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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VII ZR 5/06
  5. Verkündet am:
  6. 26. Juli 2007
  7. Heinzelmann,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. BGHZ:
  14. BGHR:
  15. ja
  16. nein
  17. ja
  18. BGB §§ 242 Cd, 635 a.F.
  19. Einem gesamtschuldnerisch mit einem Unternehmer wegen Bauaufsichtsfehlern haftenden Architekten ist in der Regel der Einwand versagt, der Auftraggeber hätte sich
  20. durch rechtzeitigen Zugriff bei dem Unternehmer befriedigen können und müssen.
  21. Der Schadensersatzanspruch kann nicht allein deshalb verneint werden, weil der
  22. Auftraggeber entgegen der Empfehlung des Architekten Werklohn wegen Mängeln
  23. der Bauausführung nicht einbehalten hat.
  24. ZPO § 530 a.F.
  25. Die Versagung der Zustimmung zur Parteierweiterung durch einen in der Berufungsinstanz erstmals mit einer Widerklage überzogenen Architekten ist nicht missbräuchlich, wenn die Widerklage wegen Bauaufsichtsfehlern einer in Gesellschaft bürgerlichen Rechts tätigen Architektengemeinschaft zunächst nur gegen einen Gesellschafter erhoben wird und sodann nach mehreren Jahren der Prozessführung zu einem
  26. geringen Teil auch gegen den anderen, bisher am Prozess nicht beteiligten Gesellschafter, nachdem dieser als Zeuge geladen worden ist.
  27. BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - VII ZR 5/06 - OLG Brandenburg
  28. LG Potsdam
  29. -2-
  30. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  31. vom 26. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter
  32. Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner und die Richterin Safari Chabestari
  33. für Recht erkannt:
  34. Auf die Revision der Widerklägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. Dezember 2005 im Kostenpunkt - mit Ausnahme der Kostenentscheidung zugunsten des Widerbeklagten zu 2 - und insoweit aufgehoben, als die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 1 abgewiesen und die Berufung insoweit zurückgewiesen worden ist.
  35. Im Übrigen wird die Revision mit der Maßgabe zurückgewiesen,
  36. dass die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 2 als unzulässig abgewiesen wird.
  37. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung
  38. und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
  39. an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  40. Von Rechts wegen
  41. Tatbestand:
  42. 1
  43. Die Beklagte und Widerklägerin beauftragte 1994 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Gesellschafter die Widerbeklagten sind, mit Planungs-
  44. -3-
  45. leistungen für die Modernisierung und den Neubau verschiedener Gebäude.
  46. Gegenstand des Vertrages war die Planung für drei Bauabschnitte. Der Neubau
  47. des ersten Bauabschnitts wurde von der G. GmbH als Generalunternehmerin
  48. ausgeführt. Zahlreiche Leistungen der G. GmbH waren mangelhaft, so auch die
  49. Wärmedämmung des Daches. Nach Insolvenz der G. GmbH haben sich der
  50. Insolvenzverwalter und die Widerklägerin wegen des noch zu zahlenden Werklohns und eines Sicherheitseinbehalts geeinigt. Es steht fest, dass die Widerklägerin einen erheblichen Betrag des vertraglich vereinbarten Werklohns nicht
  51. mehr zahlen muss.
  52. 2
  53. Der Kläger und Widerbeklagte zu 1 hat mit der Klage aus abgetretenem
  54. Recht Honorar in Höhe von 57.500 DM verlangt. Die Beklagte hat mit verschiedenen Gegenforderungen aufgerechnet. Sie hat zudem zunächst ausschließlich
  55. gegen den Kläger Widerklage auf Zahlung von 280.000 DM erhoben. Gegenstand der Widerklage sind Bauaufsichtsfehler bei der Gründung gewesen.
  56. 3
  57. Das Landgericht hat der Klage im Jahr 1999 stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Widerklägerin
  58. die Widerklage geändert. Sie hat sie zuletzt auf Bauaufsichtsfehler bei der
  59. Dämmung des Daches gestützt und sie im Juni 2005 gegen beide Gesellschafter erhoben, gegen den Kläger und Widerbeklagten zu 1 in Höhe von
  60. 141.630,02 €, gegen den Widerbeklagten zu 2 lediglich in Höhe eines Teilbetrages von 5.500,00 €.
