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355 lines
17 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 349/08
  5. vom
  6. 29. Oktober 2008
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHSt:
  10. ja (nur II. 2.)
  11. Veröffentlichung:
  12. ja
  13. StGB §§ 21, 49 Abs. 1, § 211
  14. Zur Ablehnung der Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB wegen verschuldeten
  15. Affekts in Fällen lebenslanger Freiheitsstrafe.
  16. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2008 - 2 StR 349/08 - LG Bonn
  17. in der Strafsache
  18. gegen
  19. -2-
  20. wegen Mordes u. a.
  21. -3-
  22. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober
  23. 2008, an der teilgenommen haben:
  24. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  25. Dr. Rissing-van Saan,
  26. die Richter am Bundesgerichtshof
  27. Rothfuß,
  28. Prof. Dr. Fischer,
  29. die Richterin am Bundesgerichtshof
  30. Roggenbuck,
  31. der Richter am Bundesgerichtshof
  32. Cierniak,
  33. Bundesanwalt
  34. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  35. Rechtsanwalt
  36. als Verteidiger des Angeklagten,
  37. Rechtsanwalt
  38. als Vertreter der Nebenklägerin S.
  39. W.
  40. Justizhauptsekretärin
  41. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  42. für Recht erkannt:
  43. ,
  44. -4-
  45. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  46. Bonn vom 27. März 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
  47. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  48. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
  49. Von Rechts wegen
  50. Gründe:
  51. 1
  52. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und gefährlicher
  53. Körperverletzung zu einer "lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe" verurteilt und
  54. das Tatmesser eingezogen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
  55. Revision, die das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts
  56. geltend macht. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg.
  57. I.
  58. 2
  59. 1. Nach den Feststellungen zogen der verheiratete Angeklagte und das
  60. spätere Tatopfer S.
  61. H.
  62. bereits wenige Tage, nachdem sie sich
  63. kennen gelernt hatten, zusammen. In der Beziehung entstanden alsbald Spannungen; in solchen Situationen beschimpfte und bedrohte der Angeklagte seine
  64. Freundin. Nach mehreren Trennungen und Versöhnungen entwickelte der Angeklagte zunehmend die Angst, S.
  65. H.
  66. könne sich endgültig von ihm
  67. abwenden. So geschah es schließlich auch; der Angeklagte gab zu verstehen,
  68. -5-
  69. dass er eine Trennung nicht akzeptieren werde und bedrohte sogar die Eltern
  70. seiner früheren Freundin. Bei einem Zusammentreffen in dem zuvor gemeinsam bewohnten Haus schlugen der Angeklagte und seine Frau auf S.
  71. H.
  72. ein. Diese hatte fortan panische Angst vor dem Angeklagten; sie er-
  73. stattete Strafanzeige und erwirkte einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz.
  74. 3
  75. In der letzten Zeit vor der Tat schlief der Angeklagte schlecht, er aß
  76. kaum etwas. Er fühlte sich wie in einem Tunnel, seine Gedanken kreisten nur
  77. um seine gescheiterte Beziehung. Bei einem von ihm herbeigeführten Treffen
  78. bedrohte er seine frühere Freundin mit dem Tode; auch hegte er Selbstmordgedanken. Mit seiner Therapeutin vereinbarte er, sich sofort zu melden, sollte er
  79. sich oder anderen etwas antun wollen.
  80. 4
  81. Am Tattag folgte der Angeklagte S.
  82. H.
  83. , die nach Dienst-
  84. schluss auf dem Weg zu dem Zeugen P. , ihrem neuen Freund war; von der
  85. Beziehung wusste der Angeklagte bis zur Tat nichts. Er beabsichtigte, seine
  86. frühere Freundin zu einem klärenden Gespräch zu zwingen; er führte ein
  87. Kampfmesser mit sich. Das ihm unbekannte Fahrtziel versetzte ihn zusätzlich in
  88. Aufregung. In Höhe des Anwesens des Zeugen P.
  89. verließ S.
