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8.4 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 531/15
  4. vom
  5. 24. August 2016
  6. in der Betreuungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. FamFG §§ 26, 294
  14. Eine persönliche Anhörung des Betroffenen ist auch im Verfahren betreffend
  15. die Aufhebung einer Betreuung generell unverzichtbar, wenn sich das Gericht
  16. zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses
  17. Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will.
  18. BGH, Beschluss vom 24. August 2016 - XII ZB 531/15 - LG Aachen
  19. AG Aachen
  20. ECLI:DE:BGH:2016:240816BXIIZB531.15.0
  21. -2-
  22. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. August 2016 durch den
  23. Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter,
  24. Dr. Botur und Guhling
  25. beschlossen:
  26. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss
  27. der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 6. Oktober 2015
  28. aufgehoben.
  29. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
  30. über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
  31. Gründe:
  32. I.
  33. 1
  34. Der 72-jährige Betroffene erstrebt die Aufhebung seiner Betreuung.
  35. 2
  36. Für ihn wurde im Juni 2013 nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge
  37. eingerichtet und insoweit ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Im Laufe des
  38. Jahres 2013 wurde die Betreuung um die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge,
  39. Wohnungs- und Mietangelegenheiten sowie Angelegenheiten betreffend Post
  40. und elektronischen Rechtsverkehr erweitert.
  41. -3-
  42. 3
  43. Im September 2014 hat der Betroffene die Aufhebung der Betreuung beantragt. Auf die Mitteilung des Amtsgerichts, dass es ohne Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses keine Veranlassung zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens sehe, hat der Betroffene im April 2015 seinen Aufhebungsantrag wiederholt und ein ärztliches Attest vorgelegt, welches dem Betroffenen
  44. bescheinigte, dass „keinerlei Hinweise für eine ausreichende, eine gesetzliche
  45. Betreuung rechtfertigende Hirnleistungsschwäche“ bestünden. Das Amtsgericht
  46. hat hiernach den Arzt für Psychiatrie Dr. N. mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt und nach der Vorlage dieses
  47. Gutachtens den Aufhebungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
  48. II.
  49. 4
  50. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
  51. 5
  52. 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung
  53. ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Betreuung nicht weggefallen seien. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Dr. N. bestehe bei dem Betroffenen eine anhaltende wahnhafte
  54. Störung; krankheitsbedingt zeige der Betroffene ein ausgeprägtes, seit Jahren
  55. bestehendes Wahnsystem. Zur Regelung seiner Angelegenheiten sei er nicht
  56. mehr in der Lage. In finanziellen Angelegenheiten neige der Betroffene bei stark
  57. eingeschränkter Einsichts- und Kritikfähigkeit dazu, hochspekulative Finanztransaktionen durchzuführen. Er könne krankheitsbedingt nicht das Risiko er-
  58. -4-
  59. kennen, zum Opfer betrügerischer Absichten zu werden, namentlich im Zusammenhang mit der Erbringung von Zahlungen für die angebliche Vermittlung
  60. von Millionenkrediten aus Afrika. Die Ablehnung der Betreuung sei infolge der
  61. Krankheits- und Behandlungsuneinsichtigkeit des Betroffenen als krankheitsbedingte Entscheidung zu werten, so dass die Betreuung auch gegen den Willen
  62. des Betroffenen anzuordnen sei. Auch die Voraussetzungen für die Einrichtung
  63. eines Einwilligungsvorbehalts seien erfüllt. Der Betroffene sei geschäftsunfähig.
  64. Ohne den Einwilligungsvorbehalt würde der Betroffene regelmäßig immer höhere Beträge für die Vermittlung eines millionenschweren Darlehens zahlen, welches ihm über eine Internetadresse in Aussicht gestellt worden sei. Im Umgang
  65. mit seinem Geld sei der Betroffene sehr leicht beeinflussbar, während seine
  66. Geschäftsunfähigkeit gleichzeitig für Geschäftspartner nicht unmittelbar erkennbar sei.
  67. 6
  68. 2. Dies hält bereits den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht
  69. stand. Das Landgericht hätte nicht über die Beschwerde entscheiden dürfen,
  70. ohne den Betroffenen vorher persönlich anzuhören.
