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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- 3 StR 203/14
- vom
- 21. August 2014
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen Totschlags
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- Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. August
- 2014, an der teilgenommen haben:
- Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
- Becker,
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- die Richter am Bundesgerichtshof
- Pfister,
- Hubert,
- Mayer,
- Richterin am Bundesgerichtshof
- Dr. Spaniol
- als beisitzende Richter,
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- Staatsanwältin
- als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
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- Rechtsanwalt
- als Verteidiger,
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- Justizamtsinspektor
- als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
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- für Recht erkannt:
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- Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 8. November
- 2013 werden verworfen.
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- Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
- Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die
- dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
- fallen der Staatskasse zur Last.
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- Von Rechts wegen
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- Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte, auf den
- Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten beanstandet,
- das Landgericht habe rechtsfehlerhaft eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat verneint (§ 21 StGB) und zu Unrecht von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen (§ 64
- StGB). Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, ebenfalls auf die Rüge
- der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft
- erstrebt dessen Verurteilung wegen Mordes (§ 211 StGB). Das Landgericht
- habe zu Unrecht sowohl das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht als auch
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- das der niedrigen Beweggründe verneint. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
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- I. Die Revision der Staatsanwaltschaft
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- 1. Nach den Feststellungen waren der 28-jährige, der rechten Szene zuzurechnende Angeklagte und die 23-jährige Mitangeklagte eng befreundet und
- hatten zueinander ein "Bruder-Schwester-Verhältnis" entwickelt. Der Angeklagte wusste, dass die Beziehungen der Mitangeklagten zu ihrem Vater, dem späteren Tatopfer L.
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- , seit Jahren zerrüttet waren. Aus ihren wiederholt ge-
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- schilderten, sie quälenden bild- und bruchstückhaften Erinnerungen schloss er,
- dass L.
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- die Mitangeklagte als Kind sexuell missbraucht haben müsse.
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- Dies brachte ihn nicht nur als deren "Beschützer" gegen L.
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- auf, sondern
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- auch wegen seiner Aversion gegen "Kinderschänder", für die er die Todesstrafe
- befürwortete.
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- Am Abend des 30. September 2012 kehrte der Angeklagte nach mehrwöchiger beruflicher Abwesenheit mit der Bahn an seinen Wohnort zurück. Von
- unterwegs bat er die Mitangeklagte, ihn am Bahnhof abzuholen, und eröffnete
- ihr, er habe für sie "ein einmaliges, nur heute gültiges Angebot". Die Mitangeklagte begleitete den Angeklagten in seine Wohnung. Im Verlauf eines Gesprächs über die Lebenssituation der in psychotherapeutischer Behandlung
- befindlichen Mitangeklagten präzisierte der Angeklagte sein "Angebot" dahin, er
- werde L.
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- aufsuchen, um die Frage eines möglichen sexuellen Miss-
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- brauchs "ein für alle Mal zu klären". Hierzu solle sie ihn in ihrem Pkw an dessen
- etwa 25 km entfernten Wohnort bringen. Die Mitangeklagte zögerte zunächst,
- auf den Hinweis des Angeklagten, er könne auch auf andere Weise dorthin gelangen, willigte sie schließlich ein.
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- Die Mitangeklagte ließ den Angeklagten gegen 22.30 Uhr auf Höhe des
- Nachbargrundstücks aussteigen und parkte ihren Pkw etwa 50 m von
- L.
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- s Wohnhaus entfernt an zuvor verabredeter Stelle. Der Angeklagte
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- überstieg das verschlossen geglaubte Hoftor des Anwesens, klopfte an der
- Haustür und gab sich als Freund der Tochter zu erkennen, worauf L.
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- ihn
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- einließ. Vom Angeklagten nunmehr mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs der Tochter konfrontiert, reagierte L.
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- aggressiv und versuchte,
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- den Angeklagten aus dem Haus zu drängen. Hierauf zog der Angeklagte seine
- mitgeführten Schlaghandschuhe mit verstärktem Handrückenbereich über und
- schlug L.
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- wiederholt wuchtig mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser
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- zu Boden ging und regungslos liegen blieb. Anschließend versetzte er
- L.
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- mit den getragenen, durch Innenkappen aus Stahl verstärkten Schu-
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- hen mehrere Fußtritte in die Seite. Den Tod des Opfers nahm er bei seinem
- Handeln billigend in Kauf.
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- In der Annahme, L.
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- damit noch keine tödlichen Verletzungen
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- beigebracht zu haben, verließ der Angeklagte sodann das Haus, begab sich zur
- Mitangeklagten und stellte ihr die Frage, ob sie ihren Vater "noch einmal sehen"
- wolle. Als die Mitangeklagte dies mit den Worten verneinte "Nee, definitiv
- nicht", kündigte er ihr an, er werde "die Sache jetzt klären". Er begab sich erneut zum Anwesen von L.
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- , überstieg nochmals das Hoftor, drang in das
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- Haus ein und nahm in der Küche ein Brotmesser mit etwa 20 cm langer Klinge
- an sich, um den weiterhin reglos Daliegenden nun durch einen Stich in die
- Brust zu töten. Zwei erste Stiche rutschten ab, beim dritten, nun wuchtig geführten Stich drang das Messer auf volle Klingenlänge ein und perforierte u.a. den
- Herzbeutel und die rechte Herzkammer. L.
