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313 lines
17 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VII ZB 1/13
  4. vom
  5. 1. August 2013
  6. in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. a) FamFG § 116 Abs. 3, § 120 Abs. 1; ZPO § 775 Nr. 1, § 717 Abs. 1
  14. Wird in einer Familienstreitsache ein Versäumnisbeschluss, in dem die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet wurde, nach Einspruch des
  15. Schuldners aufgehoben, ist die Zwangsvollstreckung gemäß § 775 Nr. 1
  16. ZPO einzustellen, ohne dass es in dem aufhebenden Beschluss einer Anordnung der sofortigen Wirksamkeit bedarf.
  17. b) FamFG § 116 Abs. 3, § 120 Abs. 1; ZPO § 775 Nr. 1
  18. Wird in einer Familienstreitsache ein Versäumnisbeschluss, in dem die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet wurde, nach Einspruch des
  19. Schuldners aufrecht erhalten und diese Entscheidung nicht für sofort wirksam erklärt, ist die Zwangsvollstreckung gemäß § 775 Nr. 1 ZPO einzustellen.
  20. BGH, Beschluss vom 1. August 2013 - VII ZB 1/13 - LG Wiesbaden
  21. AG Wiesbaden
  22. -2-
  23. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. August 2013 durch den
  24. Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die Richterin Safari Chabestari und die
  25. Richter Dr. Eick, Kosziol und Dr. Kartzke
  26. beschlossen:
  27. Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners werden die Beschlüsse der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 22. November und 12. Dezember 2012 aufgehoben.
  28. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss
  29. des
  30. Amtsgerichts
  31. - Vollstreckungsgericht -
  32. Wiesbaden
  33. vom
  34. 23. Oktober 2012 abgeändert.
  35. Die Zwangsvollstreckung wird hinsichtlich der Unterhaltsrückstände vom 18. Februar 2010 bis 30. Juni 2012 eingestellt.
  36. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts
  37. - Vollstreckungsgericht - Wiesbaden vom 3. September 2012 wird
  38. aufgehoben, soweit darin die Forderungen des Schuldners gegenüber den Drittschuldnerinnen wegen rückständigen Elementarund Altersvorsorgeunterhalts vom 18. Februar 2010 bis 30. Juni
  39. 2012 gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen
  40. worden sind.
  41. Die Gläubigerin hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
  42. -3-
  43. Gründe:
  44. I.
  45. 1
  46. Die Gläubigerin betreibt gegen ihren geschiedenen Ehemann die
  47. Zwangsvollstreckung aus einem Unterhaltstitel. Der Schuldner begehrt die Einstellung der Zwangsvollstreckung hinsichtlich titulierter Unterhaltsrückstände.
  48. 2
  49. Das Amtsgericht - Familiengericht - (im Folgenden nur: Familiengericht)
  50. verpflichtete den Schuldner mit Teil-Versäumnisbeschluss und Beschluss vom
  51. 19. Juli 2012, an die Gläubigerin rückständigen und laufenden Elementar- und
  52. Altersvorsorgeunterhalt zu zahlen. Die Entscheidung wurde insgesamt für sofort
  53. wirksam erklärt.
  54. 3
  55. Auf Antrag der Gläubigerin erließ das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - am 3. September 2012 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss,
  56. mit dem wegen ihrer Ansprüche aus dem Unterhaltstitel die Forderungen des
  57. Schuldners gegenüber den Drittschuldnerinnen gepfändet und ihr zur Einziehung überwiesen wurden.
  58. 4
  59. Das Familiengericht hielt mit Beschluss vom 5. Oktober 2012 den TeilVersäumnisbeschluss vom 19. Juli 2012 insoweit aufrecht, als der Schuldner
  60. dadurch verpflichtet wurde, an die Gläubigerin einen rückständigen Elementarunterhalt in Höhe von 14.251 € und rückständigen Altersvorsorgeunterhalt in
  61. Höhe von 3.175 € für die Zeit vom 18. Februar 2010 bis 30. Juni 2012 nebst
  62. Zinsen und ab dem 1. Juli 2012 bis zum 31. Dezember 2012 monatlich im Voraus einen Elementarunterhalt von 609 € zuzüglich Altersvorsorgeunterhalt von
  63. 135 € nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen wurde der Teil-Versäumnisbeschluss
  64. aufgehoben und der Antrag der Gläubigerin zurückgewiesen. Die Entscheidung
  65. wurde hinsichtlich des laufenden Unterhalts für sofort wirksam erklärt.
