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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- V ZB 87/14
- vom
- 4. Dezember 2014
- in der Abschiebungshaftsache
- Nachschlagewerk:
-
- ja
-
- BGHZ:
-
- nein
-
- BGHR:
-
- ja
-
- AufenthG § 62; FamFG § 67 Abs. 1
- Die in dem Verfahren der Abschiebungshaft erforderliche Dokumentation der
- Belehrung eines anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen über die Folgen eines
- Rechtsmittelverzichts kann nur bis zum Abschluss der Instanz erfolgen; eine auf
- Anforderung des Rechtsmittelgerichts gefertigte dienstliche Stellungnahme des die
- Haft
-
- anordnenden
-
- Richters
-
- ist
-
- nicht
-
- ausreichend
-
- (Fortführung
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- Senatsbeschlusses vom 1. Dezember 2011 – V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319 f.).
- BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - V ZB 87/14 - LG Traunstein
- AG Mühldorf a. Inn
-
- des
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- -2-
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- Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2014 durch die
- Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Czub und Dr. Roth, die
- Richterin Dr. Brückner und den Richter Dr. Kazele
-
- beschlossen:
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- Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss
- der
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- 4. Zivilkammer
-
- des
-
- Landgerichts
-
- Traunstein
-
- vom
-
- 22. April 2014 aufgehoben.
- Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung,
- auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das
- Beschwerdegericht zurückverwiesen.
- Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
- 5.000 €.
-
- Gründe:
- I.
- 1
-
- Der Betroffene wurde im Jahr 2009 unter Androhung der Abschiebung
- aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Ab dem 24. September
- 2013 befand er sich in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 1. Oktober 2013
- ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde Abschiebungshaft
- für die Dauer von längstens drei Monaten an, wobei diese im Anschluss an die
- Untersuchungs- bzw. Strafhaft vollstreckt werden sollte. Die Abschiebungshaft
- wurde ab dem Ende der Untersuchungshaft am 13. Januar 2014 vollzogen und
- mit Beschluss vom 10. April 2014 bis zum 30. April 2014 verlängert. Das
- Landgericht hat die gegen den Beschluss vom 10. April 2014 gerichtete
- Beschwerde als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde will der
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- -3-
-
- Betroffene feststellen lassen, dass er durch den angefochtenen Beschluss in
- seinen Rechten verletzt worden ist.
- II.
- 2
-
- Die
-
- Rechtsbeschwerde
-
- hat
-
- Erfolg.
-
- Zu
-
- Unrecht
-
- sieht
-
- das
-
- Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig an, weil der Betroffene
- einen wirksamen Rechtsmittelverzicht erklärt habe.
- 3
-
- 1. Nach der Rechtsprechung des Senats muss das Gericht in dem
- Verfahren
-
- der
-
- Abschiebungshaft
-
- einem
-
- anwaltlich
-
- nicht
-
- vertretenen
-
- Betroffenen, der von sich aus einen Rechtsmittelverzicht im Sinne von § 67
- Abs. 1 FamFG abgeben will, eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige
- Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilen und diese für das
- Rechtsbeschwerdegericht
-
- nachprüfbar
-
- dokumentieren
-
- (Beschluss
-
- vom
-
- 1. Dezember 2011 - V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319 f.). Die Dokumentation kann
- in dem Vermerk über die Anhörung enthalten sein oder im Anschluss gefertigt
- werden, da die Formstrenge des Verfahrens nach der Zivilprozessordnung in
- § 28 Abs. 4 FamFG nicht übernommen worden ist. Nach Abschluss der Instanz
- kann sie jedoch nicht mehr nachgeholt werden. Andernfalls verfehlte sie ihren
- Zweck, den tatsächlichen Geschehensablauf zeitnah in den Akten festzuhalten.
- 4
-
- 2. Daran gemessen ist der Rechtsmittelverzicht unwirksam. Der Anwalt
- des Betroffenen war in der Anhörung nicht anwesend. Dass die aus diesem
- Grund erforderliche Belehrung erfolgt ist, lässt sich nicht feststellen, weil es an
- der Dokumentation fehlt. Die erst auf Anforderung des Rechtsmittelgerichts
- gefertigte dienstliche Stellungnahme des die Haft anordnenden Richters ist
- nicht ausreichend.
-
- 5
-
- 3. Dieser Fehler hat sich auch ausgewirkt. Nach der neueren
- Rechtsprechung des Senats führt eine Verletzung von Verteidigungsrechten
- (insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör) zwar nicht automatisch,
- sondern nur dann zur Beendigung der Haft, wenn das Verfahren auch zu einem
- anderen Ergebnis hätte führen können (näher Senat, Beschluss vom 16. Juli
-
- -4-
-
- 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 11, im Anschluss an EuGH, BayVBl.
- 2014, 140 ff.). Davon ist hier aber schon deshalb auszugehen, weil die
- ordnungsmäßige
-
- Belehrung
-
- Rechtsmittelverzicht
-
- die
-
- abzugeben
-
- Entschließung
-
- des
-
- oder
-
- abzusehen,
-
- hiervon
-
- Betroffenen,
-
- einen
-
- unmittelbar
-
- beeinflusst.
- III.
- 6
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- Der Senat kann in der Sache nicht entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 2
- FamFG). Die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung ergibt sich nicht ohne weiteres
- daraus, dass der Senat
-
- die Inhaftierung aufgrund des Beschlusses vom
-
- 1. Oktober 2013 für die Zeit ab dem 5. Februar 2014 in dem Parallelverfahren
- als rechtswidrig angesehen hat; nach dieser Entscheidung beginnt der Lauf der
- in § 62 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG geregelten Fristen
- allerdings bereits mit der Haftanordnung (Senat, Beschluss vom 4. Dezember
- 2014 - V ZB 77/14, zur Veröffentlichung bestimmt). Weil die Abschiebungshaft
- gerechnet ab dem 1. Oktober 2013 am 10. April 2014 schon mehr als sechs
- Monate andauerte, könnte sich die Verlängerung nur dann als rechtmäßig
- erweisen, wenn der Betroffene die Abschiebung im Sinne von § 62 Abs. 4 Satz
- 2 AufenthG verhindert hätte. Feststellungen hierzu und zu der Einhaltung des
- Beschleunigungsgebots hat das Beschwerdegericht, das sich nur mit der
- Zulässigkeit des Rechtsmittels beschäftigt hat, nicht getroffen. Dies wird es
- - auch
-
- unter
-
- Berücksichtigung
-
- der
-
- Ausführungen
-
- Rechtsbeschwerdebegründung - nachzuholen haben.
-
- in
-
- der
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- -5-
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- IV.
- 7
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- Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3
- GNotKG.
- Stresemann
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- Czub
- Brückner
-
- Roth
- Kazele
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- Vorinstanzen:
- AG Mühldorf a. Inn, Entscheidung vom 10.04.2014 - 1 XIV 51/14 (L)LG Traunstein, Entscheidung vom 22.04.2014 - 4 T 1421/14 -
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