  90. H.
  91. fluchtartig ihren Pkw; der Angeklagte folgte ihr in den Eingangsbereich des
  92. Hauses ihres neuen Freundes und verlangte zu wissen, was sie hier wolle. Den
  93. Inhalt der sich anschließenden Kommunikation konnte das Schwurgericht nicht
  94. feststellen; „jedenfalls verlor der Angeklagte die Kontrolle über sich“ und griff
  95. seine frühere Freundin an. Der hinzueilende Zeuge P.
  96. versetzte ihm einen
  97. Schlag mit einem Baseballschläger, der zu einer Fraktur des linken Ellenbogens
  98. führte. Dies übte jedoch keinerlei Wirkung auf den Angeklagten aus; den Rettungsversuch des Zeugen wehrte er ab, indem er diesem die Klinge des Messers durch das Gesicht zog. Anschließend verbrachte er S.
  99. H.
  100. in den
  101. -6-
  102. Flur des Hauses. Dort versetzte er ihr in Tötungsabsicht mit dem Messer eine
  103. Vielzahl von Stichen, in deren Folge die Geschädigte kurze Zeit später starb.
  104. Anschließend fügte er sich in Selbsttötungsabsicht Stiche und Schnitte zu; es
  105. bestand akute Lebensgefahr. Der Angeklagte konnte nur durch sofortige intensivmedizinische Versorgung gerettet werden.
  106. 5
  107. Zum Motiv für die tödlichen Messerstiche hat das Landgericht festgestellt, der Angeklagte habe sich nicht mit einer Trennung abfinden wollen; ein
  108. eigenes von ihm losgelöstes selbstbestimmtes Leben habe er seinem Opfer
  109. nicht zubilligen wollen, lieber sollte sie sterben (UA 21).
  110. 6
  111. 2. Das Schwurgericht hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe
  112. angenommen. Es ist - sachverständig beraten - von einer tief greifenden Bewusststeinsstörung infolge eines Affektdurchbruchs ausgegangen und hat deshalb eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB
  113. angenommen; eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt,
  114. weil der Angeklagte den Affekt selbst verschuldet habe.
  115. II.
  116. 7
  117. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  118. 8
  119. 1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe seine frühere
  120. Freundin S.
  121. H.
  122. aus niedrigen Beweggründen getötet (§ 211 StGB),
  123. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
  124. 9
  125. a) Die vorgenommene Würdigung ist schon deswegen rechtsfehlerhaft,
  126. weil das Landgericht nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte der Tat und der
  127. inneren Verfassung des Angeklagten erschöpfend in seine Würdigung aufgenommen hat. Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn
  128. sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb
  129. -7-
  130. besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe
  131. zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem
  132. Totschlag - als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996,
  133. 211, 212). Insoweit wäre vorliegend zu bedenken gewesen, dass nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der (frühere) Partner vom Täter abwenden will
  134. oder abgewandt hat, zwangsläufig auf niedrigen Beweggründen beruht. Vielmehr können in einem solchen Fall tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit sein, die eine Bewertung
  135. als "niedrig" im Sinne der Mordqualifikation namentlich dann als fraglich erscheinen lassen können, wenn - wie hier - die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich
  136. nicht verlieren will (vgl. BGHR StGB § 211 niedrige Beweggründe 32). Es
  137. kommt - nicht anders als bei Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Hass und Rache
  138. (vgl. dazu BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 16; Eser in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 211 Rdn. 18 m.w.N.) - darauf an, ob die Gefühle
  139. der Verzweiflung und der inneren Ausweglosigkeit ihrerseits auf einer als niedrig zu bewertenden Motivationsgrundlage beruhen (Fischer StGB 55. Aufl.
  140. § 211 Rdn. 28).