  66. -4-
  67. 5
  68. Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat mit Beschluss vom 23. Oktober 2012 die Zwangsvollstreckung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 3. September 2012 bis zur rechtskräftigen erstinstanzlichen
  69. Endentscheidung hinsichtlich der Unterhaltsrückstände vom 18. Februar 2010
  70. bis 30. Juni 2012 ohne Sicherheitsleistung und hinsichtlich des laufenden Unterhalts ab dem 1. Juli 2012 bis 31. Dezember 2012 gegen Sicherheitsleistung
  71. in Höhe der jeweils monatlich fälligen Beträge unter Aufrechterhaltung der
  72. Pfändung einstweilen eingestellt.
  73. 6
  74. Gegen diesen Beschluss hat der Schuldner mit Schriftsatz vom 6. November 2012 sofortige Beschwerde eingelegt mit dem Ziel einer unbedingten
  75. Einstellung der Zwangsvollstreckung hinsichtlich des rückständigen Unterhalts.
  76. Nach Nichtabhilfe durch den Rechtspfleger hat das Landgericht - Einzelrichter mit Beschluss vom 22. November 2012 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Auf die Gehörsrüge des Schuldners hat das Landgericht das Beschwerdeverfahren fortgeführt. Nach Übertragung des Verfahrens auf die Kammer hat
  77. diese
  78. mit
  79. Beschluss
  80. vom
  81. 12. Dezember
  82. 2012
  83. den
  84. Beschluss
  85. vom
  86. 22. November 2012 im Hauptausspruch aufrechterhalten. Mit der zugelassenen
  87. Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin erreichen, dass die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Unterhaltsrückstände dauerhaft ohne Sicherheitsleistung eingestellt wird.
  88. II.
  89. 7
  90. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
  91. 8
  92. 1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Voraussetzungen gemäß § 775 Nr. 1, § 776 ZPO für die beantragte Einstellung der Zwangsvollstre-
  93. -5-
  94. ckung lägen nicht vor. Endentscheidungen in Familienstreitsachen seien gemäß
  95. § 120 Abs. 2 Satz 1, § 116 Abs. 3 Satz 1 FamFG nur vollstreckbar, wenn sie
  96. rechtskräftig seien oder gemäß § 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG ihre sofortige Wirksamkeit angeordnet worden sei.
  97. 9
  98. Soweit das Familiengericht durch Beschluss vom 5. Oktober 2012 seinen
  99. Versäumnisbeschluss vom 19. Juli 2012 teilweise aufgehoben habe, sei für
  100. Maßnahmen nach den § 775 Nr. 1, § 776 ZPO kein Raum, weil der Beschluss
  101. weder rechtskräftig noch für sofort wirksam erklärt worden sei.
  102. 10
  103. Soweit der Teil-Versäumnisbeschluss vom 19. Juli 2012 aufrechterhalten
  104. worden sei, habe auch die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit weiter Bestand. Es handele sich insoweit um eine Endentscheidung, aus der bei Anordnung oder Fortbestand der sofortigen Wirksamkeit vollstreckt werden könne.
  105. 11
  106. 2. Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
  107. 12
  108. a) Gemäß § 775 Nr. 1 ZPO ist die Zwangsvollstreckung unter anderem
  109. dann einzustellen, wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung
  110. vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine
  111. vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben ist. Diese Vorschrift ist gemäß § 120
  112. Abs. 1 FamFG in Familienstreitsachen entsprechend anzuwenden.
  113. 13
  114. b) Die Voraussetzungen des § 775 Nr. 1 ZPO sind erfüllt.
