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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VIII ZB 36/04
  4. vom
  5. 9. November 2004
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. ZPO § 511
  13. Übersteigt die Beschwer der in erster Instanz unterlegenen Partei die Wertgrenze
  14. des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, so kann grundsätzlich erst auf der Grundlage des in
  15. der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten Antrags entschieden werden, ob
  16. der Wert des Beschwerdegegenstands die Berufungssumme erreicht. Ein zunächst beschränkter Berufungsantrag, der die Berufungssumme unterschreitet,
  17. kann bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erweitert werden, soweit die Erweiterung von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt ist (Bestätigung von BGHZ 12, 52, 67; BGH, Beschluß
  18. vom 8. Oktober 1982 - V ZB 9/82, NJW 1983, 1063). Das gilt auch für den Fall,
  19. daß die Berufung zugleich mit ihrer Einlegung begründet und dabei ein Berufungsantrag angekündigt wird, mit dem die in erster Instanz abgewiesene Klage
  20. nur teilweise weiterverfolgt wird.
  21. BGH, Beschluß vom 9. November 2004 - VIII ZB 36/04 - LG Potsdam
  22. AG Potsdam
  23. -2-
  24. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2004 durch die
  25. Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Beyer, Ball, Dr. Leimert
  26. und Dr. Frellesen
  27. beschlossen:
  28. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß der 11.
  29. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 11. März 2004 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin auf ihre Kosten als unzulässig verworfen worden ist.
  30. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu
  31. tragen.
  32. Wert des Beschwerdegegenstands: 600,01 €.
  33. Gründe:
  34. Die Klägerin nimmt die Beklagte, ihre ehemalige Wohnungsvermieterin,
  35. unter Verrechnung beiderseitiger Ansprüche auf Erstattung überzahlter Mietbeträge in Anspruch, die sie in erster Instanz mit 2.563,25 € beziffert hat. Das
  36. Amtsgericht hat die Klage im Hinblick auf einen Prozeßvergleich, den die Parteien in einem Parallelrechtsstreit geschlossen haben, abgewiesen.
  37. Mit der hiergegen eingelegten Berufung hat die Klägerin den Antrag angekündigt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 600,01 € zuzüglich Zinsen zu zahlen. In der umfangreichen Berufungsbegründung hat die Klägerin
  38. unter Zugrundelegung unterschiedlicher Berechnungsansätze zunächst Über-
  39. -3-
  40. zahlungen in Höhe von 8.129,83 DM, von 4.896,67 DM und schließlich von
  41. 1.156,99 DM (591,56 €) errechnet. Sodann heißt es in der Berufungsbegründung wörtlich:
  42. "Mit der hier streitgegenständlichen Klage hat die Klägerin in dem
  43. erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht eine Hauptforderung in Höhe von € 1.882,52 als Rückzahlung geltend gemacht,
  44. obwohl sie aufgrund des oben dargelegten Sach- und Streitstandes lediglich bei Zugrundelegung des richterlichen Hinweises vom
  45. 05.02.2003 eine Überzahlung in Höhe von € 591,56 darlegt. Aus
  46. diesem Grunde beschränkt sich die Berufung auf diese Überzahlung in Höhe von € 591,56, aufgerechnet auf den Wert von
  47. € 600,01."
  48. Das Berufungsgericht hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß es beabsichtige, der Entscheidung über die Statthaftigkeit der Berufung den Wert von
  49. 591,56 € zugrunde zu legen und die Berufung mangels Erreichens der Berufungssumme als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat darauf unter anderem entgegnet, aus ihren erstinstanzlichen Schriftsätzen errechne sich ein
  50. Rückforderungsbetrag von 4.008,40 DM (2.049,46 €); hiervon mache "die weiter hauptsächlich auf dieser Argumentation fußende Berufung ... einen Teilbetrag in Höhe von EUR 600,01 geltend".
  51. Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Landgericht die Berufung als
  52. unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Berufungsantrag
  53. erwecke zwar den Anschein, daß die Berufungssumme erreicht sei; aus der
  54. Begründung des Antrags ergebe sich aber eindeutig, daß die Klägerin die Berufung auf den Betrag von 591,56 € beschränkt habe.
  55. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.
  56. -4-
  57. II.
  58. 1. Die kraft Gesetzes statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig. Der Entscheidung des Berufungsgerichts ist - wenn auch
  59. unausgesprochen - der unrichtige (dazu unten 2.) Obersatz zu entnehmen, für
  60. die Beurteilung der Frage, ob die Berufungssumme erreicht ist, sei auch bei
  61. einer die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigenden Beschwer
  62. allein das in der Berufungsbegründung angekündigte Begehren maßgebend.
