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8.9 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 174/03
  5. vom
  6. 26. August 2003
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. 1.
  10. 2.
  11. wegen gefährlicher Körperverletzung
  12. -2-
  13. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. August
  14. 2003, an der teilgenommen haben:
  15. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  16. Nack
  17. und die Richter am Bundesgerichtshof
  18. Dr. Boetticher,
  19. Dr. Kolz,
  20. Hebenstreit,
  21. die Richterin am Bundesgerichtshof
  22. Elf,
  23. Bundesanwalt
  24. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwalt
  26. als Verteidiger des Angeklagten B.
  27. Rechtsanwalt
  28. als Verteidiger des Angeklagten
  29. S.
  30. N.
  31. Rechtsanwalt
  32. als Vertreter des Nebenklägers,
  33. Justizangestellte
  34. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  35. für Recht erkannt:
  36. ,
  37. S.
  38. ,
  39. -3-
  40. 1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  41. Landgerichts Bayreuth vom 20. Dezember 2002 hinsichtlich
  42. beider Angeklagten im Strafausspruch mit den zugehörigen
  43. Feststellungen aufgehoben.
  44. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
  45. an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  46. Von Rechts wegen
  47. Gründe:
  48. Das Landgericht hat die Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung
  49. schuldig gesprochen und gegen den Angeklagten B.
  50. S.
  51. sen.
  52. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie gegen den Angeklagten
  53. N.
  54. S.
  55. jun. eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten
  56. verhängt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt und das sichergestellte Tatwerkzeug eingezogen. Hiergegen wenden sich
  57. die wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Sie erstreben im Ergebnis höhere, zu vollstreckende Strafen. Unter anderem beanstanden sie die Strafrahmenmilderung
  58. nach § 46a Nr. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 StGB bei beiden Angeklagten. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
  59. -4-
  60. I.
  61. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gehören die Angeklagten
  62. einerseits und der verletzte Nebenkläger A.
  63. H.
  64. andererseits zwei
  65. seit Jahren verfeindeten Sinti-Familien an. Am Tattag, dem 27. September
  66. 1999 kam es zwischen der Ehefrau des Angeklagten S.
  67. F.
  68. sen. und
  69. , der angeblichen Geliebten des Nebenklägers, zu massiven Be-
  70. leidigungen, die sich auch auf die Familien erstreckten, und einer tätlichen
  71. Auseinandersetzung auf offener Straße, ausgelöst durch das Gerücht über die
  72. angebliche außereheliche Beziehung des Nebenklägers. Als dieser davon
  73. hörte, fuhr er sogleich dorthin. Er traf dort auf die beiden Angeklagten, die gerade ihre geparkten Fahrzeuge besteigen wollten. Auch sie waren über das
  74. Geschehen unterrichtet. Der Nebenkläger lief mit einem geöffneten Springmesser in der Hand auf den Angeklagten S.
  75. sen. schimpfend und mit
  76. drohender Gebärde zu. Dieser bewaffnete sich mit einem Dachdeckerbeil aus
  77. seinem Pkw. Auf Zuruf seines Vaters holte der Angeklagte S.
  78. jun. einen
  79. Säbel mit einer Klinge von 70 bis 80 cm Länge und ein Fischermesser aus seinem Fahrzeug. Als der Nebenkläger und sein Vater sich bewaffnet gegenüberstanden, schlug der Junior mit dem Säbel auf H.
  80. s Rücken. Dieser er-
  81. griff, vorwärts rennend, die Flucht. Die beiden Angeklagten setzten nach. Als
  82. der Nebenkläger erkannte, daß die Flucht nicht gelang, blieb er stehen und
  83. drehte sich um. Der Angeklagte S.
  84. jun. schlug mit dem Säbel wahllos auf
  85. den Oberkörper, insbesondere auf die Arme H.
  86. s, die dieser schützend
  87. vor das Gesicht hielt. Der Vater attackierte ihn mit der Axt. In Todesangst versetzte H.
  88. dem Angeklagten S.
  89. jun. mit dem Messer einen Stich in
  90. den Unterbauch. Das hatte zur Folge, daß der Vater in unbändiger Wut mit der
  91. Axt wild auf ihn eindrosch. Als S.
  92. jun. sich etwas erholt hatte, stach er
  93. nun mit dem Fischermesser auf den zurückweichenden Nebenkläger ein, bis
  94. -5-
  95. dieser zu Boden ging. Nach einigen Fußtritten durch den Vater ließen die Angeklagten von ihrem Opfer ab.
  96. Der Nebenkläger erlitt massive Verletzungen, eine Vielzahl von Schnitt-,
  97. Schürfwunden und Hämatomen. Ohne ärztliche Hilfe hätte er verbluten können
  98. infolge einer Durchtrennung der Arterie zur Elle. Aufgrund dessen war die Beweglichkeit der linken Hand zur Zeit der erstinstanzlichen Hauptverhandlung
  99. noch leicht eingeschränkt. Nachoperationen, Abszesse und Blutgerinnsel
  100. führten zu einem langwierigen Krankheitsverlauf.