  141. 10
  142. Dies hat das Landgericht nicht hinreichend bedacht. Es hat die besondere Verwerflichkeit der Tatmotivation darin gesehen, dass der Angeklagte aus
  143. "überzogenem Besitzdenken" getötet habe (UA 36). Erst bei der Prüfung, ob
  144. der Angeklagte von diesen - die Bewertung der Motivation als niedrig nach Auffassung des Landgerichts rechtfertigenden - Umständen wusste, erwähnt es
  145. den psychischen Sachverhalt, dass der Angeklagte zur Tatzeit verzweifelt war
  146. und von dem Gefühl einer inneren Ausweglosigkeit beherrscht gewesen sein
  147. "dürfte" (UA 37). Diese Gefühlslage des Angeklagten könnte jedoch bereits die
  148. -8-
  149. Wertung seiner Motivation als niedrig in Frage stellen. Hierbei waren auch die
  150. dem Kerngeschehen vorangegangene Erregung des Angeklagten, seine Unruhe und seine demonstrativen wie auch aggressiven Handlungen gegenüber
  151. seiner früheren Partnerin sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass der Angeklagte trotz der eigenen, erheblichen Verletzung unbeirrt weitermachte. Auch
  152. der der Tat nachgehende Suizidversuch, der angesichts der schweren und zum
  153. Teil bleibenden Folgen unzweifelhaft ernst war und nur auf Grund rascher intensiv-medizinischer Intervention nicht zum Tode des Angeklagten führte, könnte auf eine entsprechende innere Verfassung schon bei der Tat hindeuten. Dies
  154. wäre im Blick auf die Bedeutung der Gemütslage des Angeklagten bei der Tat
  155. für die Bewertung seiner Handlungsantriebe als niedrig ebenfalls zu bedenken
  156. gewesen.
  157. 11
  158. b) Die unzureichende Gesamtwürdigung stellt aus denselben Gründen
  159. auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rechtlich in Frage. Spielen bei der Tat wie hier gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle, so muss sich der Tatrichter in aller
  160. Regel damit auseinandersetzen, ob der Angeklagte in der Lage war, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (st. Rspr.; u. a. BGHSt
  161. 28, 210, 212; BGH NStZ 2004, 34). Ausdrücklicher Prüfung bedarf diese Frage
  162. insbesondere bei Taten, die sich spontan aus der Situation heraus entwickelt
  163. haben (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 10). Von einer
  164. spontan begangenen Tat geht das Schwurgericht in diesem Zusammenhang
  165. selbst aus (UA 37), obwohl es an anderer Stelle (UA 40) ausführt, dass der Angeklagte sich seit Wochen in einem psychischen Ausnahmezustand befand; ob
  166. dieser Fall hier vorliegt, kann angesichts der widersprüchlichen Feststellungen
  167. des Tatgerichts vom Revisionsgericht nicht überprüft werden. Auch in diesem
  168. Zusammenhang wäre das Schwurgericht bei der Beurteilung der Fähigkeit des
  169. Angeklagten zur Selbstbeherrschung möglicherweise zu einem anderen Ergeb-
  170. -9-
  171. nis gelangt, wenn es die nahe liegenden Gefühle der Verzweiflung und der
  172. Ausweglosigkeit in seine Abwägung einbezogen hätte. Die Urteilsgründe lassen
  173. insoweit auch die Auseinandersetzung mit der erheblichen Verminderung der
  174. Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vermissen, die ebenfalls von Bedeutung
  175. sein kann (vgl. BGH NStZ 2004, 34; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 34).
