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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VI ZR 207/14
  4. vom
  5. 18. Dezember 2014
  6. in Sachen
  7. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2014 durch
  8. den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin Diederichsen, den Richter
  9. Pauge, die Richterin von Pentz und den Richter Offenloch
  10. beschlossen:
  11. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats
  12. vom 25. November 2014 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
  13. Gründe:
  14. 1
  15. Die gemäß § 321a ZPO erhobene Gehörsrüge ist nicht begründet.
  16. 2
  17. Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet, das Vorbringen
  18. der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Sie brauchen
  19. jedoch nicht das Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung
  20. ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 96, 205, 206 f.; BGH, Beschluss vom
  21. 24. Februar 2005 - III ZR 263/04, NJW 2005, 1432 f.). Nach § 544 Abs. 4 Satz 2
  22. ZPO kann das Revisionsgericht von einer Begründung des Beschlusses, mit
  23. dem es über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet, absehen, wenn diese nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter
  24. denen eine Revision zuzulassen ist. Von dieser Möglichkeit hat der Senat im
  25. vorliegenden Fall Gebrauch gemacht. Er hat bei seiner Entscheidung über die
  26. Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde das Vorbringen des Klägers in
  27. vollem Umfang geprüft, ihm aber keine Gründe für eine Zulassung der Revision
  28. entnehmen können.
  29. 3
  30. Ein Zulassungsgrund ist insbesondere nicht deswegen gegeben, weil
  31. das Berufungsgericht auf der Grundlage der Ausführungen der Sachverständi-
  32. -3-
  33. gen Prof. Dr. R. und Prof. Dr. St. einen Fehler in der Aufklärung der Mutter des
  34. Klägers über die Alternative einer Schnittentbindung und einen für die vom Kläger geltend gemachten Schäden ursächlichen Behandlungsfehler verneint hat.
  35. Der vertretbaren Würdigung der Begutachtung durch das Berufungsgericht hat
  36. die Nichtzulassungsbeschwerde lediglich die eigene, ihrer Auffassung günstige
  37. Würdigung entgegengesetzt, ohne einen die Zulassung der Revision begründenden Rechtsfehler aufzuzeigen. Die Zulassung der Revision ist nicht schon
  38. deshalb gerechtfertigt, weil sich die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung
  39. - nach Auffassung des Klägers - nicht hinreichend mit der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung auseinandergesetzt hat.
  40. 4
  41. Vertretbar hat das Berufungsgericht eine Aufklärung über die Möglichkeit
  42. und Risiken einer Schnittentbindung gegenüber der Mutter des Klägers für nicht
  43. erforderlich gehalten, weil es sich nach Abwägung der Risiken für die Mutter
  44. und der zu erwartenden Vorteile einer sectio dabei nicht um eine medizinisch
  45. vertretbare Alternative gehandelt hat. Eine Unterrichtung über eine alternative
  46. Behandlungsmöglichkeit ist nur erforderlich, wenn für eine medizinisch sinnvolle
  47. und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur
  48. Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten
  49. führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (vgl. Senatsurteile vom 22. September 1987 - VI ZR 238/86, BGHZ 107, 17, 22; vom 21. November 1995 - VI ZR 329/94, VersR 1996, 233; vom 15. Februar 2000 - VI ZR
  50. 48/99, BGHZ 144, 1, 10 und vom 17. Mai 2011 - VI ZR 69/10, VersR 2011,
  51. 1146). Gemäß diesem allgemeinen Grundsatz braucht der geburtsleitende Arzt
  52. in einer normalen Entbindungssituation, bei der die Möglichkeit einer Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb keine echte Alternative zur
  53. vaginalen Geburt ist, ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit einer
  54. Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen. Der Kläger war nach den vorgeburtlichen Untersuchungsergebnissen nicht makrosom. Die am Tag der Ge-
  55. -4-
  56. burt gegen 11.00 Uhr/12.00 Uhr erfolgte Ultraschallmessung erbrachte im
  57. Normbereich liegende Messwerte. Zwar lag das später festgestellte Geburtsgewicht mit 4.420 g über dem Normbereich, der in der 38. Schwangerschaftswoche 4000 g beträgt, doch sind solche Diskrepanzen im letzten Schwangerschaftsdrittel durchaus möglich und kann die Fehlmessung durch andere biologische Faktoren, so etwa durch eine dicke Bauchdecke, wie es hier bei der Mutter des Klägers möglicherweise gewesen ist, beeinflusst sein. Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat darauf hingewiesen, dass bei der Körpergröße der
  58. Mutter des Klägers von 172 cm eine Makrosomie des Kindes nicht von vornherein befürchtet werden musste. Das Risiko sei bei Gebärenden mit einer Größe
  59. unter 160 cm prägnant. Kinder von erstgebärenden, jungen Müttern, die - wie
  60. die Mutter des Klägers - rauchen, seien erfahrungsgemäß kleiner. Nach den
  61. medizinischen Leitlinien stehe bei einer adipösen Schwangeren sogar für den
  62. Fall einer vorliegenden Makrosomie die vaginale Entbindung im Vordergrund.
  63. Im Streitfall war das erhöhte Operationsrisiko infolge der Adipositas per magna
  64. bei der Mutter des Klägers für eine Schnittentbindung signifikant. Unter diesen
  65. Umständen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass unter Berücksichtigung der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch vertretbare Alternative der Entbindung durch eine sectio
  66. von den Ärzten der Beklagten zu 1 vertretbar abgelehnt worden ist, nicht zu
  67. beanstanden.
  68. 5
  69. Unbegründet ist auch die Rüge des Klägers, dass der Senat die Ausführungen der Nichtzulassungsbeschwerde, wonach das Vordergericht unter Verstoß gegen das Willkürverbot und Verletzung des Anspruchs des Klägers auf
  70. rechtliches Gehör zu der Annahme eines nicht vorwerfbaren Diagnosefehlers
  71. gelangt sei, übergangen habe. Der Vortrag bleibt für die Haftung der Beklagten
  72. nicht erheblich, weil alleine das Eintreten einer Schulterdystokie nicht einen
  73. -5-
  74. (groben) Behandlungsfehler indiziert und im Übrigen ein für die geltend gemachten Schäden ursächliches ärztliches Fehlverhalten nicht erwiesen ist.
  75. Galke
  76. Diederichsen
  77. von Pentz
  78. Pauge
  79. Offenloch
  80. Vorinstanzen:
  81. LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 17.05.2013 - 4 O 450/08 OLG Naumburg, Entscheidung vom 10.04.2014 - 1 U 77/13 -