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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 129/02
  5. vom
  6. 21. August 2002
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Vergewaltigung u.a.
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
  12. 13. August 2002 in der Sitzung am 21. August 2002, an denen teilgenommen
  13. haben:
  14. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  15. Dr. Schäfer
  16. und die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Nack,
  18. Dr. Boetticher,
  19. Schluckebier,
  20. Hebenstreit,
  21. Staatsanwalt
  22. - in der Verhandlung vom 13. August 2002 -,
  23. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  24. - in der Sitzung am 21. August 2002 als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwälte
  26. und
  27. als Verteidiger
  28. - in der Verhandlung vom 13. August 2002 -,
  29. Rechtsanwältin
  30. als Vertreterin der Nebenklägerin
  31. - in der Verhandlung vom 13. August 2002 -,
  32. Justizangestellte
  33. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  34. für Recht erkannt:
  35. -3-
  36. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14. November 2001 im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs
  37. von Kindern in acht Fällen, des sexuellen Mißbrauchs von
  38. Schutzbefohlenen in 305 Fällen, in 194 Fällen in Tateinheit mit
  39. sexuellem Mißbrauch von Kindern, in neun Fällen in Tateinheit
  40. mit Vergewaltigung schuldig ist.
  41. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  42. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der
  43. Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
  44. Auslagen zu tragen.
  45. Von Rechts wegen
  46. Gründe:
  47. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von
  48. Schutzbefohlenen in 313 Fällen, in 202 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern, in 9 Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung unter Einbeziehung der mit Urteil des Amtsgerichts N.
  49. vom 11. Dezember 2000
  50. verhängten Freiheitsstrafe von 6 Monaten zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 12
  51. Jahren verurteilt.
  52. Nach den Feststellungen des Landgerichts mißbrauchte der Angeklagte
  53. seine im Juni 1983 geborene Stieftochter von Ende 1995 bis Dezember 2000
  54. -4-
  55. sexuell mit steigender Intensität, vom Streicheln an der Brust und im Scheidenbereich über das Eindringen mit dem Finger bis - ab Mai 2000 - zur Vergewaltigung.
  56. Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf
  57. Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat nur geringen Erfolg. In acht Fällen entfällt die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen wegen insoweit
  58. eingetretener Verfolgungsverjährung.
  59. I.
  60. Die Verfahrensrügen sind unzulässig oder unbegründet im Sinne von
  61. § 349 Abs. 2 StPO. Hierzu wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. April 2002 verwiesen.
  62. II.
  63. Auch die Sachrüge ist weitgehend unbegründet.
  64. 1. Die Beweiswürdigung ist frei von Rechtsfehlern.
  65. Die Feststellungen der Strafkammer zum Tatgeschehen beruhen im wesentlichen auf den Angaben der Geschädigten S.
  66. O. . Der Angeklagte be-
  67. streitet die Taten. Er habe seine Stieftochter lediglich ab und zu gewaschen
  68. und eingecremt zur Behandlung von Rissen in der Haut, nachdem S.
  69. Alter von zehn Jahren sehr stark gewachsen sei.
  70. im
  71. -5-
  72. Steht Aussage gegen Aussage so ist das Tatgericht nicht schon aufgrund des Zweifelssatzes an der Verurteilung gehindert, auch wenn außer den
  73. Angaben des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien
  74. vorliegen. Die Aussage des Zeugen ist dann aber einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen. Es bedarf im Rahmen einer Gesamtschau einer
  75. lückenlosen Würdigung seiner Aussage samt aller Umstände und Indizien, die
  76. für ihre Bewertung von Bedeutung sein können (vgl. BGHSt 44, 153, 158;
  77. BGHSt 44, 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23).
  78. Dies hat das Landgericht nicht verkannt. Die Urteilsgründe lassen erkennen, daß die Jugendkammer alle Vorgänge und Tatsachen, die die Entscheidung beeinflussen konnten, erkannt und in ihre Überlegungen einbezogen hat. Die Strafkammer stellt in ihrer umfangreichen Beweiswürdigung das
  79. Zustandekommen der Anzeige sowie das jeweilige Ergebnis der mehrfachen
  80. Vernehmungen der Geschädigten im Laufe des Verfahrens ausführlich dar und
  81. unterzieht dies und weitere Indizien im Rahmen einer Gesamtschau unter Heranziehung sachverständiger Hilfe einer sorgfältigen Würdigung.