  61. 4
  62. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 8.887,58 € verurteilt. Die Widerklage hat es als unbegründet abgewiesen. Der Senat hat die Revision zugelassen, soweit die Widerklage abgewiesen worden ist. Die Widerklägerin verfolgt ihre Zahlungsanträge zur Widerklage weiter.
  63. -4-
  64. Entscheidungsgründe:
  65. A. Die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 2
  66. 5
  67. Die Revision ist im Ergebnis unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 2 richtet. Sie ist mit der
  68. Maßgabe zurückzuweisen, dass die Widerklage als unzulässig abgewiesen
  69. wird.
  70. 6
  71. Die Beurteilung richtet sich nach dem bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Vorschriften für die Berufung (§ 26 Nr. 5 EGZPO).
  72. I.
  73. 7
  74. Das Berufungsgericht hält die Erweiterung des Widerklageantrags in Bezug auf den Widerbeklagten zu 2 als Teilklage für zulässig. Die Widerklage sei
  75. sachdienlich. Der Widerbeklagte zu 2 habe die Zustimmung missbräuchlich
  76. verweigert. Der Widerbeklagte zu 2 sei offenkundig hinreichend in das Bauvorhaben involviert, um die zur Rechtsverteidigung erforderlichen Informationen
  77. zur Verfügung zu haben oder sich diese beschaffen zu können. Er habe das
  78. Bauvorhaben maßgeblich begleitet.
  79. II.
  80. 8
  81. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Widerklage ist unzulässig.
  82. -5-
  83. 9
  84. 1. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer im Berufungsverfahren erhobenen Widerklage gegen eine bisher am Prozess nicht beteiligte Partei ist
  85. grundsätzlich deren Zustimmung, es sei denn, diese wird rechtsmissbräuchlich
  86. verweigert. Die Verweigerung der Zustimmung zu einer Parteierweiterung in der
  87. Berufungsinstanz ist im allgemeinen missbräuchlich, wenn ein schutzwürdiges
  88. Interesse des neuen Widerbeklagten an der Weigerung nicht zu erkennen und
  89. ihm zuzumuten ist, in den Prozess einzutreten, obwohl er bereits in der Berufungsinstanz schwebt. Bei der Würdigung sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1956 - VI ZR 32/55, BGHZ 21, 285,
  90. 289; Urteil vom 13. Februar 1974 - VIII ZR 147/72, NJW 1974, 750; Urteil vom
  91. 10. November 1980 - II ZR 96/80, NJW 1981, 989; Urteil vom 4. Oktober 1985
  92. - V ZR 136/84, NJW-RR 1986, 356). Allein der maßgeblich vom Berufungsgericht angeführte Umstand, dass eine neue Partei ausreichende Informationen
  93. über den Streitstoff hat, kann eine rechtsmissbräuchliche Verweigerung der Zustimmung nicht begründen. Das Erfordernis der Zustimmung soll dem Schutz
  94. der Partei dienen, die in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium in einen
  95. Prozess hineingezogen wird (BGH, Urteil vom 26. Februar 1987 - VII ZR 58/86,
  96. BauR 1987, 351 = ZfBR 1987, 151). Es soll Nachteile verhindern, die dadurch
  97. entstehen, dass der neue Beklagte auf den bisherigen Verlauf des Prozesses
  98. keinen Einfluss hatte und ihn in der Lage weiterführen müsste, in der er sich
  99. nunmehr befindet (BGH, Urteil vom 29. November 1961 - V ZR 181/60, NJW
  100. 1962, 633).
