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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 162/06
  5. Verkündet am:
  6. 4. Mai 2007
  7. Langendörfer-Kunz,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. AusglLeistG § 3 Abs. 2 Satz 3
  19. Die Berechtigung, landwirtschaftliche Flächen und Waldflächen nach § 3 Abs. 1 bis 4
  20. AusglLeistG begünstigt zu erwerben, setzt auch im Fall von Wiedereinrichtern im
  21. Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG deren Ortsansässigkeit voraus.
  22. BGH, Urt. v. 4. Mai 2007 - V ZR 162/06 - OLG Rostock
  23. LG Neubrandenburg
  24. -2-
  25. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 4. Mai 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
  27. Dr. Lemke und Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den
  28. Richter Dr. Czub
  29. für Recht erkannt:
  30. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des
  31. 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 18. Mai
  32. 2006 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. 1
  36. Der Beklagte ist eigenen Angaben zufolge Rechtsnachfolger des früheren Eigentümers eines im heutigen Mecklenburg-Vorpommern gelegenen, 1945
  37. enteigneten landwirtschaftlichen Guts. Er hat ehemals volkseigene landwirtschaftliche Flächen von der durch die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte
  38. Sonderaufgaben mit der Privatisierung solcher Flächen beauftragten Klägerin
  39. gepachtet. Im November 1998 stellte er bei der Klägerin einen Antrag nach dem
  40. Ausgleichsleistungsgesetz auf begünstigten Erwerb von bis zu 100 ha Waldfläche zur Ergänzung seines landwirtschaftlichen Betriebes (Bauernwald). Zu den
  41. Antragsunterlagen gehörte eine Erklärung des Beklagten, dass er seinen
  42. Hauptwohnsitz vor Abschluss des Kaufvertrages in die Nähe der Betriebsstätte
  43. -3-
  44. verlegen werde sowie eine Meldebescheinigung, die einen entsprechenden
  45. Wohnsitz auswies.
  46. 2
  47. Mit notariellem Vertrag vom 22. Dezember 1998 verkaufte die Klägerin
  48. dem Beklagten rund 96 ha Waldfläche in der Gemarkung S.
  49. zum Preis von
  50. 156.853,17 DM. In § 9 des Kaufvertrages ist unter der Überschrift „Sicherung
  51. der Zweckbindung“ vereinbart:
  52. 1. Der Abschluß dieses Vertrages erfolgt in der Annahme, daß dem Käufer für den Kaufgegenstand ein Erwerbsanspruch nach den Bestimmungen des AusglLeistG zusteht…….
  53. 2. Die Verkäuferin ist berechtigt, von diesem Vertrage zurückzutreten,
  54. …….…..
  55. d) wenn feststeht, dass die von dem Käufer für den Abschluß dieses Vertrages gegenüber der Verkäuferin erbrachten Nachweise und Angaben
  56. falsch waren, insbesondere also nicht die Voraussetzungen für den Erwerb von sogenanntem „Bauernwald“ im Sinne des § 3 Abs. 4
  57. AusglLeistG gegeben waren….
  58. 3
  59. Nachdem die Klägerin festgestellt hatte, dass der Beklagte mit erstem
  60. Wohnsitz in Lübeck und mit Nebenwohnsitz in Ratzeburg gemeldet war und
  61. auch faktisch nicht unter der von ihm angegebenen Adresse in der Nähe der
  62. Betriebsstätte lebte, erklärte sie den Rücktritt vom Vertrag. Mit der Klage verlangt sie dessen Rückabwicklung.
  63. 4
  64. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; die Berufung des Beklagten
  65. ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren
  66. Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf
  67. Abweisung der Klage weiter.
  68. -4-
  69. Entscheidungsgründe:
  70. I.
  71. 5
  72. Das Berufungsgericht meint, die Klägerin sei zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt, weil der Beklagte falsche Angaben zu seinem Hauptwohnsitz
  73. gemacht habe. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass das Ausgleichsleistungsgesetz bei Alteigentümern keine Ortsansässigkeit fordere und
  74. er deshalb zu falschen Angaben in diesem Punkt berechtigt gewesen sei. Da
  75. der Verkauf der Waldflächen durch einen privatrechtlichen Vertrag erfolgt sei,
  76. habe die Klägerin innerhalb der Grenzen der Privatautonomie selbst bestimmen
  77. können, welche Voraussetzungen ein Käufer erfüllen müsse. Das gelte unabhängig davon, ob das Ausgleichleistungsgesetz einen Hauptwohnsitz des Erwerbers in der Nähe seiner Betriebsstätte voraussetze. Ausreichend sei ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse der Klägerin daran, dass ein Käufer
  78. hierzu wahrheitsgemäße Angaben mache. Ein solches Interesse sei schon
  79. deshalb gegeben, weil die Klägerin gegebenenfalls zwischen mehreren Bewerbern auswählen könne. Die Klägerin habe auch nicht gegen Grundsätze des
  80. Verwaltungsprivatrechts verstoßen; denn es sei weder willkürlich noch unverhältnismäßig, wenn sie angesichts objektiv falscher Angaben des Beklagten zu
  81. einem für sie wichtigen Punkt die Rückabwicklung des Kaufvertrages verlange.
  82. II.
  83. 6
  84. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nur im Ergebnis stand.
  85. 7
  86. 1. Im Ausgangspunkt noch zutreffend geht das Berufungsgericht davon
  87. aus, dass die Klägerin auf der Grundlage des im Kaufvertrag unter § 9 Ziff. 2 d
  88. vereinbarten Rücktrittsrechts wegen der falschen Angaben, die der Beklagte zu
  89. -5-
  90. seinem Wohnsitz gemacht hat, die Rückgängigmachung des Vertrages verlangen kann. Nicht zu beanstanden ist auch das Verständnis dieser Vertragsbestimmung dahin, dass nur solche unzutreffenden Angaben zum Rücktritt berechtigen sollten, die eine der Voraussetzungen für den Erwerb des Bauernwaldes betreffen.
