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188 lines
8.4 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 92/15
  4. vom
  5. 28. Juli 2015
  6. in der Betreuungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. BGB § 1903
  14. Zur Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für Vermögensangelegenheiten
  15. bei einem vermögenden Betroffenen.
  16. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 - XII ZB 92/15 - LG Stade
  17. AG Stade
  18. -2-
  19. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Juli 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter Schilling,
  20. Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger
  21. beschlossen:
  22. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss
  23. der 9. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 26. Januar 2015
  24. aufgehoben.
  25. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
  26. über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.
  27. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
  28. Beschwerdewert: 5.000 €
  29. Gründe:
  30. I.
  31. 1
  32. Der 49jährige Betroffene leidet an einer phasenhaft verlaufenden schizoaffektiven Psychose, wegen derer er seine Angelegenheiten nicht mehr
  33. selbst erledigen kann.
  34. 2
  35. Das Amtsgericht bestellte erstmals 2008 einen Berufsbetreuer für die
  36. Aufgabenkreise der Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung zum Zwecke
  37. der Heilbehandlung, Kurzzeitpflege und Rehabilitation, Vermögenssorge ohne
  38. das Recht zur Wohnungsauflösung und Vertretung gegenüber Pflegediensten,
  39. -3-
  40. Pflegeeinrichtungen, Behörden sowie Leistungsträgern. Später verlängerte das
  41. Amtsgericht die Betreuung bis zum 29. August 2016 und ordnete einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge bis zum 29. August 2013
  42. an.
  43. 3
  44. Mit Beschluss vom 21. Januar 2014 hat das Amtsgericht den Einwilligungsvorbehalt verlängert. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt,
  45. die das Landgericht zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
  46. II.
  47. 4
  48. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
  49. 5
  50. 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
  51. Die Verlängerung des Einwilligungsvorbehalts sei zum Schutz des - im Wesentlichen aus Grundbesitz im Wert von rd. 716.000 € bestehenden - Vermögens
  52. des Beschwerdeführers notwendig. Das bisherige Verhalten zeige, dass er derzeit nicht in der Lage sei, sich um sein umfängliches Vermögen zu kümmern.
  53. Aus rückständigen Krankenkassenbeiträgen sowie rückständiger Miete und
  54. Nutzungsentschädigung seien Verbindlichkeiten in Höhe von rd. 147.000 € aufgelaufen. Der Betroffene sei sich nicht darüber im Klaren, welche Maßnahmen
  55. notwendig seien, um sein derzeitiges Vermögen auch für die Zukunft zu erhalten. So wende er sich ohne erkennbaren Grund gegen den vom Betreuer eingeleiteten Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen, deren Ertrag gering sei und
  56. deren Verkaufserlös zur Tilgung seiner vorhandenen Schulden und Instandhaltung der vermieteten Immobilien sinnvoll verwendet werden könne. Es bestünde daher die Gefahr, dass der Betroffene sich ohne die Anordnung eines Einwil-
  57. -4-
  58. ligungsvorbehalts wirksam gegen Maßnahmen wende, die der Betreuer zur gebotenen Schuldentilgung vornehmen möchte.
  59. 6
  60. 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
  61. 7
  62. Gemäß § 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnet das Betreuungsgericht an,
  63. dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf (Einwilligungsvorbehalt), soweit dies
  64. zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen
  65. des Betreuten erforderlich ist. Für die Verlängerung der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahme entsprechend. Die Verlängerung setzt somit voraus, dass die
  66. konkrete Gefahr für das Vermögen des Betroffenen nach wie vor besteht
  67. (MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1903 Rn. 41). Ob dies der Fall ist, hat das
  68. Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht festzustellen (vgl.
  69. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2011 - XII ZB 118/11 - FamRZ 2011, 1577,
  70. Rn. 18 ff.).
  71. 8
  72. a) Die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts muss erforderlich sein, um
  73. eine erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten abzuwenden (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 137). Die drohende Selbstschädigung
  74. muss gewichtig sein und sich als wesentliche Beeinträchtigung des Wohls des
  75. Betreuten in seiner konkreten Lebenssituation darstellen (MünchKommBGB/
  76. Schwab 6. Aufl. § 1903 Rn. 9).
  77. 9
  78. Die Gefahr für das Vermögen des Betreuten kann sich auch daraus ergeben, dass er sein umfangreiches Vermögen, das aus Grundstücken oder einem Betrieb besteht, nicht überblicken und verwalten kann (BayObLG FamRZ
  79. 1995, 1518, 1519; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1903 Rn. 9). Allerdings
  80. kann ein Einwilligungsvorbehalt auch bei einem umfangreichen Vermögen des
  81. -5-
  82. Betreuten nur dann angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine
  83. Vermögensgefährdung erheblicher Art vorliegen (Staudinger/Bienwald BGB
  84. [2013] § 1903 Rn. 52).
