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8.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. 1 StR 93/02
  4. URTEIL
  5. vom
  6. 9. Juli 2002
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. 1.
  10. 2.
  11. wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.
  12. -2-
  13. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juli 2002,
  14. an der teilgenommen haben:
  15. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  16. Dr. Schäfer
  17. und die Richter am Bundesgerichtshof
  18. Nack,
  19. Dr. Wahl,
  20. Dr. Boetticher,
  21. Dr. Kolz,
  22. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt
  25. als Verteidiger des Angeklagten K.
  26. ,
  27. Rechtsanwalt
  28. als Verteidiger des Angeklagten J.
  29. ,
  30. Justizangestellte
  31. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  32. für Recht erkannt:
  33. -3-
  34. I.
  35. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
  36. Landgerichts Stuttgart vom 29. November 2001 wird verworfen, soweit es den Angeklagten J.
  37. betrifft.
  38. Die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten
  39. J.
  40. im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen not-
  41. wendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
  42. II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das oben genannte Urteil, soweit es den Angeklagten K.
  43. betrifft,
  44. mit den Feststellungen aufgehoben
  45. 1. in dem unter II. 3. der Urteilsgründe festgestellten Fall;
  46. 2. im gesamten Strafausspruch.
  47. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  48. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  49. Von Rechts wegen
  50. -4-
  51. Gründe:
  52. Das Landgericht hat den Angeklagten J.
  53. wegen unerlaubter Ver-
  54. äußerung von Betäubungsmitteln und wegen gefährlicher Körperverletzung in
  55. Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
  56. Jahren und acht Monaten und den Angeklagten K.
  57. wegen unerlaubten
  58. Erwerbs von Betäubungsmitteln sowie wegen versuchter Nötigung unter Einbeziehung einer Verurteilung aus einem anderen Verfahren zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, verurteilt.
  59. Mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen beanstandet die
  60. Staatsanwaltschaft, daß beide Angeklagte im Fall II. 3. der Urteilsgründe statt
  61. wegen versuchter Nötigung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung hätten verurteilt werden müssen und daß - insoweit wird die Revision vom
  62. Generalbundesanwalt vertreten - der Angeklagte K.
  63. im Fall II. 3. der
  64. Urteilsgründe nicht auch wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden
  65. ist. Die Rechtsmittel führen hinsichtlich des Angeklagten K.
  66. zur teilwei-
  67. sen Aufhebung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im
  68. übrigen sind sie unbegründet.
  69. 1. Nach den Feststellungen wurden beide Angeklagte, die sich vor der
  70. Tatbegehung nicht kannten, bei einem Drogengeschäft am 14. August 2001
  71. von dem Geschädigten
  72. Angeklagten
  73. K.
  74. J.
  75. Kl.
  76. den
  77. restlichen
  78. in der Weise "gelinkt", daß dieser dem
  79. Kaufpreis
  80. und
  81. dem Angeklagten
  82. restliches Kokain schuldig blieb. Zu Fall II. 3. stellt das Landgericht
  83. fest: Die Angeklagten suchten den Kl.
  84. gemeinsam auf, um - notfalls ge-
  85. -5-
  86. waltsam - ihre Restforderungen durchzusetzen. Mehr als das, was ihnen nach
  87. ihrer Beurteilung zustand, strebten sie dabei nicht an. Der Angeklagte
  88. K.
  89. drohte dem Kl.
  90. Schläge an, während der Angeklagte J.
  91. ,
  92. um die Forderungen zu unterstreichen, ihm mit der Faust in das Gesicht
  93. schlug. Sodann zerschlug der Angeklagte J.
  94. eine Schnapsflasche
  95. und drückte, den Flaschenhals in der Hand haltend, die restliche Flasche mit
  96. dem scharfen Glasteil mit aller Kraft gegen die untere linke Gesichtshälfte des
  97. Kl.
  98. , so daß das Glas die Wange durchdrang und im Bereich des Joch-
  99. beins wieder austrat. Kl.
  100. blutete stark und versuchte zu fliehen. Die Ange-
  101. klagten holten ihn wieder ein und schlugen beide auf ihn ein. Der Angeklagte
  102. K.
  103. zog dazu einen Ledergürtel aus seiner Hose und schlug auch damit
  104. mehrmals zu. Als Kl.
  105. weiter zu flüchten versuchte, verfolgten sie ihn er-
  106. neut. Nachdem eine Frau aus dem Fenster gerufen hatte, sie werde die Polizei
  107. alarmieren, gaben die beiden Angeklagten ihre Tat auf und flohen.
  108. 2. Das Landgericht hat in dem Verhalten beider Angeklagter zu Recht
  109. mangels Absicht der unrechtmäßigen Bereicherung keine versuchte schwere
  110. räuberische Erpressung gesehen. Zwar stand den Angeklagten wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) ein Anspruch weder auf den
  111. restlichen Kaufpreis noch auf das restliche Kokain zu. Ob sie berechtigt waren,
  112. von Kl.