  91. 8
  92. 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann allerdings nicht
  93. dahinstehen, ob die Berechtigung, Bauernwald vergünstigt zu kaufen, nach
  94. dem Ausgleichsleistungsgesetz davon abhängt, dass der Erwerber in der Nähe
  95. seines landwirtschaftlichen Betriebes ortsansässig ist bzw. wird. Die Annahme
  96. des Berufungsgerichts, die Klägerin habe in den Grenzen der Privatautonomie
  97. selbst bestimmen können, von welchen Vorgaben sie den Vertragsschluss mit
  98. dem Beklagten abhängig mache, ist rechtsfehlerhaft; denn sie berücksichtigt
  99. nicht die Bindungen, denen die Klägerin aufgrund des Ausgleichsleistungsgesetzes unterliegt.
  100. 9
  101. a) Die durch das Treuhand- und das Ausgleichsleistungsgesetz geregelte Privatisierung ehemals volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen
  102. ist eine öffentliche Aufgabe (vgl. BGHZ 158, 253, 259). Nimmt der Staat eine
  103. solche Aufgabe - wie hier - in den Formen des Privatrechts wahr (sog. Verwaltungsprivatrecht), stehen ihm nur die privatrechtlichen Rechtsformen, nicht aber
  104. die Freiheiten und Möglichkeiten der Privatautonomie zu. Demgemäß kann sich
  105. die zuständige Verwaltungsbehörde den für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe bestehenden gesetzlichen Vorgaben nicht durch den Hinweis auf die
  106. Grundsätze der Privatautonomie entziehen (vgl. BGHZ 91, 84, 96; Senat, Urt. v.
  107. 21. Juli 2006, V ZR 158/05, WM 2006, 2101, 2103). Insbesondere kann sie die
  108. Bedingungen für die Gewährung von Subventionen und ähnlichen Vergünstigungen nicht privatautonom, also abweichend von den gesetzlich festgelegten
  109. Voraussetzungen bestimmen (Senat, Urt. v. 21. Juli 2006, V ZR 158/05, aaO).
  110. -6-
  111. 10
  112. b) Diese Bindung hat Auswirkungen auf die Auslegung eines zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe von einer Behörde oder einer von ihr beauftragten Person geschlossenen privatrechtlichen Vertrages. Da davon ausgegangen
  113. werden kann, dass sich die Behörde an die öffentlich-rechtlichen Vorgaben für
  114. ihren Verwaltungsauftrag halten will und daher beabsichtigt, diese in der Form
  115. des Privatrechts zur Geltung zu bringen, und da weiter unterstellt werden darf,
  116. dass sie Dritte, die sie mit ihren Aufgaben betraut, zu einem entsprechenden
  117. Vorgehen verpflichtet hat, sind vertragliche Regelungen in einem dem Verwaltungsprivatrecht zuzuordnenden Vertrag im Zweifel so auszulegen, dass sie mit
  118. den Anforderungen der einschlägigen öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundlagen
  119. in Übereinstimmung stehen (vgl. BGHZ 155, 166, 170; BGH, Urt. v. 17. Januar
  120. 1972, III ZR 86/69, WM 1972, 339, 340 f.).
  121. 11
  122. Bei Beachtung dieses Grundsatzes durfte das Berufungsgericht den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über den Erwerb von Bauernwald
  123. (vgl. § 3 Abs. 4 AusglLeistG) nicht dahin auslegen, dass die Klägerin den Vertragsschluss auch für den Fall von der Ortsansässigkeit des Beklagten abhängig machen wollte, dass das Ausgleichsleistungsgesetz keine solche Anforderung enthält. Umstände, die für eine dahingehende Absicht der Klägerin sprechen könnten, liegen im Übrigen auch nicht vor. Aus dem Vertrag ergibt sich
  124. vielmehr das Gegenteil, da es dort in dem Abschnitt "Sicherung der Zweckbindung" heißt, der Vertragsabschluss erfolge in der Annahme, dass dem Käufer
  125. für den Kaufgegenstand ein Erwerbsanspruch nach den Bestimmungen des
  126. Ausgleichsleistungsgesetzes zustehe. Auch die Regelung in § 9 Ziff. 2 d, in der
  127. konkretisiert wird, dass zum Rücktritt der Klägerin berechtigende falsche Angaben insbesondere dann vorliegen, wenn sie die Voraussetzungen für den Erwerb von sogenanntem Bauernwald im Sinne des § 3 Abs. 4 AusglLeistG
  128. betreffen, lässt keinen Zweifel daran, dass die Klägerin den Vertragsschluss nur
  129. von den im Ausgleichsleistungsgesetz genannten Voraussetzungen und den
  130. -7-
  131. entsprechenden Vorgaben in § 12 FlErwV (vgl. Zimmermann in Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, Stand April 2006,
  132. § 12 FlErwV Rdn. 3) abhängig machen wollte.
  133. 12
  134. Die offenbar nur spekulative Erwägung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe ein Interesse an wahrheitsgemäßen Angaben des Beklagten zu seinem Hauptwohnsitz gehabt, um gegebenenfalls zwischen mehreren Bewerbern
  135. auswählen zu können, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Weder lassen sich
  136. dem Kaufvertrag Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Ortsansässigkeit
  137. des Beklagten für die Klägerin ein maßgebliches Auswahlkriterium zwischen
  138. zwei Erwerbsberechtigten darstellte, noch hat das Berufungsgericht Feststellungen dazu getroffen, dass es einen weiteren Berechtigten gab, der an dem
  139. Kauf derselben Waldflächen interessiert war.
  140. 13
  141. c) Im Übrigen wäre nach den Grundsätzen des Verwaltungsprivatrechts
  142. das Rücktrittsrecht der Klägerin eingeschränkt gewesen, wenn sie den Vertragsschluss von weitergehenden Voraussetzungen als im Ausgleichsleistungsgesetz vorgesehen abhängig gemacht und der Beklagte hierzu unrichtige
  143. Nachweise vorgelegt hätte. Ebenso wenig wie die Verwaltung die Voraussetzungen für die Gewährung einer Subvention privatautonom gestalten kann, (vgl.