  85. 10
  86. Der Grundsatz der Erforderlichkeit bedeutet dabei auch, dass der Einwilligungsvorbehalt je nach den Umständen auf ein einzelnes Objekt oder eine
  87. bestimmte Art von Geschäften beschränkt werden kann (MünchKommBGB/
  88. Schwab 6. Aufl. § 1903 Rn. 16; Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht § 1903 BGB
  89. Rn. 21; vgl. auch BT-Drucks. 11/4528 S. 136). Untauglich ist der Einwilligungsvorbehalt hingegen als Disziplinierungsinstrument bei bloßen Meinungsverschiedenheiten zwischen Betreuer und Betreutem (MünchKommBGB/Schwab
  90. 6. Aufl. § 1903 Rn. 40 mwN).
  91. 11
  92. b) Dass nach diesen Maßstäben die Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung des Einwilligungsvorbehalts vorliegen, hat das Landgericht nicht ausreichend festgestellt.
  93. 12
  94. aa) Das Landgericht hat hervorgehoben, dass der Betroffene nicht in der
  95. Lage sei, sich um sein umfängliches Vermögen zu kümmern. Er sei sich nicht
  96. darüber im Klaren, welche Maßnahmen notwendig seien, um sein derzeitiges
  97. Vermögen auch für die Zukunft zu erhalten.
  98. 13
  99. Dies rechtfertigt für sich genommen allerdings zunächst nur die Anordnung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge, nicht aber
  100. schon die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts.
  101. 14
  102. bb) Weiter hat das Landgericht ausgeführt, es seien aus rückständigen
  103. Krankenkassenbeiträgen und Schulden aus einem Mietverhältnis Verbindlichkeiten in Höhe von rd. 147.000 € aufgelaufen. Indessen wird nicht aufgezeigt,
  104. dass ohne Anordnung des Einwilligungsvorbehalts die Gefahr einer derartigen
  105. -6-
  106. Schuldenbildung fortbesteht. Die laufenden Verbindlichkeiten zu begleichen, ist
  107. der Betreuer auch ohne Einwilligungsvorbehalt in der Lage. Inwieweit sich aus
  108. den - ohnehin nur angedeuteten - Schädigungen, die der Betroffene seinem
  109. Vermögen in der Vergangenheit zugefügt hat, Gefährdungen für die Zukunft
  110. ableiten ließen (vgl. Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht § 1903 BGB Rn. 17), ist
  111. demgegenüber nicht aufgezeigt.
  112. 15
  113. cc) Ebensowenig trägt die Begründung des Landgerichts, der Betroffene
  114. wende sich ohne erkennbaren Grund gegen den vom Betreuer eingeleiteten
  115. Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen, deren Ertrag gering sei und deren
  116. Verkaufserlös zur Tilgung seiner vorhandenen Schulden und Instandhaltung der
  117. vermieteten Immobilien sinnvoll verwendet werden könne. Daraus entstünde
  118. die Gefahr, dass der Betroffene sich ohne die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts wirksam gegen Maßnahmen wende, die der Betreuer zur gebotenen
  119. Schuldentilgung vornehmen möchte.
  120. 16
  121. Diese Erwägungen lassen, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, bereits nicht erkennen, inwieweit das Landgericht berücksichtigt hat, dass der vom
  122. Betreuer vorgesehene Grundstücksverkauf bereits beurkundet und betreuungsgerichtlich genehmigt war. Es fehlte lediglich noch an der Rechtskraft des Genehmigungsbeschlusses, welche zehn Tage nach dem Erlass des hier angefochtenen Beschlusses dadurch eintrat, dass das Landgericht die Beschwerde
  123. des Betroffenen gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung zurückwies.
  124. Konkrete Feststellungen dazu, dass weitere erhebliche Gefahren durch selbstgefährdende Handlungen des Betroffenen außerhalb der Meinungsverschiedenheit über die Verwertung der Grundstücke bestehen, sind nicht getroffen.
  125. -7-
  126. 17
  127. c) Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der
  128. Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, da es noch weiterer
  129. Feststellungen über die Erforderlichkeit eines Einwilligungsvorbehalts bedarf.
  130. Dose
  131. Weber-Monecke
  132. Günter
  133. Schilling
  134. Nedden-Boeger
  135. Vorinstanzen:
  136. AG Stade, Entscheidung vom 21.01.2014 - 41 XVII 101/14 LG Stade, Entscheidung vom 26.01.2015 - 9 T 135/14 -