  176. 12
  177. 2. Im Übrigen begegnen die Ausführungen des Schwurgerichts zur
  178. Schuldfähigkeit des Angeklagten ebenfalls rechtlichen Bedenken.
  179. 13
  180. a) Das Landgericht teilt nicht mit, aus welchen Gründen es eine
  181. schuldausschließende Wirkung des von ihm angenommenen hochgradigen Affekts verneint. Zwar ist Schuldunfähigkeit wegen eines solchen Affekts nur in
  182. Ausnahmefällen anzunehmen (BGH NStZ 1997, 333, 334; Schöch in Leipziger
  183. Kommentar 12. Aufl. § 20 Rdn. 62). Das Schwurgericht gibt aber insoweit weder Darlegungen des von ihm gehörten psychiatrischen Sachverständigen wieder, noch verneint es ausdrücklich eine Anwendbarkeit des § 20 StGB (UA 39).
  184. Daher kann der Senat nicht prüfen, ob es insoweit von rechtsfehlerfreien Erwägungen ausgegangen ist.
  185. 14
  186. b) Die Begründung, mit der das Landgericht dem Angeklagten die Strafmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB versagt hat, ist rechtsfehlerhaft.
  187. 15
  188. aa) Zwar ist dies grundsätzlich auch dann möglich, wenn die Wahl zwischen lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe besteht (Fischer aaO § 21
  189. Rdn. 23 m.w.N.). Voraussetzung ist in diesem Fall aber das Vorliegen besonders erschwerender Gründe, welche die mit § 21 StGB verbundene Schuldminderung auszugleichen vermögen (BGH StV 1990, 157; NStZ 04, 619; Urt. v.
  190. 17. Dezember 1998 - 5 StR 315/98). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt daher an die Ablehnung einer Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49
  191. - 10 -
  192. Abs. 1 StGB bei lebenslanger Freiheitsstrafe hohe Anforderungen (BGH NStZ
  193. 1992, 538; 2004, 678, 681; StV 2006, 465, 466).
  194. 16
  195. bb) Das Schwurgericht hat die Ablehnung der Strafmilderung damit begründet, der Angeklagte habe den seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindernden Affekt selbst verschuldet (UA 40). Aus den weiteren Ausführungen des
  196. Tatrichters ergibt sich, dass er von einem fahrlässig herbeigeführten Affekt ausgegangen ist (vgl. insbesondere UA 42). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein solches Vorverschulden des Täters einer Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entgegenstehen (BGHSt 35, 143;
  197. BGH NStZ 1997, 333, 334; StV 1993, 354, 355). Der Senat braucht aus Anlass
  198. dieses Falles nicht zu entscheiden, ob die an dieser Rechtsprechung geübte
  199. und im Wesentlichen mit dem Hinweis auf das Schuldprinzip begründete Kritik
  200. berechtigt ist (vgl. Schöch aaO § 20 Rdn. 140 ff.; Streng in MüKo StGB § 21
  201. Rdn. 24; Fischer aaO § 20 Rdn. 34, 56 ff.; § 21 Rdn. 15, 24 m.w.N.). Denn die
  202. rechtlichen Erwägungen des Schwurgerichts werden den in BGHSt 35, 143
  203. aufgestellten Kriterien für eine Ablehnung der Strafmilderung nicht gerecht:
  204. 17
  205. Danach ist die Versagung einer Strafmilderung mit der Begründung, der
  206. die Steuerungsfähigkeit erheblich mindernde Affekt sei verschuldet gewesen,
  207. nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Täter unter den konkreten Umständen den
  208. Affektaufbau verhindern konnte und die Folgen des Affektdurchbruchs für ihn
  209. vorhersehbar waren. Für eine solche Annahme reicht aber nicht jedes vorwerfbare frühere Fehlverhalten des Täters aus, das in irgendeiner Weise zu der Tat
  210. beigetragen hat. Der Schuldvorwurf geht vielmehr dahin, dass der Täter den zu
  211. der tiefgreifenden Bewusstseinsstörung führenden Affekt während der Entstehung durch ihm mögliche Vorkehrungen nicht vermieden hat, wobei sich die
  212. Verschuldensprüfung auf die Genese des Affekts beschränkt, der zur Tat geführt hat (BGHSt 35, 143, 145). Frühere Verhaltensweisen des Täters können
  213. - 11 -
  214. bei der Frage der Voraussehbarkeit nur herangezogen werden, wenn sie in
  215. Ausmaß und Intensität mit der ihm jetzt vorgeworfenen Straftat vergleichbar
  216. sind (BGHSt 35, 143, 146).