- an Verbluten.
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- verstarb kurze Zeit danach
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- 2. Soweit das Landgericht danach die Tatbestandsmerkmale des Mordes
- (§ 211 Abs. 2 StGB) verneint und den Angeklagten des Totschlags (§ 212
- StGB) schuldig gesprochen hat, weist die dem zugrunde liegende Würdigung
- der Beweise entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
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- a) Dass bei dem tödlichen Messerstich nicht die Absicht des Angeklagten handlungsleitend war, seine Ermittlung als Täter der vorangegangenen
- Misshandlungen zu verhindern, schließt das Landgericht zum einen aus seinen
- Worten gegenüber der Mitangeklagten, er werde "die Sache jetzt klären", was
- vor dem Hintergrund des Tatgeschehens offensichtlich auf den die Mitangeklagte erheblich belastenden mutmaßlichen sexuellen Missbrauch durch das
- Tatopfer bezogen war. Zum anderen mussten entsprechende Überlegungen
- des Angeklagten schon deshalb nicht nahe liegend erscheinen, weil er ohne
- Weiteres damit rechnen musste, dass L.
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- noch vor seiner Rückkehr aus
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- der Bewusstlosigkeit erwacht und geeignete Maßnahmen ergreift. Nicht übersehen hat das Landgericht, dass der Angeklagte sich (zunächst) bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 26. Februar 2013 dahin eingelassen hatte, er habe
- L.
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- getötet, weil dieser ihn hätte wieder erkennen können. Es hat dieser
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- Einlassung deshalb keinen entscheidenden Beweiswert zugemessen, weil sie
- - mit den Feststellungen im Übrigen objektiv unvereinbar - die Rückkehr zur
- Mitangeklagten vor dem Einsatz des Messers verschwieg und so offensichtlich
- von der Absicht getragen war, diese, wie nach der Tat verabredet, "aus der
- Sache rauszuhalten".
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- Dagegen ist nichts zu erinnern. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob
- das kurzzeitige Verlassen des Tatorts und der anschließende Wechsel des
- Tatmittels das Geschehen in einer Weise unterbrachen, welche die bereits von
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- Tötungsvorsatz getragenen Schläge und Tritte als eine zur Verdeckung geeignete "andere Straftat" im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB erscheinen lassen (vgl.
- BGH, Urteil vom 6. November 1984 - 1 StR 593/84, NStZ 1985, 167).
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- b) Auch die Erwägungen, aufgrund deren das Landgericht niedrige Beweggründe des Angeklagten verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
- Das Landgericht hat sich mit den denkbaren Tatmotiven des Angeklagten hinreichend auseinandergesetzt und konnte danach nicht ausschließen, dass sein
- Tatentschluss vorrangig getragen war von einer Verärgerung über die fehlende
- Reue und Gesprächsbereitschaft L.
-
- s in Bezug auf dessen (mutmaßli-
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- ches) die Mitangeklagte erheblich belastendes Vorverhalten. Zwar würdigt das
- Landgericht in diesem Zusammenhang nicht mehr ausdrücklich auch die zuvor
- als ein "gewisses Indiz" gegen die Verdeckungsabsicht gewertete Äußerung
- des Angeklagten gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen, er habe
- sich durch die Tat als "Richter" aufgespielt. Der Senat schließt jedoch aus, dass
- dem Landgericht dieser Umstand aus dem Blick geraten war, denn es erwägt
- jedenfalls auch die Möglichkeit, dass der Angeklagte gehandelt hat, um
- L.
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- zu bestrafen.
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- 3. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, das Landgericht habe es unterlassen, bei der Gewichtung der dem Messerstich vorausgehenden Misshandlungen die Schläge mit den verstärkten Handschuhen unter dem Gesichtspunkt
- der Tatbegehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2
- StGB) zu würdigen, schließt der Senat aus, dass hierauf der Strafausspruch
- zum Vorteil des Angeklagten beruht. Das Landgericht hat innerhalb des rechtsfehlerfrei angenommenen einheitlichen Tatgeschehens schon wegen der Fußtritte die qualifizierenden Merkmale sowohl des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB als
- auch des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB bejaht und bei der Bemessung der Strafe die
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- Verwirklichung des zurücktretenden Tatbestandes und die Brutalität des Vorgehens berücksichtigt.
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- 4. Auch im Übrigen deckt die Überprüfung des Urteils auf die von der
- Beschwerdeführerin erhobene Sachrüge keinen Rechtsfehler zugunsten oder
- zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten auf.
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- II. Die Revision des Angeklagten
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- 1. Soweit sich das Rechtsmittel des Angeklagten gegen den Strafausspruch richtet, ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 2. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht
- von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen. Sachverständig beraten hat das Landgericht
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- jedenfalls einen symptomatischen Zusammenhang zwischen einem (möglichen) Alkoholmissbrauch des Angeklagten und der Tat verneint, denn es hat
- sich rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass diese in der vom Angeklagten eingenommenen Beschützerrolle gegenüber der Mitangeklagten und in seiner
- Aversion gegen "Kinderschänder" wurzelt.
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- VRiBGH Becker ist wegen
- Urlaubs gehindert, seine
- Unterschrift beizufügen.
- Pfister
- Mayer
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- Pfister
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- Hubert
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- Spaniol
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