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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- VIII ZB 36/04
- vom
- 9. November 2004
- in dem Rechtsstreit
- Nachschlagewerk: ja
- BGHZ:
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- nein
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- BGHR:
-
- ja
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- ZPO § 511
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- Übersteigt die Beschwer der in erster Instanz unterlegenen Partei die Wertgrenze
- des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, so kann grundsätzlich erst auf der Grundlage des in
- der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten Antrags entschieden werden, ob
- der Wert des Beschwerdegegenstands die Berufungssumme erreicht. Ein zunächst beschränkter Berufungsantrag, der die Berufungssumme unterschreitet,
- kann bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erweitert werden, soweit die Erweiterung von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt ist (Bestätigung von BGHZ 12, 52, 67; BGH, Beschluß
- vom 8. Oktober 1982 - V ZB 9/82, NJW 1983, 1063). Das gilt auch für den Fall,
- daß die Berufung zugleich mit ihrer Einlegung begründet und dabei ein Berufungsantrag angekündigt wird, mit dem die in erster Instanz abgewiesene Klage
- nur teilweise weiterverfolgt wird.
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- BGH, Beschluß vom 9. November 2004 - VIII ZB 36/04 - LG Potsdam
- AG Potsdam
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- Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2004 durch die
- Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Ball, Dr. Leimert
- und Dr. Frellesen
- beschlossen:
- Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß der 11.
- Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 11. März 2004 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin auf ihre Kosten als unzulässig verworfen worden ist.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu
- tragen.
- Wert des Beschwerdegegenstands: 600,01 €.
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- Gründe:
- Die Klägerin nimmt die Beklagte, ihre ehemalige Wohnungsvermieterin,
- unter Verrechnung beiderseitiger Ansprüche auf Erstattung überzahlter Mietbeträge in Anspruch, die sie in erster Instanz mit 2.563,25 € beziffert hat. Das
- Amtsgericht hat die Klage im Hinblick auf einen Prozeßvergleich, den die Parteien in einem Parallelrechtsstreit geschlossen haben, abgewiesen.
- Mit der hiergegen eingelegten Berufung hat die Klägerin den Antrag angekündigt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 600,01 € zuzüglich Zinsen zu zahlen. In der umfangreichen Berufungsbegründung hat die Klägerin
- unter Zugrundelegung unterschiedlicher Berechnungsansätze zunächst Über-
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- zahlungen in Höhe von 8.129,83 DM, von 4.896,67 DM und schließlich von
- 1.156,99 DM (591,56 €) errechnet. Sodann heißt es in der Berufungsbegründung wörtlich:
- "Mit der hier streitgegenständlichen Klage hat die Klägerin in dem
- erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht eine Hauptforderung in Höhe von € 1.882,52 als Rückzahlung geltend gemacht,
- obwohl sie aufgrund des oben dargelegten Sach- und Streitstandes lediglich bei Zugrundelegung des richterlichen Hinweises vom
- 05.02.2003 eine Überzahlung in Höhe von € 591,56 darlegt. Aus
- diesem Grunde beschränkt sich die Berufung auf diese Überzahlung in Höhe von € 591,56, aufgerechnet auf den Wert von
- € 600,01."
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- Das Berufungsgericht hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß es beabsichtige, der Entscheidung über die Statthaftigkeit der Berufung den Wert von
- 591,56 € zugrunde zu legen und die Berufung mangels Erreichens der Berufungssumme als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat darauf unter anderem entgegnet, aus ihren erstinstanzlichen Schriftsätzen errechne sich ein
- Rückforderungsbetrag von 4.008,40 DM (2.049,46 €); hiervon mache "die weiter hauptsächlich auf dieser Argumentation fußende Berufung ... einen Teilbetrag in Höhe von EUR 600,01 geltend".
- Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Landgericht die Berufung als
- unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Berufungsantrag
- erwecke zwar den Anschein, daß die Berufungssumme erreicht sei; aus der
- Begründung des Antrags ergebe sich aber eindeutig, daß die Klägerin die Berufung auf den Betrag von 591,56 € beschränkt habe.
- Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.
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- II.
- 1. Die kraft Gesetzes statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig. Der Entscheidung des Berufungsgerichts ist - wenn auch
- unausgesprochen - der unrichtige (dazu unten 2.) Obersatz zu entnehmen, für
- die Beurteilung der Frage, ob die Berufungssumme erreicht ist, sei auch bei
- einer die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigenden Beschwer
- allein das in der Berufungsbegründung angekündigte Begehren maßgebend.