  115. 14
  116. aa) Gemäß § 116 Abs. 3 FamFG werden Endentscheidungen in Familienstreitsachen erst mit Rechtskraft wirksam, sofern das Gericht nicht die sofortige Wirksamkeit angeordnet hat. Die Wirksamkeit der Entscheidung ist Voraussetzung für ihre Vollstreckbarkeit, § 120 Abs. 2 Satz 1 FamFG. Die Zwangsvollstreckung aus einem in einer Familienstreitsache ergangenen Unterhaltstitel,
  117. dessen sofortige Wirksamkeit angeordnet wurde, ist daher in entsprechender
  118. Anwendung des § 775 Nr. 1 ZPO einzustellen, wenn ihm durch eine im Sinne
  119. -6-
  120. dieser Vorschrift vollstreckbare Entscheidung die sofortige Wirksamkeit genommen wird.
  121. 15
  122. bb) Das ist zunächst der Fall, soweit das Familiengericht mit dem Beschluss vom 5. Oktober 2012 seine Entscheidung über die Verpflichtung des
  123. Schuldners zur Zahlung rückständigen Unterhalts aufgehoben und den Antrag
  124. zurückgewiesen hat.
  125. 16
  126. (1) Der gemäß § 113 Abs.1 Satz 2 FamFG, § 331 ZPO, § 116 Abs. 1
  127. FamFG ergangene Beschluss des Familiengerichts vom 19. Juli 2012 hat durch
  128. die nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG getroffene Entscheidung des Richters
  129. sofortige Wirksamkeit erlangt. Damit war die vorläufige Vollstreckbarkeit dieses
  130. Beschlusses auch hinsichtlich des rückständigen Unterhalts eröffnet, § 120
  131. Abs. 2 Satz 1 FamFG. Einer gesonderten Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 224).
  132. 17
  133. (2) Mit der Entscheidung vom 5. Oktober 2012 ist die Vollstreckbarkeit
  134. des Beschlusses vom 19. Juli 2012 in entsprechender Anwendung des § 717
  135. Abs. 1 ZPO entfallen. Die Entscheidung des Familiengerichts vom 5. Oktober
  136. 2012 ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts vollstreckbar im
  137. Sinne einer entsprechenden Anwendung des § 775 Nr. 1 ZPO. Eine den Vollstreckungstitel aufhebende Entscheidung bedarf im Grundsatz keiner Vollstreckbarkeitserklärung. Sie ist an sich ohne weiteres vollstreckbar (vgl. Hahn,
  138. Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, zu §§ 640, 641 ZPO; OLG
  139. Köln, JMBl. NW 1970, 70; Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 708
  140. Rn. 19, § 717 Rn. 1; wohl auch Salzmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl.,
  141. §§ 775, 776 Rn. 17; MünchKommZPO/Schmidt/Brinkmann, 4. Aufl., § 775
  142. Rn. 12; Hk-ZPO/Kindl, 5. Aufl., § 775 Rn. 4; Scheuch in Prütting/Gehrlein, ZPO,
  143. 5. Aufl., § 775 Rn. 6; Raebel in Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 775 ZPO Rn. 7; a.A. Baumbach/Lauterbach/
  144. Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl., § 775 Rn. 10). Der Senat muss nicht ent-
  145. -7-
  146. scheiden, ob gleichwohl das Vollstreckungsorgan die Zwangsvollstreckung aus
  147. einem nach der Zivilprozessordnung ergangenen Beschluss nur dann einstellen
  148. darf, wenn ihm die Ausfertigung einer ausdrücklich für vollstreckbar erklärten
  149. Entscheidung vorgelegt wird (vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 1985, 1730; OLG
  150. Karlsruhe, JZ 1984, 635; OLG München, MDR 1982, 238; OLGZ Frankfurt
  151. 1968, 436). Jedenfalls eine Entscheidung nach § 116 Abs. 1 FamFG bedarf
  152. keiner solchen ausdrücklichen Vollstreckbarkeitserklärung. Denn diese ist im
  153. Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
  154. freiwilligen Gerichtsbarkeit, anders als in der Zivilprozessordnung, vgl. §§ 708,
  155. 709 ZPO, nicht vorgesehen. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit soll die
  156. Zwangsvollstreckung der Entscheidungen ermöglichen. Sie hat nicht den
  157. Zweck, eine vollstreckbare Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO herbeizuführen. Es reicht deshalb für die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus
  158. einem nach § 116 Abs. 1 FamFG ergangenen Titel aus, wenn eine ebenfalls
  159. nach § 116 Abs. 1 FamFG ergangene Entscheidung vorgelegt wird, die die vorherige Entscheidung aufhebt.
