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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 439/05
  5. vom
  6. 14. Dezember 2005
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Dezember
  12. 2005, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Rissing-van Saan
  15. und der Richter am Bundesgerichtshof
  16. Dr. Bode,
  17. die Richterin am Bundesgerichtshof
  18. Dr. Otten,
  19. die Richter am Bundesgerichtshof
  20. Rothfuß,
  21. Professor Dr. Fischer,
  22. Oberstaatsanwalt
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwältin
  25. als Verteidigerin,
  26. Justizangestellte
  27. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  31. Landgerichts Bonn vom 23. Februar 2005
  32. a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im
  33. Fall 6 der Urteilsgründe der besonders schweren Vergewaltigung und im Fall 8 der Urteilsgründe der besonders
  34. schweren sexuellen Nötigung schuldig ist,
  35. b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Einzelstrafausspruch in den Fällen 6 und 8 der Urteilsgründe
  36. sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
  37. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  38. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  39. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  40. Von Rechts wegen
  41. -4-
  42. Gründe:
  43. 1
  44. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sieben
  45. Fällen (Fälle 1 bis 7) und wegen versuchter Vergewaltigung (Fall 8) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die
  46. Staatsanwaltschaft erhebt mit ihrem zulässig beschränkten Rechtsmittel die
  47. Sachrüge und erstrebt im Fall 6 eine Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) und
  48. im Fall 8 wegen besonders schwerer sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 1, Abs. 4
  49. Nr. 1 StGB). Außerdem beanstandet sie den gesamten Strafausspruch. Das
  50. Rechtsmittel hat Erfolg, soweit es sich gegen den Schuld- und Strafausspruch
  51. in den genannten Fällen und gegen die Gesamtfreiheitsstrafe richtet. In diesem
  52. Umfang wird es auch vom Generalbundesanwalt vertreten. Im Übrigen ist das
  53. Rechtsmittel unbegründet.
  54. I.
  55. 2
  56. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
  57. 3
  58. a) Fall 6:
  59. 4
  60. Der Angeklagte hatte seine Lebensgefährtin, die Nebenklägerin, bereits
  61. in den Fällen 1 bis 5 vergewaltigt, als er sie am Morgen des 28. Dezember 2003
  62. im Kinderzimmer weckte und den Geschlechtsverkehr verlangte. Die Nebenklägerin lehnte dies ab. Daraufhin holte er seine Matratze, legte sie vor das Bett
  63. der Nebenklägerin, packte die schlaftrunkene Frau, zog sie zu sich auf die Matratze und riss ihr trotz heftiger Gegenwehr Jogging- und Unterhose herunter.
  64. Dann hielt er ihr eine spitze Haushaltsschere mit knapp 10 cm Schneidelänge
  65. vor den Schambereich. Dabei sagte er: "Wenn du still hältst, geht alles ganz
  66. schnell!". Die Nebenklägerin erschrak beim bloßen Anblick der spitzen Schere
  67. -5-
  68. und bewegte sich aus Angst nicht mehr. Der Angeklagte schnitt ihr die Schamhaare oberhalb der Scheide ab und äußerte erniedrigende Beleidigungen. Anschließend legte er die Schere griffbereit neben die Matratze, rieb den Scheidenbereich der Nebenklägerin mit Babyöl ein und vollzog mit ihr, die weiterhin
  69. Angst vor der Schere hatte, gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr bis
  70. zum Samenerguss.
  71. 5
  72. Nach Beendigung des Geschlechtsverkehrs kündigte der Angeklagte
  73. eine baldige Wiederholung an. Um dem zuvorzukommen, zog sich die Nebenklägerin Jeans und Pullover an und ging in die Küche. Der Angeklagte folgte ihr
  74. und pickte ihr mit einem großen Küchenmesser auf die Hose, damit sie sie auszöge. Die Nebenklägerin weigerte sich. Um seiner Forderung Nachdruck zu
  75. verleihen, hielt er ihr das Messer an die Kehle. Als dies die Nebenklägerin nicht
  76. beeindruckte, legte er das Messer wieder weg. Nach einem Gerangel zog sich
  77. die Nebenklägerin aus Protest schließlich selbst aus und schlug mit ihren Jeans
  78. heftig um sich. In diesem Moment klingelte das Telefon und der Bruder des Angeklagten kündigte sein baldiges Erscheinen an. Daraufhin ließ der Angeklagte
  79. von der Nebenklägerin ab.
