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9.5 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 168/17
  4. vom
  5. 28. März 2018
  6. in der Betreuungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. FamFG § 37 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
  14. Wird ein Betroffener in einem Betreuungsverfahren von einem Verfahrensbevollmächtigten vertreten, der Akteneinsicht erhalten hat, muss ihm zur Wahrung rechtlichen Gehörs ein eingeholtes Sachverständigengutachten nicht mehr
  15. persönlich ausgehändigt werden (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom
  16. 7. Februar 2018 - XII ZB 334/17 - juris; vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 FamRZ 2017, 996 und vom 6. Juli 2016 - XII ZB 131/16 - FamRZ 2016, 1668).
  17. BGH, Beschluss vom 28. März 2018 - XII ZB 168/17 - LG Hagen
  18. AG Schwelm
  19. ECLI:DE:BGH:2018:280318BXIIZB168.17.0
  20. -2-
  21. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. März 2018 durch den
  22. Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling,
  23. Dr. Nedden-Boeger und Guhling
  24. beschlossen:
  25. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der
  26. 6. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 13. Februar 2017
  27. wird zurückgewiesen.
  28. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
  29. Wert: 5.000 €
  30. Gründe:
  31. I.
  32. 1
  33. Der Betroffene begehrt die Aufhebung seiner Betreuung.
  34. 2
  35. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet er an einer paranoidhalluzinatorischen Psychose. Für ihn war im Jahr 2013 auf seine Anregung hin
  36. und mit seinem Einverständnis eine rechtliche Betreuung eingerichtet worden.
  37. Diese umfasste den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung
  38. im Rahmen der Gesundheitssorge, Postangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten sowie Vertretung gegenüber Behörden und sonstigen Institutionen.
  39. Für den Bereich der Vermögensangelegenheiten wurde zudem ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Die Überprüfungsfrist wurde auf drei Jahre festgelegt.
  40. -3-
  41. 3
  42. Der Betroffene hat im Oktober 2015 um Aufhebung seiner Betreuung gebeten. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des
  43. Betroffenen hat das Amtsgericht die Betreuung im bereits bestehenden Umfang
  44. nebst Einwilligungsvorbehalt verlängert. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht nach Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit des Sachverständigen die Betreuung für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht im Rahmen der Gesundheitssorge aufgehoben und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen.
  45. 4
  46. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit
  47. der er die vollständige Aufhebung der Betreuung erstrebt.
  48. II.
  49. 5
  50. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
  51. 6
  52. 1. Nach Auffassung des Landgerichts liegen die Voraussetzungen für die
  53. Bestellung eines Betreuers weiterhin vor. Der Betroffene sei krankheitsbedingt
  54. nicht in der Lage, seine Angelegenheiten im Aufgabenkreis Postangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten sowie Vertretung gegenüber Behörden und
  55. sonstigen Institutionen selbst zu regeln, wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergebe. Insoweit könne er auch nicht von freiem Willen getragene
  56. Entscheidungen treffen. Zwar sei der Betroffene auf den ersten Eindruck in der
  57. Lage, sich verständig zu äußern und Fragen sinnhaft zu beantworten. Die Störung des formalen Gedankengangs werde aber schnell erkennbar. Für die Bereiche Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht im Rahmen der
  58. Gesundheitssorge fehle es allerdings schon am Betreuungsbedarf. Zudem sei
  59. -4-
  60. nicht klar erkennbar, ob für diese Bereiche die weiteren Voraussetzungen einer
  61. Betreuung gegen den Willen des Betroffenen vorlägen.
  62. 7
  63. 2. Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
  64. 8
  65. a) Zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen, weil ihm das Sachverständigengutachten nicht
  66. ausgehändigt worden sei.
  67. 9
  68. aa) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage
  69. einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus,
  70. dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt
  71. hat. Insoweit ist das Gutachten in seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die
  72. Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm
  73. persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. jeweils zur Unterbringung Senatsbeschlüsse vom 16. September 2015 - XII ZB 250/15 - FamRZ
  74. 2015, 2156 Rn. 15 mwN und vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 - FamRZ 2017,
  75. 911 Rn. 5). Wird das Gutachten dem Betroffenen nicht ausgehändigt, verletzt
  76. das Verfahren ihn grundsätzlich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Mai 2017
  77. - XII ZB 18/17 - FamRZ 2017, 1323 Rn. 10 und vom 11. August 2010
  78. - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 278 Rn. 7, 10).
  79. 10
  80. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten (§ 10 Abs. 2 Satz 1 FamFG) vertreten wird, zu dessen Kenntnis das Gutachten gelangt ist. Denn anders als ein nach § 276 FamFG bestellter Verfahrenspfleger (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2017 - XII ZB 516/16 FamRZ 2017, 911 Rn. 7 mwN) ist der Verfahrensbevollmächtigte rechtsgeschäftlicher Vertreter des Betroffenen (Senatsbeschluss vom 7. Februar 2018
  81. -5-
  82. - XII ZB 334/17 - juris Rn. 12 mwN). Die Bekanntgabe des Gutachtens an ihn
  83. wirkt somit für und gegen den Betroffenen selbst.
