
  212. in der Hauptverhandlung unsicher gewesen sei und seine Angaben
  213. vage und unbestimmt (UA 97).
  214. III.
  215. 11
  216. Mit der Aufhebung des Urteils sind die sofortigen Beschwerden der
  217. Staatsanwaltschaft gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung und gegen
  218. die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten gegenstandslos
  219. (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 464 Rn. 20).
  220. Franke
  221. Roggenbuck
  222. Cierniak
  223. RiBGH Dr. Quentin ist urlaubsbedingt verhindert zu
  224. unterschreiben.
  225. Franke
  226. Feilcke