  80. 6
  81. Diese Tat hat das Landgericht im Schuldspruch als Vergewaltigung gewertet, in den Urteilsgründen (UA S. 48) jedoch die Qualifikation des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs (§ 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB) für verwirklicht
  82. erachtet, ohne dies aber im Tenor zum Ausdruck zu bringen, und hat hierfür
  83. eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Eine
  84. Qualifikation nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB hat das Landgericht nicht geprüft.
  85. 7
  86. b) Fall 8:
  87. 8
  88. In den Morgenstunden des 4. Januar 2004 kam es zum Streit zwischen
  89. dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Der Angeklagte war bereit aus der
  90. -6-
  91. Wohnung auszuziehen, wollte aber den gemeinsamen Sohn gegen den Willen
  92. der Nebenklägerin und trotz der nächtlichen Stunde gleich mitnehmen. Als sich
  93. die Nebenklägerin schützend vor die Tür des Kinderzimmers stellte, holte er ein
  94. großes Küchenmesser und eine große Fleischgabel mit 14 cm langen Zinken.
  95. Als der Angeklagte bemerkte, dass die Nebenklägerin telefonisch Hilfe herbeirief, legte er Küchenmesser und Fleischgabel aus der Hand, nahm der Nebenklägerin das Telefon weg, zerstörte es und trat und würgte die Nebenklägerin.
  96. 9
  97. Sodann nahm der Angeklagte die Fleischgabel wieder an sich und hielt
  98. sie der Nebenklägerin drohend vor Bauch und Brust, drängte sie ins Wohnzimmer und forderte sie auf, sich auszuziehen. Mit der Fleischgabel tippte er jeweils auf das Kleidungsstück, das sie als nächstes ausziehen sollte. Aus Angst
  99. vor weiteren Schlägen und der vorgehaltenen Fleischgabel entkleidete sie sich
  100. vollständig. Dann drückte sie der Angeklagte unter weiterem Vorhalten der
  101. Fleischgabel über das Seitenteil des Sofas nach hinten, während ihre Unterschenkel herunterhingen. Der am Unterleib entblößte Angeklagte legte sich nun
  102. mit der Fleischgabel in der Hand über die Nebenklägerin und versuchte, mit
  103. seinem erigierten Glied ungeschützt und gegen den Willen der Nebenklägerin in
  104. ihre Scheide einzudringen, wobei er sich sexualbezogen herabwürdigend über
  105. die Nebenklägerin äußerte. Dem Angeklagten gelang es jedoch wegen der heftigen Gegenwehr der Nebenklägerin nicht, in ihre Scheide einzudringen. Er
  106. konnte mit seinem Penis lediglich die äußeren Schamlippen berühren. In diesem Augenblick klingelte die telefonisch herbeigerufene Polizei.
  107. 10
  108. Diesen Vorfall hat das Landgericht im Schuldspruch als versuchte Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, 22 StGB) bezeichnet, in den Urteilsgründen
  109. (UA S. 48) jedoch die Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB für verwirklicht
  110. erachtet, weil der Angeklagte die Nebenklägerin mit der Fleischgabel bedroht
  111. habe. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht einen minder schweren Fall
  112. -7-
  113. im Sinne von § 177 Abs. 5 Alt. 2 StGB angenommen, weil es beim Versuch der
  114. Vergewaltigung geblieben sei, und deshalb im Hinblick auf § 50 StGB von einer
  115. Strafrahmenmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB abgesehen. Es hat für diese Tat
  116. eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt.
  117. II.
  118. 11
  119. Die angefochtenen Schuldsprüche halten der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
  120. 12
  121. 1. Im Fall 6 ist der Angeklagte auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien
  122. Feststellungen der besonders schweren Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1,
  123. Abs. 4 Nr. 1 StGB) schuldig (zur Tenorierung vgl. Tröndle/Fischer, StGB
  124. 53. Aufl. § 177 Rdn. 78 m.w.N.).
  125. 13
  126. Das Landgericht hat in den Urteilsgründen bereits selbst dargelegt, dass
  127. der Angeklagte dadurch, dass er beim erzwungenen Geschlechtsverkehr mit
  128. der Nebenklägerin die spitze Haushaltsschere griffbereit neben sich liegen hatte, zumindest die bereits in der Anklage angenommene Qualifikation des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 3 Nr. 1
  129. StGB verwirklicht hat. Dementsprechend hat das Landgericht bei der Strafzumessung für diese Tat auch den Strafrahmen des § 177 Abs. 3 StGB zugrunde
  130. gelegt (UA S. 50).