  144. Senat, Urt. v. 21. Juli 2006, V ZR 158/05, WM 2006, 2101, 2103), war die im
  145. Auftrag der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben tätige
  146. Klägerin berechtigt, die Voraussetzungen für die Teilnahme an dem begünstigen Flächenerwerb gemäß § 3 AusglLeistG abweichend von den gesetzlichen
  147. Vorgaben nach eigenem Ermessen zu bestimmen. Das führt dazu, dass die
  148. Nichteinhaltung der von dem Beklagten zur Sicherung der Zweckbindung des
  149. Vertrages übernommenen Verpflichtung, seinen Hauptwohnsitz in die Nähe der
  150. Betriebsstätte zu verlegen, nur dann zum Anlass für eine Rückabwicklung des
  151. Vertrages genommen werden darf, wenn ohne die Wohnsitzverlegung der
  152. -8-
  153. - nach dem Inhalt des Ausgleichsleistungsgesetzes zu bestimmende - Zweck
  154. des Kaufvertrages verfehlt worden ist. Zum Rücktritt vom Vertrag berechtigende
  155. unrichtige Angaben des Beklagten lägen daher nicht vor, wenn er nach dem
  156. Ausgleichsleistungsgesetz berechtigt gewesen wäre, die streitgegenständlichen
  157. Waldflächen unabhängig davon zu erwerben, wo sich sein Wohnsitz zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses befand.
  158. 14
  159. 3. Das Berufungsurteil erweist sich im Ergebnis aber deshalb als richtig,
  160. weil die von dem Beklagten für sich in Anspruch genommene Erwerbsberechtigung als Wiedereinrichter nach § 3 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 AusglLeistG
  161. seine Ortsansässigkeit erfordert. Allerdings wird die Frage, ob neben Wiedereinrichtern nach § 3 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG auch diejenigen im Sinne von
  162. § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG ortsansässig sein bzw. werden müssen, unterschiedlich beantwortet.
  163. 15
  164. a) Teilweise wird angenommen, für Wiedereinrichter nach § 3 Abs. 2
  165. Satz 3 AusglLeistG gelte das Erfordernis der Ortsansässigkeit nicht (so Ludden
  166. in Kimme, Offene Vermögensfragen, Stand März 2006, § 3 AusglLeistG
  167. Rdn. 49 ff.; Heller/Quandt/Sannwald, Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, 1995, § 3 AusglLeistG Rdn. 10 f.; Witt, Der Flächenerwerb in den
  168. neuen Bundesländern, 1996, Rdn. 76).
  169. 16
  170. b) Die überwiegende Auffassung geht demgegenüber davon aus, dass
  171. auch Wiedereinrichter im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG nur im Falle
  172. ihrer Ortsansässigkeit erwerbsberechtigt sind (so OLG Naumburg OLG-NL
  173. 2005, 106, 108; Zilch in Motsch/Rodenbach/Löffler/Schäfer/Zilch, Kommentar
  174. zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, 1995, § 3 AusglLeistG
  175. Rdn. 58; Meixner in Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemaligen DDR, Stand Dezember 2004, § 3 AusglLeistG Rdn. 41 u. 44; Zimmermann
  176. -9-
  177. in Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, Stand
  178. April 2006, § 3 AusglLeistG Rdn. 42 u. 47; Schmidt-Preuß, NJW 1994, 3249,
  179. 3254;
  180. Bergsdorf
  181. AUR
  182. 2003,
  183. 37,
  184. 39;
  185. wohl
  186. auch
  187. Hauer
  188. in
  189. Fie-
  190. berg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Stand März 2005, § 3
  191. AusglLeistG Rdn. 71 sowie v. Arnim, OV Spezial 1996, 286).
  192. 17
  193. c) Der Senat hält die überwiegende Auffassung für zutreffend.
  194. 18
  195. aa) Der Gesetzeswortlaut lässt allerdings beide Auslegungen zu. In § 3
  196. Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG werden Wiedereinrichter als Personen definiert, die
  197. auf von ihnen gepachteten, ehemals volkseigenen Flächen "ihren ursprünglichen Betrieb wiedereingerichtet haben und ortsansässig sind (Wiedereinrichter)". Ergänzend bestimmt § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG, dass Wiedereinrichter
  198. im Sinne des Satzes 1 auch natürliche Personen sind, bei denen die Rückgabe
  199. ihres ursprünglichen land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes aus rechtlichen
  200. oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist, sowie Personen, denen landund forstwirtschaftliche Vermögenswerte durch Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogen worden sind.
  201. 19
  202. (1) Diese Formulierungen ermöglichen einerseits die Auslegung, dass für
  203. die in Satz 3 genannten Personen nicht nur das Tatbestandsmerkmal "ursprünglicher Betrieb", sondern auch dasjenige der "Ortsansässigkeit" ersetzt
  204. wird (so Ludden in Kimme, Offene Vermögensfragen, Stand März 2006, § 3
  205. AusglLeistG Rdn. 47). Die Ortsansässigkeit in Satz 1 stellt sich nämlich - da sie
  206. vor dem in Klammern gesetzten Begriff "Wiedereinrichter" steht - als Teil der
  207. Definition des Wiedereinrichters dar. Wird Satz 3 dahin verstanden, dass eine
  208. weitere, von Satz 1 nicht erfasste Personengruppe zu Wiedereinrichtern erklärt
  209. wird, handelte es sich um eine eigenständige und abschließende Definition ei-
  210. - 10 -
  211. nes Wiedereinrichters, die einen Rückgriff auf die in Satz 1 genannten Merkmale eines Wiedereinrichters nicht zuließe.
  212. 20
  213. (2) Andererseits ist aber auch ein Verständnis nicht ausgeschlossen, das
  214. Satz 3 keine den Kreis der Berechtigten erweiternde, sondern lediglich eine
  215. klarstellende
  216. Funktion
  217. beimisst
  218. (so
  219. Hauer
  220. in
  221. Fieberg/Reichenbach/
  222. Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Stand März 2005, § 3 AusglLeistG Rdn. 71;
  223. Zimmermann, Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen
  224. DDR, Stand April 2006, § 3 AusglLeistG Rdn. 47). Bei dieser Sichtweise beschränkt sich der Regelungsgehalt von Satz 3 auf die Aussage, dass auch Alteigentümer - obwohl die Enteignung ihres Grundbesitzes nicht rückgängig gemacht wird - ihren ursprünglichen Betrieb im Rechtssinne wiedereinrichten können, also anderen Wiedereinrichtern - nämlich Landwirten mit Restitutionsanspruch sowie nicht enteigneten Landwirten, die ihr Land in eine LPG einbringen
  225. mussten und es zurückerhalten haben (vgl. näher Hauer, aaO, Rdn. 71) gleichstehen.
