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7.6 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VII ZB 161/05
  4. vom
  5. 28. Juni 2006
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. InsO § 89 Abs. 2; BGB § 844 Abs. 2
  11. Zu den Gläubigern im Sinne des § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO gehören nicht Gläubiger von Schadensersatzansprüchen nach § 844 Abs. 2 BGB aus fahrlässig begangener unerlaubter Handlung.
  12. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2006 - VII ZB 161/05 - LG Hannover
  13. AG Hannover
  14. -2-
  15. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Juni 2006 durch den
  16. Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Hausmann, Dr. Kuffer, Bauner
  17. und die Richterin Safari Chabestari
  18. beschlossen:
  19. Die Rechtsbeschwerde der Gläubiger gegen den Beschluss des
  20. Landgerichts Hannover vom 14. Oktober 2005 wird kostenpflichtig
  21. zurückgewiesen.
  22. Der Antrag der Gläubiger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
  23. vom 24. November 2005 wird zurückgewiesen.
  24. Wert: bis 45.000 €
  25. Gründe:
  26. I.
  27. 1
  28. Die Schuldnerin ist durch rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 27. Juni
  29. 2002 u.a. zur Zahlung einer monatlichen Geldrente von je 375 € an die Gläubiger verurteilt. Dem liegt ein auf § 844 Abs. 2 BGB gegründeter Anspruch der
  30. Gläubiger gegen die Schuldnerin zugrunde.
  31. 2
  32. Die Gläubiger haben deswegen am 18. August 2005 gegen die Schuldnerin, eine Ärztin, den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses
  33. -3-
  34. in Höhe von 19.300,77 € (Rentenbeträge für die Zeit ab 1. August 2003) in deren Forderungen aus dem Abrechnungsverhältnis zur Drittschuldnerin, einer
  35. Kassenärztlichen Vereinigung, beantragt. Die Pfändung sollte auch die Ansprüche auf künftig fällig werdende Leistungen erfassen. Über das Vermögen der
  36. Schuldnerin ist am 9. Juli 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
  37. 3
  38. Der Rechtspfleger hat den Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Gläubiger ihr Begehren
  39. weiter.
  40. II.
  41. 4
  42. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und
  43. auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
  44. 5
  45. 1. Die Vorinstanzen sind der Ansicht, aufgrund des Vollstreckungsverbotes des § 89 InsO könne keine Pfändung erfolgen. Ersatzansprüche nach § 844
  46. Abs. 2 BGB könnten zwar nach § 850 f Abs. 2 ZPO vollstreckt werden, nicht
  47. jedoch nach § 850 d ZPO. Von § 850 f Abs. 2 ZPO seien nur Ansprüche aus
  48. einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung erfasst. Eine hierauf gestützte Anordnung könne nicht erfolgen, da sich aus dem zu vollstreckenden
  49. Versäumnisurteil nicht ergebe, dass aufgrund einer vorsätzlich begangenen
  50. unerlaubten Handlung vollstreckt werde. Im Übrigen gehe der Gläubigervertreter selbst davon aus, dass dem Titel ein Anspruch wegen fahrlässiger Tötung
  51. zugrunde liege.
  52. 6
  53. 2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
  54. -4-
  55. 7
  56. a) Gemäß § 89 Abs. 2 InsO sind Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge während der Dauer des Verfahrens auch
  57. für Gläubiger unzulässig, die keine Insolvenzgläubiger sind. Dies gilt nicht für
  58. die Zwangsvollstreckung von Gläubigern, die keine Insolvenzgläubiger sind,
  59. wegen eines Unterhaltsanspruchs oder einer Forderung aus einer vorsätzlichen
  60. unerlaubten Handlung in den Teil der Bezüge, der für andere Gläubiger nicht
  61. pfändbar ist.
  62. 8
  63. § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO unterfallen danach Forderungen für Unterhaltsund Deliktsgläubiger, die nach § 850 d, § 850 f Abs. 2 ZPO in erweitertem Umfang pfändbar sind, soweit diese Gläubiger keine Insolvenzgläubiger sind (Kroth
  64. in Braun, InsO, 2. Aufl., § 89 Rdn. 12; MünchKommInsO-Breuer, § 89 Rdn. 36;
  65. Eickmann, Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 89 Rdn. 3), etwa für
  66. Unterhaltsgläubiger nach Maßgabe des § 40 InsO.
  67. 9
  68. b) Zu diesen Gläubigern gehören die Beschwerdeführer nicht.