  160. 18
  161. cc) Die Voraussetzungen des § 775 Nr. 1 ZPO liegen auch vor, soweit
  162. das Familiengericht durch seinen Beschluss vom 5. Oktober 2012 die Entscheidung über die Verpflichtung des Schuldners zur Zahlung rückständigen Unterhalts aufrechterhalten hat.
  163. 19
  164. (1) Aus dem Beschluss vom 5. Oktober 2012 ergibt sich, dass das Familiengericht die Wirksamkeit der Entscheidung vom 19. Juli 2012 über den rückständigen Unterhalt aufgehoben und ihr dadurch die Vollstreckbarkeit genommen hat. Das Familiengericht hat die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung nur für den laufenden Unterhalt angeordnet. Daraus wird deutlich, dass
  165. das Familiengericht geprüft hat, ob die im Beschluss vom 19. Juli 2012 angeordnete sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidungen zum rückständigen und
  166. laufenden Unterhalt aufrechterhalten bleiben soll. Aus dem Umstand, dass es
  167. -8-
  168. die entsprechende Entscheidung nur für den laufenden Unterhalt getroffen hat,
  169. wird unmissverständlich klar, dass das Familiengericht es nicht für geboten erachtet hat, der Entscheidung über den rückständigen Unterhalt sofortige Wirksamkeit zu verleihen und dementsprechend die im Beschluss vom 19. Juli 2012
  170. getroffene Anordnung nicht aufrechterhalten und damit aufgehoben hat. Diese
  171. Entscheidung steht im Übrigen in Übereinstimmung mit dem überkommenen
  172. Verständnis, wie das in § 116 Abs. 3 Satz 2 und 3 FamFG eingeräumte Ermessen bei Entscheidungen über Unterhaltsansprüche auszuüben sein könnte. Die
  173. Ausgestaltung des § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG als Sollvorschrift bringt die Bedeutung des Unterhalts zur Sicherung des Lebensbedarfs zum Ausdruck. Dementsprechend sollen im Wesentlichen Entscheidungen über den laufenden Unterhalt für sofort wirksam erklärt werden (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 412;
  174. Keidel/Weber, FamFG, 17. Aufl., § 116 Rn. 10; Prütting/Helms/Helms, FamFG,
  175. 2. Aufl., § 116 Rn. 26 ff.). Entscheidungen über länger zurückliegende Unterhaltsrückstände sollen dagegen grundsätzlich erst mit Rechtskraft wirksam
  176. werden und damit auch erst zu diesem Zeitpunkt vollstreckbar sein.
  177. 20
  178. Es kann entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht angenommen werden, dass das Familiengericht mit der teilweisen Aufrechterhaltung
  179. des Versäumnisbeschlusses keine Entscheidung über die sofortige Wirksamkeit
  180. des den rückständigen Unterhalt betreffenden Titels getroffen hat, so dass es
  181. bei der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit verbliebe und die Vollstreckbarkeit des Versäumnisbeschlusses vom 19. Juli 2012 unberührt wäre. Hätte das
  182. Familiengericht dies gewollt, hätte es überhaupt keine Entscheidung über die
  183. bereits angeordnete sofortige Wirksamkeit treffen müssen. Dahinstehen kann,
  184. ob die im Versäumnisbeschluss angeordnete sofortige Wirksamkeit nicht ohnehin dadurch entfällt, dass das Familiengericht nach Einspruch gegen den Versäumnisbeschluss eine Endentscheidung erlassen hat (vgl. zu der wohl vergleichbaren Lage nach Entscheidung über den Einspruch gegen ein Versäum-
  185. -9-
  186. nisurteil: Musielak/Lackmann, ZPO, 10. Aufl., § 709 Rn. 8 m.w.N. zum Streitstand).