  226. 21
  227. (3) Aus der von der Revision hervorgehobenen, zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens erfolgten Änderung des Wortlauts der Vorgängerreglung
  228. von § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG lässt sich der Wille des Gesetzgebers ebenfalls nicht mit der gebotenen Gewissheit entnehmen. Zwar enthielt die - damals
  229. noch in der mit "Siedlungskauf" überschriebenen Vorschrift des § 4 befindliche Vorgängerregelung den zusätzlichen Halbsatz "soweit die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt sind" und verwies damit unter anderem auf das in
  230. § 4 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs enthaltene Erfordernis der Ortsansässigkeit (vgl.
  231. die Formulierung von § 4 Abs. 1 Satz 1 und 3 des Entwurfs in dem Beschluss
  232. des Bundestages vom 30. Juni 1994 - BR-Drs. 689/94). Aus der Streichung
  233. dieses Zusatzes im Rahmen des zweiten Vermittlungsverfahrens (vgl. die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 1. September 1994 -
  234. - 11 -
  235. BT-Drucks. 12/8413) kann aber nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, die Gruppe der in Satz 3 genannten Alteigentümer von dem
  236. Erfordernis der Ortsansässigkeit freizustellen. Erst in diesem Vermittlungsverfahren wurden nämlich das bis dahin in der mit „Landerwerb“ überschriebenen
  237. Vorschrift des § 3 enthaltene Wiedergutmachungsprogramm für Alteigentümer
  238. und das in § 4 ("Siedlungskauf") geregelte Förderprogramm zum Aufbau der
  239. Land- und Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern in einer Vorschrift - dem
  240. dann Gesetz gewordenen § 3 ("Flächenerwerb") - zusammengefasst. Dabei
  241. gelangten zwar weite Teile der ursprünglichen Regelung zum Siedlungskauf in
  242. die ersten Absätze der neuen Vorschrift - darunter mit kleinen Änderungen und
  243. unter Fortfall des genannten Halbsatzes auch der Vorläufer von § 3 Abs. 2 Satz
  244. 3 AusglLeistG. Zugleich wurde der Aufbau der Vorschrift aber dahin geändert,
  245. dass die grundlegende Erwerbsvoraussetzung, nämlich die langfristige Pacht
  246. ehemals volkseigener, von der Treuhandanstalt zu privatisierender landwirtschaftlicher Flächen, die sich zuvor zusammen mit allen anderen Erwerbsvoraussetzungen in § 4 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs befunden hatte, nunmehr in
  247. einem gesonderten Absatz vorangestellt wurde (§ 3 Abs. 1 AusglLeistG), während die weiteren Anforderungen - Wieder- oder Neueinrichter, Ortsansässigkeit
  248. und Selbstbewirtschaftung - erst in dem nächsten Absatz folgten (§ 3 Abs. 2
  249. Satz 1 AusglLeistG). Angesichts dieses neuen Aufbaus liegt die Annahme nicht
  250. fern, dass der genannte Halbsatz ("soweit die übrigen Voraussetzungen des
  251. Satzes 1 erfüllt sind") aus der Erwägung gestrichen worden ist, es könne angesichts des nunmehr vorangestellten ersten Absatzes - im Gegensatz zu § 4 des
  252. Entwurfs - kein Zweifel bestehen, dass auch die in Absatz 2 Satz 3 genannten
  253. Alteigentümer nur berechtigt sein sollten, von ihnen zuvor gepachtete Flächen
  254. zu erwerben, und dass Überlegungen zum Erfordernis der Ortsansässigkeit in
  255. diesem Zusammenhang keine Rolle gespielt haben.
  256. - 12 -
  257. 22
  258. bb) Auch Sinn und Zweck der in § 3 AusglLeistG geregelten Flächenerwerbsmöglichkeiten kann nicht eindeutig entnommen werden, ob Wiedereinrichter im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG ortsansässig sein müssen. Der
  259. Gesetzgeber hat in § 3 AusglLeistG nämlich zwei unterschiedliche Regelungsinhalte zusammengefasst. Je nachdem, welcher der beiden Inhalte bei der Auslegung von Satz 3 in den Vordergrund gestellt wird, lässt sich bezüglich der
  260. Notwendigkeit der Ortsansässigkeit der Alteigentümer ein unterschiedliches
  261. Ergebnis begründen.
  262. 23
  263. (1) Zum einen enthält die Vorschrift - der Zielrichtung des Ausgleichsleistungsgesetzes entsprechend - ein Wiedergutmachungsprogramm für Alteigentümer, darunter insbesondere für diejenigen, denen land- und forstwirtschaftliche Vermögenswerte durch Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogen worden sind (vgl. § 1 Abs. 8 Buchst. a
  264. VermG). Wird dieser Zweck des Ausgleichsleistungsgesetzes betont, lässt sich
  265. gegen das Erfordernis der Ortsansässigkeit mit guten Gründen anführen, dass
  266. von Wiedereinrichtern, die ihren Grundbesitz endgültig verloren haben, nicht
  267. erwartet werden könne, auf irgendwo in den neuen Bundesländern gepachteten
  268. Flächen ortsansässig zu werden (so Ludden in Kimme, Offene Vermögensfragen, Stand März 2006, § 3 AusglLeistG Rdn. 51; Witt, Der Flächenerwerb in
  269. den neuen Bundesländern, 1996, Rdn. 76). Dieser Gesichtspunkt rechtfertigte
  270. zugleich eine unterschiedliche Behandlung der Alteigentümer im Sinne von
  271. Satz 3 im Vergleich zu den übrigen Wiedereinrichtern, die - da sie entweder
  272. einen durchsetzbaren Restitutionsanspruch haben oder, wie Landwirte, die ihr
  273. Land in eine LPG einbringen mussten, gar nicht enteignet worden sind - ihre
  274. Grundstücke zurückerhalten haben.
  275. 24
  276. (2) (a) Die Vorschrift des § 3 AusglLeistG enthält neben dem Wiedergutmachungsprogramm aber auch ein eigenständiges Förderprogramm zum Auf-
  277. - 13 -
  278. bau der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern (vgl.