  82. Zur Anzeige kam es - so die Feststellungen der Strafkammer -, nachdem
  83. die Zeugin bei einer Fahrt zum Jugendamt im Januar 2001, deren Zweck es
  84. war, das Kind aus den häuslichen Fesseln zu befreien, gegenüber den Zeuginnen Sa.
  85. P.
  86. und A.
  87. T.
  88. erstmals die sexuellen Übergriffe des
  89. Angeklagten erwähnte. Den Schritt zur Anzeige hatte sie bis dahin nicht gewagt, da sie Angst hatte, daß dann alle Kinder der Familie in ein Heim kommen
  90. und die Familie „kaputt geht“. So hatte ihr das der Stiefvater immer wieder gesagt und sie so zur Verschwiegenheit verpflichtet. Der Mutter hatte sie sich
  91. nicht anvertraut, da diese - so nahm die Zeugin an - ihr sowieso nicht geglaubt
  92. hätte.
  93. -6-
  94. Die Angaben der Geschädigten bei der Polizei, der Ermittlungsrichterin,
  95. der Sachverständigen zur Begutachtung von deren Glaubwürdigkeit und in der
  96. Hauptverhandlung sind von einem hohen Maß an Konstanz geprägt. Die Geschädigte schilderte ohne Belastungseifer zahlreiche Details sowohl der Kernhandlung als auch zu den Rahmenbedingungen, dazu Komplikationen im
  97. Handlungsablauf und ausgefallene Einzelheiten. Hinreichende Anhaltspunkte
  98. für ein Komplott ergaben sich nicht. Auch Personen, die für ein Komplott in
  99. Frage kämen, bedrängten die Zeugin, sie solle ihre Anzeige zurücknehmen.
  100. Dem steht nicht entgegen, daß die Geschädigte - "wie bei 'Inzestfällen'
  101. nicht selten" - unter erheblichem psychischem Druck seitens der Familie aus
  102. Verzweiflung am 15. Januar 2001 zunächst einen ihr vorformulierten "falschen"
  103. Widerruf ihrer Angaben bei der Polizei unterzeichnete und nach einem weiteren Gespräch im Beisein ihrer Mutter und weiterer Verwandter am 17. Januar
  104. 2001 selbst eine entsprechende Erklärung niederschrieb. Dies ist nach den
  105. Feststellungen der Jugendkammer nachvollziehbar. S.
  106. O. fühlte sich völlig
  107. allein gelassen. Keiner wollte ihr glauben. Insbesondere ihre Mutter, die von
  108. den Taten nach dem Eindruck der Zeugin nichts mitbekommen hat, diese nicht
  109. wahrhaben wollte und bedingungslos zum Angeklagten hielt, behandelte ihr
  110. Kind "wie Luft" und forderte die Rücknahme der Anzeige. Sie machte ihrer
  111. Tochter heftigste Vorwürfe, sie zerstöre die Familie, sie sei schon an der
  112. Zwangsversteigerung und Zwangsräumung in V.
  113. schuld gewesen. Da-
  114. durch seien Kosten in Höhe von 300.000,-- DM verursacht worden. Sie - die
  115. Geschädigte - habe eigentlich auch nicht gewollt, „daß der Papa eingesperrt
  116. wird“. Konkret zum Widerruf befragt beteuerte die Geschädigte aber sofort und
  117. immer wieder, auch in der Hauptverhandlung, daß ihre Angaben bei der Polizei
  118. der Wahrheit entsprechen. Auch der Zeugin Ve.