  101. 10
  102. 2. Maßgeblich ist danach, ob der Widerbeklagte zu 2 die Zustimmung
  103. ausnahmsweise nicht verweigern durfte, weil eine prozessuale Beeinträchtigung und Schlechterstellung auszuschließen ist. Das ist zu verneinen. Dem
  104. Widerbeklagten zu 2 ist nicht nur eine Tatsacheninstanz vorenthalten worden,
  105. sondern die Widerklage gegen ihn war zudem erst zu einem Zeitpunkt erhoben
  106. worden, in dem bereits ein großer Teil des Prozessstoffes verhandelt worden
  107. -6-
  108. ist. Die Widerklage wegen des Bauaufsichtsfehlers bei der Ausführung der
  109. Wärmedämmung war bereits im Jahr 2000 in der Berufungsinstanz gegen den
  110. Kläger erhoben worden. Seitdem stritten die damaligen Parteien über den Mangel, die Verantwortlichkeit der Architekten, über Mängelbeseitigungskosten und
  111. auch darüber, ob der Widerklägerin ein Schaden im Hinblick darauf entstanden
  112. ist, dass sie Werklohn an den Unternehmer nicht gezahlt hat. Über einen Teil
  113. der Streitpunkte ist ein Sachverständigengutachten eingeholt worden, das Anfang 2004 vorlag. Die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 2 ist erst im
  114. Juni 2005 erhoben worden. Sie erfasste nur einen geringen Teilbetrag, so dass
  115. jedenfalls aus der Sicht des Widerbeklagten zu 2 die Vermutung nahe lag, dass
  116. die Klage aus prozesstaktischen Gründen erhoben worden ist. Denn er war als
  117. Zeuge benannt und geladen worden. Bei diesem Sachverhalt lässt sich eine
  118. rechtsmissbräuchliche Verweigerung der Zustimmung nicht erkennen. Der Widerbeklagte zu 2 musste es nicht hinnehmen, dass er aus vermeintlich prozesstaktischen Gründen in der Berufungsinstanz in einen Prozess gedrängt wird,
  119. der bereits über mehrere Jahre intensiv geführt worden war, wobei zudem die
  120. Gefahr bestand, dass gegen ihn ein weiterer Prozess wegen der restlichen Forderung geführt wird. Es ist nicht festgestellt, dass der Widerbeklagte zu 2 maßgeblichen Einfluss auf die Prozessführung bis zur subjektiven Erweiterung der
  121. Widerklage hatte, so dass dahingestellt bleiben kann, ob in diesem Fall eine
  122. andere Beurteilung gerechtfertigt wäre (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1956 - VI
  123. ZR 32/55, BGHZ 21, 285, 290).
  124. 11
  125. 3. Das Urteil des Berufungsgerichts ist danach im Ergebnis richtig, soweit
  126. die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 2 abgewiesen worden ist. Es ist
  127. ohne Sachprüfung mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass die Klage gegen
  128. den Widerbeklagten zu 2 als unzulässig abgewiesen wird. Außerdem hat die
  129. Kostenentscheidung Bestand, soweit der Widerklägerin auferlegt worden ist, die
  130. außergerichtlichen Kosten des Widerbeklagten zu 2 zu tragen.
  131. -7-
  132. B. Die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 1
  133. 12
  134. Die Revision ist begründet, soweit die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 1 abgewiesen worden ist. Insoweit führt sie zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  135. 13
  136. Auf das Schuldverhältnis der Parteien sind die Gesetze in der bis zum
  137. 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anzuwenden (Art. 229 Abs. 5 Satz 1
  138. EGBGB).
  139. I.
  140. 14
  141. Das Berufungsgericht führt aus, der gegen die Widerbeklagten gerichtete
  142. Schadensersatzanspruch bestehe dem Grunde nach. Sie hätten die Wärmedämmarbeiten am Dach nicht genügend beaufsichtigt. Die von ihnen behaupteten Bedenkenhinweise seien nicht ausreichend dargelegt. Der Widerklägerin sei
  143. ein Schaden in Höhe von 73.139,80 € entstanden. Die Mängelbeseitigungskosten betrügen zwar nach den Feststellungen des Sachverständigen 240.600 €.
  144. Bei der Schadensberechnung müsse allerdings berücksichtigt werden, dass ein
  145. Schaden nicht entstanden sei, soweit die Widerklägerin an die G. GmbH Werklohn nicht bezahlen müsse und dieser Betrag nicht durch weitere berechtigte
  146. Ersatzansprüche aufgezehrt werde.
  147. 15
  148. Bei der Berechnung dieses Betrages sei davon auszugehen, dass die
  149. Widerklägerin mit der G. GmbH einen Werklohn von 10.450.000,00 DM vereinbart habe. Hinzu komme ein Betrag von 404.491,59 DM, den die Widerklägerin
  150. der G. GmbH geschuldet habe, weil sie in dieser Höhe Nachtragsaufträge erteilt
  151. habe. Das abweichende Vorbringen der Widerklägerin nach Schluss der münd-
  152. -8-
  153. lichen Verhandlung im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 8. November
  154. 2005 könne keine Berücksichtigung finden.
  155. 16
  156. Unter Berücksichtigung der Zahlungen und Abzüge für mangelhafte Leistungen der G. GmbH verblieben noch 167.460,20 € als "freier" Betrag. Nach
  157. Abzug dieses Betrages von den Mängelbeseitigungskosten in Höhe von
  158. 240.600,00 € verbleibe ein erstattungsfähiger Schaden von 73.139,80 €.
