You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

96 lines
5.7 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 336/08
  4. vom
  5. 4. November 2008
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen gefährlicher Körperverletzung
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. November 2008 gemäß § 349
  11. Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  13. Oldenburg vom 3. März 2008, soweit es den Beschwerdeführer
  14. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  15. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  16. über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im
  17. Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine
  18. andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  19. Gründe:
  20. 1
  21. Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Auf
  22. die Revision des Angeklagten hat der Senat - unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen - das Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, da die für die Höhe der Jugendstrafe gegebene Begründung,
  23. diese sei zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, ohne
  24. Beleg in den Feststellungen geblieben war. Nunmehr hat das Landgericht den
  25. Angeklagten zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass im Hinblick auf die Verletzung des Gebotes zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 MRK) drei Monate der erkannten Strafe
  26. als verbüßt gelten. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstan-
  27. -3-
  28. dungen gestützte Revision hat Erfolg. Die Strafzumessung hält erneut rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  29. 2
  30. 1. Die Strafe kann schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil das Urteil
  31. keine eigenen Feststellungen der Strafkammer zur alkoholischen Beeinflussung
  32. des Angeklagten bei der Tatbegehung enthält. Das Landgericht hat lediglich
  33. aus dem aufgehobenen Urteil die Darlegungen des Sachverständigen zu der in
  34. Betracht kommenden Blutalkoholkonzentration sowie die Überzeugung der damals entscheidenden Strafkammer wiedergegeben, dass der Angeklagte zum
  35. Tatzeitpunkt voll schuldfähig war. Dabei hat es rechtsfehlerhaft nicht beachtet,
  36. dass die sich auf den seinerzeit angenommenen Ausschluss einer erheblichen
  37. Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten beziehenden Feststellungen die Straffrage betreffen und deshalb durch die Revisionsentscheidung des
  38. Senats mit aufgehoben sind (vgl. BGH StV 2001, 179 m. w. N.). Das Landgericht hätte mithin zu den Trinkmengen in prozessordnungsgemäßer Weise eigene Feststellungen treffen und über eine Einschränkung der Schuldfähigkeit
  39. erneut entscheiden müssen. Der Senat kann - anders als bei dem Mitangeklagten, bei dem das Landgericht zwar denselben Fehler begangen hat, indes von
  40. einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen ist - ein Beruhen
  41. des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausschließen.
  42. 3
  43. 2. Zudem hat das Landgericht die Dauer der zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten notwendigen Jugendstrafe im Wesentlichen damit
  44. begründet, dass bei ihm "auch in der erneuten Hauptverhandlung kein Anzeichen vor Reue darüber zu erkennen" gewesen sei, was er dem Opfer "angetan
  45. hat". Seine mangelnde Bereitschaft, "selbst Verantwortung für sein Verhalten
  46. und dessen Folgen zu übernehmen", komme "auch in seiner Erklärung zum
  47. Ausdruck, dass er sich … mit Rücksicht auf das noch nicht abgeschlossene
  48. Zivilverfahren bislang nicht entschuldigt hat". Da sich aus dem Urteil nicht er-
  49. -4-
  50. gibt, ob sich der Angeklagte, der im ersten Durchgang geschwiegen hatte, in
  51. der neuen Hauptverhandlung überhaupt und gegebenenfalls in welcher Weise
  52. zur Sache eingelassen hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht mit dieser Begründung das Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu
  53. dessen Nachteil verwertet hat. Dies ist auch dann nicht zulässig, wenn der
  54. Schuldspruch bereits rechtskräftig und nur noch über die Strafe zu befinden ist
  55. (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 19 m. w. N.).
  56. 4
  57. 3. Da die Jugendstrafe schon aus den vorgenannten Gründen aufzuheben ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob das Landgericht den Umfang der im
  58. bisherigen Verfahren geschehenen Verletzung des Gebotes zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 MRK) zutreffend bestimmt hat. In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt vermag der Senat allerdings eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung für die Zeit, in der das Verfahren nicht
  59. gefördert worden ist, weil die im ersten Durchgang zuständige Jugendkammer
  60. vordringlichere (erkennbar: Haft-)Sachen erledigen musste, nicht zu erkennen.
  61. Dieser Zeitraum ist zwar lang, denn bei unmittelbarer Bearbeitung hätte die
  62. Terminierung neun Monate früher erfolgen können; indes hat sich keiner der
  63. Angeklagten in Untersuchungshaft befunden oder war auch nur von ihr verschont, so dass in Ansehung der notwendigen vorrangigen Bearbeitung von
  64. Haftsachen diese Zeitspanne noch nicht als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK
  65. anzusehen ist. Dies gilt hier auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass
  66. es sich um ein Strafverfahren gegen einen Heranwachsenden handelt.
  67. -5-
  68. 5
  69. 4. Die Strafe muss erneut zugemessen werden. Sollte der neue Tatrichter wieder eine den Strafverfolgungsorganen zuzurechnende Verfahrensverzögerung darin sehen, dass die Strafakten zeitweilig in Verlust geraten waren und
  70. dem Revisionsverfahren deshalb erst mit neunmonatiger Verspätung Fortgang
  71. verschafft werden konnte, verweist der Senat zur Kompensation solcher Verstöße im Jugendstrafverfahren auf die Entscheidungen BGH - GS - BGHSt 52,
  72. 124 sowie BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15.
  73. Sost-Scheible
  74. Miebach
  75. Hubert
  76. Pfister
  77. Schäfer