  187. 21
  188. (2) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts stellt die Entscheidung des Familiengerichts vom 5. Oktober 2012 auch eine vollstreckbare
  189. Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO dar. Beschlüsse in Familienstreitsachen nach § 116 Abs. 1 FamFG werden nicht für vollstreckbar erklärt. Sie
  190. erhalten ihre Vollstreckbarkeit vielmehr dadurch, dass sie rechtskräftig oder für
  191. sofort wirksam erklärt werden, § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 2, § 120 Abs. 2
  192. FamFG. Wie bereits erwähnt, dient die Erklärung der sofortigen Wirksamkeit
  193. nicht dazu, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1
  194. ZPO herbeizuführen. Das wäre in dem Fall, dass ein nach § 116 Abs. 1 FamFG
  195. ergangener Titel aufrecht erhalten bleibt, dessen Vollstreckbarkeit aber genommen werden soll, auch nicht möglich. Will der Richter - wie hier - die in einem für sofort wirksam erklärten Beschluss getroffene Entscheidung über Unterhaltsleistungen der Höhe nach abändern und ihr die sofortige Wirksamkeit
  196. nehmen, kann er seiner Entscheidung nicht dadurch Durchsetzbarkeit verleihen, dass er ihre sofortige Wirksamkeit anordnet. Denn damit würde er genau
  197. das Gegenteil des Gewollten erreichen. Es muss deshalb für eine entsprechende Anwendung des § 775 Nr. 1 ZPO ausreichen, wenn sich aus einem nach
  198. § 116 Abs.1 FamFG ergangenen Titel ergibt, dass die Vollstreckbarkeit der zu
  199. vollstreckenden Entscheidung aufgehoben ist.
  200. 22
  201. (3) Schutzwürdige Interessen des Gläubigers werden dadurch nicht verletzt. Insbesondere kann nicht darauf verwiesen werden, dass ein nach der Zivilprozessordnung aus einem Versäumnisurteil vollstreckender Gläubiger besser stünde. Richtig ist zwar, dass das durch Endurteil aufrecht erhaltene Versäumnisurteil gemäß § 709 Satz 3 ZPO zwingend vorläufig vollstreckbar bleibt.
  202. Dem Gläubiger wird dadurch die Möglichkeit eröffnet, die bereits eingeleitete
  203. Zwangsvollstreckung gegebenenfalls gegen Sicherheitsleistung fortzusetzen,
  204. - 10 -
  205. § 751 Abs. 2 ZPO, und ein etwaiges Pfandrecht aufrecht zu erhalten. Diese
  206. Systematik der Zivilprozessordnung ist durch § 116 Abs. 3 FamFG modifiziert
  207. worden. Der Richter entscheidet nach freiem Ermessen, ob er seiner Entscheidung durch die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit die Vollstreckbarkeit verleiht. Die schützenswerten Interessen des Gläubigers werden dadurch gewahrt,
  208. dass sie bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind. Dabei kann
  209. auch das Interesse des Gläubigers berücksichtigt werden, etwaige durch eine
  210. bereits eingeleitete Zwangsvollstreckung erworbene Pfandrechte nicht zu verlieren. Eine Korrektur der nach § 116 Abs. 3 FamFG ergangenen Entscheidung
  211. im Zwangsvollstreckungsverfahren ist hingegen nicht möglich.
  212. 23
  213. c) Die mit Beschluss vom 19. Juli 2012 hinsichtlich des rückständigen
  214. Unterhalts getroffene Entscheidung ist demnach, auch soweit sie mit Beschluss
  215. vom 5. Oktober 2012 aufrechterhalten wurde, vor Rechtskraft dieser Entscheidung nicht mehr vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung ist hinsichtlich des
  216. rückständigen Unterhalts gemäß § 775 Nr. 1 ZPO einzustellen. Zugleich ist gemäß § 776 Abs. 1 ZPO von Amts wegen der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts - Vollstreckungsgericht - aufzuheben, soweit der
  217. rückständige Unterhalt betroffen ist.
  218. - 11 -
  219. 24
  220. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 Abs. 1 FamFG, § 91 Abs. 1
  221. ZPO.
  222. Kniffka
  223. Safari Chabestari
  224. Kosziol
  225. Eick
  226. Kartzke
  227. Vorinstanzen:
  228. AG Wiesbaden, Entscheidung vom 23.10.2012 - 65 M 10211/12 LG Wiesbaden, Entscheidung vom 12.12.2012 - 4 T 462/12 -