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10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 86/15
  4. vom
  5. 18. Februar 2016
  6. in dem Rechtsstreit
  7. ECLI:DE:BGH:2016:180216BVZB86.15.0
  8. -2-
  9. Der
  10. durch
  11. V. Zivilsenat
  12. die
  13. des
  14. Bundesgerichtshofs
  15. Vorsitzende
  16. Richterin
  17. hat
  18. am
  19. Dr. Stresemann,
  20. 18.
  21. die
  22. Februar
  23. 2016
  24. Richterinnen
  25. Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die
  26. Richterin Haberkamp
  27. beschlossen:
  28. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des
  29. Oberlandesgerichts Bamberg - 4. Zivilsenat - vom 8. Mai 2015
  30. aufgehoben.
  31. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
  32. die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.
  33. Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die
  34. Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  35. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  36. 63.158,55 €.
  37. -3-
  38. Gründe:
  39. I.
  40. 1
  41. Der Kläger macht gegen die Beklagten Sachmängelansprüche nach Abschluss eines Grundstückskaufvertrages geltend. Das Landgericht hat die Klage durch das dem Kläger am 28. Januar 2015 zugestellte Urteil abgewiesen.
  42. Am 2. März 2015 (Montag) sind bei dem Oberlandesgericht per Telefax die erste Seite einer zweiseitigen Berufungsschrift sowie eine zehnseitige Abschrift
  43. des Urteils des Landgerichts eingegangen. Die zweite Seite des Berufungsschriftsatzes, die u.a. die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Klägers
  44. aufwies, fehlte. Am 4. März 2015 ging der Berufungsschriftsatz im Original und
  45. vollständig bei dem Oberlandesgericht ein. Nachdem der Vorsitzende den Kläger mit Verfügung vom 3. März 2015 auf den unvollständigen Faxeingang und
  46. die Absicht, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hingewiesen hatte, hat
  47. dieser mit Schriftsatz vom 10. März 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen
  48. Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
  49. 2
  50. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf berufen, die Kanzleiangestellte R.
  51. be-
  52. auftragt zu haben, den Berufungsschriftsatz an das Oberlandesgericht per Telefax zu versenden. Er habe sie angewiesen, das Sendeprotokoll auszudrucken
  53. und darauf zu überprüfen, ob der Originalschriftsatz vollständig und ordnungsgemäß übermittelt worden sei. Sodann habe sie ihn über den Erfolg oder das
  54. Fehlschlagen der Übermittlung unterrichten sollen. Frau R.
  55. habe
  56. nach Übermittlung des Schriftsatzes nebst Urteilsabschrift den Sendebericht
  57. ausgedruckt und überprüft. Sie sei davon ausgegangen, dass der Berufungsschriftsatz nebst Urteil vollständig beim Oberlandesgericht eingegangen sei.
  58. -4-
  59. Anschließend habe sie den Rechtsanwalt von der ordnungsgemäßen Übermittlung des Berufungsschriftsatzes informiert und die Frist im elektronischen Fristenkontrollsystem gestrichen. Es handele sich bei Frau R.
  60. um eine aus-
  61. gebildete und geprüfte Rechtsanwaltsfachangestellte, die seit 2000 in der Kanzlei arbeite und bislang alle Weisungen stets sorgfältig, zuverlässig und fehlerlos
  62. ausgeführt habe.
  63. 3
  64. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen.
  65. II.
  66. 4
  67. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung als unzulässig zu
  68. verwerfen, da eine ordnungsgemäße Berufungsschrift erst nach Ablauf der Frist
  69. des § 517 ZPO eingegangen sei und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO nicht vorlägen. Der Kläger habe ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm gemäß § 85
  70. Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, nicht ausgeräumt. Seiner Pflicht zur wirksamen
  71. Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze genüge ein Rechtsanwalt nur,
  72. wenn er seine Angestellten anweise, nach einer Übermittelung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und
  73. an den richtigen Empfänger erfolgt sei. Dabei sei auch ein Vergleich der Anzahl
  74. der zu übermittelnden Seiten mit den laut Sendeprotokoll versandten Seiten
  75. anzuordnen. Hieran fehle es vorliegend. Weder gebe es eine entsprechende
  76. allgemeine Weisung noch sei die der Kanzleiangestellten R.
  77. erteilte Ein-
  78. -5-
  79. zelanweisung ausreichend. Eine ausdrückliche Anweisung, die Seitenzahlen
  80. abzugleichen, werde nämlich nicht behauptet. Eine entsprechende Anweisung
  81. lasse sich auch den Angaben der Kanzleiangestellten R.
  82. in der vorgeleg-
  83. ten eidesstattlichen Versicherung nicht entnehmen.
  84. III.
  85. 5
  86. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO,
  87. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen
  88. zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt 2 ZPO), weil
  89. das Berufungsgericht die Anforderungen an das, was eine Partei veranlasst
  90. haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen
  91. Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip)
  92. verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151,
  93. 221, 227 f.; BGH, Beschluss vom 12. November 2013 - VI ZB 4/13, NJW 2014,
  94. 700 Rn. 5 mwN).