  159. 17
  160. Der Widerklägerin sei die Geltendmachung dieses Schadens nach Treu
  161. und Glauben verwehrt. Die Widerbeklagten hätten nach Prüfung der Rechnungen lediglich 8.111.987,32 DM zur Zahlung an die G. GmbH freigegeben. Die
  162. Widerklägerin habe jedoch 9.448.567,70 DM gezahlt. Es lasse sich mit dem
  163. Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbaren, wenn die Widerklägerin
  164. von ihren bauleitenden und bauüberwachenden Architekten Schadensersatz
  165. fordern könne. Denn sie habe durch ihre Zahlung den Architekten die Möglichkeit verwehrt, auf Mängeleinbehalte hinzuwirken und damit - zumindest mittelbar - auch der Entstehung eventueller Schadensersatzansprüche wegen in dem
  166. Bauwerk verkörperter Mängel entgegenzuwirken. Gelange der Architekt bei
  167. Prüfung der Rechnung des Unternehmers zu dem Ergebnis, die abgerechneten
  168. Leistungen entsprächen nicht dem erbrachten Leistungsumfang oder seien
  169. nicht ordnungsgemäß erbracht, müsse er diesem zu einem entsprechenden
  170. Einbehalt raten. Nehme der Bauherr dennoch Zahlungen vor, so sei es gerechtfertigt, dem Bauherrn insoweit die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs zu verwehren, als ein erstattungsfähiger Schaden ohne die voreilige
  171. Zahlung an das Bauunternehmen nicht entstanden wäre, weil der Bauherr sich
  172. in voller Höhe aus dem zurückbehaltenen Betrag hätte befriedigen können.
  173. -9-
  174. II.
  175. 18
  176. Mit dieser Begründung ist die Abweisung des Widerklageantrags nicht zu
  177. rechtfertigen. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht den Vortrag der Widerklägerin zum Umfang der Nachträge im Schriftsatz vom 8. November 2005 nicht berücksichtigt. Bei Berücksichtigung dieses Vortrags kann sich ein Schadensersatzanspruch in Höhe des Widerklageantrags ergeben (1.). Zu Unrecht hat das
  178. Berufungsgericht den Schadensersatzanspruch versagt, weil die Beklagte von
  179. den Widerbeklagten nicht freigegebenen Werklohn an die G. GmbH bezahlt
  180. habe (2.).
  181. 19
  182. 1. a) Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass
  183. der Auftraggeber gegen seinen Architekten keinen Schadensersatzanspruch
  184. wegen Bauüberwachungsfehlern geltend machen kann, wenn feststeht, dass er
  185. wegen der Mängel einbehaltenen Werklohn des Unternehmers nicht mehr entrichten muss. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 9. Mai
  186. 1996 - VII ZR 181/93, BauR 1996, 732, 733 = NJW 1996, 2370 = ZfBR 1996,
  187. 264). Die Kritik von Glöckner (BauR 1997, 529, 530) ist unbegründet. Der Senat
  188. hat nicht entschieden, dass der Schaden des Auftraggebers durch eine Anrechnung im Wege der Vorteilsausgleichung entfällt und dadurch einem Gesamtschuldnerausgleich die Grundlage genommen würde. Wird ein Werklohn
  189. dauerhaft einbehalten und steht fest, dass er nicht mehr zu zahlen ist, kommt
  190. das vielmehr einer Inanspruchnahme des Unternehmers wegen der Mängel und
  191. damit einer Erfüllung der Schuld durch diesen gleich. Eine weitere Inanspruchnahme des Architekten scheidet dann aus.
  192. 20
  193. b) Die Ermittlung des einbehaltenen Betrages, der der Widerklägerin zur
  194. Mängelbeseitigung zur Verfügung steht und ihren Anspruch mindert, ist jedoch
  195. verfahrensfehlerhaft erfolgt. Das Berufungsgericht hat unter Verstoß gegen den
  196. - 10 -
  197. Anspruch der Widerklägerin auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, zu deren Nachteil angenommen, der ursprünglich vereinbarte Werklohn erhöhe sich
  198. wegen von der Widerklägerin erteilter Nachträge um 404.491,59 DM.