  113. gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB Schadenser-
  114. satz wegen Betrugs zu verlangen, wie der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluß vom 12. März 2002 - 3 StR 4/02 - (NStZ-RR 2002, 214) entschieden hat, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Den rechtsfehlerfrei
  115. getroffenen Feststellungen zufolge, an die der Senat gebunden ist, sind sie
  116. jedenfalls für die von ihnen erstrebte Bereicherung vom Bestehen solcher Ansprüche ausgegangen, so daß sie - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - zumindest in einem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 2
  117. -6-
  118. StGB) handelten. Damit fehlte ihnen die Absicht einer unrechtmäßigen Bereicherung (vgl. BGH, Beschl. vom 11. Juli 2000 - 4 StR 232/00; BGH NStZ-RR
  119. 1999, 6).
  120. 3. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte K.
  121. habe sich
  122. nur der versuchten Nötigung, nicht aber tateinheitlich auch als Mittäter der von
  123. dem Angeklagten J.
  124. begangenen gefährlichen Körperverletzung straf-
  125. bar gemacht, hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
  126. a) Die von dem Landgericht zugrundegelegten Feststellungen ergeben,
  127. daß der Angeklagte diesen Straftatbestand bereits in der Form der gemeinschaftlichen Begehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) erfüllt hat (vgl. UA S. 13:
  128. "Beide Angeklagten schlugen dort ..."). Der Senat sieht sich allerdings an einer
  129. eigenen entsprechenden Ergänzung des Schuldspruchs gehindert, weil dieser
  130. erweiterte Schuldvorwurf von der Anklage nicht erfaßt war und der Angeklagte
  131. auch in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht keinen entsprechenden
  132. Hinweis nach § 265 StPO erhalten hat, so daß er nicht rechtzeitig Gelegenheit
  133. hatte, sich in dieser weitergehenden Richtung zu verteidigen.
  134. b) Nach den getroffenen Feststellungen ist zudem nicht erkennbar, warum dem Angeklagten K.
  135. der Einsatz der zersplitterten Glasflasche als ge-
  136. fährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB nicht zuzurechnen ist. Jeder Mittäter haftet zwar für das Handeln der anderen nur im
  137. Rahmen seines Vorsatzes, ist also für den Erfolg nur insoweit verantwortlich,
  138. als sein Wille reicht; ein Exzeß der anderen fällt ihm nicht zur Last (vgl. BGHSt
  139. 36, 231, 234; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 25 Rdn. 8a). Jedoch werden
  140. Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des
  141. Falles gerechnet werden muß, vom Willen des Mittäters umfaßt, auch wenn er
  142. sie sich nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist er für jede Ausführungsart
  143. -7-
  144. einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise
  145. seines Tatgenossen gleichgültig ist (BGH NJW 1973, 377; BGH GA 1985,
  146. 270). Der gemeinsame, die Anwendung erforderlicher Gewalt einschließende
  147. Plan und dessen konsequente und koordinierte Durchführung, bei der sich der
  148. Angeklagte K.
  149. aktiv - und zwar insbesondere noch nach dem Einsatz
  150. der zerbrochenen Flasche - an den Verletzungshandlungen beteiligte, legen
  151. nahe, daß der Angeklagte sich mit der konkreten Vorgehensweise des Mitangeklagten J.
  152. einverstanden erklärt hat oder sie ihm zumindest gleich-
  153. gültig war.
  154. c) Das Landgericht geht schließlich angesichts der Tatsache, daß der
  155. Angeklagte K.
  156. selbst mit einem Ledergürtel auf den Zeugen Kl.
  157. eingeschlagen hat, nicht auf die für den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2
  158. StGB unentbehrliche Frage ein, ob hier "ein Werkzeug nach seiner objektiven
  159. Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung zu einem gefährlichen gemacht"
  160. worden ist. Je nach den Umständen - etwa bei Schlägen gegen besonders
  161. verletzliche oder empfindliche Organe und Körperteile - kann ein solcher Gürtel
  162. ein "gefährliches" Werkzeug sein. Zur Klärung dieser Frage bedurfte es hier
  163. daher näherer Feststellungen zu den objektiven und subjektiven Umständen
  164. des Tatgeschehens. Diese hat das Landgericht nicht getroffen.
  165. -8-
  166. d) Zu II. 3. der Urteilsgründe sind daher erneute tatrichterliche Feststellungen und Würdigungen geboten. Das bedingt auch die Aufhebung des Strafausspruchs.
  167. Schäfer
  168. Nack
  169. Boetticher
  170. Wahl
  171. Kolz