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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 79/12
  4. vom
  5. 19. September 2012
  6. in der Abschiebungshaftsache
  7. - 2 -
  8. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. September 2012 durch die
  9. Vorsitzende
  10. Richterin
  11. Dr.
  12. Stresemann,
  13. die
  14. Richter
  15. Dr. Lemke
  16. und
  17. Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
  18. beschlossen:
  19. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass
  20. der Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 5. März 2012 und der
  21. Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom
  22. 13. April 2012 sie in ihren Rechten verletzt haben.
  23. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
  24. zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
  25. der Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Erding
  26. auferlegt.
  27. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
  28. 3.000 €.
  29. Gründe:
  30. I.
  31. 1
  32. Die Betroffene, nach eigenen Angaben ghanaische Staatsangehörige,
  33. reiste am 5. März 2012 aus Athen kommend in das Bundesgebiet ein. Sie war
  34. im Besitz eines deutschen Reisepasses, der für eine andere Person ausgestellt
  35. war. Einen gültigen Reisepass oder einen eigenen gültigen Aufenthaltstitel
  36. konnte sie nicht vorlegen.
  37. - 3 -
  38. 2
  39. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom
  40. 5. März 2012 gegen die Betroffene Haft zur Sicherung der Abschiebung längstens bis zum Ablauf des 4. Juni 2012 angeordnet. Während des Beschwerdeverfahrens stellte die Betroffene einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgelehnt
  41. wurde. Dagegen erhob sie Klage vor dem Verwaltungsgericht, verbunden mit
  42. einem Eilantrag. Die Beschwerde gegen die Haftanordnung hat das Landgericht
  43. zurückgewiesen, ohne die Betroffene erneut anzuhören.
  44. 3
  45. Der Senat hat mit Beschluss vom 2. Mai 2012 die Vollziehung der Haft
  46. einstweilen ausgesetzt.
  47. 4
  48. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt die Betroffene die Feststellung,
  49. durch die Haftanordnung und deren Aufrechterhaltung in ihren Rechten verletzt
  50. worden zu sein.
  51. II.
  52. 5
  53. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die Betroffene vollziehbar
  54. ausreisepflichtig. Es habe der in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG genannte
  55. Haftgrund vorgelegen. Im Hinblick auf die kurze Zeit zurückliegende richterliche
  56. Anhörung habe das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen Abstand nehmen dürfen.
  57. III.
  58. 6
  59. Die Rechtsbeschwerde ist nach Erledigung der Hauptsache mit dem
  60. Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3
  61. Satz 1 Nr. 3 FamFG statthaft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. April 2010
  62. - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360), form- und fristgerecht gemäß § 71
  63. FamFG eingelegt und hat Erfolg.
  64. - 4 -
  65. 7
  66. 1. Die Betroffene ist bereits durch die Haftanordnung in ihren Rechten
  67. verletzt worden, weil ihr der Haftantrag nicht ausgehändigt worden ist. Zwar
  68. kann er einem Betroffenen erst zu Beginn der Anhörung vor dem Amtsgericht
  69. eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft,
  70. zu welchem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich
  71. der Haftrichter in einem solchen Fall darauf beschränken darf, den Inhalt des
  72. Haftantrags mündlich vorzutragen, auch wenn dieser dabei "komplett wörtlich"
  73. übersetzt wird. Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Ablichtung
  74. des Antrags ausgehändigt werden und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an
  75. einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (Senat, Beschluss
  76. vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 8; Beschluss vom
  77. 14. Juni 2012 - V ZB 284/11, Rn. 9, juris). Daran fehlte es hier. Nach dem Anhörungsprotokoll ist der Betroffenen der Haftantrag lediglich übersetzt worden.
  78. 8
  79. 2. Die Aufrechterhaltung der Haftanordnung durch das Beschwerdegericht hat die Betroffene in ihren Rechten verletzt, weil sie in der Beschwerdeinstanz nicht erneut angehört worden ist, obwohl die Voraussetzungen für
  80. das Absehen von der Anhörung nicht vorgelegen haben. Zur Begründung wird
  81. auf den Senatsbeschluss vom 2. Mai 2012, Rn. 6 ff., verwiesen.
  82. - 5 -
  83. IV.
  84. 9
  85. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
  86. FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in
  87. Art. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Landkreis Erding zur Erstattung der notwendigen Auslagen der Betroffenen zu verpflichten.
  88. Stresemann
  89. Lemke
  90. Brückner
  91. Schmidt-Räntsch
  92. Weinland
  93. Vorinstanzen:
  94. AG Erding, Entscheidung vom 05.03.2012 - 6 XIV 17/12 (B) LG Landshut, Entscheidung vom 13.04.2012 - 63 T 967/12 -