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10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XI ZB 16/16
  4. vom
  5. 14. März 2017
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4
  14. Ein Rechtsanwalt, der einen bestimmenden Schriftsatz für einen anderen Rechtsanwalt unterzeichnet, übernimmt mit seiner Unterschrift auch dann die Verantwortung
  15. für den Inhalt des Schriftsatzes, wenn seiner Unterschrift maschinenschriftlich der
  16. Name des anderen Rechtsanwalts beigefügt wird.
  17. BGH, Beschluss vom 14. März 2017 - XI ZB 16/16 - OLG Stuttgart
  18. LG Stuttgart
  19. ECLI:DE:BGH:2017:140317BXIZB16.16.0
  20. -2-
  21. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vizepräsidenten
  22. Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die
  23. Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
  24. am 14. März 2017
  25. beschlossen:
  26. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des
  27. 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. August
  28. 2016 aufgehoben.
  29. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten
  30. des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der Streithelferin, an das
  31. Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Beschwerdewert: 132.076 €
  33. Gründe:
  34. I.
  35. 1
  36. Der Kläger verlangt von der beklagten Bank die Rückabwicklung eines
  37. mit ihr geschlossenen Fremdwährungsdarlehens. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. November 2015, zugestellt am 25. November 2015, abgewiesen. Dagegen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers, eine unter
  38. anderem aus den Rechtsanwälten Dr. S.
  39. und Sa.
  40. bestehende Rechts-
  41. anwaltspartnerschaft mbH, am 22. Dezember 2015 Berufung eingelegt und die-
  42. -3-
  43. se am 25. Februar 2016 fristgerecht begründet. Sowohl die Berufungsschrift als
  44. auch die Berufungsbegründung sind mit einer - augenscheinlich - von derselben
  45. Person herrührenden Unterschrift versehen, die unleserlich ist, aber individuelle
  46. und unterscheidungskräftige Züge aufweist. Unter der Unterschrift befindet sich
  47. jeweils der maschinenschriftliche Zusatz: "RA Dr. S.
  48. , Fachanwalt für
  49. Bank- und Kapitalmarktrecht", von dem indes die beiden Unterschriften nicht
  50. stammen.
  51. 2
  52. Nach Hinweis der Beklagten, dass die Berufungsschrift nicht ordnungsgemäß unterzeichnet und deshalb die Berufung als unzulässig zu verwerfen
  53. sei, hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers erläutert, die Unterschrift
  54. stamme von Rechtsanwalt Sa.
  55. , der von dem Kläger ebenfalls bevollmächtigt
  56. worden sei. Zugleich hat der Kläger vorsorglich die Wiedereinsetzung in den
  57. vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt, weil es
  58. ständige Praxis seiner Prozessbevollmächtigten gewesen sei, dass auch andere postulationsfähige Anwälte der Rechtsanwaltspartnerschaft bestimmende
  59. Schriftsätze mit einem "falschen" Namenszusatz unterzeichnet hätten, ohne
  60. dass dies bislang beanstandet worden sei.
  61. 3
  62. Mit Beschluss vom 18. August 2016 hat das Berufungsgericht den Antrag
  63. des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung
  64. der Berufungsfrist zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Die Unleserlichkeit der Unterschrift hindere allerdings die Wirksamkeit der
  65. Berufung nicht, weil es sich bei dem Schriftzug noch um eine hinreichend individuelle Unterschrift handele, die Rechtsanwalt Sa.
  66. zugeordnet werden kön-
  67. ne. Dieser sei als zugelassener Rechtsanwalt vor allen Oberlandesgerichten
  68. postulationsfähig und auch von dem Kläger ausweislich der Prozessvollmacht
  69. vom 9. Juli 2014 bevollmächtigt worden. Die formwirksame Einlegung des
  70. Rechtsmittels scheitere aber daran, dass der Unterschrift von Rechtsanwalt
  71. -4-
  72. Sa.
  73. der maschinenschriftliche Zusatz "RA Dr. S.
  74. sei, ohne deutlich zu machen, dass Rechtsanwalt Sa.
  75. Rechtsanwalt Dr. S.
  76. " beigefügt gewesen
  77. in Vertretung für
  78. unterschrieben habe. Aufgrund dessen sei der unbe-
  79. dingte Wille von Rechtsanwalt Sa.
  80. , die Verantwortung für den Inhalt des
  81. Schriftsatzes zu übernehmen, nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Für das Gericht müsse gewährleistet sein, dass eine unleserliche Unterschrift durch einen maschinenschriftlichen Zusatz identifizierbar sei.
  82. Dies sei bei der Handhabung der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht
  83. der Fall. Hierin liege zugleich ein schuldhaftes Handeln seiner Prozessbevollmächtigten, das ihm zuzurechnen sei. Aufgrund dessen sei ihm auch keine
  84. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
  85. 4
  86. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
  87. II.
  88. 5
  89. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte
  90. sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist
  91. zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).
  92. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig, weil es an einer ordnungsgemäßen Einlegung der Berufung fehle, verletzt den Kläger in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG
  93. in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör
  94. (Art. 103 Abs. 1 GG).