  199. 21
  200. Die Widerklägerin hat im insoweit nicht nachgelassenen Schriftsatz vom
  201. 8. November 2005 Nachträge in dieser Höhe bestritten. Sie hat dargelegt, dass
  202. der G. GmbH aufgrund von nachträglichen Beauftragungen lediglich ein zusätzlicher Werklohnanspruch in Höhe von 205.833,00 DM zusteht. Diesen Vortrag
  203. hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt. Nachdem
  204. das Berufungsgericht noch in seinem Hinweisbeschluss vom 26. Mai 2005 die
  205. Auffassung vertreten hat, es dürfte auf die Höhe der an die G. GmbH zu zahlenden Summe nicht ankommen, war es nach dem erst in der letzten mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2005 erfolgten Hinweis auf seine davon
  206. abweichende Rechtsauffassung verpflichtet, den Parteien Gelegenheit zu geben, auf die neue Prozesssituation zu reagieren und den Tatsachenvortrag zu
  207. ergänzen (BGH, Beschluss vom 15. Februar 2005 - XI ZR 144/03, BGHReport
  208. 2005, 936 = FamRZ 2005, 700 m.w.N.). Auf den erheblichen Vortrag der Widerklägerin hätte es die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen. Dieser
  209. Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass
  210. die Widerklage auf der Grundlage des Vortrages der Widerklägerin in vollem
  211. Umfang Erfolg hat. Der Schaden könnte bis zu 174.712,32 € betragen, so dass
  212. der Klageantrag über 141.630,02 € ausgeschöpft wäre.
  213. 2. Zu Unrecht vertritt das Berufungsgericht die Auffassung, die Beklagte
  214. 22
  215. könne ihren Schadensersatzanspruch nicht geltend machen, weil sie einen Betrag an die G. GmbH gezahlt habe, der den von den Widerbeklagten nach
  216. Rechnungsprüfung freigegebenen Betrag um 1.336.580,38 DM überschritten
  217. habe.
  218. - 11 -
  219. 23
  220. a) Grundsätzlich haftet der Architekt für Bauaufsichtsfehler dem Auftraggeber auf Schadensersatz, wenn es infolge des Fehlers zu einem Mangel des
  221. Bauwerks gekommen ist. Der Schadensersatzanspruch kann in Höhe der Mängelbeseitigungskosten berechnet werden. Der Architekt und der Unternehmer
  222. sind im Umfang ihrer Haftung Gesamtschuldner (BGH, Beschluss vom 1. Februar 1965 - GSZ 1/64, BGHZ 43, 227, 230 f.). Dem Auftraggeber steht es
  223. grundsätzlich frei, ob er wegen eines Mangels am Bauwerk den Unternehmer
  224. oder den Architekten, der seine Aufsichtspflicht verletzt hat, in Anspruch nehmen will.
  225. 24
  226. b) Allerdings kann sich die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners
  227. als rechtsmissbräuchlich darstellen. Der Gläubiger darf bei seinem Entschluss,
  228. gegen welchen Gesamtschuldner er vorgeht, nicht jede Rücksichtnahme auf
  229. den anderen vermissen lassen. Er hat vielmehr seine Rechte nach Treu und
  230. Glauben auszuüben, § 242 BGB. So kann der Auftraggeber ausnahmsweise
  231. gehindert sein, einen Architekten wegen eines Bauaufsichtsfehlers in Anspruch
  232. zu nehmen, wenn und soweit er auf einfachere, insbesondere billigere Weise
  233. von dem Unternehmer die Beseitigung des Mangels verlangen kann (BGH,
  234. Urteil vom 2. Mai 1963 - VII ZR 171/61, BGHZ 39, 261, 264).
  235. 25
  236. Geht es allein um den finanziellen Ausgleich des Schadens, ist einem
  237. Gesamtschuldner in der Regel jedoch der Einwand versagt, der Gläubiger hätte
  238. sich durch rechtzeitigen Zugriff bei dem anderen Gesamtschuldner befriedigen
  239. können und müssen. Etwas anderes kann gelten, wenn der Gläubiger arglistig
  240. handelt, wenn also sein Vorgehen im Hinblick auf die besonderen Umstände
  241. des Falles sich als Missbrauch seines Rechts darstellen würde, die Leistung
  242. nach Belieben von jedem Schuldner zu fordern. Als rechtsmissbräuchliches
  243. Verhalten wäre das Verhalten des Gläubigers anzusehen, wenn er sich nur
  244. deswegen an einen von mehreren Gesamtschuldnern halten und ihm das Re-
  245. - 12 -
  246. gressrisiko aufbürden würde, weil er aus missbilligenswerten Motiven die Absicht hat, gerade diesen Schuldner zu belasten (BGH, Urteil vom 22. Januar
  247. 1991 - XI ZR 342/89, NJW 1991, 1289; vgl. auch Glöckner, BauR 1997, 529,
  248. 533).