  95. 6
  96. 2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Auffassung
  97. des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung gegen die versäumte Berufungsfrist (§ 233 ZPO) lägen nicht vor, ist
  98. rechtsfehlerhaft.
  99. 7
  100. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der
  101. Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender
  102. Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermitt-
  103. -6-
  104. lung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die
  105. Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH, Beschluss vom 13. Juni 1996
  106. - VII ZB
  107. 13/96,
  108. NJW 1996,
  109. 2513;
  110. Beschluss
  111. vom
  112. 14. Mai
  113. 2008
  114. - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 11; Beschluss vom 29. Juni 2010
  115. - VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8; Beschluss vom 31. Oktober 2012
  116. - III ZB 51/12, juris Rn. 6). Diese zwingend notwendige Ausgangskontrolle muss
  117. sich entweder - für alle Fälle - aus einer allgemeinen Kanzleianweisung oder
  118. - in einem Einzelfall - aus einer konkreten Einzelanweisung ergeben (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 12).
  119. 8
  120. b) Hier hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers seiner Angestellten
  121. die Einzelanweisung erteilt, das Sendeprotokoll darauf zu überprüfen, ob der
  122. Originalschriftsatz vollständig und ordnungsgemäß übermittelt worden ist. Soweit es um die - vorliegend allein interessierende - Überprüfung der Vollständigkeit der Übermittlung geht, war hiermit in hinreichendem Umfang für eine
  123. wirksame Ausgangskontrolle gesorgt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bedurfte es nicht einer zusätzlichen, ausdrücklichen Anweisung,
  124. die Anzahl der zu übermittelnden mit den laut Sendeprotokoll versandten Seiten
  125. zu vergleichen. Es versteht sich vielmehr von selbst und bedarf keiner ausdrücklichen Erwähnung, dass die von einem Rechtsanwalt angeordnete Vollständigkeitsprüfung anhand des Sendeprotokolls nur in der Weise möglich ist,
  126. dass die Seitenzahlen abgeglichen werden. Dies muss jedenfalls für die Fälle
  127. gelten, in denen eine solche Anweisung an eine - wie hier - erfahrene Angestellte erfolgt, die bislang stets sorgfältig, zuverlässig und fehlerlos die Arbeiten in
  128. der Kanzlei ausgeführt hat und über eine entsprechende Ausbildung verfügt.
  129. -7-
  130. 9
  131. Ein Rechtsanwalt darf davon ausgehen, dass eine solche Angestellte die
  132. Anweisung, die Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax auf
  133. Vollständigkeit zu prüfen, nicht dahingehend missversteht, hierfür genüge bereits der bloße OK-Vermerk im Faxprotokoll ohne Abgleichung der in dem Sendeprotokoll angezeigten Seiten mit denjenigen des Originalschriftsatzes. Verschuldensmaßstab ist nicht die äußerste und größtmögliche Sorgfalt, sondern
  134. die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt (BGH,
  135. Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122 Rn. 12). Diese hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gewahrt.
  136. 10
  137. c) Aus den von dem Berufungsgericht zitierten Entscheidungen anderer
  138. Senate des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts anderes. Soweit der III. Zivilsenat in dem Beschluss vom 31. Oktober 2012 (III ZB 51/12, juris Rn. 6) verlangt, es sei ein Vergleich der Anzahl der zu übermittelnden mit den laut Sendeprotokoll versandten Seiten anzuordnen, entspricht dies der Sache nach der
  139. Auffassung des Senats. In der Anweisung, die Vollständigkeit der Übermittlung
  140. anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ist nämlich eine solche Anordnung
  141. des Seitenabgleichs konkludent enthalten. Dass ein solcher Seitenabgleich von
  142. dem Rechtsanwalt zusätzlich neben der Anweisung der Vollständigkeitsprüfung
  143. anzuordnen sein soll, ergibt sich auch nicht aus den von dem III. Zivilsenat in
  144. Bezug genommenen Beschlüssen des XII. Zivilsenats vom 14. Mai 2008
  145. (XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 14) und des VII. Zivilsenats vom
  146. 13. Juni 1996 (VII ZB 13/96, NJW 1996, 2513). Vielmehr wird in beiden Entscheidungen maßgeblich auf die Überprüfung der Vollständigkeit der Übermittlung anhand des Sendeprotokolls abgestellt. Dies gilt auch für den von dem
  147. Berufungsgericht zusätzlich angeführten Beschluss des VI. Zivilsenats vom
  148. 29. Juni 2010 (VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8).
  149. -8-
  150. IV.
  151. 11
  152. Der Senat kann nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Aufgrund der
  153. dargelegten und glaubhaft gemachten Umstände liegt kein dem Kläger nach
  154. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Anwaltsverschulden vor. Da auch die übrigen
  155. Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung vorliegen, ist dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben.
  156. Stresemann
  157. Schmidt-Räntsch
  158. Göbel
  159. Brückner
  160. Haberkamp
  161. Vorinstanzen:
  162. LG Hof, Entscheidung vom 23.01.2015 - 12 O 345/13 OLG Bamberg, Entscheidung vom 08.05.2015 - 4 U 33/15 -