  95. 6
  96. 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers nach § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO Wirksam-
  97. -5-
  98. keitsvoraussetzung für eine rechtzeitige Berufungsschrift. Damit soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen
  99. unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies,
  100. dass die Berufungsschrift von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach
  101. eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (vgl.
  102. BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; vom
  103. 22. November 2005 - VI ZB 75/04, VersR 2006, 387 Rn. 5; vom 17. November
  104. 2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 12 und vom 26. Juli 2012 - III ZB
  105. 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 6; jeweils mwN).
  106. 7
  107. 2. An diesen Grundsätzen gemessen ist vorliegend eine formgerechte
  108. Berufungsschrift eingereicht worden.
  109. 8
  110. a) Der entsprechende Schriftsatz ist - was das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - mit einem individuellen, nicht nur als Handzeichen oder
  111. Paraphe anzusehenden, sondern den Anforderungen an eine Unterschrift genügenden handschriftlichen Schriftzug unterzeichnet (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 1997 - XII ZB 17/97, FamRZ 1997, 737; vom
  112. 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775; vom 17. November
  113. 2009 - XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 17; vom 9. Februar 2010 - VIII ZB
  114. 67/09, BeckRS 2010, 04929 Rn. 10 und vom 16. September 2010 - IX ZB
  115. 13/10, NZI 2011, 59 Rn. 6).
  116. 9
  117. b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen,
  118. dass dieser Schriftzug von Rechtsanwalt Sa.
  119. herrührt, bei dem es sich um
  120. einen bei dem Berufungsgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt handelt.
  121. Zwar ist dies erst nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist erläutert worden, so
  122. -6-
  123. dass für das Berufungsgericht bis dahin nicht erkennbar war, welcher Rechtsanwalt unterschrieben hat. Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn für die Prüfung der Frage, ob die Identität und die Postulationsfähigkeit des Unterzeichners eines derartigen Schriftsatzes feststeht beziehungsweise erkennbar ist, ist
  124. nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsfrist, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung abzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. April 2012 - VII ZB 83/10, MDR 2012,
  125. 796 Rn. 11 und vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 10).
  126. 10
  127. c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert die formwirksame Einlegung der Berufung nicht daran, dass der Unterschrift von
  128. Rechtsanwalt Sa.
  129. der maschinenschriftliche Zusatz "RA Dr. S.
  130. , Fach-
  131. anwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht" beigefügt worden ist. Dieser Zusatz
  132. macht zunächst lediglich deutlich, dass die Berufungsschrift von diesem
  133. Rechtsanwalt erstellt worden ist. Auch wenn ein ausdrücklicher Zusatz, "für"
  134. diesen tätig zu werden, fehlt, lässt sich hier der Unterzeichnung durch einen
  135. anderen Rechtsanwalt gleichwohl entnehmen, dass er an dessen Stelle die Unterschrift leisten und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest
  136. als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats des Klägers auftreten
  137. wollte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012,
  138. 1142 Rn. 11). Damit hat er zu erkennen gegeben, dass er zugleich die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsschrift übernehmen wollte. Anhaltspunkte,
  139. die dem entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Für einen Rechtsanwalt
  140. versteht es sich im Zweifel von selbst, mit seiner Unterschrift auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen
  141. (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 192/02, NJW 2003, 2028; Beschluss vom 26. Juli 2012, aaO) und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig zu
  142. werden (vgl. für den Zusatz "i.A." BGH, Beschlüsse vom 5. November 1987
  143. -7-
  144. - V ZR 139/87, NJW 1988, 210; vom 27. Mai 1993 - III ZB 9/93, NJW 1993,
  145. 2056, 2057 und vom 7. Juni 2016 - KVZ 53/15, NJW-RR 2016, 1336 Rn. 5).
  146. 11
  147. Soweit das Berufungsgericht meint, dass vorliegend kein Rechtsanwalt
  148. die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernommen habe, weil Rechtsanwalt Dr. S.
  149. den Schriftsatz nicht unterzeichnet und Rechtsanwalt Sa.
  150. sich nicht in eindeutiger Weise zu dem Schriftsatz bekannt habe, trifft dies daher nicht zu. Mit seiner Unterschrift hat Rechtsanwalt Sa.
  151. die Verantwortung
  152. für die Berufungsschrift - wie im Übrigen auch für die Berufungsbegründung übernommen.
  153. 12
  154. 3. Ist danach die Unterschrift unter die Berufungsschrift in diesem Sinne
  155. von Rechtsanwalt Sa.
  156. geleistet worden, durfte die Berufung nicht als unzu-
  157. lässig verworfen werden. Der Kläger hat vielmehr die Berufung rechtzeitig und
  158. -8-
  159. formgerecht eingelegt, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und
  160. die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war (§ 577 Abs. 4
  161. Satz 1 ZPO). Über den Antrag auf Wiedereinsetzung war daher nicht mehr zu
  162. entscheiden.
  163. Ellenberger
  164. Grüneberg
  165. Menges
  166. Maihold
  167. Derstadt
  168. Vorinstanzen:
  169. LG Stuttgart, Entscheidung vom 17.11.2015 - 25 O 200/14 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 18.08.2016 - 5 U 29/16 -