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13 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VII ZR 170/16
  5. Verkündet am:
  6. 30. März 2017
  7. Boppel,
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 307 Abs. 1 Satz 1 Bf.
  19. Die von einem Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellten Formularklauseln
  20. Die
  21. Parteien
  22. vereinbaren
  23. - unabhängig
  24. von
  25. einer
  26. Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen
  27. Sicherheitsleistung durch den Auftraggeber in Höhe von 5 % der
  28. Brutto-Abrechnungssumme
  29. für
  30. die
  31. Sicherstellung
  32. der
  33. Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung
  34. von Überzahlungen.
  35. Der Auftragnehmer ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen
  36. Vorlage
  37. einer
  38. unbefristeten,
  39. selbstschuldnerischen
  40. und
  41. unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder
  42. Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger
  43. Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder
  44. fehlender Leistungen.
  45. ECLI:DE:BGH:2017:300317UVIIZR170.16.0
  46. -2-
  47. sind bei der gebotenen Gesamtbeurteilung wegen unangemessener Benachteiligung
  48. des Auftragnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (Fortführung von
  49. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29).
  50. BGH, Urteil vom 30. März 2017 - VII ZR 170/16 - OLG Jena
  51. LG Gera
  52. -3-
  53. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  54. vom 30. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Eick, den Richter
  55. Dr. Kartzke und die Richterinnen Graßnack, Sacher und Borris
  56. für Recht erkannt:
  57. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des
  58. Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 25. Mai 2016 im
  59. Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der
  60. Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich
  61. Zinsen zurückgewiesen worden ist.
  62. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  63. und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  64. Von Rechts wegen
  65. Tatbestand:
  66. 1
  67. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung von Restwerklohn für
  68. Bauarbeiten.
  69. 2
  70. Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit schriftlichem "Bauwerkvertrag
  71. nach BGB" vom 25./26. Juni 2012 (im Folgenden: Bauwerkvertrag) mit der Errichtung eines Rohbaus für einen Anbau (Einliegerwohnung/Erweiterungsbau
  72. -4-
  73. zum bestehenden Einfamilienhaus) in J. zum Pauschalpreis von brutto
  74. 150.000 €.
  75. 3
  76. § 22 des Bauwerkvertrags lautet auszugsweise:
  77. "§ 22 Sicherheitseinbehalt
  78. 22.1 Die Parteien vereinbaren - unabhängig von einer Ausführungsbürgschaft - den Einbehalt einer unverzinslichen Sicherheitsleistung durch den AG [= Auftraggeber] in Höhe von 5 % der
  79. Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen.
  80. 22.2 Der AN [= Auftragnehmer] ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt gegen Vorlage einer unbefristeten, selbstschuldnerischen
  81. und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder
  82. Versicherung abzulösen; frühestens jedoch nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlender Leistungen. …"
  83. 4
  84. Die
  85. Klägerin
  86. kündigte
  87. den
  88. Vertrag
  89. mit
  90. Anwaltsschreiben
  91. vom
  92. 4. Juni 2013 wegen fehlender Baufreiheit. Sie erteilte am 17. Juni 2013
  93. Schlussrechnung, mit der sie einen Restbetrag von 59.469,09 € geltend machte. Die Beklagte kündigte den Vertrag mit Schreiben vom 1. Juli 2013 wegen
  94. Schuldnerverzugs.
  95. 5
  96. In einem vom 10. Juli 2013 datierenden, von der Beklagten und dem Architekten O., nicht aber von der Klägerin unterschriebenen Abnahmeprotokoll
  97. sind Mängel und nicht erfolgte Restarbeiten aufgeführt.
  98. 6
  99. Die Klägerin hat in erster Instanz Restwerklohn zuletzt in Höhe von
  100. 59.169,09 € nebst Zinsen gefordert. Das Landgericht hat die Beklagte nach
  101. Beweisaufnahme verurteilt, an die Klägerin 14.063,08 € nebst Zinsen zu zahlen.
  102. Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen
  103. dieses Urteil sind erfolglos geblieben.
  104. -5-
  105. 7
  106. Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin die Revision zugelassen, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe des Sicherheitseinbehalts in Höhe von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme (= 7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen hat der Senat die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil zurückgewiesen.
  107. 8
  108. Mit der Revision verfolgt die Klägerin den nicht zuerkannten Werklohnanspruch zuzüglich Zinsen im Umfang der Zulassung der Revision weiter.
  109. Entscheidungsgründe:
  110. 9
  111. Die Revision der Klägerin führt im angefochtenen Umfang zur Aufhebung
  112. des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  113. I.