- Die hierdurch indizierte Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr (BGH, Beschluß vom 18. März 2004 - V ZR 222/03, NJW 2004, 1960 unter II 2) erfordert
- eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
- Keiner Entscheidung bedarf, ob das Landgericht den Berufungsantrag
- zutreffend dahin ausgelegt hat, daß der in zweiter Instanz weiterverfolgte Teil
- des Klagebegehrens sich auf 591,56 € beschränkt und damit hinter dem im Berufungsantrag selbst bezifferten Betrag von 600,01 € zurückbleibt. Denn auch
- wenn dem zu folgen sein sollte, ergibt sich daraus noch nicht, daß die Berufung
- der Klägerin unzulässig ist.
- a) Übersteigt die Beschwer der in erster Instanz unterlegenen Partei
- - wie hier - die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, so kann grundsätzlich
- erst auf der Grundlage des in der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten
- Antrags entschieden werden, ob der Wert des Beschwerdegegenstands die
- Berufungssumme erreicht. Ein zunächst beschränkter Berufungsantrag, der die
- Berufungssumme unterschreitet, kann bis zum Schluß der mündlichen Ver-
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- handlung vor dem Berufungsgericht erweitert werden, soweit die Erweiterung
- von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt ist (vgl. BGHZ
- 12, 52, 67; BGH, Beschluß vom 8. Oktober 1982 - V ZB 9/82, NJW 1983, 1063
- unter II 2 m.w.Nachw.). Das gilt nicht nur dann, wenn die Berufung zunächst
- unbeschränkt eingelegt wird und erst in der später eingereichten Berufungsbegründung Anträge angekündigt werden, die hinter der Beschwer zurückbleiben,
- sondern auch für den hier gegebenen Fall, daß die Berufung zugleich mit ihrer
- Einlegung begründet und dabei ein Berufungsantrag angekündigt wird, mit dem
- die in erster Instanz abgewiesene Klage nur teilweise weiterverfolgt wird. Ebenso wie eine zunächst unbeschränkt eingelegte, später eingeschränkte Berufung
- kann daher auch eine anfänglich beschränkte Berufung, die nach dem angekündigten Berufungsantrag die Berufungssumme nicht erreicht, dadurch zulässig werden, daß sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht
- in den Grenzen der rechtzeitig eingereichten Berufungsbegründung auf einen
- Umfang erweitert wird, der die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigt. Denn entscheidend ist nicht, ob der Berufungskläger sein Rechtsmittel
- anfänglich oder nachträglich auf einen Betrag von nicht mehr als 600 € beschränkt, sondern vielmehr, ob die Berufung in der mündlichen Verhandlung vor
- dem Berufungsgericht wirksam auf einen Betrag von mehr als 600 € erweitert
- wird. Solange diese Möglichkeit besteht, darf die Berufung deshalb nicht mit der
- Begründung als unzulässig verworfen werden, die Berufungssumme sei nicht
- erreicht.
- b) Gemessen an diesen Grundsätzen kann die Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Bestand haben. Die Berufungsbegründung der Klägerin
- greift das klageabweisende Urteil erster Instanz in vollem Umfang an. Denn die
- Klägerin legt mit unterschiedlichen Berechnungsansätzen dar, daß ihr nach ihrer Auffassung Rückzahlungsansprüche zustehen, die die Wertgrenze von
- 600 € übersteigen. Daß sie nach dem Verständnis des Berufungsgerichts vom
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- Inhalt der Berufungsbegründung bereit zu sein schien, sich statt dessen mit einem Betrag von nur 591,56 € zu begnügen, hinderte die Klägerin nicht, in der
- mündlichen Verhandlung unter Rückgriff auf eine der in der Berufungsbegründung vorgenommenen, ihr günstigeren Berechnungsvarianten einen darüber
- hinausgehenden Betrag geltend zu machen. Die Klägerin hat zudem schon in
- ihrer Entgegnung auf den Hinweis des Berufungsgerichts aus dessen Sicht eine
- Erhöhung des Berufungsantrags auf 600,01 € in der Weise angekündigt, daß
- sie den geforderten Betrag nunmehr als Teilbetrag des in erster Instanz errechneten Rückzahlungsanspruchs von 2.049,46 € deklariert hat.
- III.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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- Dr. Deppert
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- Dr. Beyer
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- Dr. Leimert
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- Ball
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- Dr. Fellesen
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