  279. BVerfGE 112, 1, 39; 102, 254, 332; 94, 334, 349 f.). Mit diesem verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, für den Bereich der ostdeutschen Land- und Forstwirtschaft
  280. neue Eigentumsstrukturen und damit funktionsfähige Grundlagen für Erhalt und
  281. Fortentwicklung dieses Erwerbszweigs zu schaffen. Dabei hat er primär die
  282. ortsansässigen selbstwirtschaftenden Pächter im Blick ohne die Alteigentümer
  283. auszuschließen. Wird vorrangig auf diese Zielrichtung des Gesetzes abgestellt,
  284. ist Sinn und Zweck von § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG darin zu sehen, dass
  285. auch die Alteigentümer am begünstigen Flächenerwerb teilnehmen und damit
  286. zum strukturellen Neuaufbau in den neuen Ländern beitragen können, sofern
  287. sie
  288. ortsansässige,
  289. selbstwirtschaftende
  290. Pächter
  291. sind
  292. (so
  293. BVerfGE 94, 334, 350).
  294. 25
  295. Für diese Auslegung spricht, dass die - hier in Rede stehende - Erwerbsmöglichkeit für selbstwirtschaftende Pächter nach § 3 Abs. 1 bis 4
  296. AusglLeistG dem Förderprogramm zum Aufbau der Land- und Forstwirtschaft
  297. zugerechnet wird (vgl. BVerfGE 94, 334, 349), während sich das in § 3
  298. AusglLeistG enthaltene Wiedergutmachungsprogramm in erster Linie in den
  299. Regelungen über die Erwerbsberechtigung der nicht selbstwirtschaftenden Alteigentümer (§ 3 Abs. 5 AusglLeistG) findet (vgl. Ludden, VIZ 1997, 129, 130).
  300. 26
  301. (b) Andererseits stellt sich auch die Einbeziehung der selbstwirtschaftenden Alteigentümer in das landwirtschaftliche Förderprogramm als Teil der Wiedergutmachung dar. Das tritt in der aktuellen, auf das Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 15. September 2000 (BGBl. I. S. 1382) zurückgehenden Gesetzesfassung zwar nicht mehr deutlich hervor. In der ursprünglichen, am
  302. 1. Dezember 1994 in Kraft getretenen Fassung von § 3 AusglLeistG (BGBl. I
  303. S. 2624) war der in der Regelung von § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG enthaltene
  304. Wiedergutmachungsaspekt allerdings noch klar erkennbar. Zu dem ursprüngli-
  305. - 14 -
  306. chen Kreis der nach § 3 Abs. 1 bis 4 AusglLeistG berechtigten natürlichen Personen gehörten neben Wiedereinrichtern nämlich lediglich Neueinrichter, die
  307. am 3. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet ansässig waren. Da die zuletzt genannte
  308. Voraussetzung praktisch nur von ehemaligen Bürgern der DDR erfüllt wurde,
  309. konnten Personen aus den alten Bundesländern, die nicht Eigentümer oder
  310. Restitutionsberechtigte von in den neuen Ländern belegenen landwirtschaftlichen Flächen waren, von dem Förderprogramm zum Aufbau der Land- und
  311. Forstwirtschaft in den neuen Ländern nur profitieren, wenn sie Wiedereinrichter
  312. im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG waren. Ihre Bevorzugung gegenüber anderen Bürgern aus den alten Bundesländern, die an einem vergünstigen
  313. Erwerb landwirtschaftlicher Flächen im Beitrittsgebiet interessiert und erforderlichenfalls auch zu einem Wohnsitzwechsel bereit waren, rechtfertigte sich allein
  314. aus dem in § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG enthaltenen Wiedergutmachungsaspekt.
  315. 27
  316. Dass die Vorschrift nicht nur Teil des Förderprogramms zum Aufbau der
  317. Land- und Forstwirtschaft, sondern auch Teil des Wiedergutmachungsprogramms ist, wird zudem aus den Folgerungen deutlich, die von dem Gesetzgeber aus der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 20. Januar 1999
  318. (1999/268/EG, ABl. L 107/21) gezogen wurden. Darin hatte die Kommission
  319. das im Ausgleichsleistungsgesetz enthaltene Flächenerwerbsprogramm als eine teilweise mit Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbarende Beihilfe im Sinne
  320. von Art. 92 Abs. 1 EG-Vertrag angesehen, hiervon jedoch die Erwerbsberechtigung der Wiedereinrichter ohne (durchsetzbaren) Restitutionsanspruch ausdrücklich ausgenommen. Der ihnen gewährte Vorteil wurde von der Kommission als Kompensation für Enteignungen oder enteignungsgleiche Eingriffe auf
  321. hoheitlicher Grundlage ohne Elemente einer Beihilfe angesehen (ABl.
  322. L 107/36 f.). Demgemäß hat der zur Rückforderung der unzulässigen Beihilfen
  323. verpflichtete Gesetzgeber nicht nur die den Alteigentümern nach § 3 Abs. 5
  324. - 15 -
  325. AusglLeistG - und damit zweifelsfrei zur Wiedergutmachung - gewährten Vorteile unberührt gelassen, sondern auch die auf der Grundlage einer Erwerbsberechtigung nach § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG mit Alteigentümern geschlossenen Kaufverträge uneingeschränkt bestätigt (vgl. § 3a Abs. 1 AusglLeistG).
  326. 28
  327. Der Wille des Gesetzgebers, den in der Erwerbsberechtigung nach § 3
  328. Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG liegenden Wiedergutmachungsaspekt sichtbar zu
  329. belassen, kann im Übrigen der Grund dafür sein, dass Satz 3 beibehalten worden ist, obwohl sich die Voraussetzungen dieser Erwerbsberechtigung seit der
  330. Änderung der Vorschrift durch das Vermögensrechtsänderungsgesetz vom
  331. 15. September 2000 (BGBl. I. S. 1382) nicht mehr von denjenigen unterscheiden, die gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 für Neueinrichter gelten. Daher spricht
  332. das Argument, die Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG habe neben der
  333. Alternative der Neueinrichter keine eigenständige Bedeutung mehr, wenn auch
  334. von den Alteigentümern die Ortsansässigkeit gefordert werde (so Ludden in
  335. Kimme, Offene Vermögensfragen, Stand März 2006, § 3 AusglLeistG Rdn. 54),
  336. nicht entscheidend gegen die Annahme, dass auch nach dieser Vorschrift Berechtigte ortsansässig sein müssen.