  101. 2. Zur Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB hat das Landgericht folgendes
  102. ausgeführt: Die Angeklagten, die im wesentlichen geständig waren, haben am
  103. vorletzten Hauptverhandlungstag sich beim Nebenkläger für das Geschehene
  104. entschuldigt und ein ernstgemeintes Versöhnungsangebot vor zahlreich vertretenen Volkszugehörigen im Zuhörerraum erklärt sowie ihre Bereitschaft ausgesprochen, zusammen ein Schmerzensgeld von 10.000
  105. ger zu zahlen und dem Gerücht über ihn und
  106. F.
  107.    ä-
  108. entgegenzuwir-
  109. ken. Der Geschädigte hatte noch eine Woche vor der Hauptverhandlung die
  110. Angeklagten wissen lassen, er billige eine Verfahrensbeendigung nach § 153a
  111. StPO, wenn sie ihm ein bestimmtes Schmerzensgeld zahlen. In der Hauptverhandlung erklärte er, er nehme die Entschuldigung und das angebotene
  112. Schmerzensgeld nicht an. Zur Begründung führte er aus, die Angeklagten hätten drei Jahre lang Zeit gehabt, auf ihn zuzukommen.
  113. Die Strafkammer wertet das Verhalten der Angeklagten dahin, es sei ihnen um einen friedenstiftenden umfassenden Ausgleich und eine ernsthaft erstrebte Wiedergutmachung gegangen. Die verweigerte Mitwirkung an der Aussöhnung durch den Verletzten sieht sie als unerheblich an.
  114. -6-
  115. II.
  116. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet.
  117. Die Strafaussprüche hinsichtlich beider Angeklagten halten sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zu deren Aufhebung führt jedoch allein
  118. die vom Landgericht jeweils zu Unrecht vorgenommene Strafrahmenmilderung
  119. nach § 46a Nr. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 StGB, was sich insbesondere aus dem Urteil des Senats vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02 - ,
  120. NJW 2003, 1466, ergibt, das der Kammer noch nicht bekannt sein konnte.
  121. 1. Nach § 46a Nr. 1 StGB kann zwar das ernsthafte Bemühen des Täters
  122. um Wiedergutmachung, das darauf gerichtet ist, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, genügen. Die Vorschrift setzt aber nach der gesetzgeberischen Intention (BTDrucks. 12/6853, S. 21, 22) und nach ständiger Rechtsprechung einen kommunikativen Prozeß zwischen Täter und Opfer voraus, der auf
  123. einen umfassenden, friedenstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muß. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht (BGH, aaO;
  124. Urt. v. 27. August 2002 - 1 StR 204/02 -, NStZ 2003, 29). Wenn auch ein Wiedergutmachungserfolg nicht zwingende Voraussetzung ist (BGH, Beschl. v. 22.
  125. August 2001 - 1 StR 333/01 -, NStZ 2002, 29), so muß sich doch das Opfer auf
  126. freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf ihn einlassen. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB
  127. setzt grundsätzlich voraus, daß das Opfer die erbrachten Leistungen oder Bemühungen des Täters als friedenstiftenden Ausgleich akzeptiert. Gegen den
  128. ausdrücklichen Willen des Verletzten darf die Eignung des Verfahrens für die
  129. -7-
  130. Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht angenommen werden, wie
  131. § 155a Satz 3 StPO ausdrücklich klarstellt.
  132. 2. An diesen Maßstäben gemessen sind die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB durch die Urteilsgründe nicht
  133. belegt.
  134. Die Angeklagten sind auf das vor der Hauptverhandlung abgegebene
  135. Angebot des Verletzten, er billige eine Verfahrensbeendigung nach § 153a
  136. StPO, wenn sie eine bestimmte Geldsumme an ihn als Schmerzensgeld zahlen, nicht eingegangen. Die Feststellungen ergeben nicht, daß die Angeklagten
  137. in der Hauptverhandlung versucht haben, den Nebenkläger in einen Dialog
  138. über die zur Wiedergutmachung erforderlichen Leistungen einzubeziehen. Das
  139. einseitige Wiedergutmachungsbestreben beider Angeklagten am vorletzten
  140. Verhandlungstag hat das Opfer einer massiven Gewalttat als friedenstiftenden
  141. Ausgleich ausdrücklich nicht akzeptiert durch die Erklärung des Nebenklägers,
  142. er nehme die Entschuldigung und das angebotene Schmerzensgeld nicht an.
  143. Die einseitigen, späten bloßen Bemühungen ca. drei Jahre nach der Tat waren
  144. für ihn keine Genugtuung. Die Bewertung der verweigerten Mitwirkung an der
  145. Aussöhnung durch den Verletzten als unerheblich ist rechtsfehlerhaft. Dieser
  146. Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Strafaussprüche. Der Senat kann nicht
  147. ausschließen, daß die jeweilige Strafzumessung von der zu Unrecht vorgenommenen Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs.
  148. 1 Nrn. 2 und 3 StGB zum Vorteil der Angeklagten beeinflußt worden ist.
  149. -8-
  150. Die Ausführungen auf S. 30 oben des Urteils geben dem Senat Anlaß,
  151. darauf hinzuweisen, daß der neue Tatrichter Gelegenheit haben wird, einen
  152. Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu prüfen.
  153. Nack
  154. Boetticher
  155. Hebenstreit
  156. Kolz
  157. Elf