  114. 10
  115. Das Berufungsgericht führt, soweit für die Revision von Bedeutung, im
  116. Wesentlichen Folgendes aus:
  117. 11
  118. Bezüglich des Sicherheitseinbehalts sei die Berufung unbegründet. Das
  119. Landgericht habe den Sicherheitseinbehalt zu Recht von der Klageforderung
  120. abgezogen. Er sei entgegen der Ansicht der Klägerin wirksam vereinbart. Dem
  121. stehe nicht entgegen, dass ein Einbehalt nicht nur wegen wesentlicher, sondern
  122. auch wegen unwesentlicher Mängel zugelassen sei.
  123. -6-
  124. 12
  125. Auch die fehlende Regelung über eine Einzahlung auf ein Sperrkonto
  126. führe nicht zur Unwirksamkeit der Klausel. Denn eine solche Anforderung stelle
  127. nur § 17 VOB/B. Die VOB/B sei aber im vorliegenden Fall nicht wirksam in den
  128. Bauvertrag einbezogen worden. Deshalb sei auch die Sperrkontoregelung des
  129. § 17 VOB/B nicht anzuwenden.
  130. 13
  131. Einer Wirksamkeit der Einbehaltsklausel stehe auch nicht entgegen,
  132. dass ein Sicherheitseinbehalt neben einem Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht werden könne.
  133. II.
  134. 14
  135. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Berufung der Klägerin in Höhe
  136. des Sicherheitseinbehalts (7.470,72 €) zuzüglich Zinsen nicht zurückgewiesen
  137. werden.
  138. 15
  139. 1. Für die Revisionsinstanz ist mangels gegenteiliger Feststellungen des
  140. Berufungsgerichts davon auszugehen, dass es sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 und § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen
  141. ausgehandelt sind.
  142. 16
  143. 2. Auf dieser Grundlage ist die Vereinbarung eines Einbehalts "in Höhe
  144. von 5 % der Brutto-Abrechnungssumme für die Sicherstellung der Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und die Erstattung von Überzahlungen"
  145. gemäß § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des Bauwerkvertrags wegen unangemessener
  146. Benachteiligung der Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
  147. -7-
  148. 17
  149. a) Nach dieser Vorschrift ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung
  150. unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall,
  151. wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene
  152. Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne
  153. von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm
  154. einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteile vom
  155. 16. Februar 2017
  156. - VII ZR 242/13
  157. - III ZR 264/15,
  158. NJW-RR 2016,
  159. - IV ZR 172/15,
  160. VersR 2016,
  161. Rn. 22;
  162. 1387
  163. 1420
  164. vom
  165. Rn. 25;
  166. Rn. 27
  167. 22. September 2016
  168. vom
  169. und
  170. 7. September 2016
  171. vom
  172. 16. Juni 2016
  173. - VII ZR 29/13, BauR 2016, 1475 Rn. 15 = NZBau 2016, 556).
  174. 18
  175. Bei der Prüfung, ob eine vom Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellte
  176. Klausel, mit der ein Sicherheitseinbehalt vereinbart wird, den Auftragnehmer
  177. entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt,
  178. sind nicht nur Höhe und Dauer des Einbehalts, sondern auch der Regelungszusammenhang, in dem die Klausel steht, zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für die Art, wie der Einbehalt abgelöst werden kann (vgl. BGH, Urteil vom
  179. 5. Juni 1997 - VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27, 30, juris Rn. 12). Sicherungseinbehalt und Ablösungsmöglichkeit sind untrennbar miteinander verknüpft, was
  180. eine einheitliche, die wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien berücksichtigende Gesamtbeurteilung des die Sicherungsvereinbarung betreffenden
  181. Regelungsgefüges
  182. gebietet
  183. (vgl.
  184. BGH,
  185. Urteil
  186. vom
  187. 12. Februar 2009
  188. - VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rn. 20 m.w.N.).
  189. 19
  190. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs benachteiligt eine vom Auftraggeber in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel, nach der der Auftraggeber für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Einbehalt zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche
  191. vornehmen darf, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und
  192. -8-
  193. Glauben unangemessen, wenn diesem kein angemessener Ausgleich dafür
  194. zugestanden wird, dass er, der Auftragnehmer, den Werklohn nicht sofort ausgezahlt bekommt, das Bonitätsrisiko für die Dauer der Gewährleistungsfrist tragen
  195. muss
  196. Werklohns
  197. und
  198. ihm
  199. vorenthalten
  200. die
  201. Liquidität
  202. werden
  203. (BGH,
  204. sowie
  205. die
  206. Beschluss
  207. Verzinsung
  208. vom
  209. des
  210. 24. Mai 2007
  211. - VII ZR 210/06, NZBau 2007, 583 Rn. 6 m.w.N. = BauR 2007, 1575, 1576).