  337. 29
  338. cc) Der Wille des Gesetzgebers, auch von den Alteigentümern im Sinne
  339. des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG die Ortsansässigkeit zu fordern, kommt jedoch darin deutlich zum Ausdruck, dass er die Erwerbsberechtigung nach § 3
  340. Abs. 1 bis 4 AusglLeistG nur Personen eingeräumt hat, die Pächter der zu privatisierenden Flächen sind. Damit hat der Gesetzgeber mittelbar auf die eine
  341. Verpachtung solcher Flächen regelnde Richtlinie der Treuhandanstalt für die
  342. Durchführung der Verwertung und Verwaltung volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen vom 26. Juni 1992 (abgedruckt in VIZ 1993, 347) in der
  343. Fassung der Anpassungsrichtlinie vom 22. Juni 1993 (abgedruckt in BT/Drucks.
  344. 12/5861 S. 3) Bezug genommen. Im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser
  345. - 16 -
  346. Richtlinie kann kein Zweifel bestehen, dass nur ortsansässige Alteigentümer
  347. Wiedereinrichter im Rechtssinne sind. Die Richtlinie definiert Wiedereinrichter
  348. nämlich als Personen, "die ortsansässig sind oder im Zusammenhang mit der
  349. Wiedereinrichtung ortsansässig werden, ihren ursprünglichen landwirtschaftlichen Betrieb wiedereinrichten und selbst bewirtschaften wollen, und zwar auch
  350. solche, bei denen die Rückgabe ihres ursprünglichen Betriebes aus rechtlichen
  351. oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist sowie natürliche Personen, denen Vermögenswerte durch Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage entzogen worden sind oder deren Erben, die
  352. ihren ehemaligen Betrieb wiedereinrichten und selbst bewirtschaften wollen".
  353. Hieraus folgt, dass Alteigentümer neben anderen Wiedereinrichtern und
  354. 30
  355. neben ortsansässigen Neueinrichtern nur dann eine gleichberechtigte Chance
  356. hatten, zu privatisierende ehemals volkseigene land- und forstwirtschaftliche
  357. Flächen zu pachten, wenn sie ortsansässig waren. Die Anpassungsrichtlinie
  358. vom 22. Juni 1993 sah bei annähernd gleichwertigen Betriebskonzepten nämlich vor, dass der Zuschlag vorrangig Wiedereinrichtern im Sinne der Richtlinie,
  359. also ortsansässigen Personen, sowie am 3. Oktober 1990 ortsansässigen Neueinrichtern zu erteilen war und im Range nachfolgend bestimmte auf der Basis
  360. des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes aus der Umstrukturierung ehemaliger
  361. LPG hervorgegange Gesellschaften zu berücksichtigen waren. Hierdurch sollte
  362. ausgeschlossen werden, dass Personen ohne regionalen Bezug Flächen pachteten und mit einem ortsansässigen Betriebsleiter oder Verwalter bewirtschafteten. Personen sollten - in Konkurrenz zu den örtlichen Interessenten - nur pachten
  363. können,
  364. wenn
  365. sie
  366. sich
  367. vor
  368. Ort
  369. engagierten
  370. (Zilch
  371. in
  372. Motsch/Rodenbach/Löffler/Schäfer/Zilch, Kommentar zum Entschädigungs- und
  373. Ausgleichsleistungsgesetz, 1995, § 3 AusglLeistG Rdn. 58).
  374. - 17 -
  375. 31
  376. Es liegt daher nahe, dass der Gesetzgeber, hätte er Alteigentümern ohne
  377. Restitutionsanspruch ein Erwerbsrecht nach § 3 Abs. 1 bis 4 AusglLeistG unabhängig ihrer Ortsansässigkeit einräumen wollen, für eine Änderung dieser
  378. Verpachtungspraxis, also dafür Sorge getragen hätte, dass auch nicht ortsansässige Alteigentümer die Möglichkeit hatten, Flächen im Sinne von § 3 Abs. 1
  379. AusglLeistG gleichrangig neben anderen Wiedereinrichtern und am 3. Oktober
  380. 1990 ortsansässigen Neueinrichtern zu pachten. Andernfalls wären viele Alteigentümer schon mangels Abschlusses eines Pachtvertrages über zu privatisierende Flächen von einem Erwerb nach § 3 Abs. 1 bis 4 AusglLeistG ausgeschlossen gewesen. Zudem wäre auch eine Klarstellung im Ausgleichsleistungsgesetz zu erwarten gewesen, wenn der Gesetzgeber die Erwerbsberechtigung nach § 3 Abs. 1 bis 4 dieses Gesetzes einerseits an die auf der Grundlage der genannten Treuhandrichtlinie abgeschlossenen Pachtverträge anknüpft,
  381. andererseits aber in demselben Zusammenhang einen von der Richtlinie abweichenden Wiedereinrichterbegriff verwendet sehen wollte.
  382. 32
  383. 3. Die Klägerin war berechtigt, von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch zu
  384. machen, da der Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei
  385. Abschluss des Kaufvertrages und auch in der Folgezeit nicht ortsansässig war.
  386. Dabei kann dahinstehen, ob das Erfordernis der Ortsansässigkeit nur dann erfüllt ist, wenn der Hauptwohnsitz des Erwerbers in der Nähe der Betriebsstätte
  387. liegt - hiervon geht die auf der Grundlage von § 4 Abs. 3 AusglLeistG erlassene
  388. Flächenerwerbsverordnung aus (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 3
  389. FlErwV) - oder ob es insbesondere bei verheirateten Erwerbern mit Rücksicht
  390. auf die aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates im Einzelfall
  391. ausreichend sein kann, wenn die Ortsansässigkeit auf andere Weise nachgewiesen wird (vgl. hierzu Ludden in Kimme, Offene Vermögensfragen, Stand
  392. März 2006, § 3 AusglLeistG Rdn. 43a ff.; Hauer in Fieberg/Reichenbach/
  393. Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Stand März 2005, § 1 FlErwV Rdn. 23; Witt,
  394. - 18 -
  395. Der Flächenerwerb in den neuen Bundesländern, 1996, Rdn. 85). Hierauf käme
  396. es nur an, wenn Umstände vorlägen, die es bei Anlegung eines gegenüber der
  397. Flächenerwerbsverordnung weniger strengen Maßstabs rechtfertigen könnten,
  398. den Beklagten als im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ortsansässig anzusehen,
  399. wenn also beispielsweise ein regelmäßig aufgesuchter oder mit besonderem
  400. örtlichen Engagement verbundener Zweitwohnsitz in der Nähe der Betriebsstätte vorhanden gewesen wäre. So verhält es sich indessen nicht. Nach den nicht
  401. angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich der Beklagte in
  402. der maßgeblichen Zeit in S.