  249. 26
  250. c) Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht zu Unrecht der Widerklägerin die Inanspruchnahme des Widerbeklagten zu 1 versagt. Es hat keinen
  251. Sachverhalt festgestellt, nach dem der Widerklägerin ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen wäre. Es sind keine Anhaltspunkte dafür mitgeteilt,
  252. dass die Widerklägerin mit der Absicht Zahlungen an die G. GmbH geleistet
  253. hätte, die Widerbeklagten treuwidrig mit der Schadensersatzforderung wegen
  254. mangelhafter Bauaufsicht bei der Herstellung der Wärmedämmung zu belasten.
  255. Es ist nicht einmal festgestellt, dass die Widerklägerin bei der Zahlung an die
  256. G. GmbH eine Inanspruchnahme der Widerbeklagten erwogen hätte. Auch fehlen jegliche Feststellungen dazu, dass die Widerklägerin aus zu missbilligenden
  257. Gründen an die G. GmbH gezahlt hätte. Die Widerbeklagten haben selbst darauf hingewiesen, dass die Zahlung erfolgt sein könnte, um den Fortgang der
  258. Arbeiten sicherzustellen. Das sind keine zu missbilligenden Gründe. Die allgemeinen Erwägungen des Berufungsgerichts, ein Bauherr verhalte sich missbräuchlich, wenn er entgegen den Empfehlungen seiner Architekten sein Leistungsverweigerungsrecht aufgebe, sind in dieser Allgemeinheit nicht nur rechtsfehlerhaft, sondern entbehren überdies einer fallbezogenen Grundlage. Denn
  259. es fehlen auch jegliche Feststellungen dazu, inwieweit solche Empfehlungen
  260. wegen Mängeln ausgesprochen worden sind und in welchem Umfang sie auch
  261. aus der Sicht der Widerklägerin berechtigt waren. Das Berufungsgericht hat
  262. weder festgestellt, welcher Betrag der G. GmbH im Zeitpunkt der Freigabeerklärung zustand noch in welcher Höhe berechtigt Einbehalte hätten vorgenommen
  263. werden können. Ebenso wenig hat es festgestellt, aus welchen Gründen die
  264. Widerklägerin einen höheren Betrag gezahlt hat. Seine Erwägungen beruhen
  265. - 13 -
  266. allein auf der Mitteilung, die Architekten hätten lediglich einen Betrag von
  267. 8.111.987,32 DM
  268. freigegeben,
  269. die
  270. Widerklägerin
  271. habe
  272. hingegen
  273. 9.448.567,70 DM gezahlt.
  274. III.
  275. 27
  276. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben, soweit die Widerklage gegen
  277. den Widerbeklagten zu 1 abgewiesen worden ist. Insoweit ist die Sache an das
  278. Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  279. 28
  280. Das Berufungsgericht wird den Parteien Gelegenheit geben müssen, zu
  281. den weiteren im Revisionsverfahren erhobenen Rügen ergänzend vorzutragen.
  282. Auf dieser Grundlage wird es den Sach- und Streitstoff zur Berechtigung des
  283. Anspruchs und zur Höhe des Schadens erneut zu prüfen haben.
  284. 29
  285. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Vortrag des Widerbeklagten zu 1 zu den der Widerklägerin angeblich erteilten Hinweisen auf die
  286. mangelhafte Ausführung der Dämmung auch unter dem Gesichtspunkt zu prüfen ist, ob das sich daran anschließende Verhalten der Widerklägerin ein Mit-
  287. - 14 -
  288. verschulden rechtfertigt. Soweit das zu bejahen und der Sachverhalt streitig ist,
  289. wird das Berufungsgericht die Zeugen zu hören haben.
  290. Dressler
  291. Kuffer
  292. Bauner
  293. Kniffka
  294. Safari Chabestari
  295. Vorinstanzen:
  296. LG Potsdam, Entscheidung vom 14.10.1999 - 32 O 736/98 OLG Brandenburg, Entscheidung vom 14.12.2005 - 4 U 167/99 -