  69. 10
  70. aa) Der Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB ist kein Unterhaltsanspruch,
  71. sondern ein Schadensersatzanspruch (MünchKommBGB-Wagner, 4. Aufl.,
  72. § 844 Rdn. 29 m.w.N.). Für die Vollstreckung hieraus gilt nicht § 850 d Abs. 1
  73. Satz 1 ZPO; denn darunter fallen nur Unterhaltsansprüche, die kraft Gesetzes
  74. einem Verwandten, dem Ehegatten, einem früheren Ehegatten, dem Lebenspartner, einem früheren Lebenspartner oder nach §§ 1615 l, § 1615 n des Bürgerlichen Gesetzbuchs einem Elternteil zustehen (Stein/Jonas/Brehm, 21. Aufl.,
  75. § 850 d Rdn. 10 m.w.N.; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 850 d Rdn. 2; Rupp/
  76. Fleischmann, Rpfleger 1983, 377, 378).
  77. 11
  78. bb) Die Vorinstanzen haben auch nicht festgestellt, dass der Anspruch,
  79. aus dem die Vollstreckung betrieben wird, ein Anspruch aus einer vorsätzlichen
  80. -5-
  81. unerlaubten Handlung im Sinne des § 89 Abs. 2, Satz 2, 2. Alt. InsO, § 850 f
  82. Abs. 2 ZPO ist. Aus dem Versäumnisurteil ergibt sich das nicht; dem Vollstreckungsgericht wäre eine weitere Prüfung auch untersagt (vgl. zum Vollstreckungsbescheid BGH, Beschluss vom 5. April 2005 - VII ZB 17/05, NJW 2005,
  83. 1663). Nach dem Vortrag der Gläubiger ist das Versäumnisurteil wegen eines
  84. Schadensersatzanspruchs aus fahrlässiger Tötung ergangen. Auf die weitere
  85. Frage, ob und inwieweit die Gläubiger wegen der geltend gemachten Ansprüche Insolvenzgläubiger sind, kommt es daher nicht an.
  86. 12
  87. 3. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist § 89 Abs. 2 Satz 2
  88. 1. Alt. InsO auch nicht analog auf den Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB anzuwenden, weil keine Regelungslücke besteht (Stein/Jonas/Brehm, aaO Rdn. 10).
  89. Die Erweiterung der Vollstreckung wegen Schadensersatzansprüchen wird in
  90. § 89 Abs. 2, Satz 2, 2. Alt., § 850 f Abs. 2 ZPO geregelt. Danach ist die
  91. Zwangsvollstreckung bei einer unerlaubten Handlung nur dann privilegiert,
  92. wenn diese vorsätzlich begangen wurde. Würde man den Anspruch aus § 844
  93. Abs. 2 BGB als Unterhaltsanspruch im Sinne des § 89 Abs. 2, Satz 2, 1. Alt.
  94. InsO qualifizieren, würde dieser eindeutigen gesetzgeberischen Wertung zuwider gehandelt, wenn dem Anspruch eine fahrlässig begangene unerlaubte
  95. Handlung zugrunde liegt.
  96. 13
  97. Die Rechtsbeschwerde beruft sich zur Begründung vergeblich auf
  98. § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO, in dem der Schadensersatzanspruch aus § 844
  99. Abs. 2 BGB dem Unterhaltsanspruch gleichgestellt ist. § 850 b ZPO betrifft zum
  100. einen die Pfändbarkeit von Unterhaltsrenten und nicht die Pfändung wegen Unterhaltsansprüchen. Die Gleichstellung beruht dort zudem nicht darauf, dass der
  101. Anspruch § 844 Abs. 2 BGB als Unterhaltsrente im Sinne des § 850 b Abs. 1,
  102. Nr. 2, 1. Alt. ZPO angesehen wird, sondern weil die Unpfändbarkeit in § 850 b
  103. Abs. 1, Nr. 2, 2. Alt. ZPO ausdrücklich geregelt ist.
  104. -6-
  105. 14
  106. Die von der Rechtsbeschwerde zur weiteren Begründung des Erfordernisses einer analogen Anwendung behauptete Gefahr, dass sich der Schuldner
  107. des Anspruchs aus § 844 Abs. 2 BGB im Falle der Insolvenz Restschuldbefreiung erlangen kann, ist Ergebnis einer eindeutigen gesetzgeberischen Wertung.
  108. Verbindlichkeiten des Schuldners aus unerlaubter Handlung werden gemäß
  109. § 302 InsO nur dann nicht von der Erteilung einer Restschuldbefreiung berührt,
  110. wenn diese vorsätzlich begangen wurden.
  111. 15
  112. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist auch keine verfassungskonforme Auslegung des § 89 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. InsO dahin geboten,
  113. den Schadensersatzanspruch aus § 844 Abs.2 BGB einem Unterhaltsanspruch
  114. gleichzustellen. Die Regelung lässt keine Beeinträchtigung verfassungsrechtlich
  115. geschützter Rechte des Schadensersatzgläubigers erkennen.
  116. Dressler
  117. Hausmann
  118. Bauner
  119. Kuffer
  120. Safari Chabestari
  121. Vorinstanzen:
  122. AG Hannover, Entscheidung vom 25.08.2005 - 701 M 15991/05 LG Hannover, Entscheidung vom 14.10.2005 - 52 T 145/05 -