  403. , also in der Nähe seines landwirtschaftlichen
  404. Betriebes, nicht regelmäßig, sondern nur sporadisch und dann auch lediglich
  405. als Gast aufgehalten. Kann der Beklagte aber nicht einmal auf eine eigene
  406. Wohnung in der Nähe der Betriebsstätte verweisen, scheidet die Annahme, er
  407. sei dort ortsansässig gewesen, in jedem Fall, also unabhängig von den nach
  408. der Flächenerwerbsverordnung zu erfüllenden Anforderungen aus.
  409. 33
  410. 4. Entgegen der Auffassung der Revision, die sich insoweit auf zwei von
  411. dem Beklagten eingeholte Rechtsgutachten stützt, erfordert die Frage, ob § 3
  412. Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG mit Art. 39 EG-Vertrag (Arbeitnehmerfreizügigkeit),
  413. Art. 43 EG-Vertrag (Niederlassungsfreiheit) und dem in Art. 2 Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 zu der Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
  414. gewährleisteten Recht auf freie Wohnsitzwahl (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 25. Januar 2007, Rs. C-370/05) vereinbar ist, keine Vorlage an den Europäischen
  415. Gerichtshof. Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag besteht
  416. nicht, wenn das letztinstanzliche nationale Gericht in dem bei ihm schwebenden
  417. Verfahren feststellt, dass die betreffende entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof war oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts
  418. offenkundig und damit für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum ist (vgl.
  419. EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, 3430 Rdn. 16 =
  420. - 19 -
  421. NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG NJW 1988, 1456; BGHZ 109, 29, 35). Letzteres
  422. ist hier der Fall.
  423. 34
  424. a) Zwar kann ein grenzüberschreitender Bezug des zu beurteilenden
  425. Sachverhalts (vgl. zu diesem Erfordernis EuGH, Urt. v. 28. Januar 1992, Rs.
  426. C-332/90, Slg. 1992 I, 341, 356 f. Rdn. 9; Urt. v. 15. Dezember 1995, Rs.
  427. C-415/93, Slg. 1995 I, 4921, 5067 Rdn. 89) aufgrund des zweitinstanzlichen
  428. Vortrags des Beklagten nicht von vornherein ausgeschlossen werden, das Erfordernis der Ortsansässigkeit in der Nähe seines landwirtschaftlichen Betriebs
  429. hindere ihn, seine - längere Aufenthalte in Italien erfordernden - Tätigkeiten als
  430. Lehrbeauftragter einer italienischen Universität und als Geschäftsführer einer
  431. mit einer Zweigniederlassung in Italien vertretenen Kommanditgesellschaft auszuüben.
  432. 35
  433. b) Eine unzulässige Beschränkung der dem Beklagten durch das Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten liegt aber nicht vor.
  434. 36
  435. aa) Der Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG kann schon keine die
  436. Freizügigkeit im weiteren Sinne (Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Recht auf freie Wohnsitzwahl) beeinträchtigende Wirkung zugemessen
  437. werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stellen zwar
  438. auch unterschiedslos anwendbare, also nichtdiskriminierende Bestimmungen
  439. des nationalen Rechts, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, Beeinträchtigungen dieses
  440. Rechts dar (EuGH, Urt. v. 27. Januar 2000, Rs. C-190/98, Slg. 2000 I, 493, 523
  441. Rdn. 23). Allerdings ist nicht jede Bestimmung, die sich faktisch als Hindernis
  442. für eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat darstellt, eine
  443. Beeinträchtigung im Rechtssinne. Dies kann vielmehr nur angenommen wer-
  444. - 20 -
  445. den, wenn die Bestimmung den Zugang des Angehörigen eines Mitgliedsstaates zu dem Arbeits- oder Wirtschaftsmarkt anderer Mitgliedstaaten beeinflusst
  446. (vgl. EuGH, aaO).
  447. 37
  448. Eine solche Wirkung hat die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG
  449. nicht. Zwar kann der Beklagte infolge der Notwendigkeit, in der Nähe seines
  450. landwirtschaftlichen Betriebs ansässig zu sein, keiner wirtschaftlichen Tätigkeit
  451. in Italien nachgehen, die es in zeitlicher Hinsicht erforderlich macht, überwiegend dort zu leben. Der Zugang zu dem Arbeits- und Wirtschaftsmarkt Italiens
  452. ist ihm dadurch aber weder verschlossen noch wird er ihm erschwert.