  63. Die hierdurch indizierte Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr (BGH, Beschluß vom 18. März 2004 - V ZR 222/03, NJW 2004, 1960 unter II 2) erfordert
  64. eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
  65. 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
  66. Keiner Entscheidung bedarf, ob das Landgericht den Berufungsantrag
  67. zutreffend dahin ausgelegt hat, daß der in zweiter Instanz weiterverfolgte Teil
  68. des Klagebegehrens sich auf 591,56 € beschränkt und damit hinter dem im Berufungsantrag selbst bezifferten Betrag von 600,01 € zurückbleibt. Denn auch
  69. wenn dem zu folgen sein sollte, ergibt sich daraus noch nicht, daß die Berufung
  70. der Klägerin unzulässig ist.
  71. a) Übersteigt die Beschwer der in erster Instanz unterlegenen Partei
  72. - wie hier - die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, so kann grundsätzlich
  73. erst auf der Grundlage des in der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten
  74. Antrags entschieden werden, ob der Wert des Beschwerdegegenstands die
  75. Berufungssumme erreicht. Ein zunächst beschränkter Berufungsantrag, der die
  76. Berufungssumme unterschreitet, kann bis zum Schluß der mündlichen Ver-
  77. -5-
  78. handlung vor dem Berufungsgericht erweitert werden, soweit die Erweiterung
  79. von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt ist (vgl. BGHZ
  80. 12, 52, 67; BGH, Beschluß vom 8. Oktober 1982 - V ZB 9/82, NJW 1983, 1063
  81. unter II 2 m.w.Nachw.). Das gilt nicht nur dann, wenn die Berufung zunächst
  82. unbeschränkt eingelegt wird und erst in der später eingereichten Berufungsbegründung Anträge angekündigt werden, die hinter der Beschwer zurückbleiben,
  83. sondern auch für den hier gegebenen Fall, daß die Berufung zugleich mit ihrer
  84. Einlegung begründet und dabei ein Berufungsantrag angekündigt wird, mit dem
  85. die in erster Instanz abgewiesene Klage nur teilweise weiterverfolgt wird. Ebenso wie eine zunächst unbeschränkt eingelegte, später eingeschränkte Berufung
  86. kann daher auch eine anfänglich beschränkte Berufung, die nach dem angekündigten Berufungsantrag die Berufungssumme nicht erreicht, dadurch zulässig werden, daß sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht
  87. in den Grenzen der rechtzeitig eingereichten Berufungsbegründung auf einen
  88. Umfang erweitert wird, der die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigt. Denn entscheidend ist nicht, ob der Berufungskläger sein Rechtsmittel
  89. anfänglich oder nachträglich auf einen Betrag von nicht mehr als 600 € beschränkt, sondern vielmehr, ob die Berufung in der mündlichen Verhandlung vor
  90. dem Berufungsgericht wirksam auf einen Betrag von mehr als 600 € erweitert
  91. wird. Solange diese Möglichkeit besteht, darf die Berufung deshalb nicht mit der
  92. Begründung als unzulässig verworfen werden, die Berufungssumme sei nicht
  93. erreicht.
  94. b) Gemessen an diesen Grundsätzen kann die Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Bestand haben. Die Berufungsbegründung der Klägerin
  95. greift das klageabweisende Urteil erster Instanz in vollem Umfang an. Denn die
  96. Klägerin legt mit unterschiedlichen Berechnungsansätzen dar, daß ihr nach ihrer Auffassung Rückzahlungsansprüche zustehen, die die Wertgrenze von
  97. 600 € übersteigen. Daß sie nach dem Verständnis des Berufungsgerichts vom
  98. -6-
  99. Inhalt der Berufungsbegründung bereit zu sein schien, sich statt dessen mit einem Betrag von nur 591,56 € zu begnügen, hinderte die Klägerin nicht, in der
  100. mündlichen Verhandlung unter Rückgriff auf eine der in der Berufungsbegründung vorgenommenen, ihr günstigeren Berechnungsvarianten einen darüber
  101. hinausgehenden Betrag geltend zu machen. Die Klägerin hat zudem schon in
  102. ihrer Entgegnung auf den Hinweis des Berufungsgerichts aus dessen Sicht eine
  103. Erhöhung des Berufungsantrags auf 600,01 € in der Weise angekündigt, daß
  104. sie den geforderten Betrag nunmehr als Teilbetrag des in erster Instanz errechneten Rückzahlungsanspruchs von 2.049,46 € deklariert hat.
  105. III.
  106. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
  107. Dr. Deppert
  108. Dr. Beyer
  109. Dr. Leimert
  110. Ball
  111. Dr. Fellesen