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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 56/00
  5. vom
  6. 23. Mai 2000
  7. in dem Sicherungsverfahren
  8. gegen
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Mai 2000,
  11. an der teilgenommen haben:
  12. Richter am Bundesgerichtshof
  13. Dr. Maul
  14. als Vorsitzender
  15. und die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Dr. Granderath,
  17. Dr. Wahl,
  18. Dr. Boetticher,
  19. Schluckebier,
  20. Bundesanwalt
  21. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  22. Rechtsanwalt
  23. als Verteidiger,
  24. Justizangestellte
  25. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  26. für Recht erkannt:
  27. -3-
  28. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 2. November 1999 mit den Feststellungen
  29. aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Unterbringung des Beschuldigten nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.
  30. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  31. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
  32. eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  33. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Gründe:
  36. Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem
  37. psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten, die
  38. das Urteil - ausgenommen die Feststellungen zum Tatgeschehen - mit der
  39. Sachrüge angreift, hat teilweise Erfolg.
  40. 1. Die Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB hält der
  41. rechtlichen Nachprüfung stand.
  42. Die Gefährlichkeitsprognose setzt zwar grundsätzlich eine Gesamtwürdigung der Person und des Vorlebens des Beschuldigten, insbesondere seiner
  43. bisherigen Straftaten voraus (BGHSt 27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 12). Insoweit weist das angefochtene Urteil Mängel auf, worauf der Ge-
  44. -4-
  45. neralbundesanwalt zutreffend hinweist; allerdings betrafen die wegen Schuldunfähigkeit eingestellten Vorverfahren, soweit das dem landgerichtlichen Urteil überhaupt zu entnehmen ist, nur geringfügige Gesetzesverletzungen, die
  46. für die Frage einer Unterbringung ohne Bedeutung gewesen wären.
  47. Folgerichtig hat das Landgericht daher nur die Anlaßtat des vorliegenden Verfahrens zur Grundlage seiner Prognoseentscheidung in bezug auf die
  48. zukünftige Gefährlichkeit des Beschuldigten gemacht; dagegen sind grundsätzlich rechtliche Einwände nicht zu erheben (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 12). Insoweit hat das Landgericht in dem fortbestehenden Wahn des
  49. Beschuldigten ein eindeutiges Indiz dafür gesehen, daß ohne eine weitere effektive Behandlung jederzeit wieder mit erheblichen Straftaten des Beschuldigten zu rechnen ist. Damit ist das Landgericht zunächst von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen; die bloße Möglichkeit, daß von dem
  50. Beschuldigten in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien,
  51. worauf die psychiatrische Sachverständige abgehoben hat, wäre nicht ausreichend gewesen (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26).
  52. In tatsächlicher Hinsicht ist die Erwartung künftiger erheblicher Straftaten ausreichend belegt.
  53. Nach dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen liegt beim
  54. Beschuldigten eine sich zunehmend chronifizierende paranoid-halluzinatorische Schizophrenie vor, die zu einem derart ausgeprägten Wahnsystem
  55. geführt hat, daß der Beschuldigte den Wahn als Realität erlebt und demgemäß
  56. auch Erlebnisse in diesem Wahnsystem interpretiert. Kern dieses Wahnsystems ist, daß in dem Haus
  57. A.
  58. straße
  59. in L.
  60. , wo der Beschul-
  61. digte wohnt, Raub, Raubmord und Kindsmord durch Mitbewohner an der Tagesordnung seien und dort auch seine leibliche Tochter festgehalten werde.
  62. -5-
  63. Demgemäß hat der Beschuldigte auch der Sachverständigen berichtet, er sei
  64. mit seinem Angriff lediglich einem jungen Mädchen zu Hilfe gekommen, das
  65. gefangen gehalten, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen worden sei; er
  66. habe den Hilferuf des Mädchens gehört, und es sei auch geschossen worden,
  67. so daß er den später Geschädigten aufgefordert habe, seine Waffe abzugeben.
  68. Bei einem derart konkret ausgeprägten, mit anhaltenden akustischen
  69. Halluzinationen verbundenen Wahnsystem, das den Beschuldigten unter einen
  70. ständigen Handlungsdruck setzt, ist daher die Gefahr sich daraus entwickelnder Straftaten zutreffend bejaht worden; es kann nicht entscheidend
  71. darauf ankommen, daß es in der Vergangenheit zu wesentlichen Straftaten
  72. trotz der bereits seit 1974 bestehenden Erkrankung noch nicht gekommen ist.
  73. Die infolge des bestehenden Wahnsystems zu erwartenden vergleichbaren Taten wären auch erheblich. Das Tatopfer erlitt durch den Angriff des Beschuldigten eine Schulterprellung, ein HWS-Schleudertrauma, eine Schädelprellung sowie Kontusionen des linken Jochbeins und der linken Orbita. Auf
  74. Grund der Verletzungen war eine ambulante Behandlung in einem Krankenhaus erforderlich; der Verletzte mußte eine Schanzsche-Krawatte tragen und
  75. sich schließlich zur weiteren Behandlung für zweieinhalb Monate in eine Rehabilitationsklinik begeben. Sowohl diese Tat wie zu erwartende vergleichbare
  76. Taten sind vom Landgericht daher zu Recht als erheblich eingestuft worden.
  77. 2. Die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 1
  78. StGB hat das Landgericht wegen fehlender Therapiemotivation abgelehnt. Der
  79. Beschuldigte habe sich bisher geweigert, sich die erforderlichen Medikamente
  80. verabreichen zu lassen; soweit er in der Hauptverhandlung eingelenkt habe,
  81. bestünden an der Ernsthaftigkeit des Anerbietens erhebliche Zweifel. Diese
  82. -6-
  83. Erwägungen tragen die Ablehnung der Aussetzung nicht. Nach den Feststellungen war der Beschuldigte zum Zeitpunkt, als das landgerichtliche Urteil erging, aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Landshut gemäß dem Bayerischen Unterbringungsgesetz seit
  84. 7. Mai 1999 stationär im Bezirkskrankenhaus Landshut untergebracht. Das
  85. Urteil macht keine Ausführungen dazu, welchen Erfolg die dortige Therapie
  86. hatte, für welchen Zeitraum sie vorgesehen war und welche Folgerungen hieraus für die Beantwortung der Frage zu ziehen sind, ob die Vollstreckung der
  87. Maßregel zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. BGHR StGB § 67b
  88. Abs. 1 besondere Umstände 5). Eine anderweitige Unterbringung kann ein besonderer Umstand im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 1 StGB sein (BGHSt 34, 313,
  89. 316; BGHR StGB § 67b Abs. 1 besondere Umstände 3). Daneben wäre auch
  90. die Möglichkeit einer Betreuung außerhalb einer stationären Unterbringung zu
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  92. erörtern gewesen. So könnte die Möglichkeit bestehen, daß sein Betreuer den
  93. Beschuldigten mit gerichtlicher Genehmigung in einem Heim oder einer Einrichtung betreuten Wohnens unterbringt, wo auch die regelmäßige Einnahme
  94. der erforderlichen Medikamente gewährleistet wird.
  95. Maul
  96. Granderath
  97. Boetticher
  98. Wahl
  99. Schluckebier