  453. 38
  454. Darüber hinaus fehlt es auch deshalb an einer Beschränkung des Freizügigkeitsrechts im weiteren Sinn, weil die indirekten Auswirkungen, die das
  455. Erfordernis der Ortsansässigkeit auf wirtschaftliche Tätigkeiten des Beklagten in
  456. anderen Mitgliedstaaten hat, Folge seiner Entscheidung sind, an dem Erwerbsprogramm des Ausgleichsleistungsgesetzes teilzunehmen, d.h. landwirtschaftliche Flächen zu einem deutlich unter dem Verkehrswert liegenden Preis zu erwerben. Anders als in dem der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
  457. vom 25. Januar 2007 (Rs. C-370/05) zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem
  458. die beanstandete nationale Bestimmung es zur Voraussetzung für den Erwerb
  459. jeglichen landwirtschaftlichen Grundstücks machte, dass der Käufer auf diesem
  460. Grundstück seinen ständigen Wohnsitz begründete, betrifft das in § 3 Abs. 2
  461. Satz 3 AusglLeistG enthaltene Erfordernis der Ortsansässigkeit nur Erwerber,
  462. die die besonderen Vergünstigungen des Flächenerwerbsprogramms nach § 3
  463. Abs. 1 bis 4 AusglLeistG in Anspruch nehmen. Wer nicht ortsansässig sein
  464. kann oder möchte, kann landwirtschaftliche Flächen auf dem freien Markt erwerben. Dem Beklagten war es zudem nach § 3 Abs. 5 AusglLeistG möglich, zu
  465. privatisierende landwirtschaftliche Flächen und Waldflächen mit derselben Verbilligung, wie sie ihm im Kaufvertrag vom 22. Dezember 1998 gewährt wurde,
  466. - 21 -
  467. aber ohne die Verpflichtung zur Selbstbewirtschaftung und zur Ortsansässigkeit
  468. zu erwerben, wenn auch beschränkt auf Flächen, die nicht für einen Erwerb
  469. nach § 3 Abs. 1 bis 4 AusglLeistG in Anspruch genommen wurden. Angesichts
  470. dieser zumutbaren Alternativen, land- oder forstwirtschaftliche Flächen ohne
  471. eine damit verbundene Verpflichtung zur Wohnsitznahme zu kaufen, stellen
  472. sich die mit dem Erfordernis der Ortsansässigkeit verbundenen Auswirkungen
  473. auf die Grundfreiheiten des Beklagten nicht als eine staatliche Beschränkung,
  474. sondern als Folge einer von ihm eigenverantwortlich getroffenen wirtschaftlichen Entscheidung dar.
  475. 39
  476. bb) Selbst wenn aber ein Eingriff in eines der Grundfreiheiten des Beklagten vorliegen sollte, wäre dieser jedenfalls gerechtfertigt. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergibt sich, dass nationale Regelungen, die die Ausübung der durch den EG-Vertrag garantierten grundlegenden
  477. Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen, wirksam sind, wenn sie ein
  478. im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgen, in nichtdiskriminierender Weise
  479. angewandt werden und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang
  480. stehen (vgl. Urt. v. 30. November 1995, Rs. C-55/94, Slg. 1995 I, 4165, 4197 f.
  481. Rdn. 37; Urt. v. 25. Januar 2007, Rs. C-370/05). Diese Voraussetzungen sind
  482. hier offenkundig erfüllt.
  483. 40
  484. Mit dem Erfordernis der Ortsansässigkeit verfolgt der Gesetzgeber ein im
  485. Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung im Allgemeininteresse
  486. liegendes Ziel. Durch die Bevorzugung ortsansässiger und selbstwirtschaftender Landwirte bei der Privatisierung ehemals volkseigener land- und forstwirtschaftlicher Flächen in Ostdeutschland sollen neue und funktionsfähige Eigentumsstrukturen in diesem Bereich geschaffen werden (vgl. BVerfGE 94, 334,
  487. 350). Mit der Pflicht zur Selbstbewirtschaftung will der Gesetzgeber verhindern,
  488. dass Land nur als Kapitalanlage preisgünstig erworben wird; das Erfordernis
  489. - 22 -
  490. der Ortsansässigkeit soll ausschließen, dass Personen ohne regionalen Bezug
  491. Flächen erwerben und mit einem ortsansässigen Betriebsleiter bewirtschaften.
  492. In Konkurrenz zu den örtlichen Interessenten sollen andere Personen Flächen
  493. nur pachten und erwerben können, wenn sie sich vor Ort engagieren (vgl. Zilch,
  494. in Motsch/Rodenbach/Löffler/Schäfer/Zilch, Kommentar zum Entschädigungsund Ausgleichsleistungsgesetz, 1995, § 3 AusglLeistG Rdn. 58 u. 61). Dieses
  495. Anliegen rechtfertigt etwaige Einschränkungen der durch das Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten der Erwerber. Die Europäische Kommission
  496. hat es als legitimes Ziel des deutschen Gesetzgebers bezeichnet, besondere
  497. Regelungen zu schaffen, die dazu dienen, die ostdeutschen Eigentumsstrukturen nach der Wiedervereinigung Deutschlands an das neue Wirtschaftssystem
  498. anzupassen. Ferner hat sie hervorgehoben, dass es in den meisten Mitgliedsstaaten Bodenreformen gegeben hat, die es den Bauern ermöglichte, das von
  499. ihnen bearbeitete Land zu erwerben (Entscheidung vom 20. Januar 1999,
  500. 1999/268/EG, ABl. L 107/45). Die Berücksichtigung einer so verstandenen territorialen Verbundenheit - welche die Grundlage für die Bevorzugung ortsansässiger Erwerbsinteressenten bildet - hat die Kommission dabei ausdrücklich als
  501. legitim angesehen.
  502. 41
  503. Das Erfordernis der Ortsansässigkeit ist ein geeignetes Mittel um zu erreichen, dass die zu privatisierenden land- und forstwirtschaftlichen Flächen
  504. vorrangig in das Eigentum von Personen mit einer solchen territorialen Verbundenheit gelangen und sie von anderen Interessenten nur verdrängt werden
  505. können, wenn diese willens sind, eine vergleichbare regionale Verbundenheit
  506. aufzubauen. Die von der Revision aufgeworfene Frage, ob die nähere Ausgestaltung des Erfordernisses der Ortsansässigkeit über das hinausgeht, was zur
  507. Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, ob also in jedem Fall der Erstwohnsitz in
  508. der Nähe der Betriebsstätte begründet werden muss und für welchen Zeitraum
  509. - 23 -
  510. die Ortsansässigkeit verlangt werden kann, ist hier aus den zu II. 3. ausgeführten Gründen nicht entscheidungserheblich.
  511. III.
  512. 42
  513. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
  514. Krüger
  515. Lemke
  516. Stresemann
  517. Schmidt-Räntsch
  518. Czub
  519. Vorinstanzen:
  520. LG Neubrandenburg, Entscheidung vom 26.04.2005 - 4 O 292/04 OLG Rostock, Entscheidung vom 18.05.2006 - 7 U 63/05 -