  131. 14
  132. Das Landgericht hätte jedoch darüber hinaus berücksichtigen müssen,
  133. dass der Angeklagte die Haushaltsschere bei der Tatbegehung auch verwendet
  134. hat. Er hatte sie nach der anfänglichen Bedrohung der Nebenklägerin beim
  135. Schneiden der Schamhaare auch beim Vollzug des Geschlechtsverkehrs noch
  136. griffbereit neben der Matratze liegen und hat somit die Schere als gefährliches
  137. Werkzeug nicht nur bei sich geführt, sondern auch in diesem Tatstadium noch
  138. -8-
  139. als Drohmittel verwendet. Hierfür genügt es, dass der Täter das gefährliche
  140. Werkzeug bei der Tat konkludent als Drohmittel einsetzt. Das gilt jedenfalls
  141. dann, wenn der Täter - wie hier der Angeklagte - auf Grund der Nähe zum Tatopfer diesem jederzeit ohne Weiteres mit der spitzen Haushaltsschere Verletzungen beibringen kann (vgl. BGH NStZ 2001, 369; NStZ-RR 1999, 7; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 84; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. § 250 Rdn.
  142. 29 jeweils m.w.N.) und das Tatopfer wegen seiner fortbestehenden Angst vor
  143. der Schere den ungewollten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lässt. Dass
  144. der Angeklagte die Haushaltsschere bei dem erzwungenen Geschlechtsverkehr
  145. bewusst und gewollt zur konkludenten Bedrohung der Nebenklägerin neben die
  146. Matratze gelegt hat, hat das Landgericht unter den gegebenen Umständen hinreichend festgestellt. Dies hat zur Folge, dass der Angeklagte der besonders
  147. schweren Vergewaltigung schuldig ist.
  148. 15
  149. 2. Im Fall 8 führen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des
  150. Landgerichts ebenfalls zu einer Änderung des Schuldspruchs, weil das Tatgeschehen rechtlich als vollendete besonders schwere sexuelle Nötigung (§ 177
  151. Abs. 4 Nr. 1 StGB) zu werten ist (zur Tenorierung vgl. Tröndle/Fischer aaO
  152. Rdn. 78 m.w.N.). Der Angeklagte hat, was das Landgericht verkannt hat, die
  153. sexuelle Nötigung der Nebenklägerin nicht nur versucht, sondern mit dem festgestellten Tatverhalten bereits vollendet. Erst der beabsichtigte Geschlechtsverkehr blieb im Versuchsstadium, weil der Angeklagte wegen der heftigen Gegenwehr der Nebenklägerin nicht in deren Scheide eindringen konnte. Eine
  154. Verurteilung wegen "versuchter Vergewaltigung" kommt aber nicht in Betracht,
  155. wenn das Grunddelikt des § 177 Abs. 1 StGB vollendet und nur das Regelbeispiel der Vergewaltigung, als eines besonders schweren Falls der sexuellen
  156. Nötigung versucht wurde (st. Rspr.; vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 77;
  157. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 18, 28 jeweils
  158. m.w.N.). Durch das bedrohende Vorhalten der langzinkigen Fleischgabel hat
  159. -9-
  160. der Angeklagte die Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verwirklicht, weil
  161. er ein gefährliches Werkzeug zur Tatbegehung verwendet hat.
  162. 16
  163. Da der Angeklagte die besonders schwere sexuelle Nötigung vollendet
  164. hat, hätte das Landgericht bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall der sexuellen Nötigung im Sinne von § 177 Abs. 5 Alt. 2 StGB vorlag, nicht den vertypten Strafmilderungsgrund des § 23 Abs. 2 StGB zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen dürfen.
  165. 17
  166. 3. Der Senat kann die Schuldsprüche selbst ändern. § 265 StPO steht
  167. dem nicht entgegen, denn der Senat kann ausschließen, dass sich der Angeklagte im Falle eines Hinweises anders hätte verteidigen können.
  168. 18
  169. 4. Die Änderung der Schuldsprüche zum Nachteil des Angeklagten zieht
  170. die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 6 und 8 nach sich. Damit entfällt
  171. auch die Grundlage für die Gesamtfreiheitsstrafe.
  172. 19
  173. 5. Soweit die Staatsanwaltschaft darüber hinaus auch die Bemessung
  174. der übrigen Einzelstrafen beanstandet, lässt die sachlich-rechtliche Prüfung
  175. - 10 -
  176. keinen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten erkennen, auch wenn die
  177. verhängten Einzelstrafen eher milde sind. Ebenso wenig ergibt die durch § 301
  178. StPO gebotene Prüfung einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
  179. Rissing-van Saan
  180. Bode
  181. Rothfuß
  182. Otten
  183. Fischer