  119. H.
  120. gegenüber, die
  121. die Entstehung der Widerrufsbriefe miterlebte und eine Kopie an die Polzei
  122. -7-
  123. weitergab, versicherte die Geschädigte in mehrfachen Gesprächen, daß die
  124. Vorwürfe stimmen.
  125. Die Ehefrau des Angeklagten hatte angegeben, daß ihr die Tathandlungen - und das teilweise begleitende Onanieren ihres Ehemannes - im Ehebett
  126. unmöglich hätte verborgen bleiben können, zumal das Ehebett damals bei jeder Bewegung knarrte, worauf sich auch der Angeklagte berief. Dies steht
  127. nicht im Widerspruch zu den Angaben der Geschädigten. Nach den Urteilsfeststellungen wählte der Angeklagte zur Tatausführung regelmäßig Zeiten, während derer die Ehefrau, die oft nachts spät nach Hause kam (UA S. 12) noch
  128. nicht da bzw. nicht im Bett war (UA S. 10, 19, 23). So ließ der Angeklagte die
  129. Geschädigte im ersten Halbjahr 1999 einige Monate in Ruhe. Die Taten setzten
  130. erst wieder ein, nachdem die Mutter wieder berufstätig gewesen ist (UA S. 13).
  131. Ein Widerspruch zwischen dem von der Zeugin genannten Zeitpunkt
  132. zum Einsetzen der sexuellen Übergriffe des Angeklagten und dem hierzu bei
  133. der Polizei zunächst angegebenen Tatort, den die Sachverständige bei der
  134. Exploration entdeckte, löste sich nach den Feststellungen der Strafkammer
  135. rasch auf. Bei der zeitlichen Einordnung orientiert sich die Geschädigte allein
  136. am Einsetzen der Regelblutung im Alter von 11 Jahren. Ein Jahr danach begann der Stiefvater, sie sexuell zu mißbrauchen. Daran, daß dies noch nicht in
  137. V.
  138. , sondern noch in Po.
  139. geschah, hatte sie sich bei ihrer polizeilichen
  140. Vernehmung nicht mehr erinnert. Ihr Zimmer lag in beiden Wohnungen in vergleichbarer Position. Bei der vorhergegangen Fahrt zum Jugendamt hatte sie
  141. noch erwähnt, daß der Angeklagte sie bereits in Po.
  142. sexuell mißbrauchte.
  143. Auch zum Adoptionswunsch der Geschädigten, den sie bis zuletzt verfolgte - im August 2000 wurde vom Stiefvater ein entsprechender Antrag gestellt, der im Januar 2001 abgelehnt wurde - enthalten die Urteilsgründe keine
  144. -8-
  145. Feststellungslücken und keinen Erörterungsmangel. Als Grund für das Adoptionsbegehren nennt S.
  146. O. nicht Zuneigung zum Stiefvater - den sie aber
  147. keineswegs haßte - sondern allein den Wunsch, ihren bisherigen Nachnamen
  148. loszuwerden. Dies ist - als Ausdruck des Wunsches nicht als Außenseiterin,
  149. als fremdes Kind gebrandmarkt zu sein - ohne weiteres nachvollziehbar. Der
  150. Familienname der Eheleute S.
  151. stammt im übrigen nicht vom Stiefvater. Es
  152. handelt sich um den Mädchennamen der Mutter, den der Stiefvater bei der
  153. Eheschließung im Jahre 1987 angenommen hat.
  154. Das Randgeschehen betreffende Indizien bestätigen die Darstellung der
  155. Geschädigten. Daß der Angeklagte die Geschädigte abschottete, von Außenkontakten nach Möglichkeit abhielt, engmaschig kontrollierte, eifersüchtig
  156. überwachte und ab September/Oktober 2000 auch den Kontakt mit ihrem
  157. Freund behinderte, schildern auch die Zeugin Ve.
  158. H.
  159. , die häufig in
  160. der Familie verkehrte, der Freund der Geschädigten sowie die Zeuginnen Sa.
  161. P.
  162. und A.
  163. T.
  164. . Von der Berufsschule war S.