  84. 11
  85. bb) Danach ist die angefochtene Entscheidung des Landgerichts verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Zwar lässt sich der Akte nicht entnehmen,
  86. dass das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten dem Betroffenen persönlich ausgehändigt worden ist, obwohl er eine Übersendung sogar schriftlich verlangt hatte. Die Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG für
  87. ein Absehen von der persönlichen Bekanntgabe liegen ausweislich des Gutachtens nicht vor. Jedoch hat sich – nach Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses – eine Rechtsanwältin als Verfahrensbevollmächtigte für den Betroffenen
  88. bestellt, der die Akte mit dem darin befindlichen Gutachten noch vor Erlass der
  89. Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts zur Verfügung gestellt wurde. Die
  90. Verfahrensbevollmächtigte hatte somit im Beschwerdeverfahren Kenntnis vom
  91. gesamten Akteninhalt, mithin auch von dem Sachverständigengutachten. Diese
  92. Kenntnis muss sich der Betroffene zurechnen lassen, so dass eine Verletzung
  93. rechtlichen Gehörs insoweit ausscheidet (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Juli
  94. 2016 - XII ZB 131/16 - FamRZ 2016, 1668 Rn. 16 und vom 22. März 2017
  95. - XII ZB 358/16 - FamRZ 2017, 996 Rn. 17 f.).
  96. 12
  97. b) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde ferner, weder das Sachverständigengutachten noch die angefochtene Entscheidung enthielten Feststellungen zu der Frage, ob der Betroffene zu einer freien Willensbestimmung in
  98. der Lage sei.
  99. 13
  100. aa) Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Die Annahme eines freien Willens
  101. im Sinne von § 1896 Abs. 1a BGB setzt dabei Einsichts- und Handlungsfähigkeit voraus. Der Betroffene muss mithin in der Lage sein, im Grundsatz die für
  102. -6-
  103. und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen
  104. und gegeneinander abzuwägen, sowie nach der gewonnenen Erkenntnis zu
  105. handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen. Das krankheitsbedingte Fehlen eines solchen freien Willens hat das sachverständig beratene Gericht festzustellen (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701
  106. Rn. 23).
  107. 14
  108. bb) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss gerecht.
  109. 15
  110. (1) Das Landgericht begründet seine auf das Fehlen eines freien Willens
  111. bezogene Überzeugung damit, dass der Betroffene die Nachteile einer Betreuung klar sehe, aber insoweit nicht in der Lage sei, in die Abwägung auch die
  112. Vorteile einzubeziehen, die eine Betreuung biete. Die mangelnde Fähigkeit des
  113. Betroffenen zu einer klaren Abwägung hinsichtlich der Frage einer Betreuung
  114. zeige sich auch darin, dass die Aussagen des Betroffenen, ob er einen Betreuer
  115. zur Seite gestellt haben wolle, nicht konstant seien, sondern sich immer wieder
  116. veränderten.
  117. 16
  118. Diese Feststellungen zeigen, dass der Betroffene nicht in der Lage ist,
  119. die für eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und
  120. demgemäß auch die für und wider eine Betreuung sprechenden Gründe abzuwägen.
  121. 17
  122. (2) Zwar ist das schriftliche Sachverständigengutachten knapp gehalten
  123. und kommt nur zu dem Schluss, dass der Betroffene die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte "nur in Teilaspekten erkennen,
  124. gegeneinander abwägen und entsprechend entscheiden" könne. Welche Teilaspekte dies betrifft, ist aus dem Gutachten nicht ersichtlich. Allerdings hat der
  125. Sachverständige in der Anhörung vor dem Landgericht erklärt, er gelange nun
  126. -7-
  127. – basierend auf dem mit dem Betroffenen geführten Gespräch und dem gesamten Akteninhalt – zu der Einschätzung, dass der Betroffene zwar sehr konkret
  128. erkenne, was gegen eine Betreuung, insbesondere einen Einwilligungsvorbehalt, spreche. Was jedoch dafür spreche, könne er nicht erkennen und einschätzen und deswegen nicht frei darüber entscheiden.
  129. 18
  130. 3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen,
  131. weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
  132. Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
  133. Dose
  134. Klinkhammer
  135. Nedden-Boeger
  136. Schilling
  137. Guhling
  138. Vorinstanzen:
  139. AG Schwelm, Entscheidung vom 16.08.2016 - 82 XVII 31/16 LG Hagen, Entscheidung vom 13.02.2017 - 6 T 283/16 -