  71. 7
  72. a) Gemäß § 294 Abs. 1 FamFG gelten für die Aufhebung einer Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts die §§ 279 Abs. 1, 3 und 4, 288 Abs. 2
  73. Satz 1 FamFG entsprechend. Nicht erfasst von der Verweisung wird zwar § 278
  74. Abs. 1 FamFG, der die persönliche Anhörung des Betroffenen vorschreibt. Dies
  75. ändert aber nichts daran, dass auch im Aufhebungsverfahren die allgemeinen
  76. Verfahrensregeln, insbesondere die Grundsätze des rechtlichen Gehörs
  77. (Art. 103 Abs. 1 GG) und der Amtsermittlung (§ 26 FamFG), zu beachten sind.
  78. Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der
  79. Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Nach den Maßstäben des § 26 FamFG bestimmt
  80. -5-
  81. sich, ob im Einzelfall auch im Aufhebungsverfahren eine persönliche Anhörung
  82. des Betroffenen durchzuführen ist, um dem Gericht dadurch einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen (vgl. Senatsbeschlüsse vom
  83. 11. Mai 2016 - XII ZB 363/15 - FamRZ 2016, 1350 Rn. 8 und vom 2. Februar
  84. 2011 - XII ZB 467/10 - FamRZ 2011, 556 Rn. 9 f. und 20).
  85. 8
  86. b) Da über Art und Umfang der Ermittlungen grundsätzlich der Tatrichter
  87. nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, obliegt dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit lediglich eine Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob der Tatrichter die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat und die
  88. rechtliche Würdigung auf einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung beruht
  89. (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2016 - XII ZB 363/15 - FamRZ 2016, 1350
  90. Rn. 9). Im Einzelfall mag es dabei rechtlich unbedenklich sein, von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen im Aufhebungsverfahren abzusehen,
  91. wenn sich sein Begehren nach Aufhebung der Betreuung von vornherein als
  92. eine offenkundig aussichtslose oder querulatorisch erscheinende Eingabe darstellt (vgl. OLG Zweibrücken BtPrax 1998, 150; OLG Karlsruhe FamRZ 1994,
  93. 449, 450). Eine Anhörung des Betroffenen ist demgegenüber auch im Aufhebungsverfahren generell unverzichtbar, wenn sich das Gericht zur Einholung
  94. eines neuen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als
  95. Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 227/12 - FamRZ 2016, 300 Rn. 9 und
  96. vom 2. September 2015 - XII ZB 138/15 - FamRZ 2015, 1959 Rn. 13 zur erneuten Anhörung des Betroffenen bei Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens im Beschwerdeverfahren). Mit Recht weist die Rechtsbeschwerde
  97. darauf hin, dass erst die persönliche Anhörung des Betroffenen und der
  98. dadurch von ihm gewonnene Eindruck das Gericht in die Lage versetzen, seine
  99. Kontrollfunktion gegenüber dem Sachverständigen sachgerecht auszuüben.
  100. -6-
  101. 9
  102. c) Gemessen daran konnte auf eine Anhörung des Betroffenen im vorliegenden Fall nicht verzichtet werden. Denn obwohl das Amtsgericht wie auch
  103. das Beschwerdegericht ihre Entscheidungen maßgeblich auf das im Aufhebungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. N. vom 26. Mai 2015 gestützt
  104. haben, ist der Betroffene weder im ersten noch im zweiten Rechtszug durch
  105. das Gericht persönlich angehört worden.
  106. 10
  107. 3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben.
  108. Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht zugleich Gelegenheit, die
  109. Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen zu
  110. prüfen (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - XII ZB 19/11 - FamRZ 2011,
  111. 1577 Rn. 8 f.) und ergänzende Feststellungen zur Fortdauer der materiellen
  112. Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung in den Aufgabenkreisen
  113. Gesundheitssorge sowie Wohnungsangelegenheiten zu treffen.
  114. -7-
  115. 11
  116. 4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74
  117. Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von
  118. Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur
  119. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
  120. Dose
  121. Klinkhammer
  122. Botur
  123. Günter
  124. Guhling
  125. Vorinstanzen:
  126. AG Aachen, Entscheidung vom 15.07.2015 - 870 XVII 308/13 B LG Aachen, Entscheidung vom 6.10.2015 - 3 T 276/15 -