  165. O. abge-
  166. meldet. Sie sollte statt dessen zu Hause den - völlig verwahrlosten - Tierbestand pflegen. Die Zeugin Sa.
  167. P.
  168. 1999 zwei Tage bei der Familie S.
  169. beobachtete, während sie im Oktober
  170. wohnte, daß S.
  171. O.
  172. im Ehebett
  173. schlief. Zum Ablauf des Geschlechtsverkehrs mit dem Stiefvater nannte die
  174. Geschädigte Details, die zu dem von ihrer Mutter geschilderten Vollzug des
  175. ehelichen Verkehrs passen.
  176. Schließlich setzte sich die Jugendkammer eingehend mit dem in der
  177. Hauptverhandlung erstatteten Glaubwürdigkeitsgutachten auseinander.
  178. Wenn die Jugendkammer am Ende ihrer Beweiswürdigung mit der
  179. Sachverständigen zu dem Ergebnis kommt, daß es - insbesondere aufgrund
  180. der hohen inhaltlichen Qualität der Aussage - ausgeschlossen ist, daß die An-
  181. -9-
  182. gaben der Geschädigten frei erfunden sind, ist dies nach allem frei von
  183. Rechtsfehlern.
  184. 2. Soweit der Angeklagte tateinheitlich wegen des sexuellen Mißbrauchs
  185. von Schutzbefohlenen verurteilt worden ist, ist in den Fällen, bei denen die
  186. Tatbestandsverwirklichung vor dem 11. Januar 1996 beendet wurde, Strafverfolgungsverjährung eingetreten. Auch bei Tateinheit unterliegt jede Gesetzesverletzung einer eigenen Verjährung (vgl. BGH NStZ 1990, 80, 81). § 174 Abs.
  187. 1 StGB verjährt nach fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die erste zur Unterbrechung der Verjährung geeignete Handlung war die Vernehmung des Angeklagten nach seiner Festnahme am 11. Januar 2001. Der Schuldspruch war
  188. daher dahingehend zu ändern, daß die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in acht Fällen
  189. (Fälle II.1 und II.2, sowie - zu Gunsten des Angeklagten - sechs Fälle der ersten beiden Januarwochen 1996 im Komplex II.3). Der Senat kann jedoch ausschließen, daß die Strafkammer deshalb in diesen Fällen andere Einzelstrafen
  190. verhängt und eine andere Gesamtstrafe gebildet hätte. Denn der Tatrichter
  191. hätte das zusätzliche Unrecht, das den rechtsfehlerfrei abgeurteilten Taten
  192. gemäß § 176 Abs. 1 StGB - ungeachtet der Änderung des Schuldspruchs - dadurch anhaftet, daß der Angeklagte den sexuellen Mißbrauch gerade an dem
  193. auch ihm anvertrauten Stiefkind beging, bei der Strafzumessung zu dessen
  194. Lasten berücksichtigen dürfen (BGH, Beschluß vom 3. April 2002 - 3 StR
  195. 55/02). Besonderes Gewicht - das Anlaß zu einer anderen Bewertung geben
  196. könnte - maß die Strafkammer den tateinheitlichen Verstößen gegen § 174
  197. Abs. 1 StGB bei der Strafzumessung nicht zu.
  198. 3. Im übrigen hat die sachlichrechtliche Prüfung des Urteils keinen
  199. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Mit der Revisionsbe-
  200. - 10 -
  201. gründung unterbreitete Sachverhalte, die ihre Grundlage nicht im Urteil finden,
  202. können auf Grund der Sachrüge nicht in die revisionsrechtliche Überprüfung
  203. einbezogen werden.
  204. III.
  205. Der geringe Erfolg des Rechtsmittels gibt keinen Anlaß, den Angeklagten teilweise von den Kosten des Verfahrens und von seinen notwendigen
  206. Auslagen zu entlasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
  207. Schäfer
  208. Nack
  209. Schluckebier
  210. Boetticher
  211. Hebenstreit