  217. Dies ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht: Das Landge-
  218. 18
  219. richt gibt die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen wieder, auf
  220. Grund der Besonderheiten in der Persönlichkeit sei es für den Angeklagten im
  221. Verlauf des sich aufbauenden Affekts schwer gewesen, sich selbst einzuschätzen und einen Affektdurchbruch vorherzusehen (UA 42). Durch jede noch so
  222. kleine vor der Tat erfolgte Zurückweisung könne er affektiv massiv überfordert
  223. gewesen sein (UA 39). Der Tatrichter hat weiter festgestellt, der Angeklagte
  224. habe sich bereits mehr als eine Woche vor der Tat "wie in einem Tunnel" gefühlt, seine Gedanken hätten nur um "dieses eine Thema" gekreist (UA 17),
  225. ohne darzulegen, was er darunter versteht. Stattdessen hat er diese Wertung
  226. auf die für unwiderlegt erachteten Angaben des Angeklagten gestützt. Die Beschränkung der Verschuldensprüfung auf die Genese des Affekts beachtet das
  227. Schwurgericht - wie es selbst wiederholt betont (UA 42) - nicht. Seine Annahme, der Angeklagte habe den Affektaufbau verhindern können und die Folgen
  228. des Affektdurchbruchs seien für ihn vorhersehbar gewesen, ist daher nicht ausreichend belegt.
  229. 3. Da das Landgericht in Bezug auf die Straftat zum Nachteil des Zeugen
  230. 19
  231. P.
  232. ebenfalls von einem Affekt des Angeklagten ausgegangen ist (UA 43),
  233. war auch die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1
  234. Nr. 2 StGB) aufzuheben.
  235. 20
  236. 4. Der neu entscheidende Tatrichter wird auch genauer als dies bisher
  237. geschehen ist der Frage nachzugehen haben, zu welchem Zeitpunkt sich der
  238. Angeklagte entschloss, seine frühere Freundin zu töten. Das Schwurgericht
  239. - 12 -
  240. vermochte nicht festzustellen, dass der Angeklagte bereits Tötungsvorsatz hatte, als er S.
  241. H.
  242. auf dem Weg zu ihrem neuen Freund hinterherfuhr.
  243. Gleichzeitig führt es aber aus, dem Angeklagten sei, als er das Messer eingesteckt habe, jedenfalls bewusst gewesen, dass er unter Umständen ein Blutbad
  244. anrichten und nicht nur sich selbst, sondern auch seine frühere Freundin schädigen könnte (UA 20). In der Beweiswürdigung heißt es weiter, der Angeklagte
  245. habe schon vor der Tat Gedanken entwickelt, S.
  246. H.
  247. zu töten, "sollte
  248. er sie nicht für sich zurückgewinnen können" (UA 34). Diesen wenig präzisen
  249. Ausführungen kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden,
  250. ob der Angeklagte sich bereits vor der Tat für den Fall, dass seine frühere
  251. Freundin nicht zu ihm zurückkehren werde, fest zu deren Tötung entschlossen
  252. hatte. Dem Zeitpunkt des Tötungsentschlusses kann aber namentlich dann Bedeutung zukommen, wenn der Angeklagte erst nach Beginn der Tatausführung
  253. (§ 22 StGB) in den seine Schuldfähigkeit beeinträchtigenden oder ausschließenden Affekt geraten sein sollte (vgl. Fischer aaO § 20 Rdn. 48 m.w.N. auch
  254. zu Fällen eingeschränkter Schuldfähigkeit).
  255. Rissing-van Saan
  256. Rothfuß
  257. Roggenbuck
  258. Fischer
  259. Cierniak