  212. 20
  213. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine vom Auftraggeber in
  214. Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gestellte Klausel,
  215. wonach ein Sicherheitseinbehalt in Höhe von 5 % der Bausumme für die Dauer
  216. der fünfjährigen Gewährleistungsfrist durch eine selbstschuldnerische unbefristete Bürgschaft abgelöst werden kann, nicht gemäß § 9 Abs. 1 AGBG
  217. (nunmehr:
  218. § 307
  219. Abs. 1
  220. Satz 1
  221. BGB)
  222. unwirksam
  223. (BGH,
  224. Urteil
  225. vom
  226. 13. November 2003 - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rn. 15 f.). Dem
  227. liegt die Überlegung zu Grunde, dass die in der Zinsbelastung und der Einschränkung der Kreditlinie liegenden Nachteile bei Bereitstellung einer derartigen Bürgschaft in Anbetracht der berechtigten Sicherungsinteressen des Auftraggebers nicht als so gewichtig erscheinen, dass ihretwegen die Unwirksamkeit der Klausel angenommen werden müsste (BGH, Urteil vom 26. Februar
  228. 2004 - VII ZR 247/02, BauR 2004, 841, 843, juris Rn. 20 = NZBau 2004, 323).
  229. 21
  230. Eine solche Klausel ist indes nach § 9 Abs. 1 AGBG (nunmehr: § 307
  231. Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam, wenn die Ablösung des Sicherheitseinbehalts
  232. zusätzlich davon abhängig gemacht wird, dass wesentliche Mängel nicht (mehr)
  233. vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02,
  234. BGHZ 157, 29, 31 f., juris Rn. 15 und 17).
  235. 22
  236. b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die formularmäßige Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts gemäß § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 des
  237. Bauwerkvertrags unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
  238. -9-
  239. 23
  240. Die Vertragsbestimmungen § 22.1 und § 22.2 Satz 1 bilden entsprechend dem vorstehend Ausgeführten eine untrennbare Einheit; sie unterliegen
  241. einer Gesamtbeurteilung.
  242. 24
  243. Die getroffene Regelung benachteiligt die Klägerin als Auftragnehmerin
  244. entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Das ergibt sich
  245. jedenfalls aus der Einschränkung, dass eine Ablösungsmöglichkeit bezüglich
  246. des Sicherheitseinbehalts frühestens nach vollständiger Beseitigung der im Abnahmeprotokoll festgestellten Mängel oder fehlenden Leistungen besteht. Diese
  247. Einschränkung ist so weitreichend, dass ein angemessener Ausgleich zu den
  248. mit dem Sicherheitseinbehalt für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen
  249. nicht mehr zugestanden wird (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003
  250. - VII ZR 57/02, BGHZ 157, 29, 32, juris Rn. 17). Die Frage, ob im Abnahmeprotokoll festgestellte Mängel vollständig beseitigt sind, kann Gegenstand langwieriger Kontroversen sein, die sich über die Dauer der Verjährungsfrist für die
  251. Mängelansprüche hinziehen können. Jeder diesbezügliche Streit kann zur Blockade der Ablösungsmöglichkeit führen, so dass es dann bei dem Sicherheitseinbehalt und den mit diesem für den Auftragnehmer verbundenen Nachteilen
  252. bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, aaO). Entsprechendes gilt bezüglich etwaiger im Abnahmeprotokoll als fehlend festgestellter
  253. Leistungen.
  254. III.
  255. 25
  256. Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehenbleiben, soweit
  257. die
  258. Berufung
  259. der
  260. Klägerin
  261. in
  262. Höhe
  263. des
  264. Sicherheitseinbehalts
  265. (7.470,72 €) zuzüglich Zinsen zurückgewiesen worden ist. In diesem Umfang ist
  266. das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat kann mangels hinreichender
  267. - 10 -
  268. Feststellungen in der Sache nicht selbst entscheiden (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO),
  269. weshalb die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.
  270. 26
  271. Das Berufungsgericht wird Feststellungen dazu zu treffen haben, ob es
  272. sich bei den Vertragsbestimmungen in § 22.1 mit § 22.2 Satz 1 um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die nicht im Einzelnen ausgehandelt sind.
  273. Eick
  274. Kartzke
  275. Sacher
  276. Graßnack
  277. Borris
  278. Vorinstanzen:
  279. LG Gera, Entscheidung vom 27.08.2015 - 2 O 853/13 OLG Jena, Entscheidung vom 25.05.2016 - 7 U 702/15 -